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Je weiter der Karren sie von New Fortune wegbrachte, desto mehr wuchs auch ihre quälende Angst. Was würde nur mit ihr geschehen?, fragte sich Charlotte und betrachtete verzweifelt die Eisen, die ihre Handgelenke umschlossen. Mit jeder Umdrehung der Räder schwand die Hoffnung, dass ihr Vater seine Entscheidung bereuen und sie zurückholen würde. Er würde ihr nicht verzeihen.
Verstohlen sah Charlotte Noah von der Seite an. Er wirkte vollkommen gleichmütig, fast als würde er sich mit seinem Schicksal abfinden. Bisher hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, und sie hatte gewiss nicht vor, den ersten Schritt zu tun. Charlotte weigerte sich, ihre neue Lage zu akzeptieren, und solange ihr noch etwas Stolz blieb, an den sie sich klammern konnte, würde sie nicht zusammenbrechen. Wenn Noah das hier aushielt, dann würde sie das auch können. Die Vorstellung, er könnte sie am Boden sehen, war mehr, als sie an diesem Tag noch ertragen konnte.
Als es Nacht wurde, hielt der Sklavenhändler den Wagen am Straßengraben an und befahl Noah, Holz zu sammeln und ein Feuer zu machen. Danach briet er ein paar Eier mit Schinken und kochte Kaffee. Als das Essen endlich fertig war, setzte sich der ungepflegte Mann auf einen Stein und aß, ohne den Blick von seinem Teller zu heben. Nachdem er die Pfanne ausgeleckt hatte, vergewisserte er sich, dass Noah und Charlotte gut festgebunden waren, breitete eine Decke neben dem Feuer aus und legte sich schlafen. Erst jetzt begriff Charlotte, dass sie nichts zu essen bekommen würden.
Die Fesseln hatten rote Male auf ihren Handgelenken hinterlassen, und sie fühlte sich so schwach, dass sie beinahe den Mut verlor. Ihr Kleid war zu dünn, um die nächtliche Kälte abzuhalten, und sie hatte nicht einmal einen Schal, den sie sich über die Schultern legen konnte. Charlotte sah zu Noah. Der hatte sich in geringer Entfernung an einen Baumstamm gelehnt. Hunger und Kälte schienen ihm nichts anhaben zu können. Machte ihm denn gar nichts etwas aus?, fragte sich Charlotte verwirrt, während ein neuer Kälteschauer sie in Versuchung führte, näher ans Feuer zu rücken. Aber die Art, wie der Sklavenhändler sie ein paar Mal angesehen hatte, brachte sie davon ab. Ihr war klar, dass sie sich von diesem Mann so fern wie möglich halten musste. Also ließ sie sich in größtmöglicher Entfernung von ihren beiden Weggenossen auf dem Boden nieder. Dann umschlang sie ihren Körper mit den Armen und hoffte, dass ihre Zähne bald aufhören würden zu klappern.
Als sie erwachte, war ihr Körper vollkommen steif, sie war hungrig und erschöpft. Brauchten Sklaven denn kein Essen?, fragte sich Charlotte, deren Magen nach einer warmen Mahlzeit verlangte. Nachdem der Sklavenhändler den Rest des Kaffees dafür verschwendet hatte, das Feuer zu löschen, hatte sie entsetzt begriffen, dass dieser Mann ihnen auf der ganzen Fahrt nichts zu essen geben würde.
Als der Karren in die Hauptstraße von Richmond einbog, war die Stadt noch nicht erwacht. Alles sah aus wie bei Charlottes letztem Besuch. Über Vivian Somersys Boutique hing die schreiend grüne Markise. Dort waren ihre und Hortensias Kleider genäht worden, seit sie denken konnte. Kurz danach kamen sie am Rudy’s vorbei, einem hübschen kleinen Kaffeehaus, in das ihre Mutter sie nach einem anstrengenden Tag voller Besorgungen oft auf eine Schokolade eingeladen hatte. Und bevor sie die Hauptstraße verließen und in Richtung Bahnhof einbogen, konnte Charlotte auch das Metallgitter erkennen, das die Schaufenster von Drew & Söhnen schützte, dem elegantesten Juwelier der Stadt. Dort hatte ihr Vater ihr vor nicht einmal einem Monat einen wertvollen Solitär gekauft. Hier war ihre Welt und lag zum Greifen nah vor ihr. Aber die Fesseln um ihre Handgelenke hatten eine Grenze errichtet, die sie nicht mehr übertreten konnte.
