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Scatterhearts Tränen weichten die Erde ringsum auf und die Eichel, die sie weggeworfen hatte, keimte zu einem kleinen grünen Schössling. Dieser wurde größer und größer, er verankerte seine Wurzeln in der feuchten Erde und streckte seine Zweige zum Himmel. Bald war aus der Eichel eine große, mächtige Eiche geworden. Der Baum schlang seine Äste um die Mauern des Eisschlosses und riss sie nieder, sodass nur noch ein Haufen Eistrümmer übrig blieb.

James sah schmutzig und erschöpft aus, als wäre er viele Tage und Nächte geritten. Unter seinen Augen hingen dunkle Säcke und in dem harten weißen Licht wirkte seine Blässe kränklich. Seine Augen flackerten unstet und seine Hände zitterten.

»Wie hast du uns gefunden?«, fragte Hannah.

»Ich bin immer der Straße nach, bis ich auf die Arbeiter gestoßen bin«, antwortete James. »Die haben mir dann von dem Verrückten erzählt, der sich in den Bergen versteckt hält und jede Nacht ein Lagerfeuer anzündet.« Molly kroch zum Höhleneingang.

»Ein richtiges Familienidyll«, grinste James, »das Monster, die Ausreißerin und der Mörder.«

Thomas blickte James finster an.

Der lächelte giftig. »Oder ist sie die Mörderin und er der Ausreißer? Schwer zu sagen.«

»Was willst du, James?«, fragte Hannah.

James wandte sich Thomas zu. »Ich glaube, wir haben uns noch nicht vorgestellt. Sie sind Thomas Behr, Mörder, Deserteur und Flüchtiger. Ich bin Leutnant Belforte. Hannahs Ehemann.«

Thomas warf Hannah einen Blick zu und zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Das stimmt nicht«, sagte sie. »Oder besser, ich habe ihn zwar geheiratet, es aber zu dem Zeitpunkt nicht gewusst.« Thomas drehte sich wieder zu James um.

»Ich nehme meine Frau mit nach Hause«, sagte James und zog eine Pistole.

»Das wirst du nicht tun«, widersprach Hannah.

James beachtete sie nicht, sondern schaute weiterhin zu Thomas. »Ich habe eine Waffe für Sie mitgebracht, damit es ein fairer Kampf wird.« Er holte eine zweite Pistole hervor und warf sie Thomas vor die Füße. »Ich bin überzeugt, dass Sie sie wiedererkennen.«

Thomas biss die Zähne zusammen und schaute James bekümmert an.

»Ich werde nicht mit Ihnen kämpfen«, sagte er.

James grinste höhnisch. »Was, ein Feigling sind Sie auch?« Thomas zuckte gelassen die Achseln. »Vielleicht«, erwiderte er nur.

»Heb die Pistole auf!«

»Ich werde nicht mit Ihnen kämpfen.«

»Warum nicht?«, fragte James. »Ist sie das nicht wert?«

Thomas schwieg.

»Also gut«, sagte James, »komm, Hannah. Ich nehme dich jetzt mit.«

»Ich gehe mit dir nirgendwohin «, sagte Hannah. Sie sah Thomas an. »Nicht wahr?«

Er begegnete ihrem Blick. Hannah erinnerte sich daran, wie er vor ihrer Haustür in London gestanden hatte. Instinktiv machte sie einen Schritt auf ihn zu. Aber er schaute weg und sie blieb wie angewurzelt stehen.

»Du gehst besser mit ihm.« Seine Stimme schwankte leicht. Hannah hatte das Gefühl, die Erde würde sich unter ihren Füßen auftun.

»Das ist nicht dein Ernst«, stieß sie hervor.

»Hannah, komm, wir gehen nach Hause«, drängte James. Er sah zu Molly hinüber. »Ich verspreche dir, wenn du mit mir kommst, dann kümmere ich mich auch um das Kind. Wir könnten sie adoptieren.«

»Nein!«, schrie Molly. »Wir bleiben hier bei Mr Bär!«

James ballte die Fäuste. »Du kommst jetzt sofort mit!«, brauste er auf. An seinem Hals traten die Venen hervor.

