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In Baltimore stieg Scott aus dem Zug und nahm die Postkutsche. Ein paar Stunden später hielt die Kutsche im Zentrum von Annapolis. Als Scott die Gardine beiseiteschob, sah er, dass die Straßen leer und die Laternen schon angezündet waren. Resigniert ergriff er seinen Koffer, und nachdem er sich von dem Ehepaar verabschiedet hatte, das von Baltimore aus mit ihm gereist war, brach er zu Fuß auf, um das letzte Stück Weg zurückzulegen.

Er befolgte die Anweisungen, die der Kutscher ihm gegeben hatte, bog links in die erste Straße ein und lief dann weiter, bis er die Geräusche und Gebäude der Stadt hinter sich ließ. Suchend blickte er sich nach irgendetwas um, das ihm zur Orientierung dienen konnte, aber der Weg führte durch einen dichten, schwarzen Wald, und er konnte kaum noch erkennen, wohin er seinen Fuß setzte. Er wusste nicht einmal, wie weit die Akademie von der Stadt entfernt lag. Allein, mitten im Nichts, beklagte Scott sein Schicksal und betete, dass es in der Gegend keine wilden Tiere mehr gab. Und zu allem Übel kam jetzt auch noch Nebel auf, wahrscheinlich aus der nahen Bucht.

Als er schließlich vor dem Eisentor der Akademie stand, war der Nebel so dicht geworden, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sah. Das Tor war geschlossen und das Wachhäuschen leer. Zum Glück hatte jemand die Idee gehabt, draußen eine Glocke anzubringen.

Nachdem er am Strang gezogen hatte, stellte Scott seinen Koffer auf dem Boden ab und setzte sich. Es war kalt, und er kauerte sich unter seinem Cape zusammen. Er hätte die Handschuhe nicht im Koffer lassen sollen, dachte er bei sich und fühlte, wie die Feuchtigkeit ihn in die Hände zwickte und seine Kleidung durchdrang. Er war noch nicht einmal auf dem Gelände der Akademie angekommen, und doch hasste er den Ort bereits.

Als er hörte, wie der dumpfe Klang von Schritten auf den Steinplatten näher kam, spürte er die Finger kaum noch.

«Wer ist da?», fragte eine Stimme aus dem Dunkel.

«Scott O’Flanagan», antwortete er.

Die Scharniere der Metalltür quietschten.

«Folgen Sie mir», befahl der Mann, dessen Umrisse vor Scott langsam Form angenommen hatten.

Das brauchte man ihm nicht zweimal zu sagen. Er wäre selbst dem Teufel hinterhergelaufen, hätte dieser die Freundlichkeit besessen, ihm einen trockenen und warmen Unterschlupf in Aussicht zu stellen. Wortlos führte der Wachoffizier ihn durch die Anlage.

Auf dem Weg durch das zweistöckige Gebäude, in dem er untergebracht war, war ihnen niemand begegnet. Scott fragte sich ernstlich, ob er wohl der einzige Student der Akademie war. Als er sein Zimmer betrat, schien sein Verdacht sich zu erhärten. Auch hier war keine Menschenseele zu sehen.

Nichtsdestoweniger verriet die Anzahl der Betten, Schränke, Nachttische und Stühle, dass der Raum für vier Personen ausgelegt war. Ein Tisch war in der Mitte des Zimmers platziert worden, genau gegenüber von einem breiten Schiebefenster, an jeder Seite stand ein Stuhl. Das einzige Möbelstück, das der spartanischen Unterbringung einen Hauch von Gemütlichkeit verlieh, war ein Metallofen.

«Ihr Bett», erklärte der Offizier und zeigte auf das Lager neben dem Fenster. Und noch bevor Scott eine weitere Bemerkung machen konnte, ging der Offizier auf einen Schrank zu und öffnete die Tür. «Ihre Kleidung», informierte er den Neuankömmling.

In diesem Moment erblickte Scott zum ersten Mal, was in den nächsten Jahren seine einzige Habe sein sollte. Und ihm gefiel keineswegs, was er sah.

«Sobald Sie sich umgezogen haben, haben Sie im Speisesaal zu erscheinen», sagte der Offizier, der Scotts eleganten Anzug mit offenkundiger Missbilligung betrachtete. «Wenn Sie vor die Tür treten, wenden Sie sich nach Osten, gehen etwa zwanzig Yards geradeaus, wenden sich dann nach Norden und dann wieder nach Osten. Sie können ihn nicht verfehlen.»

Scott bemühte sich, die Beschreibung zu behalten.

«Beeilen Sie sich. Das Abendessen wird in fünf Minuten serviert.»

Sobald Scott allein war, lief er zum Ofen. Der war eiskalt. Erst als er die Hände auf das Gitter drückte, seufzte er erleichtert. Die von der Restglut ausgestrahlte Wärme vermittelte ihm das erste angenehme Gefühl, seit er Boston verlassen hatte.

