Kapitel achtundfünfzig

ENTEBBE, UGANDA

28. November, 08:28 Uhr GMT+3

 

 

»Halt an«, sagte Smith und stand von seinem Sitz auf, um über den Rauch sehen zu können, der aus dem Kühler aufstieg. Omidis Laster war zum Flughafen abgebogen, doch sie hatten ihn aus dem Blick verloren, während sie auf der verstopften Straße dahinkrochen.

»Siehst du ihn?«, fragte Howell, während er den Jeep nahe genug am Flughafen zum Stehen brachte, um den Terminal und den Parkplatz überblicken zu können. Sie blieben in sicherer Entfernung, um die Aufmerksamkeit der Sicherheitsleute nicht auf sich zu ziehen. Zwei Weiße mit blutigen Gesichtern und zerrissenen Kleidern in einem alten Armeejeep voller Blutflecken – das hätte mit Sicherheit Aufsehen erregt.

»Nein«, antwortete Smith und ließ sich zurück auf den Sitz fallen.

»Wie geht’s dann weiter, Boss?«

Er überlegte einige Augenblicke, doch was ihm einfiel, war nicht gerade brillant, sondern eher verzweifelt.

»Wir fahren zum Flughafen«, sagte er schließlich und öffnete ihre letzte Wasserflasche, um sich, so gut es ging, Schmutz, Ruß und Blut von Gesicht und Händen zu waschen.

»Glaubst du, Omidi will mit Sarie einen Linienflug nehmen?«

Smith reichte ihm die Flasche. »Nein, aber vielleicht starten hier auch Privatmaschinen. Und wenn nicht, solltest du trotzdem jemanden finden, der die privaten Flugplätze in der Gegend kennt.«

»Und was machst du, während ich Detektiv spiele?«

»Ich telefoniere.«

Howell zog die Stirn in Falten. »Wenn ich einen Vorschlag machen darf – du könntest die Kavallerie rufen.«

 

Sie schlenderten über das Flughafengelände, in T-Shirts mit der ugandischen Flagge – dem Einzigen, was der Souvenirverkäufer in ihrer Größe hatte. Smith suchte das nächste Münztelefon auf, mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen, als ihm ein extrem gut bewaffneter Sicherheitsmann entgegenkam, der ihn einen Moment lang musterte. Als er bei den Telefonen war, griff er sofort nach einem Hörer und drückte ihn ans Ohr. Kein Freizeichen. Das Gleiche beim zweiten Telefon. Und beim dritten.

»Sie funktionieren nicht.«

Eine Frau in sauber gebügelter Flughafenuniform sprach ihn mit einem leichten afrikanischen Akzent an. »Es tut mir leid. Wir hatten vor Kurzem einen Brand hier, und sie wurden noch nicht repariert. Aber heutzutage ist das auch nicht mehr so wichtig, weil jeder sein Handy hat.«

Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Ich muss dringend meine Familie anrufen. Gibt es nicht irgendein Telefon hier, das funktioniert?«

»Ich fürchte, nein.«

»Haben Sie vielleicht ein Telefon, das ich kurz benutzen dürfte? Ich zahle natürlich dafür.«

»Ja, aber man kann damit keine Ferngespräche führen. Ich glaube, Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ein Handy zu kaufen und …«

»Ja«, unterbrach er sie. »Bekomme ich hier am Flughafen eins?«

»Natürlich. Gehen Sie einfach diesen Gang bis ans Ende und dann links. Sie können es gar nicht verfehlen.«

 

Er betrat das Geschäft, doch es gab nur eine Verkäuferin und fünf Leute, die darauf warteten, bedient zu werden. Nach dem ungeduldigen Ton des Kunden am Ladentisch und dem gelangweilten Ausdruck der Frau dahinter zu schließen, konnte es Stunden dauern, bis er an der Reihe war.

»Jon?«

Er wirbelte herum und sah Howell beim Eingang stehen. Der Brite winkte ihn zu sich, und sie zogen sich ans hintere Ende des Terminals zurück, abseits der Leute, die ständig ein und aus gingen.