Zum ersten Mal wurde Charlotte sich ihrer neuen Lage richtig bewusst. Sie war niemand mehr. Von einem Tag auf den anderen war sie von einer reichen und eleganten Frau, der alle Türen offen standen, zu einer Ausgestoßenen geworden.
Als sie zum Bahnhof kamen, hätte sie schreien können. War die Welt verrückt geworden? Sie war doch dieselbe, die Frau, die von so vielen Männern bewundert wurde und deren Freunde in der besten Gesellschaft verkehrten.
Jetzt hielt der Wagen. Hunderte von Malen war Charlotte am Bahnhof von Richmond gewesen, und trotzdem waren ihr die Lastwaggons am Ende der Gleise nie aufgefallen.
«Worauf wartet ihr Faulpelze? Rein da mit euch», befahl der Sklavenhändler.
Trotz der Handeisen sprang Noah ohne Probleme auf den Boden. Schnell streckte er Charlotte seine Hände entgegen, aber sie ignorierte sie trotzig. Noch war sie nicht bereit, seine Hilfe anzunehmen. Nur unter größten Schwierigkeiten schaffte Charlotte es, vom Karren hinunterzuklettern.
«Rein da, habe ich gesagt!»
Verwirrt sah Charlotte sich um. Vor ihr befand sich nur ein Güterwaggon.
Der Händler deutete mit dem Kinn darauf. «Glaubt ihr, ich habe den ganzen Tag Zeit?»
«Da rein? Aber das ist für Vieh», protestierte Charlotte.
«Seid ihr etwa kein Vieh?»
Als er das Erschrecken in Charlottes Gesicht bemerkte, verzog der Händler seine Lippen zu einem perversen Lächeln.
«Der Prinzessin gefällt ihr neues Heim wohl nicht.»
Gerade wollte Charlotte etwas erwidern, als Noah sie mit angsterfülltem Blick darum bat, still zu sein.
Die kleinen schwarzen Pupillen dieses Unmenschen waren starr auf Charlotte geheftet. Das Gefühl von drohender Gefahr ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben biss Charlotte sich auf die Zunge und senkte den Kopf.
«Mach auf!», befahl der Händler an Noah gewandt, und Noah gehorchte sofort. Er betätigte die Klinke und öffnete die Tür.
Sofort schlug ihnen ein so fürchterlicher Gestank entgegen, dass Charlotte zurückwich. Etwa fünfzehn Sklaven drängten sich im Inneren des Wagens. Ohne zu zögern, stieg Noah hinauf und zog an Charlotte, der diesmal nichts anderes übrig blieb, als seine Hilfe anzunehmen.
«Bestimmt wird die kleine Prinzessin sich wohl fühlen», sagte der Händler mit lautem Gelächter und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Der Geruch nach Urin und Schweiß war so intensiv, dass Charlotte fürchtete, sich übergeben zu müssen. Es war klar, dass diese Männer und Frauen gezwungen waren, ihre Notdurft auf dem alten Stroh zu verrichten, das den Boden bedeckte. Als sie begriff, dass auch sie das irgendwann tun müsste, fühlte sie Panik in sich aufsteigen.
«Wollen die uns umbringen? Wir werden ersticken», rief sie und hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür. Schnell trat Noah zu ihr und hielt ihre Hände fest.
«Fass mich nicht an, verfluchter Sklave!», fauchte sie, aber er ließ sie nicht los.
«Geben Sie sich keine Mühe, Miss Charlotte, es wird Sie keiner hören.» Er packte ihre Hände noch etwas fester. «Und selbst wenn uns jemand beachten würde, so würde Ihnen doch niemand zu Hilfe kommen. Sie sind jetzt wie wir», sagte er und deutete auf die anderen Frauen und Männer in diesem Gefängnis, die man im Halbdunkel kaum sehen konnte. «Je eher Sie sich daran gewöhnen, desto leichter werden die Dinge für Sie werden.»
«Du irrst dich. Ich werde nie so sein wie ihr», antwortete sie mit unendlicher Verachtung und wand sich aus Noahs Griff. «Und ich werde mich auch nie an so etwas gewöhnen. Das kann kein menschliches Wesen!»
Noah ließ sie in Ruhe. Es hatte ja doch keinen Sinn. Charlotte war zu stolz und zu stur, um nachzugeben.
«Wie Sie wollen, Miss Charlotte.»