Nachdem er sich etwas aufgewärmt hatte, zog er sich aus und legte seine Kleider in den Koffer, den er unter das Bett schob. Im schlimmsten Fall würden sie vier Jahre lang dort bleiben. Danach nahm er eine der beiden Tagesuniformen aus dem Schrank und zog sie an. Die Hosen waren etwas zu lang, aber die Jacke saß. Er hätte sich gerne im Spiegel angesehen, fand aber keinen. Anscheinend war sogar ein einfacher Spiegel zu viel Luxus für die nüchternen, kalten Zimmer.

Als er vor die Tür trat, rief sich Scott die Wegbeschreibung zum Speisesaal ins Gedächtnis. Jetzt spürte er, wie hungrig er war. Zum Glück hielt die Uniform die Nachtkälte ab. Richtung Osten, wiederholte er in Gedanken, und während er angestrengt versuchte, irgendein Sternzeichen zu entdecken, das ihm dabei helfen könnte, in der Dunkelheit die Himmelsrichtungen zu bestimmen, knurrte ihm der Magen. Es war sinnlos. Der Nebel hatte die Sterne verschluckt, und die einzigen Lichter in seiner Umgebung waren die Laternen an den Mauern der Gebäude.

Vielleicht war es der Überlebensinstinkt, der ihn zu seinem Ziel führte, vielleicht aber auch einfach der dezente Geruch nach Essen. Jedenfalls fand er den Speisesaal und darin auch die übrigen Studenten, an deren Existenz er schon gezweifelt hatte.

Obwohl etwa hundert Studenten und zehn Lehrer unter den Holzbalken des Pavillons saßen, herrschte beeindruckende Stille. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Scott setzte sich auf einen Stuhl nahe der Tür und wartete, dass ihm das Abendessen serviert wurde. Sobald sie ihr Mahl beendet hatten, erhoben sich die Mitglieder des Lehrkörpers und des Offiziersstabs von ihrem Tisch, der auf einem Podium stand und von dem aus man den gesamten Raum überblicken konnte. Erst danach taten die Studenten es ihnen nach.

Diesmal mischte Scott sich unter die Menschenmenge, die sich auf dem Campus verteilte, und kehrte zu seiner Unterkunft zurück.

«Kadett!», rief jemand hinter ihm, als er den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte.

Aber Scott stieg die Treppe weiter hinauf, völlig gedankenverloren.

«Haben Sie mich nicht gehört?», wiederholte die Stimme.

Alle starrten Scott an.

«Meinen Sie mich?», fragte er und drehte sich zu einem jungen Mann um, der das Abzeichen eines Leutnants am Uniformrock trug.

«Name und Studienjahr?»

«Scott O’Flanagan, erstes Jahr.»

«Kadett O’Flanagan, Sir», korrigierte ihn der Offizier sichtlich verärgert angesichts des Mangels an Respekt.

Scott deutete mit einer leichten Bewegung an, dass er nun seinen Weg fortzusetzen gedachte.

«Wohin glauben Sie zu gehen, Kadett O’Flanagan?»

«Ich begebe mich auf mein Zimmer.»

«Ich begebe mich auf mein Zimmer, Sir», korrigierte ihn der Leutnant erneut.

Scott fand es äußerst gewöhnungsbedürftig, jemanden «Sir» zu nennen, der kaum ein paar Jahre älter war als er selbst.

«Können Sie mir sagen, Kadett O’Flanagan, was Sie mitten auf der Treppe machen?»

Überrascht sah Scott ihn an. «Ich wollte in den ersten Stock.»

«Sie wissen wohl nicht, dass Studenten im ersten Jahr nicht in der Mitte gehen, weder auf den Treppen noch in den Fluren?»

Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er die Schlange junger Männer, die sich an der Wand entlang bewegten, gar nicht bemerkt hatte.

«Es tut mir leid, Sir», sagte er, trat zur Seite und schloss sich der Prozession der jüngeren Männer an.

«Das kostet Sie zwei Strafpunkte, Kadett O’Flanagan.»

Leutnant Paul Sebastian vom Jahrgang 1845 hatte in diesem Sommer die vierjährige Ausbildung an der Marineschule beendet. Nach seinem Abschluss hatte er sich bereit erklärt, für zwei weitere Jahre als Unterstützungsoffizier in der Einrichtung zu bleiben. Nun holte er ein kleines Büchlein aus der rechten Tasche seines Uniformrocks und notierte, nachdem er die Spitze des Bleistifts mit der Zunge befeuchtet hatte, den Namen des Regelbrechers mit der entsprechenden Zahl der Strafpunkte. Danach blickte er O’Flanagan an, hinter dem sich die übrigen Studenten des ersten Jahres bereits zu stauen begannen. In kürzester Zeit würde die Schlange bis nach draußen reichen.

«Kadett O’Flanagan, Sie können weitergehen.»

Scott nickte und setzte sich in Bewegung, diesmal in angemessener Form dicht an der Wand. Im Gedächtnis notierte er die absurde Regel Nummer eins: In der Mitte des Ganges gehen gibt zwei Strafpunkte.

Oben angekommen, traf er endlich auf seine Zimmergenossen.