»Wir haben ein Problem, Kumpel.«

»Was? Gibt es noch andere Flugplätze hier?«

»Nein. Aber ich hab den großen Kerl aus der Höhle gefunden.«

»Der sich infiziert hat?«

Howell nickte.

»Wo?«

»Er ist durch die Sicherheitskontrolle gegangen. Er nimmt einen Direktflug nach Brüssel und sieht nicht gerade fit aus.«

Smith schluckte erst einmal, dann rechnete er rasch aus, wie lange der Mann schon infiziert war, und zählte die Zeit dazu, die der Flug nach Belgien dauern würde.

»Selbst wenn wir von der optimistischsten Schätzung ausgehen, die wir von De Vries gehört haben, werden die Symptome im Flugzeug voll ausbrechen«, sagte Smith. »Wenn er die Leute angreift, werden sie ihn wahrscheinlich für einen Terroristen halten. Wer weiß, wie viele er infiziert, bevor sie ihn bändigen können.«

»Die Leute gehen schon an Bord«, dränge Howell. »Wir haben nicht viel Zeit. Kannst du irgendjemanden anrufen, der das Flugzeug irgendwo sicher landen lassen kann?«

»Er soll uns nur ablenken, Peter. Omidi hat noch jemand anderen infiziert und lässt uns Dahab hier, damit er selbst in Ruhe abhauen kann.«

»Keine Frage. Aber du musst zugeben, dass das ein verdammt gutes Ablenkungsmanöver ist.«

Er hatte recht. Omidi konnte überall sein. Er wartete vielleicht irgendwo in der Nähe, bis sein Jet eintraf; genauso gut konnte er aber auch mit einem gemieteten Hubschrauber unterwegs zu einem abgelegenen Flugplatz sein oder in einem Wagen voller iranischer Sicherheitsleute zur Grenze fahren. Ihre Chancen, ihn zu finden, waren im Moment verschwindend gering.

Smith blickte zu dem Mann hinüber, der immer noch mit der Verkäuferin über sein Handy diskutierte, während ein weiterer Sicherheitsmann mit Maschinengewehr vorbeikam und ihn kurz begutachtete. Sich vorzudrängen wäre zwecklos gewesen – er würde so kein bisschen schneller zu seinem Handy kommen, dafür hätten sie die Sicherheitskräfte am Hals. Den Behörden lang und breit zu erklären, dass man den Sudanesen nicht in das Flugzeug einsteigen lassen dürfe, würde höchstens die schwerfällige afrikanische Bürokratie in Gang setzen und sie keinen Schritt weiterbringen.

»Boss?«, drängte Howell.

»Ich gehe gerade unsere Möglichkeiten durch.«

»Wenn wir schnell genug zum Gate kommen, gibt es vielleicht eine Möglichkeit, ihn zu schnappen.«

Smith schüttelte den Kopf. »Das würde sicher nicht ohne Blutvergießen über die Bühne gehen. Uns würden sie wahrscheinlich erschießen oder festnehmen, und die Gefahr, dass sich jemand bei ihm ansteckt und nach Brüssel fliegt, wäre umso höher. Sind in der Maschine noch Plätze frei?«

»Wahrscheinlich, aber ich fürchte, ich habe meinen Reisepass verlegt.«

Smith zog ihre Pässe aus der Tasche. »Sie waren noch im Handschuhfach. Eins der wenigen Dinge, die Kindersoldaten im Dschungel nicht brauchen können.«

»Dann lassen wir ihn also in ein Flugzeug nach Europa einsteigen?«

»Ich sehe darin eher eine hermetisch abgedichtete Quarantäne mit einem guten internationalen Kommunikationssystem und nur zweihundert gefährdeten Personen.«

Howell zuckte die Achseln; Smiths Argumente überzeugten ihn nicht wirklich. »Okay, es ist deine Party. Ich hoffe, du weißt, was du tust.«

»Ich auch.« Smith ging zum Schalter von Brussels Airlines.

Die Ares Entscheidung
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