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Mit festem Schritt durchquerte Molly den Raum, der noch im Halbdunkel lag, stellte das Frühstückstablett auf dem Tischchen vor dem Fenster ab und zog die Gardinen zurück. Hell ergoss sich das Tageslicht ins Zimmer.

«Molly», brummte Katherine und versteckte das Gesicht unter der Decke. «Bist du verrückt geworden? Darf man erfahren, wie spät es ist?»

«Es ist schon nach neun Uhr», teilte Molly ihr ungerührt mit.

«Das ist viel zu früh! Es ist ja kaum ein paar Stunden her, dass ich mich hingelegt habe! Lass mich noch schlafen!»

«Wie du willst! Aber ich sollte dir doch Bescheid geben, wenn der Leutnant sein Zimmer verlässt.»

Sofort streckte Katherine den Kopf unter der Decke hervor. «Ist er schon aufgestanden?»

«Seit mindestens einer halben Stunde frühstückt er mit dem Herrn und dem jungen Herrn Julien.»

«Eine halbe Stunde?», wiederholte Katherine und sprang ungewöhnlich flink aus dem Bett. «Ich muss mich beeilen!»

Das Frühstückstablett wie jeden Morgen außer Acht lassend, ging Katherine zielstrebig zum Kleiderschrank. «Weißt du, was er heute vorhat?», fragte sie Molly, während sie die Schranktüren aufriss.

Amüsiert sah die Sklavin ihr zu. «Ich habe gehört, dass er einen Spaziergang machen will.»

«Einen Spaziergang? Dann sollte ich etwas Schlichteres wählen», überlegte Katherine laut und ließ das prächtige, rosafarbene Seidenkleid mit Blumenbesatz, das sie schon in der Hand hielt, auf den Boden fallen.

«Weißt du, wohin er will?»

«Nicht sehr weit.»

«Vielleicht will er ins Zentrum», sagte Katherine, bevor Molly etwas ergänzen konnte. Sie musste sich unbedingt beeilen. Wenn sie es nicht schaffte, Davids Weg zu kreuzen, bevor er das Haus verließ, würde es fast unmöglich werden, ihn im lärmenden Gedränge des französischen Viertels zu finden.

«Nun, tatsächlich weiß ich ganz genau, wohin er will.»

Katherine hielt inne. «Du weißt es?»

Geheimnisvoll nickte Molly. «Er wird mit deinem Bruder einen Spaziergang durch den Garten machen.»

«Durch welchen Garten?»

«Katty, in welchem Garten soll er schon spazieren gehen! Im einzigen, der bis an die Ufer von Lake Pontchartrain reicht.»

David wollte Deux Chemins an diesem Morgen also nicht verlassen? Katherine lächelte. Geradezu mechanisch legte ihr Bruder Julien jeden Tag um dieselbe Uhrzeit die gleiche Strecke zurück. Ein Blick auf die Uhr genügte, um zu wissen, wo er sich gerade befand. Da die Standuhr in ihrem Schlafzimmer Punkt halb zehn zeigte, hatte sie also noch eine halbe Stunde, um sich zurechtzumachen und ganz zufällig David zu treffen. Die Welt war ihr wohlgesinnt.

Mehr als fünf Minuten brauchte sie, um sich unter ihren vielen Kleidern für ein schlichtes Modell zu entscheiden. Es war aus feinem Stoff in blassem Grün und hatte keine weiteren Verzierungen als ein breites Band aus gelbem Seidenkrepp, das ihre schmale Taille umgab.

Um Punkt zehn Uhr schritten Julien und David durch einen der beiden offenen Torbögen im Heckenlabyrinth und traten auf die grasbewachsene Lichtung in seiner Mitte. Vollkommen unerwartet trafen sie auf Katherine, die auf einer Bank neben dem kleinen Teich saß. In ihrer Begleitung befand sich eine junge Frau.

«Miss Lacroix!» Überrascht führte David seine Hand zum Gruß an den Hut. Lächelnd nickte Katherine ihm zu.

«Guten Morgen, Mr. Parrish. Darf ich Ihnen Molly vorstellen?»

Gerade wollte David seine Hand erneut an die Hutkrempe legen, als Julien ihn rasch unterbrach. «Guten Morgen, Molly.»

«Master Julien», grüßte Molly gehorsam, während sie einen Schritt zurücktrat und demütig vor sich auf den Rasen blickte.

