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»Sir Alain, Erbe der Baronetswürde von Kennick.«
Und dort kam ich auf den Turnierplatz geritten, um meinen Platz einzunehmen, begrüßt von einem halbherzigen Applaus.
»Sir Arkle, dritter Sohn von Lord Merk.« Die Stimme des Ansagers erklang erneut.
Sir Arkle folgte mir auf den Platz, den Streitkolben eines Reiters in der Hand. Die meisten Teilnehmer des großen Arenakampfs verfügten über den einen oder anderen Dosenöffner. Axt, Streitkolben, Flegel – Werkzeuge, um eine Rüstung zu öffnen und die Knochen darin zu brechen. Wenn man gegen jemanden kämpft, der Metallplatten trägt, muss man ihn niederknüppeln, bis er so erledigt ist, dass man ihm den Gnadenstoß mit einem Messer geben kann, durch die Lücke zwischen Ringkragen und Brustharnisch, oder durch einen Augenschlitz.
Ich hatte mein Schwert. Beziehungsweise Alains. Wenn er eine besser für den Arenakampf geeignete Waffe besessen hatte, war sie zusammen mit den Soldaten seiner Eskorte verschwunden.
»Sir James von Hay.«
Ein großer Mann in verbeulter Rüstung, mit einer besonderen Streitaxt: auf der einen Seite die Schneide, auf der anderen eine Zacke, die Rüstungsmetall durchdringen konnte.
»William von Brond.« Groß, mit einem scharlachroten Eber auf dem Schild, in der Hand ein Streitflegel mit Spitzen. Und es kamen immer mehr. Ein Bäckersdutzend. Schließlich hatten wir alle auf dem Platz Aufstellung bezogen. Dreizehn Kämpfer. Ritter aus allen Teilen des Gefallenen Reichs, für den Kampf gerüstet. Stille herrschte, abgesehen vom leisen Wiehern der Pferde.
Am Ende des Platzes, im Schatten der Burgmauern, gab es fünf Sitzreihen und in der Mitte von ihnen einen hochlehnigen Stuhl, mit dem Purpur des Reiches gepolstert. Graf Renar erhob sich. Neben und unter ihm auf der gewöhnlichen Sitzbank saß Corion, eine unscheinbare Gestalt, die den Blick anzog wie ein Magnet Eisen.
Aus einer Entfernung von zweihundert Metern sah ich nichts von Renars Gesicht, abgesehen von glitzernden Augen unter einem goldenen Reif und einem Schopf aus dunklem Haar.
»Kämpft!« Renar hob den Arm und ließ ihn sinken.
Ein Ritter trieb sein Pferd an und kam direkt auf mich zu. Seinen Namen wusste ich nicht – ich hatte nur auf die Vorstellungen nach meiner geachtet.
Überall um uns herum begannen Duelle. William von Brond schwang seinen Flegel und schlug damit einen Mann aus dem Sattel.
Mein Angreifer hielt einen Streitkolben hoch erhoben, das Silber seines Panzerhandschuhs so blankgeputzt, dass sein Glanz blendete. Er stieß einen Kriegsschrei aus, als er herankam und mit dem Kolben ausholte.
Ich richtete mich in den Steigbügeln auf und beugte mich ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Alains Schwert fand seinen Weg durchs Gitter im Helm.
»Gebt Ihr auf?«
Er sagte nichts, also ließ ich ihn vom Pferd fallen.
Ein anderer Ritter näherte sich und lenkte sein Pferd geschickt an Sir Williams Raserei vorbei. Er sah mich nicht einmal an.
Im Bereich der Nieren weist der Brustharnisch eine Lücke auf. Bei einer ordentlichen Rüstung schützt das Kettenhemd darunter alle Stellen, die zwischen Brustharnisch und Sattel offen bleiben, und das war hier der Fall. Aber Erbauer-Stahl mit ein bisschen Kraft dahinter schneidet durch ein Kettenhemd. Mit vager Überraschung im Gesicht ging der Mann zu Boden, und ich wandte mich William zu.
»Alain!« Er klang, als seien alle Feste des Jahres plötzlich auf einen Tag gefallen.
»Ich weiß, ich hasse ihn ebenfalls.« Ich klappte das Visier hoch.
