Epilog

ZENTRALIRAN

9. Dezember, 16:18 Uhr GMT+3:30

 

 

Smith stützte sich auf die Konsole, auf der das Computersystem des Humvees montiert war, als Randi Russell mit dem Wagen über einen ausgewaschenen Abschnitt der Straße sprang. Sie waren sich am Tag zuvor in einem mobilen Krankenhaus begegnet, das von der UNO betrieben wurde. Dort hatte man ihn über die Auswirkungen der Infektion informiert. Sie gehörte einem CIA-Team an, das dafür sorgen sollte, dass es zu keinen Unruhen kam, damit die allgemeinen Bemühungen, eine Pandemie abzuwenden, nicht gestört wurden.

»Und du weißt ganz bestimmt, wo du hinfährst, Randi? Ich seh hier nichts als Felsen und Sand.«

»Farrokh ist der Typ Mensch, der die Einsamkeit schätzt und lieber anonym bleibt«, rief sie über dem Dröhnen des Motors zurück. »Aber jetzt, wo wir wissen, wer er ist, kannst du sicher sein, dass wir ihn nicht mehr aus den Augen lassen.«

Sarie beugte sich zwischen den Sitzen vor. »Geht’s ihm gut?«

»Oh ja, er ist okay. Ich glaube, er genießt noch einmal ein bisschen Ruhe und Frieden, bevor er sich ins Getümmel stürzen muss, das er ausgelöst hat.«

Farrokhs Leute hatten Bilder von den Ereignissen in dem unterirdischen Labor und in Avass ins Netz gestellt, sodass der Iran nun die ganze Welt gegen sich hatte. Russland und China hatten sich nun ebenfalls für harte Sanktionen ausgesprochen, Al Jazeera brachte kritische Sondersendungen zum Thema, und die USA wurden von der Arabischen Liga dafür gescholten, dass sie nicht das ganze Land dem Erdboden gleichmachten.

»Ist unsere Position immer noch, dass wir ihn nicht aktiv unterstützen?«, fragte Peter Howell vom Rücksitz aus.

»Darauf haben sich die Politiker geeinigt«, antwortete Randi. »Obwohl es momentan ganz nach einer Pattsituation aussieht.«

Sie trat auf die Bremse und brachte den Wagen schlitternd zum Stillstand, dann zeigte sie auf einen Pfad, der sich einen Hang mit verstreuten Felsblöcken hinaufschlängelte. »Dort oben findest du ihn.«

»Sieht ziemlich steil aus«, meinte Sarie etwas skeptisch. »Und alles in der glühenden Sonne.«

Ihr Bein war leicht infiziert, und durch die Antibiotika, das Fieber und die Anstrengungen der letzten Tage fühlte sie sich nicht ganz so fit wie sonst. Dennoch ließ sie sich von Howell aus dem Wagen helfen und trat ans offene Fahrerfenster. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Randi.«

»Mich auch. Sind Sie sicher, dass Sie den ganzen Weg da raufgehen möchten? Ich kann Sie gern irgendwo absetzen.«

»Nein, ich will mich verabschieden.«

»Wie Sie möchten. Ich schicke dann jemanden her, der euch in zwei Stunden abholt.«

Sarie lächelte und tippte an den Fensterrahmen, ehe sie hinter Howell her humpelte, der bereits die erste Kehre des Weges erreicht hatte.

»Willst du nicht vielleicht mitkommen?«, fragte Smith.

