Kapitel neunundzwanzig
KAMPALA, UGANDA
21. November, 21:12 Uhr, GMT+3
Jon Smith hielt sein Gesicht in den lauwarmen Wasserstrahl der Dusche und spürte förmlich, wie der Schweiß und Staub des Tages weggespült wurde. Das Hotel hatte sich als ideal herausgestellt – ruhig, fast leer und etwas abgelegen, sodass sie kaum Aufmerksamkeit erregen würden.
Noch wichtiger war, dass es fließendes Wasser gab, ein recht bequem aussehendes Bett und ein Restaurant, in dem Alkohol ausgeschenkt wurde. Es konnte eine Weile dauern, bis er wieder in den Genuss dieser Luxusgüter kommen würde, und er hatte vor, sie zu genießen, so lange er konnte.
Er stand in der Dusche, bis das Wasser kalt wurde, dann trocknete er sich ab und ging durch das Zimmer zu der offenen Glastür, die auf eine private Terrasse führte. Hinter den feinen Vorhängen war der Mond zu sehen. Er zog sich im Mondlicht an, nahm sich ein Bier aus einem Abfalleimer, den er mit Eis gefüllt hatte, und trat in die Nachtluft hinaus.
Von seinem Aussichtspunkt aus sah er auf die festlich beleuchtete Bar hinunter, und auf den Pool, an dem sich nur wenige Leute aufhielten. Howell und Sarie saßen an einem schwach beleuchteten Tisch bei der Hecke, die das Gelände begrenzte, und genossen ihre Drinks, die mit bunten Papierschirmchen dekoriert waren. Howells trübe Stimmung schien sich ein wenig gebessert zu haben, und er lächelte, als Sarie die Hände hob, um die Hörner eines Tiers darzustellen, über das sie offenbar eine spannende Geschichte erzählte.
Smith wollte sich eigentlich gleich zu ihnen gesellen, doch dann überlegte er es sich anders. Der Lufthauch hier oben war so angenehm, das Bier eiskalt, und die fernen Lichter von Kampala funkelten in der feuchten Luft. Die Ruhe vor dem Sturm.
»Was dagegen, wenn ich mich zu euch setze?«
»Jon«, sagte Sarie. »Sie haben sich ja richtig herausgeputzt!«
»Das Gleiche wollte ich gerade zu Ihnen sagen.«
Sie trug einen weiten geblümten Rock und ein ärmelloses Top, das sich an ihren athletischen Körper schmiegte. Ihr Haar, das er bis jetzt nur zurückgebunden gesehen hatte, fiel nun auf ihre Schultern herab.
Als er sich setzte, kam der Barkeeper und stellte ihm irgendein Gebräu in einer Kokosschale hin, und dazu ein Gedeck mit einem Messer, das groß genug war, um ein Nashorn auszunehmen.
»Haben wir etwas bestellt?«
»Sarie war so frei«, erklärte Howell. »Du nimmst … War es die Zebraroulade?«
»Ja. Keine Angst. Es wird Ihnen schmecken.«
»Grad hab ich gedacht, wie lang es schon her ist, seit ich zum letzten Mal ein leckeres Stück Zebrafleisch gegessen habe«, scherzte er und blickte zu den anderen Tischen hinüber. Es war fast zehn Uhr abends, und die meisten Gäste hatten sich schon auf ihre Zimmer zurückgezogen. Einige wenige saßen noch an der Bar. Ein junges skandinavisches Paar genoss den Abend am Pool, die Füße im Wasser und ein Bier in der Hand – doch da war niemand mehr in Hörweite.
»Wie sieht der Plan für morgen früh aus?«, fragte Sarie.
»Wir schleichen uns aus der Stadt – weg von dem Neonschild, das über unseren Köpfen leuchtet.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine damit, dass unser Abstecher zu Peters altem Freund und unser Treffen mit Dr. Lwanga nicht gerade der unauffälligste Start für unsere Reise war.«
Sie beugte sich über den Tisch zu ihm. »Ich muss sagen, diese Nacht-und-Nebel-Geschichten sind irgendwie aufregend. Ich komme mir fast vor wie eine Geheimagentin.«
Howell schnaubte abfällig und hätte dabei fast seinen Drink ausgespuckt, von dem er gerade genippt hatte.
