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Als der Froschmann zum einunddreißigstenmal an die Wasseroberfläche kam, hatte er das Auto gefunden.

»Aha«, sagte Mänsson.

Er rollte den Zahnstocher zwischen den Lippen hin und her, während er darüber nachdachte, was nun zu tun sei.

Bis zu diesem Augenblick, dreiundzwanzig Minuten nach zwei, am Nachmittag des 8. April, war er so gut wie sicher gewesen, daß das Auto nur in der Phantasie der beiden Jungen existierte.

Jetzt hatte sich die Lage grundlegend geändert.

»Wie steht der denn?« fragte er.

»Es ist verdammt schwer, da unten überhaupt was zu sehen«, antwortete der Froschmann. »Aber soweit ich es beurteilen kann, steht er mit der Rückseite zum Kai, ungefähr fünfzehn Meter von der Kante weg. Ein bißchen schräg, als ob er an der Mole langgefahren ist und dann die Kurve nicht gekriegt hat.« Mänsson nickte.

»Hier stehen ja keine Verkehrsschilder«, fügte der Froschmann hinzu. Er gehörte nicht zur Polizei und war außerdem jung und unerfahren. Mänsson dagegen war in den letzten zwanzig Jahren mindestens zehnmal dabeigewesen, wenn sie ein Auto aus dem Wasser gefischt hatten. Jedesmal waren sie leer und als gestohlen gemeldet gewesen. Niemand war deswegen angeklagt worden, obwohl es mehr als wahrscheinlich war, daß die Besitzer selbst sich auf diese Weise ihrer Fahrzeuge entledigt hatten, teils um sie loszuwerden und teils um die Versicherungssumme zu kassieren.

»Hast du noch mehr gesehen?«

»Nee, man sieht kaum was, wie gesagt, das ist 'n ziemlich kleiner Wagen und außerdem voller Schlamm und so.« Der Froschmann machte eine Pause. »Der hat da sicher schon lange gestanden«, fügte er hinzu.

»Dann müssen wir ihn wohl rausholen. Lohnt es sich, wenn du noch mal runtergehst, ehe wir soweit sind, daß wir ihn rausheben können?«

»Kaum. Nicht viel zu machen, ehe wir die Haken anbringen können.«

»Dann sieh mal zu, daß du was Warmes zu essen findest.«

Das schöne Wetter schien buchstäblich wie weggefegt. Der Himmel war grau und regenschwer mit niedriger Wolkendecke und einem kalten, böigen Wind, der aus nordwestlicher Richtung blies. Das Hafengebiet war zu normalem Leben erwacht, vor der Mole rasselten und quietschten Eimer und Saugbagger, ein kleiner Schlepper lief durch die Hafeneinfahrt, eine Diesellok schob ein paar Güterwagen vor sich her, voraus ging ein Weichensteller mit roter Flagge, und drei kleinere Frachter, die am Morgen eingelaufen waren, wurden entladen. Irgendein bezahlter Spitzel bei der Polizei oder der Feuerwehr hatte der Presse einen Tip gegeben, und etwa zehn Journalisten und Fotografen standen schon seit Stunden frierend am Kai oder rekelten sich in ihren Autos. Die Reporter und der Froschmann hatten ihrerseits einige der üblichen Neugierigen angelockt, die mit hochgeschlagenen Mantelkragen herumstanden, von einem Fuß auf den anderen traten und die Hände tief in die Taschen vergraben hatten.

Mänsson hatte keine Absperrungen angeordnet und auch sonst die Bewegungsfreiheit der wenigen Menschen nicht einzuengen versucht. Ab und zu kam einer der Reporter zu ihm und fragte: »Na?«

Oder irgend so etwas. So auch jetzt wieder. Ein Mann stieg aus einem der Wagen und fragte: »Na?«

»Ja«, sagte Mänsson langsam. »Da unten steht ein Auto. Wir holen's in 'ner halben Stunde oder so raus.«

Er blickte den Reporter an, den er seit langen Jahren kannte, blinzelte und fuhr fort: »Du kannst es ja den anderen auch gleich sagen, denn man kann wohl nicht verhindern, daß die Presse davon Wind bekommt?«

»Das ist doch wohl leer, oder?«

»Na ja«, antwortete Mänsson und nahm einen neuen Zahnstocher. »Wir nehmen's jedenfalls an.«

»Versicherungsbetrug wie üblich?«

»Wir müssen ihn erst mal oben haben und untersuchen. Und in der nächsten halben Stunde passiert nichts, soviel steht fest. Ihr könnt noch Kaffeetrinken fahren.«

»Mach's gut«, sagte der Reporter.

»Wiedersehen«, grüßte Mänsson und ging zu seinem Wagen.