Er drehte sich um und ging auf die andere Seite des Waggons. Einmal dort angekommen, setzte er sich auf das Stroh, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen.
Zum zweiten Mal an jenem Morgen spürte Charlotte den bitteren Nachgeschmack der Worte, die ihr im Hals erstarben. Noah hatte es gewagt, ihr einfach den Rücken zuzudrehen und sie nicht weiter zu beachten. Mit aller Kraft ballte sie ihre Fäuste, um nicht vor Wut zu platzen. Erst als sie spürte, wie ihre Fingernägel sich schmerzhaft in die Handflächen bohrten, wurde sie etwas ruhiger. Sie würde sich nicht aufregen, sagte sie sich und versuchte sich wieder als Herrin der Lage zu fühlen. Denn auch wenn ihr Vater etwas anderes glaubte, war noch der letzte Blutstropfen, der durch ihre Adern floss, weiß, und sie würde sich nicht so weit herabwürdigen, hier vor diesen Sklaven herumzuschreien. Noah war zwar der Sohn ihres Vaters, aber er war immer noch ein Sklave. Und Charlotte hatte nicht die geringste Absicht, das zu vergessen.
Plötzlich spürte sie eine tiefe Erschöpfung. Die Anspannung der letzten Tage, der Hunger und die Müdigkeit hatten ihren Tribut gefordert. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Wenn sie nicht bald die Augen schloss, würde ihr der Kopf platzen. Sie musste sich beruhigen, nachdenken und eine Lösung finden, sagte sie sich und ließ sich neben einer Frau auf den Boden fallen, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Darsy hatte.
Noch bevor sie den Rücken gegen die Holzwand gelehnt hatte, war Charlotte schon eingeschlafen.
Ihr Traum führte sie nach New Fortune, wo sie neben Hortensia schlief. Es war der Tag ihrer Hochzeit. Eine Woche vorher hatte Richard um ihre Hand angehalten, und ihr Vater war einverstanden gewesen. Die Hochzeit würde am Nachmittag auf Delow stattfinden. Eingetaucht in diese tröstliche Welt, fühlte sie, wie jemand sie sanft schüttelte.
«Noch ein bisschen länger, Mama. Bitte, ich bin so müde», murmelte sie mit geschlossenen Augen. «Lass mich noch ein wenig schlafen. Ich hatte einen schrecklichen Traum.»
«Wachen Sie auf, Miss Charlotte. Wir sind angekommen.»
Der Zug bewegte sich nicht mehr.
«Wo sind wir?», fragte Charlotte noch völlig benommen.
«In Baltimore.»
«Baltimore, Maryland! Das kann nicht sein! Wie lange habe ich geschlafen?»
«Seit wir in den Zug gebracht wurden.»
Verwirrt schwieg sie. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass all das in Wirklichkeit geschah. Vielleicht spielte ihr Kopf ihr nur einen Streich. Bevor Noah sie geweckt hatte, war sie kurz davor gewesen, Richard zu heiraten.
«Nehmen Sie.»
«Was ist das?», fragte Charlotte, die jetzt erst bemerkte, dass Noah etwas in der Hand hielt.
«Etwas zu essen. Bald werden sie uns holen kommen, und wer weiß, wann wir wieder etwas kriegen.»
Im Halbdunkel konnte Charlotte erkennen, dass Noah ihr einen Fladen Brot und eine Kelle Wasser hinhielt.
«Sie müssen wieder zu Kräften kommen», drängte er.
Bei näherem Hinsehen bemerkte Charlotte einen großen Schimmelfleck auf dem Brot. Sie drehte den Kopf weg. «Ich habe keinen Hunger.»
«Essen Sie», befahl Noah ihr. «Es wird für lange Zeit nichts Besseres geben.»
«Ich werde nicht lange Zeit hier sein.»
«Glauben Sie etwa, dass jemand kommt, um Sie zu retten?»
«Ja, meine Freunde werden mich suchen.»
«Sie haben keine Freunde mehr, Miss Charlotte. Kein weißer Herr ist der Freund eines Sklaven. Je schneller Sie das begreifen, desto leichter wird es für Sie. Und ich glaube nicht, dass Master Parrish irgendjemandem etwas erzählt hat. Ich denke, dass Ihr Vater wahrscheinlich eine Reise zu Ihren Verwandten nach New Orleans vorgibt, um Ihre Abwesenheit zu erklären. Niemand wäre überrascht, wenn Sie nach Mr. Reemicks Hochzeit für eine Weile verreisen würden.»