Randi schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich bleibe für Farrokh lieber anonym. Heute ist er der Liebling des Westens, aber die Dinge ändern sich oft recht schnell. Und wenn das passiert, dann krieg ich meistens Arbeit.«

»Immer noch dieselbe Zynikerin.«

Ein geheimnisvolles Lächeln erschien auf ihren Lippen. »Du solltest nett zu mir sein, Jon. Du schuldest mir was.«

»Für die Fahrt hierher? Es waren doch nur ein paar Kilometer, außerdem hast du den Hummer wahrscheinlich gestohlen.«

Sie blickte nachdenklich in die Wüste hinaus. »Hast du schon mal von Sepehr Mouradipour gehört?«

»Ein iranischer Söldner, stimmt’s? Das letzte Mal, als ich von ihm hörte, war er irgendwo am Balkan im Einsatz, glaube ich.«

»Deine Informationen sind nicht ganz aktuell. Sein letzter Einsatz war im Iran – im Auftrag von Larry Drake. Wenn ich mich nicht ein bisschen eingemischt hätte, wärst du direkt in seinen Hinterhalt gelaufen.«

Smith sah sie verdutzt an. Er hatte eine kurze Information über Drakes Verrat und seinen Tod bei einem Hubschrauberabsturz erhalten, doch das Ganze war eine Operation von Covert One – wie zum Teufel konnte es sein, dass Randi davon erfahren hatte und sogar persönlich in die Sache verwickelt war?

Sie schien seine Verwirrung zu genießen und schwieg eine ganze Weile, ehe sie hinzufügte: »Einen schönen Gruß übrigens von Fred Klein.«

Smith atmete langsam aus und war selbst überrascht, wie erleichtert er sich plötzlich fühlte. »Ich bin froh, dass du endlich im Team bist, Randi. Es war schwer, das alles vor dir verheimlichen zu müssen.«

Sie zog die Stirn in Falten. »Was denn verheimlichen? Ich meine, du bist doch nur ein einfacher Landarzt, nicht?«

Er wollte etwas sagen, doch sie hob abwehrend die Hand. »Du hast genug Zeit, um dich für alles zu entschuldigen, wenn du zurück in den Staaten bist und mich zu einem richtig teuren Essen einlädst.«

»Können wir uns wenigstens die Weinrechnung teilen?«

»Kommt nicht infrage«, antwortete sie streng und zeigte durch die Windschutzscheibe auf Sarie, die den steilen Hang hinaufhumpelte. »Sieht so aus, als könnte deine kleine Freundin Hilfe gebrauchen.«

Smith öffnete die Beifahrertür, doch bevor er ausstieg, nahm er Randis Hand und küsste sie mit übertriebener Geste. »Du bist eine Göttin unter den Frauen. Eine Säule der Tugend und der Schönheit …«

»Guter Anfang«, kicherte sie und schob ihn durch die Tür, und auch er lachte leise, als sie in einer Staubwolke davonbrauste. Für das Essen würde wahrscheinlich der Großteil eines Monatsgehalts draufgehen, aber das war es ihm wert. Sie war die Beste in dem Geschäft, und wenn sie und Peter Howell auf ihn aufpassten, sah er gute Chancen, auch noch seinen nächsten Geburtstag zu erleben.

Er brauchte länger als erwartet, um Sarie einzuholen, und legte den Arm um ihre Taille – mehr, weil es ihm gefiel, als aus der Notwendigkeit heraus, ihr zu helfen. In Wahrheit war er kaum besser beisammen als sie. Die Armeeärzte hatten ihm einen peinlich großen Teil des Kopfes kahl geschoren, und ein weißer Verband bedeckte die fünfunddreißig Stiche, mit denen der Streifschuss genäht worden war. Das Schlimmste aber waren die höllischen Schmerzen, die ihm seine drei gebrochenen Rippen bei jedem Atemzug verursachten.

Sarie zeigte auf Howell, der sich flink zwischen den Felsblöcken hindurchschlängelte. »Wie kommt es, dass wir zwei aussehen, als hätte uns ein Laster überfahren, und er, als wäre er gerade vom Golfspielen zurückgekommen?«

Smith lächelte mit seiner aufgerissenen Lippe. »Glaub mir, du bist nicht die Erste, die sich das fragt. Wie geht’s dir übrigens? Bist du okay?«

»Ich lebe. Aber ich glaube nicht, dass ich so etwas jeden Tag machen möchte.«

Sie setzten den Aufstieg schweigend fort, bis sie Farrokh mit überkreuzten Beinen am Rand einer hohen Klippe sitzen sahen. Howell stand zwei Meter neben ihm und blickte ins Tal hinunter.

