Kapitel sieben

NORDUGANDA

12. November, 18:53 Uhr GMT+3

 

 

Lieutenant Craig Rivera warf sein leeres Gewehr weg und riss eine Pistole aus dem Hüftholster, ohne auch nur eine Spur langsamer zu werden. Er stolperte beinahe über ein paar lose Gesteinsbrocken und riskierte einen raschen Blick über die Schulter zurück, als er das Gleichgewicht wiederfand. Es waren immer noch vier Leute hinter ihm, und sie holten rasch auf. Das junge Mädchen, das ihm aus purer Angst gefolgt war, schien nun nicht mehr mit ihm Schritt halten zu können. Die Erschöpfung war offenbar stärker als das Adrenalin, das sie antrieb.

Er jagte einem Mann mit einem blutbefleckten Manchester-United-Trikot eine Kugel in die Brust, hob das geschwächte Mädchen auf und versuchte noch mehr aus seinen müden Beinen herauszuholen.

Die unbegreifliche Wahrheit war jedoch, dass die Leute, die ihn verfolgten, schneller waren als er an seinem besten Tag. Und mit dem zusätzlichen Gewicht des Mädchens war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie ihn eingeholt hatten. Rivera schlug einen Haken nach rechts in ein Gebüsch mit Blättern so groß wie Elefantenohren, in der Hoffnung, es seinen Verfolgern im dichten Gestrüpp schwerer zu machen.

Die nassen Blätter schlugen schmerzhaft gegen sein Gesicht, nahmen ihm die Sicht und drohten ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, als sich das Mädchen in seinen Armen zu winden begann. Sie waren nur noch wenige Schritte hinter ihm. Er würde es nicht schaffen.

Rivera spürte eine Hand in seinem Nacken, und dann wich die Dunkelheit des Regenwalds dem strahlend hellen Sonnenlicht. Das Geräusch seiner Schritte und das seiner Verfolger verstummte jäh, und er stürzte Hals über Kopf durch die Luft, ohne zu begreifen, wieso die Welt um ihn herum sich so schwindelerregend drehte – die Leute, die mit ihm fielen, der grüne Dschungel, der blaue Himmel.

Der Schmerz des Aufpralls überraschte ihn. Er war so lange in der Luft, dass er erwartete, augenblicklich tot zu sein. Schmutziges Wasser wirbelte um ihn herum, während er verzweifelt versuchte, das Mädchen nicht zu verlieren und gleichzeitig herauszufinden, wo oben und unten war.

Seine Lungen begannen rasch zu brennen, doch er ignorierte es so lange er konnte und wartete, bis er das Bewusstsein zu verlieren drohte, ehe er auftauchte. Nur einer seiner Verfolger war noch zu sehen, er schlug wild um sich in dem verzweifelten Versuch, sich in dem reißenden Fluss über Wasser zu halten. Die anderen schienen bereits untergegangen zu sein.

Rivera blickte zu der zwanzig Meter hohen Felsklippe hinauf, von der er gestürzt war, und sah jetzt auch die Leute, die oben am Rand standen. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, doch sie schienen nicht recht zu wissen, was sie tun sollten.

Er drehte sich in die Richtung, in die das Wasser ihn trug, und verstärkte seinen Griff um das reglose Mädchen. Als ihr Kopf gegen seine Brust schlug, fiel ihm auf, dass ihr Hals unter der Kette, die immer noch daran hing, unnatürlich abgeknickt war, und er ließ ihren toten Körper widerstrebend davontreiben.

Oben auf der Klippe folgten ihm die Afrikaner und suchten nach einem Weg zum Fluss hinunter. Er versuchte ans andere Ufer zu schwimmen, doch die Strömung war zu stark und trieb ihn und alles andere, was die Fluten mit sich trugen, zur Mitte des Flusses.

Ein Baumstamm traf ihn hart von hinten, riss ihn mit sich und tauchte ihn unter Wasser. Er versuchte sich abzustoßen und wieder nach oben zu kommen, doch sein rechtes Bein wollte ihm nicht mehr gehorchen. Wasser drang ihm in den Mund und weiter zur Lunge, während er verzweifelt versuchte, die Oberfläche zu erreichen.

Er sah das Sonnenlicht, er stellte sich seine Wärme vor, doch je länger er kämpfte, umso weiter schien sich das Licht zu entfernen. Er erinnerte sich an den See, zu dem er mit seiner Familie so oft gefahren war, als er ein Junge war. Und plötzlich war er wieder dort und schwamm mit seinen Brüdern. Er war so müde. War es nicht Zeit, zu rasten?

 

Charles Sembutu verfolgte gelassen, wie Admiral Kaye den Frauen an den Computerstationen Befehle zurief. Drei der Bildschirme waren dunkel, einer zeigte nur noch den blauen Himmel. Auf dem fünften war eine reglose weiße Hand zu sehen, mit einem Messer, das im Hals eines kleinen Jungen steckte.

»Kommt noch irgendetwas von Rivera?«, fragte Kaye, obwohl die Antwort eindeutig war.

»Keine Funkverbindung, Sir. Auch kein Bild mehr.«

Er beugte sich über den Stuhl einer der beiden Frauen. »Spielen Sie noch einmal die letzten Bilder ab, die wir von seiner Kamera haben. Aber langsam.«

Sie holte die Aufnahme auf den toten Bildschirm zurück, und sie sahen Blätter gegen das Objektiv klatschen, dann einen Moment lang die Leute, die ihn jagten, und schließlich den Absturz.