Wusste dieser verdammte Kerl denn über alles Bescheid? Charlotte war in keinem Augenblick der Gedanke gekommen, dass ihr Vater genauso wenig wie die beiden Schwestern wünschte, dass die Wahrheit ans Licht kam. Wie dumm war sie gewesen! Wenn sie vorher daran gedacht hätte, hätte sie ihre Karten besser ausgespielt und mit Hortensia zu ihrer Familie nach New Orleans fliehen können. Aber ihr Vater war klüger gewesen. Er hatte einen geschickten Zug gemacht und gewonnen.
«Sobald die Weißen den Bahnhof verlassen haben, sind wir dran. Wenn Sie ohnmächtig werden, kommen Sie nicht weit. Sie müssen essen», beharrte Noah.
Die Wut, die in Charlotte aufstieg, als sie sich bewusst wurde, mit welcher Leichtigkeit ihr Vater sie hereingelegt hatte, war stärker als ihr Ekel. Plötzlich keimte der Wunsch zu fliehen in ihr auf und beherrschte alle ihre Gedanken. Schnell riss sie Noah das Brot aus der Hand und stopfte es in sich hinein. Danach verdrängte sie die Tatsache, dass alle dieselbe Kelle benutzten, um aus dem Wassereimer zu trinken, den jemand neben die Tür gestellt hatte, und stürzte alles bis auf den letzten Tropfen hinunter.
Erst lange Zeit nachdem die weißen Reisenden den Bahnhof verlassen hatten, wurden die Türen geöffnet.
***
Seit man ihr Charlotte vor ein paar Tagen entrissen hatte, hatte Hortensia ihr Zimmer kaum einmal verlassen. Sie hatte nicht die Kraft, sich dem harten Blick ihres Vaters auszusetzen. Aber sein Schweigen war noch schlimmer. Ein eiskaltes Schweigen.
Und trotzdem sah es von ihrem Zimmerfenster aus so aus, als hätte sich auf New Fortune nichts verändert. Das Leben ging unbeeindruckt von den schrecklichen Dingen, die das Schicksal für sie bereithielt, seinen gewohnten Gang.
«Wo bist du nur, Schwesterchen?», fragte Hortensia den Wind. «Wo hat unser Vater dich hingeschickt?»
Aber der Wind schwieg.
«Wie ich dich vermisse, Charlotte», sprach sie wieder und wünschte sich so sehr, dass ihre Schwester sie hören könnte.
Latoya klopfte schon zum zweiten Mal an die Tür, bevor sie schließlich eintrat. «Miss Hortensia?», rief sie.
Hortensia gab keine Antwort.
«Miss Hortensia. Oberst Ross erwartet Sie in der Bibliothek», teilte ihr die Sklavin mit.
Aber ihre junge Herrin starrte einfach weiter aus dem Fenster.
«Geht es Ihnen gut, Miss?»
Die Besorgnis in Latoyas Stimme bewegte Hortensia zu einer Antwort. «Mir geht es gut», sagte sie und drehte sich mit einem Lächeln zu der Sklavin um. Aber die ließ sich nicht täuschen. Die verzweifelte Trauer, die in jedem Blick ihrer jungen Herrin lag, konnte man nicht hinter einem Lächeln verstecken.
«Danke, Latoya. Bitte sag Oberst Dugan, dass ich gleich hinunterkomme.»
Die Sklavin nickte. Auch sie war traurig.
Als Ross Dugan vierzig geworden war, hatte er die Armee verlassen und war nach Hause zurückgekehrt, um eine Familie zu gründen. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, um Hortensias Hand anzuhalten, aber als er David gegenüber seine Zukunftspläne erwähnte, schlug dieser selbst vor, Hortensia zur Frau zu nehmen. Und Dugan hatte akzeptiert. Aber jetzt kamen Zweifel in ihm auf. Sicher war Hortensia sehr hübsch und hatte ein angenehmes Wesen, aber es trennte sie doch ein großer Altersunterschied. Vielleicht ein zu großer.
«Ich weiß nicht, David. Ich glaube, ich bin zu alt für deine Tochter.»
David spielte mit seinem Cognacglas, bevor er antwortete.
«Red keinen Unsinn, Ross. Du bist noch ein stattlicher Mann.»
«Was denkt sie denn?»
«Ich habe dir doch schon gesagt, dass sie einverstanden ist.»