»Also, ich muss schon sagen«, meinte der Brite, als Smith zu ihnen trat. »Was ihr da auf die Beine gestellt habt, ist gar nicht so übel.«

Howell hatte es mit seinem gewohnten Understatement ausgedrückt. In Wahrheit war es ein Wunder, was hier geleistet worden war.

Was sie da unten im grellen Licht der Sonne sahen, war eine imposante Demonstration militärischer Macht, ergänzt durch modernste medizinische Technologie. Da waren drei mobile Labors und ein behelfsmäßiger Flugplatz, der in nicht einmal sieben Stunden angelegt worden war. Ein Transportflugzeug nach dem anderen landete, um Ausrüstung und Nachschub zu liefern. Am Wüstenhimmel kreisten Kampfhubschrauber aus nicht weniger als zwölf Ländern. Weiter oben zogen Spionagesatelliten und Aufklärungsflugzeuge aus Russland, Europa und den Vereinigten Staaten ihre Bahnen und spürten mit Wärmebildkameras jedes warmblütige Lebewesen im Umkreis von zweihundert Meilen auf.

Im Osten war eine riese Zeltstadt des Roten Kreuzes errichtet worden, die von einem provisorischen Zaun umgeben war. Hier wurden alle untersucht, die mit Infizierten in Kontakt gekommen waren.

Alle bekannten Zugänge zu den Canyons waren mit Maschinengewehrstellungen und Stacheldraht gesichert; außerdem hatte man dort Tausende von Minen vergraben. In allen Städten und Dörfern der Region waren Koalitionstruppen postiert. Die Koordinaten waren in den Navigationscomputern von Raketenbatterien gespeichert. Falls es irgendwo zu einem Ausbruch der Infektion kam, den die Bodentruppen nicht schnell unter Kontrolle brachten, konnte selbst die entlegenste Siedlung innerhalb weniger Minuten dem Erdboden gleichgemacht werden.

»Ich mag es ja normalerweise nicht, wenn Politiker die Empfehlungen der Leute draußen im Feld ignorieren«, fuhr Howell fort. »Aber in diesem Fall …«

Smith runzelte die Stirn. Er fand zwar auch, dass jeder Tag über der Erde ein guter Tag war – doch Castillas Entscheidung war äußerst riskant gewesen. Hätte sie sich als falsch herausgestellt, so wären die Konsequenzen unvorstellbar gewesen.

Doch wie es aussah, hatte der Präsident richtig entschieden. Der letzte gemeldete Kontakt mit einem Opfer des Parasiten lag achtundvierzig Stunden zurück; ein Infizierter hatte belgische Sondereinsatzkräfte attackiert, die ein Höhlensystem im Norden durchkämmten. Zum Glück war der Mann mit seinem gebrochenen Oberschenkel nicht schnell genug gewesen, um die Soldaten zu gefährden. Sie konnten ihn erschießen, bevor er näher als fünfzehn Meter herangekommen war.

»Du meinst wahrscheinlich, ich sollte mich bei den Amerikanern bedanken, dass sie nicht ein Drittel meines Landes zerstört haben«, brummte Farrokh.

»Sei nicht so hart zu Jon«, entgegnete Sarie. »Wenn ich mit den Amerikanern telefoniert hätte, hätte ich ihnen vielleicht auch nichts anderes gesagt.«

Der Iraner blickte weiter auf die Koalitionstruppen hinunter, die die Region besetzt hatten. »Und was sagt er ihnen jetzt? Warum unterstützt der Westen die Libyer, aber uns so gut wie gar nicht?«

Smith überlegte kurz, ob er lügen sollte, doch Farrokh würde es sofort durchschauen.