Ein junger Mann seines Alters mit hellbraunem Haar, grauen Augen und dem Auftreten eines Gentleman, kam ihm entgegen.

«Willkommen. Ich bin Richard Reemick aus Virginia», stellte er sich mit einem deutlichen Südstaatenakzent vor.

«Scott O’Flanagan, Boston», grüßte Scott und ergriff die Hand, die Richard ihm entgegenstreckte. Am gutgebauten Körper des Jungen aus Virginia sah die plumpe Uniform der Akademie beinahe gut aus.

«Die Leseratte da ist Arnold Wolf aus Pennsylvania», fuhr Richard mit der Vorstellungsrunde fort.

Ein Rothaariger mit rundem Gesicht und intellektuellem Aussehen, der auf dem Bett neben Scotts lag, schob sich die Brille hoch, die sofort wieder auf den mittleren Teil der Nase herunterrutschte, und nickte ihm zu. Scott antwortete mit einer Handbewegung. Vielleicht hatte Wolf auch einen Willkommensgruß gemurmelt, aber Scott war sich nicht sicher.

«Und schließlich Klaus Fritz aus Montgomery, Alabama», schloss Richard und zeigte auf einen jungen Mann mit quadratischem Kopf, dessen blonder Bürstenhaarschnitt einen undurchdringlichen Panzer über dem Schädel bildete. Dieser Klaus hatte offensichtlich mehr Interesse daran, die goldene Schnalle seiner Galauniform zu polieren, als herauszufinden, wie sein neuer Zimmergenosse aussah.

Obwohl er saß, kalkulierte Scott, dass er etwa so groß sein musste wie Richard. Mit seinem breiten Rücken, den kräftigen Schultern und dem quadratischen Kiefer machte er keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck. Fast schien er für das erste Jahr zu alt zu sein.

«Freut mich», grüßte Scott herzlich.

Klaus erwiderte nichts, hob nur kurz den Blick, legte die Schnalle auf den Tisch und stand auf. Jetzt konnte Scott sehen, dass er sogar noch größer war als Richard. Klaus ging dicht neben ihm vorbei und verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.

Einem perfekten Gastgeber gleich übergab Richard ihm ein Buch, in dem die Regeln und der Verhaltenskodex aufgelistet waren, die die Schüler beachten sollten. Es wurde empfohlen, sie auswendig zu lernen. Er beschrieb ihm kurz den Tagesablauf in der Akademie und erklärte ihm den Gebrauch der unterschiedlichen Uniformen.

***

In dieser Nacht wurde Scott vom Schnarchen des unfreundlichen Klaus daran gehindert, auch nur ein Auge zu schließen. Und am nächsten Tag riss ihn schon um fünf Uhr früh der irritierende Klang einer Trompete aus dem Bett, und man zwang ihn dazu, sich auf dem mit Raureif bedeckten Rasen zum Appell aufzustellen. Während man ihn mit seinem Gewehr absurde Tänze aufführen ließ, schweifte Scotts Blick über die zehn Morgen Land, die zwischen dem Meer und der Mündung des Severn River eingezwängt lagen und die für die nächsten Jahre zu seinem Gefängnis werden würden.

Jetzt verstand er die Worte des Marinesekretärs George Bancroft. Dieser hatte angeordnet, dass die neue Marineakademie der Vereinigten Staaten hier errichtet werden sollte, und den Platz als einen gesunden Ort bezeichnet, weit weg von den Versuchungen und Ablenkungen der Großstadt.

Nach dem Frühstück hatte Scott zwanzig Minuten Zeit, um sich zu waschen und umzuziehen. Danach nahm er an seiner ersten Unterrichtsstunde teil.

Der Lehrer für Navigation, Kapitän Franklin Parlain, war ein alter Seebär. Seine Haut war gegerbt und seine Stirn von den charakteristischen Falten eines Mannes gezeichnet, der stundenlang unter der prallen Sonne den Horizont abgesucht hatte.

Von seinem Platz an einem der Fenster aus betrachtete Scott das Ufer des Severn River. Auf einmal fühlte er sich zurückversetzt nach Harvard, in den Philosophiekurs des exzentrischen Professors Larrabee. Von jenem Klassenzimmer aus hatte er nämlich den friedlichen Charles River und im Hintergrund die Stadt Boston sehen können. Er verspürte Heimweh. Um diese Zeit waren seine Freunde sicher schon im Wirtshaus, um bei einem Krug Bier zu diskutieren, wie man die Welt von ihren Übeln befreien konnte. Er musste unbedingt einen Weg finden, diesen absurden Ort zu verlassen und in sein normales Leben nach Harvard zurückzukehren. Tief in diese Gedanken versunken, beachtete er kaum die Zeichnungen und Zahlen an der Tafel.

«Mr. O’Flanagan?»

Vorsichtig stieß Richard seinen neuen Pultnachbarn an. Aber es war schon zu spät.

«Sie wirken gelangweilt, Mr. O’Flanagan.»

Scott lächelte entschuldigend. Aber an diesem feindlichen Ort nutzte ein Lächeln rein gar nichts.

«Würden Sie bitte meine Frage beantworten.»