David erstarrte. Niemals hätte er gedacht, dass diese so schöne und elegant gekleidete Frau eine Sklavin sein könnte.

«Wollen wir?», fragte Katherine und erhob sich. Molly blieb hinter ihrer Herrin.

«Sie begleiten uns?», fragte David. Schon hatte er die Sklavin vergessen.

«Ich treffe Julien jeden Morgen hier für diesen Teil des Rundgangs.» Nur mit großer Mühe konnte ihr Bruder seine Überraschung verbergen. Normalerweise stand Katherine nicht einmal vor Mittag auf. Ihn auf einem Spaziergang durch den Garten zu begleiten war das Letzte, was ihr dann einfiel.

Als sie sich wieder in Bewegung setzten, hielt Molly sich weiter diskret hinter ihnen.

«Waren Sie früher schon einmal in New Orleans, Leutnant Parrish?»

«Mehrere Male, aber immer nur kurz. Ich musste mich um Angelegenheiten kümmern, die die Plantage betrafen.»

«Erzählen Sie von Ihrer Plantage!»

Wehmütiger Glanz trübte ihm die Augen. «Bis vorgestern hätte ich noch behauptet, dass New Fortune der schönste Ort ist, den man sich überhaupt vorstellen kann, aber jetzt, wo ich Deux Chemins gesehen habe, muss ich wohl zugeben, dass ich mir dessen nicht mehr ganz so sicher bin.»

Katherine lächelte. «Es muss dort wirklich wunderschön sein.»

«Ja, das ist er. Vielleicht wird Ihre Familie mir einmal die Ehre erweisen, New Fortune zu besuchen. Dann könnten Sie sich selbst ein Urteil bilden.»

Eine halbe Stunde später waren sie wieder am Haupthaus angelangt. Katherine lehnte sich auf die Steinbalustrade der Terrasse, die die gesamte Rückfront der Villa umgab. Auch David stützte sich dankbar auf. Nach dem langen Spaziergang spürte er brennende Schmerzen im Bein.

Am Horizont konnte man das Wasser des Sees erkennen.

«Waren Sie schon am See?», wandte Katherine sich lächelnd an ihn.

Morgennebel hatte sich über die Wasseroberfläche gelegt und dämpfte ein wenig seinen Glanz.

«Bisher hatte ich keine Gelegenheit.»

«Dann haben Sie den bezauberndsten Platz von Deux Chemins ja noch gar nicht gesehen!»

Ein Sklave war zu Julien getreten und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

«Wir müssen gehen, Katherine. Papa erwartet uns.»

«Ich befürchte, dass Sie anderweitig gebraucht werden, Mr. Parrish. Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen spazieren zu gehen. Denken Sie daran, dass ich Ihnen den See zeigen muss, bevor Sie uns verlassen.»

«Das werde ich, Miss Lacroix.»

Katherine gab ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange, und die beiden Männer entfernten sich auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren.

Kaum hatten die Frauen das Haus betreten, lief Molly, die bis zu diesem Moment immer ein paar Schritte hinter ihrer Herrin geblieben war, automatisch wieder neben Katherine.

«Molly, hast du gesehen, wie seine Augen leuchteten, als er an sein Zuhause gedacht hat?»

«Ja, die Erinnerung hat ihn sehr berührt.»

«Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal sagen würde, aber ich glaube, ich bin verliebt!», gestand Katherine lachend vor Glück und breitete überschwänglich die Arme aus.

Die Sklavin war beunruhigt. Wenn Katherine sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sie nicht locker. Und jetzt war sie verliebt und wollte vielleicht sogar Mrs. Parrish werden. Etwas in ihr schrie Molly zu, dass ihre Welt sich bald verändern würde, und das machte ihr Angst. Aber ihre Gefühle spielten keine Rolle. Molly ließ sich von Katherine umarmen und freute sich mit ihr. Kattys Glück war für sie das Wichtigste.

***

An den folgenden Tagen wiederholte sich jeden Morgen dasselbe Schauspiel. Immer wenn Julien und David zum Teich kamen, wartete dort Katherine, die sie auf ihrem Spaziergang begleitete.

Eines Abends hatte David mit der ganzen Familie das Theater besucht. Erst gegen Mitternacht waren sie zurückgekehrt, und nachdem Gaston Lacroix unbedingt noch ein Glas mit ihm trinken wollte, hatten Julien und Katherine sich zurückgezogen. Wie sehr hatte er sich gewünscht, einmal mit Katherine allein sein zu können!

