39

»Seit wann geht das so?«

Mein Vater lehnte an der Spüle und hielt mit beiden Händen einen Kaffeebecher.

»Seit ein paar Tagen«, antwortete er mürrisch.

»Seit wie vielen Tagen?«

Er zuckte mit den Achseln.

Die Pyjamahose klebte feucht und kalt an meinen Beinen, die Haare hingen mir ins erhitzte Gesicht, und in mir wütete ein Sturm. Windstärke 11. Ich stand kurz davor zu explodieren.

»Hör mir zu, Julie.«

Mein Vater machte einen Schritt auf mich zu, als könnte das den Aufruhr in mir zum Schweigen bringen.

»Er wollte nicht, dass du es weißt. Er muss schon länger irgendwo da draußen unterwegs gewesen sein, so wie er aussah, als er hier auftauchte. Er würde diese Schweine kriegen, sagte er und bat mich, ihm jeden Morgen um sechs heißen Tee und etwas zu essen in den Schuppen zu stellen. Er war heute zu spät dran, sonst hättest du ihn nicht gesehen.«

»Seit wann geht das so?«, wiederholte ich wütend.

Leo war hier und frühstückte morgens direkt unter meiner Nase, während alle Welt ihn suchte? War er verrückt geworden? Oder so verzweifelt? Und warum hatte mein Vater mir nichts davon erzählt?

»Seit Mittwoch.«

»Mittwoch? Da haben wir Eddie begraben.«

Er nickte.

»Woher wusste er es, verdammt noch mal?«

»Nicht von mir«, erwiderte mein Vater.

»Lüg mich nicht schon wieder an. Ich habe die Nase so voll davon.«

»Ich lüge nicht«, sagte er.

»Wo hält er sich tagsüber auf?«, fragte ich.

Mein Vater schüttelte den Kopf.

Während mein Herz im Wutmodus gegen die Rippen trommelte, hörte ich die Jungs schnatternd und lachend die Treppe herunterhüpfen. Ich riss mich zusammen und ging ihnen lächelnd entgegen.

Am Frühstückstisch schob Chris seine Hand tief in die frisch aufgerissene Packung Choco Poppies, Max steckte seine in die Crunchy-Nuts-Packung. Die beiden suchten nach den Weihnachtsfiguren, die die Werbung versprochen hatte. Ich schnitt eine Banane in Scheiben und legte jedem die Hälfte auf den Teller.

Der Anblick der beiden Kinder ließ mich innehalten. Es war alles so normal, als bestünde das Leben aus nichts anderem als glücklichen Kindergesichtern beim Frühstück und Händen, die in Cornflakes nach Werbegeschenken wühlten.

»Es gibt nicht in jeder Packung ein Geschenk«, sagte ich.

»Weiß ich«, sagte Max und grub noch etwas intensiver in der Packung.

»Nicht?«, fragte Chris. Dann zog er seine Hand mit einem triumphierenden Lächeln aus der Packung hervor und hielt eine kleine grüne Papiertüte in die Höhe. Er riss sie mit den Zähnen auf und zog einen zierlichen weißen Blechschneemann mit schwarzen Knopfaugen und einem roten Nasenknopf hervor, der so groß war wie mein Daumen und den Chris an einer Schraube auf dem Rücken aufzog. »Jingle Bells« tönte es blechern durch die Küche.