Einen Streitflegel muss man in Bewegung halten. Ein wichtiger Punkt, den Sir William vergaß, als er in ein ihm fremdes Gesicht starrte. Ich nutzte die Gelegenheit und trieb Alains Pferd an. Eins muss man dem Tier lassen: Es war schnell genug, mir zu erlauben, meine vier Fuß lange rasiermesserscharfe Klinge ins Ziel zu bringen.
Turniere laufen normalerweise nicht auf ein Gemetzel hinaus. Es gibt kaum einen großen Arenakampf, bei dem niemand stirbt, aber normalerweise geschieht das später, unter dem Messer des Arztes. Der Gegner wird zu Fall gebracht oder im Sattel halb bewusstlos geschlagen. Ein paar Knochenbrüche und jede Menge blaue Flecken, das sind für gewöhnlich die Trostpreise für all jene, die am Kampf teilnehmen und verlieren. Wenn ein Ritter zu blutdürstig wird, kommt es kurze Zeit später zu einer unangenehmen Begegnung mit Freunden und Familienangehörigen des Besiegten.
Ich sah die Dinge natürlich aus einem anderen Blickwinkel. Je weniger Bewaffnete das Turnier bei Gesundheit überstanden, umso besser. Außerdem eignet sich ein Breitschwert kaum dazu, jemanden zur Aufgabe zu bewegen. Es ist eher dazu geschaffen, schnell zu töten.
Sir Arkle griff an. Über fast die ganze Länge des Felds galoppierte er, einen zu Boden geschickten Ritter hinter sich zurücklassend. Als er näher kam, schwang er seinen Streitkolben, nicht ganz im Rhythmus mit den Bewegungen seines Pferds – es sah beunruhigend geschickt aus.
Wer beim Anblick eines großen Streitrosses, das direkt auf ihn zuhält, nicht umdrehen und fliehen möchte, ist bereits eine Leiche. Man kann ein solches Pferd nicht einfach aufhalten. Tausend Pfund Muskeln und Knochen, die einem schwitzend und schnaufend entgegenjagen.
Ich rollte aus dem Sattel, als Sir Arkle mich erreichte. Ich duckte mich nicht einfach nur. Darauf war er vorbereitet. Ich fiel, und es tat weh. Aber es tat nicht so sehr weh, dass es mich daran gehindert hätte, Alains Schwert in das Durcheinander aus Beinen zu stoßen, als Arkle an mir vorbeipreschte.
Das ist eine weitere Sache, die bei einem Turnier nicht gemacht wird. Man greift den Mann an, nicht das Pferd. Ein gut abgerichtetes Streitross ist verdammt teuer, und wenn man eins erledigt, kann man sicher sein, dass der Eigentümer nachher Ersatz fordert.
Voller Pferdeblut richtete ich mich auf und fluchte.
Sir Arkle lag unter seinem Ross, tödlich still und reglos, ganz im Gegenteil zu seinem kreischenden, tretenden Pferd.
Viele Tiere nehmen selbst schlimme Verletzungen stumm hin, aber wenn sie entscheiden, darüber zu klagen, geht’s richtig rund. Wenn ihr die Schreie von Kaninchen gehört habt, wenn sie geschlachtet werden, dann wisst ihr, was für einen Lärm selbst kleine Geschöpfe machen können. Zwei Hiebe waren nötig, um Arkles Pferd zum Schweigen zu bringen, und noch einmal zwei als Zugabe, um den Kopf abzuschlagen.
Als ich fertig war, stand ich als Archetyp des Roten Ritters da, die Rüstung voller Blut. Ich hatte jetzt Kriegsgestank in der Nase, Blut und Scheiße, und den Geschmack davon auf den Lippen, Salz mit Schweiß.
Es gab nicht mehr viele von uns auf dem Turnierplatz. Sir James stand auf der anderen Seite inmitten einiger gefallener Ritter und kämpfte gegen jemanden, der eine mit Feuerbronze veredelte Rüstung trug. Etwas näher schickte ein Ritter ohne Pferd mit seinem Kriegshammer einen Gegner zu Boden. Und das war es auch schon.
Der Mann mit dem Hammer wankte auf mich zu. Die Eisenteile an seinen Knien waren verbogen und schabten übereinander.