«Es tut mir leid, Sir.»

«Mr. O’Flanagan, ich rate Ihnen, fleißig zu sein», sagte Parlain scharf. «Im Vergleich zu Ihren Kommilitonen liegen Sie weit zurück, und Sie sollten nicht glauben, dass Ihnen eine Sonderbehandlung zuteilwird, nur weil Sie anderthalb Monate nach Beginn des Studienjahrs aufgenommen wurden.»

«Es tut mir leid», entschuldigte Scott sich noch einmal.

«Mr. O’Flanagan, entschuldigen Sie sich nicht so ausgiebig, sondern passen Sie lieber auf. Mr. Reemick, können Sie mir eine Antwort geben?»

Richard studierte rasch die Aufzeichnungen an der Tafel und verglich sie mit seinen eigenen Notizen.

«Ich glaube, man müsste in Richtung Norden wenden.»

«Präzision, Mr. Reemick.»

Richard zögerte. «… Dreißig Grad?»

Parlain hob leicht die Augenbrauen, als er das Ergebnis hörte. Er murmelte etwas Unverständliches und wandte sich der Tafel zu, auf die er Richards Antwort schrieb und mit vier geraden Linien umrahmte.

«Dreißig Grad. Weder neunundzwanzig noch einunddreißig», wiederholte der Lehrer und unterstrich das Resultat noch einmal dick. «Es ist eigentlich so einfach, wie das Steuerrad zu drehen», sagte er mit lauter Stimme. «Das nächste Mal, wenn Sie in seichtem Wasser zwischen Riffs navigieren, sollten Sie daran denken. Wir wollen doch nicht, dass Haifischfutter aus Ihnen wird.»

Ohne ein weiteres Wort legte er die Kreide auf den Schreibtisch und verließ das Klassenzimmer. Seine Studenten erhoben sich zum Gruß.

«Pass bloß auf, Scott», warnte Richard ihn. «Parlain hat den Ruf, der härteste Lehrer der Akademie zu sein. Wenn du ihm unangenehm auffällst, könnte dein Leben hier kompliziert werden.»

«Danke für den Hinweis, ich werde ihn mir zu Herzen nehmen.»

Richard und Scott wandten sich gerade zur Tür, als Klaus Fritz Scott mit dem Ellenbogen rammte und aus dem Weg schob.

«Hey, was soll das?», protestierte Scott, als eines seiner Bücher auf den Boden knallte.

«Der Gang gehört nicht dir, Yankee», fuhr Klaus ihn an.

Richard warf Scott einen Seitenblick zu.

«Ist schon in Ordnung», sagte dieser ruhig, aber Klaus baute sich drohend vor ihm auf.

Richard, der vermeiden wollte, dass es zu einem Streit kam, hob beschwichtigend die Hände. «Lass gut sein, Klaus.»

Klaus runzelte die Stirn, warf Scott einen letzten bedrohlichen Blick zu und ging weiter. Offensichtlich war seine unerklärliche Abneigung Scott gegenüber nicht ausgeprägt genug, um sich auch mit Richard anzulegen.

Richard ließ Klaus nicht aus den Augen, bis dieser im Flur verschwand. Danach wandte er sich wieder Scott zu, der sich gerade nach seinem Buch bückte. «Die Leute hier sind wirklich freundlich», murmelte dieser und richtete sich auf.

«Bei Klaus solltest du aufpassen. Er gehört nicht zu den Menschen, die eine Beleidigung vergessen. Besser, du gehst ihm aus dem Weg», riet Richard ihm.

«Aber wir wohnen in einem Zimmer! Außerdem habe ich absolut nichts getan, was ihn beleidigen könnte. Jedenfalls bis jetzt noch nicht.»

In nächster Zeit schien Klaus ihm aus dem Weg zu gehen. Auch Scott mied ihn, so gut er konnte. Wenn sein Plan aufging, würde er ohnehin in wenigen Wochen nach Hause zurückkehren, und dieser vierschrötige Kerl müsste ihm nicht vorher noch unnötig die Nase brechen.

***

Einen Monat später hatte Scott einen Teil seines Plans bereits durchgeführt. Die ersten Prüfungen fielen genauso aus, wie er es beabsichtigt hatte. Seine Noten waren schlecht. Jetzt fehlte nur noch ein letzter Anstoß, und er hätte sein Ziel erreicht.

Nach dem Gottesdienst in der Kapelle hatten die Studenten für den Rest des Morgens frei. Trotzdem durfte Scott nicht in die Stadt fahren, in der Bucht rudern oder am Fluss spazieren gehen. Wegen seiner schlechten Examina und eines gescheiterten nächtlichen Ausbruchsversuchs vor zwei Tagen musste er zur Strafe auf seinem Zimmer bleiben, bis der Rat über seine Zukunft entschieden hätte. Kurz vor dem Mittagessen wurde er von Leutnant Paul Sebastian abgeholt, der sich gezwungen gesehen hatte, ein Extrabüchlein für die von Scott begangenen Regelverstöße anzulegen. Scott sollte sich beim Superintendenten melden.