Er schob den Filzhut zurück und begann am Funkgerät zu drehen. Während er seine Anweisungen gab, bemerkte er, daß ein Teil der Journalisten seinem Rat folgte und wegfuhr.

Elofsson und Borglund waren auch in der Nähe. Sie saßen fünfundzwanzig Meter weiter weg in ihrem Volkswagen und sehnten sich nach einer Kaffeepause. Nach einigen Minuten kam Elofsson mit den Händen auf dem Rücken zu Mänsson und fragte: »Was sollen wir den Leuten sagen, wenn sie wissen wollen, was wir hier vorhaben?«

»Sagt ihnen, daß wir ein altes Auto aus dem Wasser ziehen. In einer halben Stunde. Ihr könnt übrigens bis dahin auch Kaffee trinken fahren.«

»Danke.«

Das kleine Polizeiauto verschwand mit Rekordgeschwindigkeit. Die beiden Beamten auf den Vordersitzen sahen ernst und entschlossen aus, als ob sie einen wichtigen und eiligen dienstlichen Auftrag zu erledigen hätten. Sobald sie außer Hörweite waren, würden sie wahrscheinlich Martinshorn und Blaulicht einschalten, dachte Mänsson und lächelte.

Es dauerte dann doch beinahe eine Stunde, ehe alles vorbereitet war. Sowohl Elofsson und Borglund als auch die Reporter waren zurück, und ein Teil der Seeleute, der Schauerleute und der Arbeiter aus den Firmen im Hafengebiet hatte sich zu den Schaulustigen gestellt. Insgesamt waren an die hundertfünfzig Zuschauer da.

»So«, sagte Mänsson. »Dann wollen wir mal anfangen.«

Alles ging schnell und ohne Schwierigkeiten. Es knirschte, als die Stahlseile sich streckten, dann wirbelte das schwarze Wasser auf, und ein lackiertes Blechdach kam an die Oberfläche.

»Achtet auf die Last«, rief Mänsson.

Und dann war das ganze Auto zu sehen, von dem Schlamm und schmutziges Wasser heruntertroff. Es hing etwas schräg an den Haken, und Mänsson sah es abschätzend an, während die Fotografen eifrig ihre Kameras betätigten. Der Wagen war klein und alt und eigentlich nichts mehr wert. Ein Ford Anglia oder Populär, jedenfalls ein Typ, den man jetzt nur noch selten auf den Straßen sah, der aber vor Jahren in großer Zahl produziert wurde.

Das Fahrzeug schien blau zu sein, soweit man es unter der graugrünen Schlammschicht feststellen konnte. Die Seitenfenster waren zerbrochen oder heruntergedreht, und das ganze Auto war voller Schlamm und Abfall.

»Na, dann setz ihn mal ab«, wies Mänsson den Kranführer an. Die Zuschauer drängten sich heran.

»Könnt ihr nicht mal 'n bißchen zur Seite gehen? Wir brauchen Platz für das Ungetüm«, bat Mänsson ruhig.

Die Leute traten sofort zurück und Mänsson ebenfalls. Das kleine Auto landete auf dem Kai mit einem dumpfen Rasseln, das hauptsächlich von den Kotflügeln und der vorderen Stoßstange kam, die an einer Seite losgerissen war.

Das Fahrzeug sah wirklich bemitleidenswert aus. Man konnte sich kaum vorstellen, daß es einmal neu und blinkend aus der Fabrik in Dagenham gerollt war und sein erster Besitzer sich voller Stolz ans Lenkrad gesetzt hatte. Elofsson war der erste, der sich dem Wagen näherte und hineinsah. Diejenigen, die ihn von hinten sahen, bemerkten, daß er zusammenzuckte und sich dann hastig aufrichtete.

Mänsson ging langsam hinter ihm her, beugte sich nieder und blickte durch die Fensteröffnung in der rechten Vordertür.

Zwischen den hochkantgestellten Sitzen mit rostigen Federn und faulenden Holzstücken saß eine schlammbedeckte Wasserleiche. Eine der gräßlichsten, die er je gesehen hatte. Mit leeren Augenhöhlen und abgerissenem Unterkiefer. Er reckte sich hoch und drehte sich um.

Elofsson hatte mechanisch damit begonnen, die Zuschauer, die am nächsten standen, zurückzudrängen.

»Ihr dürft die Leute nicht schubsen«, sagte Mänsson.

Dann blickte er denen, die ihm am nächsten standen, in die Augen, einem nach dem anderen, und sagte laut, aber ohne Hast: »Im Auto liegt ein toter Mensch. Und der sieht verdammt unappetitlich aus.«

Da drängte sich keiner mehr vor, um hineinzusehen.