«Ich weiß. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass eine junge Frau mit ihren Vorzügen einen Mann wie mich in Betracht zieht. Ich bin mir sicher, dass es ihr nicht an jungen und ebenso reichen Verehrern fehlt.»
«Aber, aber … So reich bist du nun auch wieder nicht», scherzte David.
Dugan lächelte. Obwohl sich an seinen Schläfen ein paar graue Strähnen bemerkbar machten, hatten die Jahre ihn gut behandelt. Und durch die körperliche Betätigung beim Militär war er in Form geblieben. Ja, dachte er bei sich, man konnte durchaus sagen, dass er noch ein attraktiver Mann war.
Als Hortensia in die Bibliothek trat, leuchteten Ross Dugans Augen auf. Und fast als wäre er ein junger Mann von zwanzig Jahren, sprang er von seinem Sitz auf und lief ihr entgegen.
«Miss Hortensia», begrüßte er sie und küsste die Hand seiner Versprochenen. «Es ist mir eine Ehre, dass Sie mein Bitten erhört haben. Sie machen mich zum glücklichsten Mann der Welt.»
Ausweichend stammelte Hortensia etwas, aber ein Blick von David genügte, um sie daran zu erinnern, was sie zu tun hatte.
«Danke. Sie sind sehr freundlich», brachte sie heraus und bemühte sich, ehrlich zu klingen.
Diese Worte zerstreuten alle Zweifel, die Ross Dugan bezüglich der Ehewünsche der jungen Frau gehegt hatte.
«Der Tod Ihrer Mutter tut mir sehr leid. Sie war eine außergewöhnliche Frau.»
Die Art und Weise, wie David jede von Hortensias Bewegungen beobachtete, brachte sie dazu, den Kopf zu senken und etwas Ähnliches wie ein Danke zu murmeln.
Dugan lächelte ihr zu und versuchte, sie aufzumuntern.
«Alles wird gut werden. Ich verstehe, dass dieser Moment sehr schwierig für Sie ist. Wo noch dazu Ihre Schwester zu Ihrer Familie nach New Orleans gereist ist. Sicher fühlen Sie sich sehr allein.»
«Sehr, Mr. Dugan», nickte sie und versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten.
«Nennen Sie mich Ross. Und ich hoffe, Sie erlauben mir, Hortensia zu sagen.»
Wieder nickte sie, während eine erste Träne ihren Widerstand durchbrach und ihr über die Wange rollte.
Jetzt stand David auf und stellte sich zu seinem Freund Dugan, der noch nie mit Frauentränen zurechtgekommen war. «Es wird ihr bald bessergehen», sagte David und klopfte seinem Freund beruhigend auf die Schultern. «Katherines Tod ist noch nicht lange her.»
«Gewiss. Entschuldigen Sie mein mangelndes Taktgefühl», entschuldigte Dugan sich bestürzt. «Ich hätte sie nicht erwähnen sollen.»
«Beruhige dich, meine Kleine», sagte David jetzt in einem tröstenden Tonfall. Als Hortensia merkte, dass ihr Vater im Begriff war, sie in den Arm zu nehmen, erstarrte sie. David drückte Hortensia an seine Brust, so wie ein Vater es getan hätte, dem der Schmerz seiner Tochter wirklich naheging. Aber die ekelhafte Wärme dieser vergifteten Umarmung machte Hortensia solche Angst, dass die Tränen in ihrer Seele gefroren.
«Siehst du, Ross, es ist schon vorbei», sagte David nach kurzer Zeit und ließ Hortensia los. «Sie braucht nur ein bisschen Zuwendung.» Als Dugan in das Gesicht seiner Verlobten sah, stellte er verwirrt fest, dass nicht einmal die Spur einer Träne darin zu sehen war.
«Aber sprechen wir von angenehmeren Dingen. Wann, glaubst du, könnt ihr Hochzeit feiern, Ross?»
Bevor Dugan etwas dazu sagte, suchte er in Hortensias Augen nach einer Antwort.
«… Nun, ich würde gern so bald wie möglich heiraten. Natürlich nach einer Trauerzeit, die euch angemessen erscheint», fügte er schnell hinzu, um nicht gefühllos zu erscheinen.
«In drei Monaten also?», meinte David und schlug damit die kürzeste Zeitspanne vor, die sich für einen solchen Verlust noch gerade eben geziemte.
«Ist dir das recht, Hortensia?», fragte Dugan und wandte sich zum ersten Mal in dieser vertrauten Form an seine Verlobte.
«Ja, es ist mir recht», antwortete Hortensia.