Für jedes andere Mitglied der Marineakademie wäre es schmachvoll gewesen, einem Ausschluss entgegensehen zu müssen, aber für Scott war dies der glücklichste Moment, seit er an diesem furchtbaren Ort mitten im Nirgendwo angekommen war. Wenn die Dinge sich so entwickelten, wie er hoffte, würde man ihn noch an diesem Nachmittag hinauswerfen, und er würde nach Hause zurückkehren. Er würde seine Freunde sehen und wieder an die Universität gehen.

Als ihn der persönliche Adjutant des Superintendenten in das Büro bat, musste Scott sich wirklich bemühen, nicht zu lächeln und die Aufregung zu verbergen, die Besitz von ihm ergriffen hatte. Fast schon schmeckte er die Süße des Triumphs auf der Zunge. Noch fünf Minuten, und er wäre frei.

Es war nicht das erste Mal, dass Scott in das mit schmalen gewachsten Holzplatten verkleidete Büro gerufen wurde. Seine Weigerung, an den Seiten der Gänge zu laufen und pünktlich zu erscheinen, war zu seinem persönlichen Kreuzzug geworden und hatte ihn schon des Öfteren hierhergeführt. Er erkannte den Geruch nach Pfeifenrauch, der die höchste Autorität der Akademie stets begleitete. Darum bemüht, ernst und zerknirscht zu wirken, hob er den Blick kaum vom blauroten Teppich, der den Fußboden bedeckte, und trat so vor den Schreibtisch.

«Kadett O’Flanagan, hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte», teilte ihm der Superintendent mit und deutete auf eine Person, die mit dem Rücken zu ihnen vor dem Fenster stand und schweigend hinausblickte.

Erst als der Superintendent sie allein ließ, vernahm Scott eine schrecklich vertraute Stimme, die ihn aufblicken ließ.

«Hallo, Scott.» Scotts Knie wurden weich, und der süße Geschmack auf seiner Zunge bitter.

«Vater!»

Erst jetzt drehte Raymond O’Flanagan sich um. Niemals hätte Scott damit gerechnet, dass sein Vater im Vorfeld über den Ausschluss informiert werden würde. «Wie ich sehe, hast du nicht vor, die Chance zu nutzen, ein Ehrenmann zu werden.»

«Was für eine Chance?», gab Scott zurück. «Das hier ist schlimmer als ein Gefängnis.»

«Damit wirst du nicht durchkommen. Glaubst du, ich merke nicht, dass du es darauf anlegst, hinausgeworfen zu werden? Und dieser alberne Versuch, heimlich mitten in der Nacht zu verschwinden? Ich bitte dich, Scott! Selbst ein fünfjähriger Junge hätte das besser hinbekommen.»

Scott grinste. Der überraschte Gesichtsausdruck, den er aufgesetzt hatte, als der eifrige Paul Sebastian ihn bei seinem nächtlichen Fluchtversuch erwischt hatte, war ihm besonders gut gelungen. Der Leutnant konnte ja nicht ahnen, dass er ganze drei Mal vor dem Offiziersposten hatte vorbeigehen müssen, bis sie ihn endlich schnappten.

«Du hättest wenigstens etwas origineller sein können», rügte sein Vater ihn.

«Was soll ich sagen, Vater. Es tut mir leid.»

«Das stimmt nicht, Scott», fuhr sein Vater ihn an. «Es tut dir nicht leid. Aber ich versichere dir, dass es dir noch leidtun wird. Sie werden dich nämlich nicht rauswerfen.»

«Aber … das ist unmöglich …», versuchte Scott zu protestieren.

«Du hast schon richtig gehört», bestätigte sein Vater. «Du wirst hierbleiben. Diese plumpen Manöver haben zu nichts geführt. Ich musste viele Leute um einen Gefallen bitten, damit du aufgenommen wurdest, und ich habe noch mehr Menschen einen Gefallen getan, damit du auf dieser Akademie bleiben kannst, aber zum Glück hat der Name deines Großvaters noch immer einiges Gewicht in der Armee. Und ich werde nicht zulassen, dass du die Ehre der Familie besudelst.»

«Ich will nach Hause! Hier gehöre ich nicht hin!», schrie Scott wütend. «Du weißt, dass ich alles hasse, was mit dem Militär zu tun hat!»

«Es ist vollkommen egal, wie du darüber denkst, Scott. Du wirst bleiben. Und du wirst den Abschluss machen und durch keine einzige Prüfung mehr fallen. Hast du verstanden?»

Scott schwieg wütend.

«Mach den Abschluss, Junge. Mach den Abschluss, und ich verspreche dir, dass du danach nach Harvard gehst.»

«Aber wann, Vater? Nachdem ich noch einmal drei Jahre meines Lebens der Marine widme, als Bezahlung für diese mittelmäßige Ausbildung?»

«Sei nicht zynisch. Mathematik, Navigation, Chemie, Zeichnen, Astronomie, Französisch … Ich denke nicht, dass das eine mittelmäßige Ausbildung ist. Außerdem verspreche ich dir, dass es nur vier Jahre sein werden. Wenn du den Abschluss machst, kannst du nach Hause kommen.»