»Was ist?«, fragte Sarie.
Smith sprach weiter, bevor der Brite etwas erwidern konnte. »Wir packen ganz früh unsere Sachen und fahren zur Farm dieses Arztes, der sich in den Fünfzigerjahren mit der Sache beschäftigt hat. Vielleicht lebt seine Familie noch dort.«
Sarie nickte. »Wenn nicht, fragen wir die Ältesten in den umliegenden Dörfern, ob sie schon einmal von so etwas gehört haben, bevor dieser Mistkerl Bahame aufgetaucht ist. Wenn es wirklich eine parasitäre Infektion ist, könnte es schon seit Jahrtausenden immer wieder einmal aufgetaucht und wieder verschwunden sein.«
»Warum gehen wir die Sache nicht direkt an und suchen Bahame?«, warf Howell ein.
»Ich glaube nicht, dass das ratsam wäre«, erwiderte Sarie. »Bahame ist ein Psychopath und ein Mörder.«
»Fürs Erste gehen wir ihm aus dem Weg«, nickte Smith. »Wir wissen ja noch nicht einmal, was wirklich dahintersteckt. Alles, was wir haben, sind ein paar vage Berichte. Wenn es wirklich ein biologischer Erreger ist, brauchen wir dringend Informationen über das Krankheitsbild, und wir müssen herausfinden, wo er sich versteckt.«
»Vielleicht sollten wir uns auch in Gegenden umsehen, die erst seit Kurzem mit Menschen in Berührung gekommen sind«, schlug Sarie vor. »Kontakt mit seltenen Tieren. Solche Sachen.«
Eine Gestalt tauchte auf dem Fußweg beim Pool auf, und Jon beobachtete den Mann, während Sarie munter über den Selektionsdruck zu spekulieren begann, der zur Entstehung eines solchen Parasiten führen konnte.
Der Mann bewegte sich locker und zwanglos und hob sich trotzdem von den anderen Gästen ab. Er war etwa eins neunzig groß und sah aus wie ein alternder Gewichtheber, dessen Muskelmasse sich allmählich nach unten verlagerte. Seine helle Haut schien jahrelang von der afrikanischen Sonne malträtiert worden zu sein.
Auf seinem Weg zu einem freien Tisch kam er bei ihnen vorbei, und als er genau hinter Howell war, änderte er ganz plötzlich die Richtung. Bevor Smith reagieren konnte, ließ er sich auf den leeren Stuhl zwischen ihm und Sarie sinken.
Zuerst dachte Smith, es könnte der Hotelmanager sein, doch dann sah er das metallische Blinken einer Pistole, die unter dem Tisch verschwand.
»Peter«, sagte der Mann mit starkem holländischem Akzent. »Da kommst du in die Stadt und rufst nicht mal an. Ich dachte, ihr Briten wärt höfliche Leute.«
Howells Gesichtsausdruck war ruhig und friedlich, ganz im Gegensatz zu Saries. Es war schwer zu sagen, ob sie die Pistole gesehen hatte oder ob sie einfach Männer wie ihn von ihren Reisen kannte. Aus der Nähe wirkte er wie ein typischer Söldner – einer dieser Männer, die zuerst in Angola gekämpft hatten und später an Kriegen überall auf dem Kontinent teilnahmen.
»Du musst entschuldigen, Sebastiaan. Ich hatte angenommen, du wärst tot.«
»Das kann ich mir vorstellen. Ich hab ja auch eine Menge Blut verloren, als du abgehauen bist. Aber ich bin noch mal davongekommen.«
»Das ist mir richtig peinlich. Ich war mir ganz sicher, ich hätte eine Arterie getroffen.«
Sebastiaan lächelte höhnisch, schnappte sich Saries Drink und kippte ihn in Bruchteilen einer Sekunde hinunter. »Willst du mich nicht deinen Freunden vorstellen?«
»Sicher. Dr. van Keuren und Dr. Smith. Ich begleite sie in die Wildnis, damit sie ein paar Proben sammeln können.«
Howell überlegte, wie er reagieren sollte, doch dieser Sebastiaan war ein Profi und verhielt sich entsprechend vorsichtig. Er wusste offenbar aus Erfahrung, dass er den britischen Ex-SAS-Mann nicht unterschätzen durfte.