Als David dann endlich sein Zimmer betrat, war er müde und niedergeschlagen. Er warf Rock und Halstuch über einen Stuhl, zog die Schuhe aus und begab sich zum Bett. Jemand hatte ein gefaltetes Blatt Papier auf sein Kopfkissen gelegt. Zögernd ergriff David den Zettel und hielt ihn unter die Lampe. «Ich warte um ein Uhr beim Teich auf Sie.» Keine Unterschrift.

Schnell suchte David seine Uhr auf dem Schreibtisch. Er hatte noch zehn Minuten.

Katherine wollte ihn heimlich treffen!

Er sollte auf keinen Fall dort hingehen. Aber sosehr seine Vernunft und sein Ehrgefühl ihn auch vom Gegenteil zu überzeugen versuchten, er konnte nicht widerstehen. Der durchdringende Blick jener honigfarbenen Augen, der süße und fesselnde Klang ihrer Stimme, die ihn von Kopf bis Fuß erzittern ließen, ihr wunderschönes Lächeln, jeder noch so winzige Teil von ihr faszinierte ihn. Er musste sie einfach sehen.

Schnell zog David Rock und Schuhe wieder an und schlich vorsichtig aus dem Haus.

***

«Julien!»

Er traute seinen Augen kaum. Es war gar nicht Katherine gewesen, die ihm die Nachricht hatte zukommen lassen. David kam sich vor wie ein Idiot. Niemals würde eine Frau wie sie sich heimlich mitten in der Nacht mit einem Mann treffen. Aber seit Katherine in sein Leben getreten war, war ihm jede Vernunft abhandengekommen.

«Es tut mir leid, Sie zu diesem heimlichen Treffen zu bestellen, Monsieur Parrish, aber dies ist die beste Gelegenheit. Folgen Sie mir», flüsterte Julien. «Wir müssen uns beeilen.»

Das klang eher nach einem Befehl denn nach einer Einladung. Schweigend folgte David, als Julien ihn durch das Heckenlabyrinth führte. Draußen wartete ein Sklave mit zwei Pferden. Die beiden jungen Männer stiegen auf.

«Auf geht’s, wir werden erwartet», sagte Julien, gab seinem Pferd die Sporen und ritt in Richtung See.

Am Ufer erwartete sie ein einfaches Segelboot. Obwohl kein Mond schien, konnte David auf Deck die Umrisse von drei Männern erkennen. Julien bedeutete ihm zu warten und ging vor. All diese Geheimnistuerei machte David langsam nervös. Katherines Bruder sagte ein paar Worte auf Französisch zu einem ungepflegt wirkenden Mann. Der Mann sprach kein Wort, nickte nur. Dann winkte Julien ihm, dass er an Bord gehen solle. «Keine Sorge, Leutnant Parrish. Bei Kapitän Tamalet sind Sie in guten Händen.»

«Wohin soll es gehen?»

«Machen Sie sich keine Gedanken. Das werden Sie schon bald erfahren.»

Das Boot glitt vom Ufer weg, und das Festland wurde von den Schatten verschluckt. David befand sich an Bord eines Schiffes, das keinen sehr sicheren Eindruck machte, dem Wohlwollen dreier kriminell aussehender Unbekannter ausgeliefert. Auf dem großen dunklen Gewässer gab es keine Orientierungspunkte, nur ein paar Sterne blinkten am Firmament.

Irgendwann veränderten sich die Geräusche, wurden dumpfer, intensiver. Die Luftfeuchtigkeit nahm zu, und die Sterne verschwanden. Sie waren in einen Mangrovensumpf gefahren. Als sie tiefer in das Sumpfgebiet eindrangen, schlug der Mast an die tiefhängenden Äste der Bäume, die immer dichter standen. Der Kapitän starrte in die Dunkelheit. Es war David unverständlich, wie er sich unter diesen Bedingungen orientieren konnte.

Auf ein Zeichen ihres Anführers hin klappten die Seeleute den Mast ein und bahnten sich mit Hilfe der Ruder einen Weg durch das Wurzelgeflecht. Schließlich legten sie an.

David war der Letzte, der an Land ging.

Die neuen Stiefel sanken tief in den morastigen Boden ein, während die Zweige sich in seinem perlgrauen Gehrock verhakten. Moskitos schwirrten um ihn herum. Immer wenn ihm erneut ein Ast im Weg war, bereute er, dass er nicht seine alten Kleider anhatte.