«Wie soll das gehen?»

«Überlass das mir. Solltest du allerdings hinausgeworfen werden, so schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist, dass ich mich persönlich darum kümmern werde, dass du nie wieder diese Brutstätte von Freidenkern betrittst, die einige Leute Universität nennen.»

Scott überlegte. Vielleicht war sein Vater wirklich reich und mächtig genug und könnte verhindern, dass sie seinen Sohn mit den anderen Offizieren einziehen würden, um mit drei Jahren Marinedienst für die erhaltene Ausbildung zu bezahlen.

«Ich versichere dir, du musst nur den Abschluss machen, Scott. Danach kannst du dein Leben weiterführen.»

***

Bei seiner nächsten Prüfung eine Woche später gab Scott genau die erforderliche Anzahl richtiger Antworten und bestand. Beim nachfolgenden Schießunterricht erlaubte er es sich sogar, einen seiner Treffer nur zwei Handbreit vom Schwarzen entfernt zu landen. Aber er tat nur das absolut Notwendige, um seinen Teil der Abmachung einzuhalten. Harvard war wieder nähergerückt.

Die Monate vergingen, und bevor er sichs versah, klopfte der Sommer an die Türen der Akademie. Während dieser ganzen Zeit hatte Scott sich nicht im Geringsten bemüht, Freundschaften zu schließen. Eher noch hatte er ein unglaubliches Talent, die übrigen Studenten mit seinen zynischen Kommentaren und seiner Respektlosigkeit gegenüber den Regeln der Einrichtung gegen sich aufzubringen. Sogar der wohlerzogene Richard Reemick mit seinem versöhnlichen Wesen hatte beschlossen, den anstrengenden Yankee zu meiden.

Es war nur noch ein Tag bis zum Abschlussexamen in Navigation. Die Prüfung von Kapitän Parlain raubte allen Schülern der Akademie den Schlaf. Nun, allen außer einem.

Nachdem sie den ganzen Tag gelernt hatten, hatten Arnold und Klaus nach dem Mittagessen eine Pause eingelegt und waren in Bennys Kneipe gegangen, die auf halbem Weg zwischen Akademie und Stadt lag. Richard hatte darauf verzichtet, sie zu begleiten. Er musste noch lernen. Es gab einige Aufgaben, die ihm unlösbar schienen. Da trat Scott, der den Vormittag am Ufer des Severn River verbracht hatte, in ihr gemeinsames Zimmer.

«Und Arnold und der Quadratkopf?», fragte er abfällig, als er die Bücherstapel seiner Kommilitonen auf einer Seite des Tisches liegen sah.

«Sie sind ein Bier trinken gegangen. Sie brauchten eine Pause.»

«Lernst du?»

«Ja», antwortete Richard scharf. «Und dir würde es auch nicht schlecht bekommen, ein bisschen zu lernen. Ich nehme an, du weißt, dass du rausfliegst, wenn du die Prüfung morgen nicht bestehst.»

«Ich weiß. Aber leider Gottes werde ich wohl bestehen.»

Scotts Sarkasmus ging Richard auf die Nerven. Mit konzentriert gerunzelter Stirn steckte er die Nase wieder in sein Buch. Die Aufgabe, die der Kommandant in der letzten Stunde gestellt hatte, machte ihm zu schaffen. Er fand die Lösung nicht und hatte keine Lust, seine Zeit mit sinnlosem Geschwätz zu vergeuden.

Aber Scott langweilte sich. Er hatte den Tag damit verbracht, in der Gegend herumzuschlendern, und vermisste die Gesellschaft eines anderen Menschen. Und ob es ihm nun passte oder nicht, Richard Reemick war der einzige Student an der Akademie, der höflich genug war, ihn nicht zum Teufel zu jagen. Scott blickte Richard über die Schulter und holte einen Apfel aus der Innentasche seiner Jacke, den er dort hatte verstecken können.

«Scott, du weißt genau, dass es verboten ist, in den Zimmern zu essen.»

Ohne Richards Bemerkung Beachtung zu schenken, biss Scott in den Apfel.

«Probleme, hm?»

Richard schob seine Aufzeichnungen zur Seite. Es machte ihn nervös, dass jemand hinter ihm stand und kaute. «Hast du nichts Besseres zu tun?», platzte er heraus.

«Eigentlich nicht», antwortete Scott, amüsiert darüber, dass auch dieser perfekte Gentleman einmal die Kontrolle verlor.

«Da du nicht die Absicht hast zu lernen, könntest du mich wenigstens in Ruhe lassen, damit ich mich auf die Prüfung vorbereiten kann. Mach einen Spaziergang. Es ist ein schöner Tag.»

«Ich möchte lieber hierbleiben. Draußen ist es zu heiß.»