Das Video, das im Internet zu sehen war, hatte nicht nur die ganze Welt schockiert, es hatte auch beträchtliche Konsequenzen im Iran selbst. Es bildeten sich Allianzen im Land, die man noch vor Kurzem für unmöglich gehalten hätte – zwischen säkularen Liberalen, moderaten Muslimen und sogar konservativen Anhängern einiger Imame, die Biowaffen als unislamisch ablehnten. Die Größe und Dynamik der Demonstrationen, die überall im Iran losbrachen, überstieg alles, was bisher passiert war, und die Regierung stützte sich nur noch auf die Armee, um sich an der Macht zu halten.

»Die Situation im Moment ist ziemlich kompliziert, Farrokh. Wir …«

»Und deshalb mussten in den letzten achtundvierzig Stunden über dreitausend meiner Landsleute sterben – von der Armee ermordet?«

Smith seufzte leise. »Niemand wollte das. Aber du siehst ja, was hier los ist: Jede Menge ausländische Soldaten und UNO-Truppen, Medien, internationale Beobachter und Organisationen wie die WHO und CDC. Khamenei verfügt über moderne Raketen, und wenn auch nur eine oder zwei davon durch unsere Verteidigung gekommen wären, hätte das die ganze Operation zerstören können. Dann wäre die Infektion bald in Riad, Kairo oder Damaskus aufgetaucht. Das konnten wir einfach nicht riskieren.«

»Und darum habt ihr einen Pakt mit dem Teufel geschlossen?«

»Wir haben Khamenei gesagt, wenn er keinen Ärger macht, dann lassen wir ihn auch in Ruhe. Aber wir haben auch klargemacht, wenn im Umkreis von hundert Meilen um unsere Leute auch nur ein Böller hochgeht, vernichten wir seine ganze Armee und verhängen eine Flugverbotszone über dem Land, bis wir ihn an einem Strick baumeln sehen.«

»Dann sind wir also auf uns allein gestellt«, sagte Farrokh.

»Du sagst mir doch immer, der Westen soll sich nicht in eure Angelegenheiten einmischen. Bei uns in Amerika gibt es ein Sprichwort: Sei vorsichtig, was du dir wünschst – es könnte in Erfüllung gehen.«

»Und der Parasit?«

»Darauf hab ich keinen Einfluss mehr«, antwortete Smith. »Diesen Teil der Operation hat Präsident Castilla einer gewissen Südafrikanerin übertragen, die du auch kennst.«

Farrokh drehte sich um und blickte zu Sarie auf. »Ist das wahr?«

»Hundertprozentig.« Sie stieß Smith lächelnd gegen die Schulter. »Von jetzt an wird mich der Colonel hier mit Ma’am ansprechen.«

Smith lächelte ebenfalls und überlegte kurz, ob er salutieren sollte, doch er war sich nicht sicher, ob er seinen Arm so hoch heben konnte.

»Könnt ihr die Leute heilen, die sich infiziert haben?«, fragte Farrokh.

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Bei den meisten Opfern, die wir behandeln wollten, waren die Symptome schon voll ausgebrochen. An diesem Punkt ist die Schädigung des Gehirns irreversibel, und wir können im Grunde nichts mehr für sie tun. Ich glaube, wenn die Infektion erst ungefähr eine Stunde zurückliegt, könnte sie sich mit einem Mix aus verschiedenen Wirkstoffen gegen Parasiten noch heilen lassen. Aber bis jetzt haben wir die richtige Mischung noch nicht gefunden.«

»Es breitet sich immer noch aus, nicht?«

»Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir die Situation in den Griff bekommen«, antwortete Sarie. »Wir wissen aber noch nicht genau, wie der Parasit auf verschiedene Tiere wirkt, deshalb führen wir immer noch Tests durch. Die gute Nachricht ist, dass es in dieser trockenen Gegend nicht viele Wildtiere gibt, und das Vieh lässt sich relativ leicht kontrollieren. Ich glaube, wir werden es schaffen.«

»Und wenn du dich irrst?«

Sie legte dem Iraner die Hand auf die Schulter. »Vielleicht solltest du auch mal das Positive sehen. Wenn wir Pech gehabt hätten, dann wärst du jetzt vielleicht ein Häufchen Asche.«

Die Ares Entscheidung
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