»Gebt auf.« Ich rührte mich nicht von der Stelle, hob nicht einmal das Schwert.
Ein Moment der Stille. Zu hören war nur das ferne Klirren von Waffen, als Sir James von Hay seinen Kontrahenten überwältigte. Dann nur noch das leise Pochen, mit dem Blut von meiner Rüstung auf den Boden tropfte.
Der Hammer-Mann ließ seinen Hammer fallen. »Ihr seid nicht Alain Kennick.« Er drehte sich um und hinkte zu dem weißen Zelt, wo die Heiler warteten.
Ein Teil von mir wollte den Kampf. Ein großer Teil von mir fragte sich, ob ein Hammerschlag zwischen die Augen nicht besser war als eine neuerliche Begegnung mit Corion. Es schien unmöglich zu sein, dass er noch nichts von meiner Präsenz wusste, dass jene Augen nicht sofort gesehen hatten, wer in Alains Rüstung steckte. Ich blickte zur Tribüne, die jetzt näher war. Er beobachtete mich, sie alle beobachteten mich, aber dies war der Mann, der mir die Möglichkeit gegeben hatte, Bruder Price zu töten, der Mann, dessen Flüstern aus dem Hakendorn gekommen war, der mich die ganze Zeit wie an unsichtbaren Marionettenfäden geführt hatte. War ich deshalb hier? Weil er es so wollte? Hatten mich die Fäden in seiner Hand hierher gebracht?
Sir James von Hay setzte meinen Überlegungen ein Ende. Er stieg ab, vielleicht deshalb, weil er meinen mangelnden Respekt Pferdefleisch gegenüber gesehen hatte, und kam entschlossenen Schrittes näher. Der Sonnenschein schaffte nur hier und dort ein kurzes Glänzen auf dem verschrammten Metall seiner Rüstung. Seine schwere Axt hatte an diesem Tag gute Arbeit geleistet. Ich bemerkte Blut an der großen Zacke.
»Du siehst furchteinflößend aus«, sagte ich.
Er stapfte weiter auf mich zu, an Arkles Pferd vorbei.
»Redest nicht viel, wie?«, fragte ich.
»Gib auf, Junge«, brummte er. »Ich gebe dir diese eine Chance.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt die Wahl haben, geschweige denn eine Chance, James. Ich kann dir da ein Buch empfehlen, das …«
Er griff an und schwang die Axt so schnell, dass sie zu einem Schemen wurde. Es gelang mir, den Hieb zu parieren, aber mein Schwert flog fort und ließ meine rechte Hand taub bis zum Handgelenk zurück. Sir James holte erneut aus, mit ungeheurer Kraft, und hätte beinahe meinen Kopf getroffen. Ich schwankte zur Seite, entging der Axt dadurch um nicht mehr als einen halben Zoll und taumelte zurück.
Der Ritter vor mir machte sich bereit, und plötzlich wusste ich, wie sich die Kuh beim Schlachter fühlt. Ich mag schuldig sein der schönen Worte über Furcht und Messerschneiden, doch mit leeren Händen vor einem tüchtigen Schlachter wie Sir James bekam ich es richtig mit der Angst zu tun. Ich wollte nicht, dass es hier endete, dass alles vor einem jubelnden Publikum zerbrach. Ich wollte nicht vor Fremden sterben, die nicht einmal meinen Namen kannten.
»Warte!«
Aber natürlich wartete er nicht. Er kam schnell näher, die Axt erhoben. Wenn ich beim Zurückweichen nicht gestolpert wäre, hätte er mich entzweigeschnitten, oder zumindest so getroffen, dass der Unterschied keine Rolle gespielt hätte. Flach auf den Rücken fiel ich, plötzlich atemlos, und sein eigenes Bewegungsmoment trug Sir James zwei Schritte an mir vorbei. Meine rechte Hand tastete nach Halt und fand den Schaft des Kriegshammers. Das Glück hatte mich nicht verlassen.