Schon vor geraumer Zeit war Richard zu dem Schluss gekommen, dass der Yankee vor absolut gar nichts Respekt hatte. Er gefiel ihm nicht. Er hatte noch nie jemanden kennengelernt, der weniger Talent für alles Militärische besaß und der im Unterricht derart unaufmerksam war. Eigentlich konnte er sich nicht erklären, wie er es geschafft hatte, überhaupt durchzukommen. Aber durch irgendeinen mysteriösen Zufall bekam Scott am Ende immer die notwendige Punktzahl, um zu bestehen und damit zu verhindern, dass er aus der Akademie hinausgeworfen wurde.

«O’Flanagan, ich verstehe nicht, was du hier eigentlich willst.»

Scott ließ sich in seiner ganzen Länge auf das Bett fallen.

«Ausruhen.»

«Ich meine, auf der Akademie», erklärte Richard entnervt.

«Man könnte sagen, dass ich einen Vertrag erfülle.»

Die Lustlosigkeit und die fehlende Ernsthaftigkeit, mit der Scott O’Flanagan über die Einrichtung sprach, waren für Richard eine Beleidigung. Für ihn repräsentierte die Marineakademie ein wichtiges Gut, einen Ehrenkodex, den er zur Leitlinie seines Lebens machen wollte.

«Spürst du denn nicht, was es bedeutet, an diesen Ort zu gehören?»

Scott betrachtete seinen Apfel, der von einer glänzenden Wachsschicht umhüllt zu sein schien. Dann sah er Richard direkt an. Dieser hatte noch nie so tief in Scotts dunkle Augen gesehen. Fast war er überrascht, mit welcher Heftigkeit Scott seinen Blick erwiderte.

«Du irrst dich, Richard. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, was dieser Ort bedeutet. Für dich Ehre, die Verpflichtung, deine Familie nicht zu enttäuschen, vielleicht Ruhm. Was auch immer das sein mag. Für mich ist es die einzige Möglichkeit, mir den Traum zu erfüllen, nach Harvard zu gehen. Es ist die Strafe für meine Auflehnung. Ich weiß sehr gut, was das bedeutet. Meine Familie hat über Generationen zu Orten wie diesem gehört, und der Ehrenkodex, den du so bewunderst, besteht aus nichts als Lügen. Lügen, um die wahren Beweggründe zu verbergen, deretwegen die Menschen Kriege führen. Die haben nämlich nichts mit Ehre zu tun, sondern mit dem unstillbaren Wunsch nach Macht. Und diese Lügen haben dazu geführt, dass einer der Menschen, die ich am meisten geliebt und respektiert habe, zu Tode gekommen ist.»

Scott sprach mit solcher Leidenschaft, dass Richard nicht wusste, was er erwidern sollte. Vielleicht war dieser geliebte Mensch, den Scott meinte, in einer Schlacht gefallen. Aber dafür konnte man die Marine doch nicht verantwortlich machen. Jeder Soldat wusste schließlich, dass der Tod Teil des Berufsrisikos war.

«Ich muss den Abschluss machen», gestand Richard. «Das schulde ich meiner Familie. Sie erwarten, dass ich zu den Besten gehöre, und deshalb muss ich Parlains Prüfung mit einer guten Note bestehen. Ich darf sie nicht enttäuschen.»

Die Last, die auf Richards Schultern lag, war Scott schmerzlich bekannt. Die Last, perfekt sein zu müssen. Scott hatte sie nie akzeptiert. Denn genau dieser Druck hatte seinem geliebten Onkel Lead den Tod gebracht. Scott legte das Kerngehäuse des Apfels auf das Tischchen neben seinem Bett.

«Ich kann dir helfen.»

«Du?»

«Ja, ich», bestätigte Scott mit Überzeugung. «Außerdem habe ich heute nichts Besseres vor.»

«Aber du schaffst es ja gerade mal eben so zu bestehen!»

«Nun, so sieht es aus», sagte Scott, sprang auf und näherte sich seinem Zimmergenossen mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen. «Aber ich helfe dir nur unter einer Bedingung.»

«Was immer du willst.»

«Du musst mir dein Wort geben, dass es unter uns bleibt. Ich möchte nicht, dass du meinem Ruf schadest.»

«Das wird garantiert kein Problem sein.»

Bevor Richard noch etwas sagen konnte, hatte Scott sich schon neben ihn gesetzt und ihm das Buch mit der Aufgabe entrissen.

«Ich sehe, Parlain hat es uns ziemlich schwierig gemacht, in den Hafen zu gelangen. Nicht wahr?»

«Es genügt, Scott. Ich glaube, du solltest mir jetzt das Buch zurückgeben und mich lernen lassen.»

«Wie du willst», gehorchte er, ließ das Buch los und schnappte sich den Apfelrest, von dem er ein letztes Stück saftiges Fruchtfleisch abbiss.

«Ich würde es durch die Meerenge versuchen.»

«Bist du verrückt? Du vergisst, dass das Boot keine Ladung mit sich führt. Bei der starken Strömung und dem Wellengang würden wir in eine gefährliche Schräglage geraten, und dann wäre es unmöglich, das Schiff zu kontrollieren. Wir würden an den Felsen zerschellen.»

«Nicht, wenn du den Schwerpunkt nach unten verlagerst.»