Irgendwann ahmte einer der Männer drei Mal den Schrei einer Eule nach und heftete seinen Blick auf einen Punkt in der dichten Vegetation. Kurz darauf leuchtete ein Licht in der Dunkelheit auf.

Sie brauchten fast zehn Minuten, um sich durch das dornige Gestrüpp in seine Richtung zu kämpfen.

Erst als David neben dem Mann angekommen war, der die Öllampe hielt, konnte er sehen, dass er vor einer perfekt mit Ästen und Blättern verdeckten, länglichen Holzhütte stand. Selbst bei Tageslicht wäre es fast unmöglich, diesen Ort zu finden. Es gab keine Fenster, und die Eingangstür wurde von einer dicken Kette mit Vorhängeschloss gesichert.

Als sie eintraten, nahm David, noch bevor das schwache Licht der Öllampe den Innenraum erhellte, einen fürchterlichen Gestank wahr, den er sofort erkannte. Es war der unverwechselbare Geruch eingesperrter Menschen, die ihre Notdurft an Ort und Stelle verrichteten. David hielt sich sein Halstuch vor Mund und Nase.

Etwa zwanzig Männer und Frauen waren in dieser Hütte zusammengepfercht. Sie waren angekettet, obwohl sie viel zu schwach und müde wirkten, um einen Fluchtversuch zu wagen.

David hätte diese kräftigen und gutgewachsenen Körper überall wiedererkannt. Die fast schwarze Haut, die langen Gliedmaßen und die ausgeprägte Armmuskulatur, die nicht einmal durch die lange Überfahrt vollkommen verschwunden war, ließen keinen Zweifel zu. Es waren Mandinka. Noch nie hatte er so viele auf einmal gesehen.

Sorgfältig betrachtete er sie, er musste eine gute Wahl treffen. Obwohl sie kränklich aussahen, würden sie sich bei ein wenig frischer Luft, Nahrung und Bewegung schnell wieder erholen. Früher hätte er sie in diesem bedauernswerten Zustand gar nicht zu sehen bekommen. Man hätte sie erst aufgepäppelt und dazu gezwungen, ihre Muskeln wieder aufzubauen. Nach einem Bad wären sie dann auf einem der besten Märkte der Stadt ausgestellt worden. Aber die Einfuhr von Sklaven aus Afrika war vor Jahren verboten worden. Nur die Sklaven, die schon im Land lebten, genossen das zweifelhafte Privileg, legal verkauft oder versteigert zu werden.

Hier im Süden waren die Käufer zwar nicht sehr wählerisch, was die Herkunft ihrer Sklaven anging, aber man musste trotzdem vorsichtig sein. Es waren nur wenige Mandinka zu haben, und das konnte ihren Preis maßlos in die Höhe treiben.

Nachdem er mehrere Exemplare untersucht hatte, entschied sich David für einen etwa zwanzigjährigen Mann. Er war nicht der Größte, sah aber kräftig und wendig aus, hatte noch alle Zähne, und die Narben an seinem Körper ließen den Schluss zu, dass er möglicherweise ein Krieger gewesen war. Der hochmütige und hasserfüllte Blick war der eines in Freiheit geborenen Mannes. Es wäre leichtsinnig, ihn auf eine Plantage zu bringen. Im Unterschied zu den Sklaven, die schon in Gefangenschaft geboren waren, würde dieser seine neuen Lebensbedingungen nie akzeptieren. Wenn man nicht gut aufpasste, würde er in das Haupthaus eindringen und seine weißen Herren töten.

Aber die Plantage war auch nicht der Bestimmungsort dieses Sklaven, er war nicht einmal für David selbst. Er war ein Geschenk, eine Dankesbezeugung für einen Wirtshausbesitzer in Richmond, der ihm vor etwas über einem Jahr bei einem Handgemenge das Leben gerettet hatte. Damals war David überfallen worden, als er aus dessen Lokal kam. Der Wirtshausbesitzer organisierte Sklavenkämpfe, und die gleichen Eigenschaften, die den Mandinka auf einer Plantage zu einer schrecklichen Bedrohung machten, machten aus ihm den idealen Kämpfer.

Die Einzelheiten des Kaufs waren schnell besprochen. Der Sklave sollte gebadet werden und etwas an Gewicht zulegen, bevor man ihn nach Richmond schickte. Er kostete ein Vermögen, aber das war er wert. Ein perfektes Geschenk.