»Er will dich nicht, hast du das nicht gehört?«

»Was hast du vor, James?«, fragte Hannah. »Willst du mich auf dein Pferd binden? Willst du meine Füße fesseln und mich nach Parramatta zurückschleifen?«

James packte sie mit seiner freien Hand am Handgelenk. Hannah versuchte sich ihm zu entwinden, aber er riss sie zu sich und warf sie zu Boden. Sie versuchte aufzustehen, doch er stieß sie wieder zurück.

Warum stand Thomas nur da? Warum half er ihr nicht? »Ja«, zischte James, »wenn ich dich nach Hause schleifen muss, dann schleife ich dich nach Hause. Wenn ich dich bewusstlos schlagen muss, dann schlage ich dich bewusstlos.« Er setzte ihr seinen lehmigen Stiefel auf die Brust und richtete die Pistole auf sie. »Und wenn ich dich töten muss, dann soll es so sein.«

Gerade als Hannah James eine Antwort entgegenschleudern wollte, wurde er von einem wirbelnden Knäuel aus Zähnen, Haaren und Nägeln zur Seite gestoßen. Er schrie laut auf, fluchte und ließ die Pistole fallen. Molly klammerte sich an seinen Rücken und spuckte und kratzte und biss wie eine Wilde. Er brüllte und holte gegen sie aus. Krachend traf sein Arm ihren Kopf.

Molly fiel zu Boden, krabbelte aber gleich wieder wie besessen auf ihn zu. Wutentbrannt schlug er sie nieder, kniete sich über sie und packte sie an der Gurgel. Mollys Stirn blutete und ihre Lippen verfärbten sich blaurot. Ihr Auge war merkwürdig verdreht.

Hannah rappelte sich auf und warf sich mit ihrem vollen Gewicht auf James. Sie sah kurz zu dem Felsabhang hinüber und dachte an Dr. Ullathorne. Wenn sie ihn bis dort hinüberbringen könnte …

James holte aus und beförderte Hannah wieder auf den Boden.

»Halt.« Es war Thomas. Er stand am Eingang der Höhle, die zweite Pistole im Anschlag.

»Lass sie in Ruhe«, sagte er.

James’ Blick suchte flackernd nach seiner eigenen Waffe. Sie lag einige Schritte von ihm entfernt im Gras. Dann schaute er wieder Thomas an und grinste höhnisch. »Das wagst du nicht«, sagte er.

Thomas erwiderte nichts, senkte aber auch nicht die Pistole.

»Du Feigling. Du wagst es nicht, mich zu töten.«

Thomas gab einen leisen, trockenen Laut von sich, der fast wie ein Lachen klang. »Was habe ich zu verlieren?«

James drehte sich zu Hannah um. »Du Schlampe, hurst mit diesem Mörder herum. Wie beschränkt bist du eigentlich, dass du nicht merkst, was ich dir biete?«, fuhr er sie an.

Hannah ging zu Molly und half ihr auf. Dort, wo James sie gepackt hatte, bildeten sich dunkle Abdrücke an Mollys Hals. Hannah musste unweigerlich an Long Meg denken.

»Geh nach Hause, James«, sagte sie.

Er begegnete ihrem Blick und schien klein beizugeben. Mit hängenden Schultern ging er auf sein Pferd zu. Thomas ließ die Pistole sinken und wandte sich Molly zu, die jetzt weinte.

Im selben Moment stieß James einen wilden, animalischen Schrei aus, machte einen Satz nach vorn und packte seine Pistole.

»Du verdorbene kleine Nutte«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und legte die Waffe auf Hannah an. »Du willst eine Dame von Stand sein? Du bist doch nichts weiter als eine dreckige, widerliche Hure, du …«

Aus der Pistole, die Thomas in der Hand hielt, kam ein scharfer Knall. James röchelte. Er starrte Hannah mit offenem Mund an.

»Wie kannst du es wagen«, stammelte er und fiel zu Boden. Er war tot.