Auf diese Möglichkeit war Richard noch nicht gekommen.

«Na gut, aber woher soll ich mitten auf dem Ozean zwei Tonnen Ballast herbekommen?»

«Eigentlich braucht man nur etwa tausendfünfhundert Kilo. An den Stränden dieser Gegend liegt tonnenweise Sand. Du müsstest nur die Back- und Steuerbordfrachträume füllen, um das Schiff zu stabilisieren.»

Zunächst wollte Richard den Vorschlag seines Mitstudenten geradewegs ablehnen, begann dann aber doch, neue Zahlen zu notieren. Als er nach einer langen Weile das Ergebnis sah, das er errechnet hatte, konnte er es kaum glauben.

«Wie bist du darauf gekommen?»

«Zufall, nehme ich an.» Scott grinste und zog vergnügt die Augenbrauen hoch. «Und? Willst du jetzt ein bisschen Platz für mich machen?»

Schon hatte Scott sich auf Arnolds Stuhl gesetzt und rückte etwas näher an Richard heran. Er griff nach dem Rest der Aufgaben und einem Kohlestift, schnappte sich Zirkel und Lineal und fing an, mit großer Sorgfalt ein paar Linien zu zeichnen. Er errechnete mit zwei Peilungen seine exakte Position, und nachdem er die Stärke der Strömung und die Abdrift bestimmt hatte, der das Schiff ausgesetzt war, zeichnete er einen neuen Kurs in die Karte ein, so schnell, dass Richard ihm nur schwer folgen konnte. Eine Stunde später war Scotts Gesicht mit Kohle verschmiert, und die rebellische Haarsträhne hing ihm über das linke Auge. Scott hatte nicht nur alle Aufgaben gelöst, die Richard nicht hatte bewältigen können, sondern hatte es sich sogar manchmal erlaubt, verschiedene Lösungswege auszuprobieren. Seine Beweisführung war genauso unglaublich wie seine Schnelligkeit beim Rechnen. Richard kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er hatte nie gesehen, dass Scott sich in einer der Unterrichtsstunden des Kapitäns auch nur die geringste Notiz gemacht hätte. Er schien ja nicht einmal zuzuhören. Aber offensichtlich hatte er sich sämtliche Erklärungen des Lehrers gemerkt, während er selbst stundenlang auf einem Stück Papier herumgekritzelt hatte. Warum bemühte sich ein so intelligenter Mensch darum, mittelmäßig zu erscheinen? Zum ersten Mal seit Scott in sein Leben getreten war, empfand Richard so etwas wie Sympathie für seinen Zimmergenossen.

Ein paar Tage später gab der Kapitän die korrigierten Klausuren zurück. Die Studenten im Klassenzimmer waren einem Nervenzusammenbruch nah.

«Mr. O’Flanagan, ich sehe, Sie sind mal wieder durchgekommen», sagte er, als er die Arbeit mit dem Vermerk «Noch bestanden» auf das Pult legte.

Scott lächelte zufrieden.

«Sie sollten sich nicht darüber freuen. Wenn Sie nicht fleißiger werden, wird Ihnen auch im nächsten Jahr die zweifelhafte Ehre zuteil, Klassenletzter zu sein.»

«Ich werde mich sehr bemühen, Sir.»

Irritiert verzog der Kapitän den Mund, sodass sein Schnurrbart sich in Kurven legte. Was hatte O’Flanagan ihm gerade gesagt? Wollte er sich Mühe geben dazuzulernen oder versuchen, weiter der Klassenletzte zu bleiben? Er hatte schon viele Schüler gehabt, aber keiner hatte ihn so verunsichert wie Scott O’Flanagan. Er hatte etwas Unergründliches, das ihn beunruhigte. Kopfschüttelnd ging er zum nächsten Studenten. «Glückwunsch, Mr. Reemick.»

Richard sah sich seine Arbeit an. Es gab keine einzige Anmerkung.

«Ihre Klausur ist perfekt. Seitdem ich Lehrer an dieser Akademie bin, hatte ich nie das Vergnügen, eine Arbeit wie die Ihre zu Gesicht zu bekommen. Es ist mir eine Ehre, Ihr Lehrer zu sein.»

Richard errötete. Es war das erste Mal, dass er ein Lob aus dem Mund des Kapitäns hörte. Trotzdem war es ihm unangenehm. Dieses Lob hätte jemand anderem gebührt.

Als seine Mitschüler näher kamen, um ihm zu gratulieren, drehte er sich zu Scott um. Der machte ihm heimlich das Siegeszeichen, während er ihm zufrieden lächelnd seine eigene Arbeit voller Randanmerkungen zeigte.

Während Richard beglückwünscht wurde, verschwand Scott diskret und sorgte für den Rest des Tages dafür, dass Richard keine einzige Gelegenheit bekam, ihm zu danken.

***

Am nächsten Tag schifften sich die Studenten auf der USS Preble ein. Den Rest des Sommers würden sie auf See verbringen und erst zu Beginn des nächsten Studienjahres auf die Akademie zurückkehren.

Fesseln des Schicksals
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