Kapitel dreiundsechzig

ÜBER DEM ZENTRALIRAN

27. November, 22:34 Uhr GMT+3:30

 

 

Sarie van Keuren spürte Omidis Blick auf sich, als sie mit einem Becher Wasser im Flugzeug nach hinten ging.

»Thomas? Haben Sie Durst? Möchten Sie etwas trinken?«

Der weißhaarige Arzt war an seinem Sitz festgeschnallt, er steckte außerdem in einer Zwangsjacke und war an den Füßen gefesselt. Es war ein absurdes Bild – der schwache alte Mann, den man wie einen gefährlichen Psychopathen oder Schwerverbrecher behandelte.

Sie hatte schon einiges gesehen in ihrer Forschungsarbeit an Parasiten – und dennoch fiel es ihr schwer, zu glauben, was sie hier erlebte. Ihr Verstand sagte ihr, dass der Mensch im Tierreich keine Sonderstellung innehatte, doch tief in ihrem Inneren hatte sie sich ihren Glauben an eine Seele bewahrt. Es war erschreckend, mit ansehen zu müssen, wie sich die Seele regelrecht auflöste und dieser sanftmütige Mann zu einem Monster wurde.

»Thomas?«

Er starrte ausdruckslos auf den Sitz vor ihm, und sie schämte sich der Angst, die in ihr hochkam, als er sich ihr zuwandte. Da war nichts in seinen Augen, was darauf hindeutete, dass er sie erkannte oder auch nur als Mitmenschen betrachtete.

Wie immer, wenn sie sich niedergeschlagen oder einsam fühlte, flüchteten sich ihre Gedanken in die Wissenschaft. Wie funktionierte dieser Parasit? Welche Gehirnregionen griff er an? Wie schnell vermehrte er sich? War diese Teilnahmslosigkeit der erste Schritt auf dem Weg zu einem Wesen, das keine Skrupel mehr kannte?

»Wir sind gleich da«, sagte Omidi. »Setzen Sie sich hin.«

Sie sah ihn wütend an, doch sein Gesicht blieb starr wie eine Maske – fast wie das des armen Thomas. Manche Leute brauchten dazu gar keinen Parasiten. Sie wurden von allein zum Monster.

 

Sie waren wahrscheinlich keine hundert Meter mehr über dem Boden, als zwei schwache Lichtstreifen die gut verborgene Landebahn erhellten. Dahinter erkannte sie felsige Klippen in der Ferne, deren Umrisse sich im Mondlicht abzeichneten.

»Ihr neues Zuhause«, sagte Omidi. »Hier werden Sie an dem Parasiten arbeiten, damit er transportiert werden kann und sich seine Wirkung verstärkt.«

»Was? Warum um Himmels willen wollen Sie so etwas machen? Bahame ist ein Wahnsinniger, aber Sie nicht. Wie kann man so etwas als Waffe einsetzen wollen, wenn man genau weiß, was der Parasit mit den Betroffenen macht – mit unschuldigen Menschen?«

Der Iraner lächelte. »Der Westen handelt nach seiner eigenen Moral, Dr. van Keuren. Wenn eine amerikanische Rakete eine Schule oder einen Markt trifft, um einen einzigen Mann zu töten, dessen Ansichten ihnen nicht passen, dann wird das als Kollateralschaden abgetan – ein bedauerliches, aber unvermeidliches Nebenprodukt eines Krieges, den es gar nicht gibt. Wenn andererseits ein Flugzeug in ein amerikanisches Bürogebäude fliegt, dann ist das ein empörender terroristischer Akt. Warum, glauben Sie, ist das so?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie überhaupt sprechen.«

»Der Westen redet der Welt ein, dass man nur dann töten darf, wenn man die Waffen benutzt, die in ihren Augen ehrenhaft sind. Aber sie verhindern mit allen Mitteln, dass andere in den Besitz dieser Waffen gelangen. Sie selbst können Tausende von Atomwaffen horten und mein Land damit bedrohen, aber wir dürfen das nicht. Sie können zahllose Frauen und Kinder mit den raffinierten Bomben töten, die von Lockheed Martin und General Dynamics gebaut werden, aber wehe, wenn ein Muslim dasselbe mit einer Sprengladung tut, die er in seinem Keller gebastelt hat. Die Amerikaner machen sich die Welt, wie es ihnen passt, und ändern nach Belieben ihre Spielregeln. Aber damit ist jetzt Schluss. Ihre Zeit ist um. Die Dinge werden sich grundlegend ändern.«

Die Ares Entscheidung
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