Ich schwang den Hammer und traf Sir James’ Kniekehle. Es knirschte befriedigend, und er ging zu Boden, wobei er unterwegs seine Stimme entdeckte. Leider hatte der Grobian nicht den Anstand, seine Niederlage einzugestehen oder auch nur zu erkennen. Er drehte sich auf das unverletzte Knie und hob die Axt über meinen Kopf. Ich sah sie schwarz vor dem blauen Himmel. Wenigstens blendete die Sonne nicht mehr. Ein Visier verbarg sein Gesicht, aber ich hörte den rasselnden Atem dahinter und sah Speichelschaum an den Löchern.
»Zeit zu sterben.«
Er hatte Recht. Aus nächster Nähe kann man mit einem Kriegshammer nicht viel anstellen. Erst recht nicht, wenn man mit ausgestreckten Gliedern auf dem Boden lag.
WruOmm!
Sir James’ Kopf verschwand aus meinem Blickfeld, und plötzlich gab es nur noch blauen Himmel.
»Meine Güte, wie kann man diese Armbrust nicht lieben!«, sagte ich.
Ich setzte mich auf. Sir James lag neben mir, mit einem Loch im Visier und einer größer werdenden Blutlache unter dem Kopf.
Ich konnte nicht erkennen, von wem der Schuss stammte. Wahrscheinlich von Makin, der die Armbrust von einem der Brüder bekommen hatte. Er musste von dort geschossen haben, wo die gewöhnlichen Leute standen. Renar hatte an den Stellen Soldaten postiert, von denen aus man auf die Tribüne mit dem Adel schießen konnte, aber es war kaum ein Problem, die Ritter auf dem Turnierplatz aufs Korn zu nehmen.
Ich ergriff mein Schwert, bevor die Menge noch richtig begriffen hatte, was geschehen war. Bei den Gewöhnlichen kam es zu Unruhe, und ich bemerkte dort eine große Gestalt. Vielleicht hatte Rike damit begonnen, Schädel einzuschlagen.
Ich hob auch Sir James’ Axt auf und fing Alains Pferd ein. Als ich wieder im Sattel saß, nahm ich die Axt in die eine Hand und das Schwert in die andere. Bürger strömten auf den Platz und schienen den Aufstand proben zu wollen. Ich wusste nicht, wem oder was ihr Zorn galt, vermutete aber, dass Sir Alain von Kennick etwas damit zu tun hatte.
Soldaten bezogen vor der Tribüne Aufstellung. Vom Sanitärzelt näherten sich mir sechs Bewaffnete in Burglivree.
Ich hob Axt und Schwert auf Schulterhöhe. Die Axt war schwer wie ein Amboss; es erforderte einen Mann wie Rike, sie so mühelos zu schwingen wie Sir James.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass die Soldaten am Burgtor ihren Posten verließen, um den anderen dabei zu helfen, für Ruhe zu sorgen und den Grafen zu schützen.
Corion erhob sich und erinnerte mich auf seltsame Weise an eine Vogelscheuche. Er stand in unmittelbarer Nähe des Grafen. Renar blieb reglos sitzen, die Hände im Schoß, die Fingerspitzen aneinander.
Wusste Corion, wer ich war? Wie konnte er es nicht wissen? Als ich seinen Bann gebrochen hatte, als ich nach dem liebevollen Dolchstoß meines Vaters aus dunklen Träumen erwacht war und mich daran erinnerte, wer meine Schritte von Rache fort gelenkt und mich zu einer Figur in seinem Spiel gemacht hatte … Er musste es gemerkt haben.
Ich würde gleich herausfinden, ob er Bescheid wusste.
Ich trieb Alains Pferd zu einem leichten Galopp an und hielt direkt auf Renar zu, Axt und Schwert in den ausgestreckten Händen. Ich hoffte, dass ich schlimm aussah, wie die Hölle auf Erden, wie der Tod, der für den Grafen ritt. Ich schmeckte Blut und wollte mehr.
Ein großes, schweres Streitross, das auf einen zukommt, hat tatsächlich etwas Beeindruckendes. Die Tribüne begann sich zu leeren; Adlige kletterten übereinander, um zu entkommen. Ein freier Bereich entstand um Renars hochlehnigen Stuhl, eine offene Stelle nur mit Renar, Corion und zwei Leibwächtern.
Unruhe erfasste die Soldaten vor der Tribüne, aber sie blieben stehen.
Bis ich noch schneller ritt.