»Ihr habt diesen britischen Hundesohn angeheuert? Wie viel zahlt ihr ihm denn? Ihr hättet etwas Besseres haben können.«
Smith verhielt sich etwas ängstlich, wie man es von einem amerikanischen Akademiker in einer solchen Situation erwarten konnte. »Was soll das? Wir … wir wollen keinen Ärger.«
Seine schauspielerischen Fähigkeiten mussten überzeugender sein, als er gedacht hatte, denn Sebastiaan beachtete ihn nicht weiter. Ein schwerer Fehler des Söldners. Vielleicht einer mit Folgen.
»Und was ist mit dir, Schätzchen?«
Sarie antwortete auf Afrikaans und gab sich keine Mühe, ihren Abscheu zu verbergen. Es war offensichtlich nicht schmeichelhaft, was sie sagte, und Sebastiaan antwortete zornig in derselben Sprache. Er durchbohrte sie mit seinem Blick, um sie einzuschüchtern. Noch ein schwerer Fehler – in mehr als einer Hinsicht.
In einer einzigen fließenden Bewegung nahm Smith sein Steakmesser und schwang es unter das Kinn des Mannes. Sebastiaan war einen Moment lang verblüfft, doch dann breitete sich ein dünnes Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Der Professor hat Mumm.«
Smith beugte sich ein wenig vor und vergewisserte sich aus den Augenwinkeln, dass niemand hersah. »Schau genau hin, Sebastiaan. Glaubst du wirklich, dass ich ein Professor bin?«
Das Lächeln des Söldners wurde unsicher. Seinen Gegner einschätzen zu können, war eine der wichtigsten Fähigkeiten für einen Mann in seinem Geschäft, und ihm schien zu dämmern, wie sehr er sich geirrt hatte.
»Ich habe eine Pistole auf deinen Freund gerichtet«, sagte er zögernd. »Ich brauche nur abzudrücken.«
»Das wäre schlecht. Ich müsste mir einen neuen Führer suchen, und du könntest nicht für ihn einspringen, weil ich dir nämlich das Messer bis an die Schädeldecke ramme, wenn du das tust.«
Smith hörte, wie die Tür zum Hotel aufgerissen wurde, doch er wandte den Blick nicht von Sebastiaan, auch dann nicht, als eilige Schritte hinter ihm nahten.
»Weg mit dem Messer!«, befahl eine Stimme mit starkem Akzent.
»Er hat eine Pistole«, rechtfertigte sich Smith. »Er …«
»Das Messer weg! Sofort!«
»Tun Sie’s«, sagte Sarie. »Aber langsam.«
Howell nickte zustimmend, und Smith legte das Messer auf den Tisch. Im nächsten Augenblick wurde er vom Stuhl gerissen, und der Tisch war von bewaffneten Soldaten umringt.
»Ich kann Ihnen alles erklären«, sagte Smith, während seine Arme auf den Rücken gerissen und gefesselt wurden. »Wir sind …«
»Mund halten!«, blaffte jemand hinter ihm und schlug ihm so hart auf den Hinterkopf, dass er nur noch verschwommen sah, wie die Soldaten auch die anderen fesselten.
Sie wurden auf die Straße hinausgeführt und von Sebastiaan getrennt, ehe man sie in einen schwarzen SUV schob. Smith versuchte sich aufzusetzen, als sie davonbrausten, und schaffte es schließlich, durch das Fenster zu sehen.
Auf der schwach beleuchteten Straße versuchte der alte Söldner, sich vor den Schlagstöcken zu schützen, die auf ihn einprasselten. So wie die Soldaten auf ihn einprügelten, würde er die nächste Minute nicht überleben. Die Frage war, ob er nicht trotzdem noch das bessere Los gezogen hatte.