»Sir, das da unten sieht aus wie Wasser, und unsere Satellitenbilder bestätigen, dass ganz in der Nähe der Stelle, wo es zu dem Zusammenstoß gekommen ist, ein Fluss von Ost nach West fließt. Er könnte noch leben. Kann ich dem Rückführungsteam seine letzten bekannten Koordinaten durchgeben?«

Kaye blickte zurück, und Sembutu sah ihm in die Augen, ohne seinen Ärger zu zeigen. Wenn jemand bei ihm seine Aufgabe nicht erfüllte, dann waren die Tage des Betreffenden normalerweise gezählt. Leider war eine solche Vorgangsweise bei den Amerikanern nicht möglich.

Für ihn war es ein perfektes Szenario gewesen; er überließ es den Fremden, ihm einen Mann vom Hals zu schaffen, den mittlerweile alle hassten, und erntete hinterher selbst die Lorbeeren dafür. Er würde mit einem Schlag die Bedrohung aus der Welt schaffen, seine Macht festigen und sich von der ländlichen Bevölkerung, die am meisten unter Bahame zu leiden hatte, als Helden feiern lassen.

Doch die Amerikaner hatten die Operation vermasselt, wie er es befürchtet hatte. Bei all ihren Fähigkeiten hingen die Soldaten der westlichen Welt einfach zu sehr an ihren Traditionen und ihren nutzlosen Moralvorstellungen, um in Afrika effektiv zu kämpfen.

Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als die Partnerschaft anzunehmen, die ihm die Iraner angeboten hatten. Es war ein gefährliches Spiel, aber er konnte sich seine Partner eben nicht mehr aussuchen. Bahames Armee drang immer weiter nach Süden vor und würde bald zum Sturmangriff auf die Hauptstadt Ugandas blasen. Es musste schnell etwas geschehen.

Doch er musste sehr vorsichtig vorgehen. Die Amerikaner durften auf keinen Fall Wind davon bekommen, was die Iraner vorhatten, und dass er damit zu tun hatte. Anderenfalls musste er mit einem Vergeltungsschlag rechnen, der seinem Land schweren Schaden zufügen und ihn selbst möglicherweise das Leben kosten würde.

Kaye machte einen zögernden Schritt zurück und zeigte seine Schwäche, seine irrationale Sorge um einen einzelnen Soldaten.

»Nein«, sagte der Admiral. »Das Rückführungsteam soll sich beim Treffpunkt bereithalten.«

»Aber Sir, der Sturz. Er ist wahrscheinlich …«

»Sie haben gehört, was ich gesagt habe, Lieutenant. Wir warten zweiundsiebzig Stunden. Dann ist Schluss, und wir ziehen uns zurück.«

Die Ares Entscheidung
cover.html
e9783641091972_cov01.html
e9783641091972_fm01.html
e9783641091972_ata01.html
e9783641091972_toc01.html
e9783641091972_c01.html
e9783641091972_c02.html
e9783641091972_c03.html
e9783641091972_c04.html
e9783641091972_c05.html
e9783641091972_c06.html
e9783641091972_c07.html
e9783641091972_c08.html
e9783641091972_c09.html
e9783641091972_c10.html
e9783641091972_c11.html
e9783641091972_c12.html
e9783641091972_c13.html
e9783641091972_c14.html
e9783641091972_c15.html
e9783641091972_c16.html
e9783641091972_c17.html
e9783641091972_c18.html
e9783641091972_c19.html
e9783641091972_c20.html
e9783641091972_c21.html
e9783641091972_c22.html
e9783641091972_c23.html
e9783641091972_c24.html
e9783641091972_c25.html
e9783641091972_c26.html
e9783641091972_c27.html
e9783641091972_c28.html
e9783641091972_c29.html
e9783641091972_c30.html
e9783641091972_c31.html
e9783641091972_c32.html
e9783641091972_c33.html
e9783641091972_c34.html
e9783641091972_c35.html
e9783641091972_c36.html
e9783641091972_c37.html
e9783641091972_c38.html
e9783641091972_c39.html
e9783641091972_c40.html
e9783641091972_c41.html
e9783641091972_c42.html
e9783641091972_c43.html
e9783641091972_c44.html
e9783641091972_c45.html
e9783641091972_c46.html
e9783641091972_c47.html
e9783641091972_c48.html
e9783641091972_c49.html
e9783641091972_c50.html
e9783641091972_c51.html
e9783641091972_c52.html
e9783641091972_c53.html
e9783641091972_c54.html
e9783641091972_c55.html
e9783641091972_c56.html
e9783641091972_c57.html
e9783641091972_c58.html
e9783641091972_c59.html
e9783641091972_c60.html
e9783641091972_c61.html
e9783641091972_c62.html
e9783641091972_c63.html
e9783641091972_c64.html
e9783641091972_c65.html
e9783641091972_c66.html
e9783641091972_c67.html
e9783641091972_c68.html
e9783641091972_c69.html
e9783641091972_c70.html
e9783641091972_c71.html
e9783641091972_c72.html
e9783641091972_c73.html
e9783641091972_c74.html
e9783641091972_c75.html
e9783641091972_c76.html
e9783641091972_c77.html
e9783641091972_c78.html
e9783641091972_c79.html
e9783641091972_c80.html
e9783641091972_c81.html
e9783641091972_c82.html
e9783641091972_c83.html
e9783641091972_c84.html
e9783641091972_c85.html
e9783641091972_c86.html
e9783641091972_c87.html
e9783641091972_c88.html
e9783641091972_c89.html
e9783641091972_c90.html
e9783641091972_c91.html
e9783641091972_c92.html
e9783641091972_bm01.html
e9783641091972_bm02.html
e9783641091972_cop01.html