***

Am Morgen bedankte David sich bei Gaston Lacroix und teilte ihm mit, dass er am nächsten Tag abreisen würde. Auch wenn er eigentlich nach einem Vorwand suchte, seinen Aufenthalt zu verlängern, wusste David doch, dass der Moment des Aufbruchs gekommen war. Viel zu lange schon war er nicht auf seiner Plantage gewesen, und er musste die Ernte beaufsichtigen.

Seinen letzten Tag auf Deux Chemins verbrachte er damit, seine Rückreise nach Virginia zu planen.

Unglücklicherweise ließ Katherine sich während des Mittagessens von einem Sklaven entschuldigen.

Die Zeit war gegen David. Noch vor Anbruch der Dunkelheit ging er in den Salon hinunter und trat auf die Terrasse. In Kürze würde er sein letztes Abendessen mit Gaston Lacroix und dessen Familie einnehmen. Er atmete tief ein. Die Sonne würde in einer Stunde vom See verschluckt werden. Bitte, er schloss die Augen und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, lass sie zum Abendessen herunterkommen.

Als er ein Wiehern hörte, öffnete er die Augen und erblickte Katherine, die vom Rücken eines Pferdes auf ihn herabsah. Sie trug Reitkleidung, und das Haar fiel ihr offen über die Schultern. In der Linken hielt sie die Zügel eines zweiten Pferdes.

«Erinnern Sie sich, dass ich versprochen habe, Ihnen den See zu zeigen, bevor Sie abreisen? Jetzt oder nie, fürchte ich.» Katherine streckte ihm die Zügel hin.

«Aber … Ihre Familie erwartet mich …»

«Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Molly wird ihnen Bescheid geben. Ich verspreche Ihnen, dass mein Vater nichts dagegen haben wird.»

Sie ritten über den Weg, der vom Herrenhaus zum Ufer des Sees führte. Es war die gleiche Strecke, die David in der Nacht zuvor zurückgelegt hatte, aber jetzt schien alles anders zu sein.

Als sie am Lake Pontchartrain ankamen, war das Wasser ruhig. Die schon tief stehende rötliche Sonne warf goldene Reflexe auf die spiegelglatte Oberfläche, am Horizont sah man von feinem Nebel umhüllt kleine Fischerboote, die vom offenen Meer zurückkehrten.

David und Katherine stiegen ab und ließen sich im Schatten einer alten Zypresse auf dem Rasen nieder. Schweigend saßen sie nebeneinander und betrachteten das wunderbare Schauspiel, das sich ihnen bot.

«Wie schön es hier ist.»

«Mein Urgroßvater verliebte sich auf den ersten Blick in diesen Ort. Seitdem wollte meine Familie hier nicht mehr weg.»

«Das könnte ich auch nicht. Ich muss dabei an New Fortune denken. Schon seit drei Monaten war ich nicht mehr dort.»

«Sie werden schon bald zu Hause sein …»

Beide verstummten.

«Katherine …»

«Ja, David?» Sie sah ihn an.

Es war das erste Mal, dass er ihre bernsteinfarbenen Augen traurig sah. Fast hatte David den Eindruck, dass sie geweint hatte. Sanft ergriff er ihre Hand.

Ein leichter Schauer überlief sie, als sie seine Berührung spürte.

«Ich …»

David schwieg. Wie sollte er die richtigen Worte für all die Gefühle finden, die sich in seinem Herzen aufgestaut hatten? «Ich liebe dich, Katherine. Ich liebe dich so sehr, wie ich nie geglaubt hätte, eine Frau lieben zu können. Ich wusste es, als ich dich zum ersten Mal sah. Es ist verrückt, wir kennen uns kaum, aber ich kann die Vorstellung einfach nicht ertragen, dich hier zurückzulassen, dich vielleicht nie wieder zu sehen.»

Katherines Herz klopfte wild. Ihre Augen wurden feucht. Als David, der noch immer ihre Hand hielt, jetzt vor ihr auf dem Rasen niederkniete, hörte sie fast auf zu atmen.

«Katherine Lacroix, willst du mich heiraten?»

Sie lächelte. «David Parrish. Es gibt nichts auf der Welt, was ich lieber täte.»

***

Noch am gleichen Abend, nur sechs Tage nachdem sie sich zum ersten Mal gesehen hatten, bat David offiziell um Katherines Hand.

Und eine Woche später, inzwischen war Mitte Juni, gaben Katherine Lacroix und David Parrish sich in der Kathedrale von New Orleans das Jawort.

Fesseln des Schicksals
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