Wut, Schweiß und Tränen
Erst mal Muttern fragen. Die erinnert sich wahrscheinlich gar nicht mehr an ihre Wechseljahre. („Ich habe was Schweres gehoben und da hörte es plötzlich auf“, sagte meine Mutter. Und behauptete bezeichnenderweise steif und fest, sie sei Anfang fünfzig gewesen. Bei kühlem Nachrechnen bin ich allerdings dahinter gekommen, dass sie gerade mal vierundvierzig gewesen war, als ihre Periode ausblieb. Und ich war damals mitten in der Pubertät.) Verdammt, auch keine Hilfe.
Also ab in den Buchladen. Wahrscheinlich hast du dort die tollen Ratgeber gefunden, in denen man dir zeigt, wie du mit Diät und Lockerungsübungen bis ins hohe Alter fit bleibst, inklusive Tipps zum Thema Sex im Alter. Die hast du, wenn überhaupt, heimlich im Park gelesen und sie entsetzt weggeschmissen. Da stand was von Blasenschwäche und Scheidentrockenheit. Lieber Gott, wie eklig! Nein, also dann doch lieber Hormone, hast du gedacht. Und bist wieder zum Gynäkologen gegangen. Der hat dir ein paar bunte Pillen verschrieben und dich damit in die Wüste geschickt.
In den nächsten Wochen erging es dir auch nicht besser, trotz der Hormontabletten. Du hast ausgesehen wie ein Pfannkuchen und den Hosenbund nicht mehr zubekommen. Deine Beine waren angeschwollen, abends ging kein Ring mehr ab. Also hast du es zur Abwechslung mit Entwässerungstabletten versucht, die dir dein Frauenarzt gegen die Wasseransammlungen verschrieben hat. Als die auch nicht wirkten, hast du die Hormontabletten höchstwahrscheinlich in den Müll geschmissen. Die Schweißausbrüche waren ja verschwunden. Zwei Monate lang hast du alles verdrängt und auf eine kurzfristige Hormonstörung gehofft. Bis es dich eines Nachts wieder erwischte.
Irgendwann hast du angefangen, deine Freundinnen zu beobachten. Ob die auch? Die Elke ist seit einiger Zeit fürchterlich zickig und schnorrt alle zwei Wochen bei dir Tampons. Und Regina ist eine Frischluftfanatikerin geworden. Als du Elke und Regina (natürlich getrennt und diskret unter vier Augen) mal vorsichtig darauf angesprochen hast, hast du nur entrüstete Ablehnung gehört. „Ich in den Wechseljahren, spinnst du?“ Von Elkes drei Lovern kennst du sogar die Farbe der Unterhosen und Reginas Kleptomanie ist immer für einen Witz gut. Seit Jahrzehnten teilt ihr eure intimsten Geheimnisse. Du hast mit den beiden vier Ehen, fünf Kinder, einen Konkurs und drei Jahre Arbeitslosigkeit überstanden. Aber die Wechseljahre wirst du voraussichtlich alleine durchstehen müssen. Denn Elke und Regina kriegen so was nicht.
Also hast du dich reif für die Biotonne gefühlt. Und da du eine Frau und schon deshalb masochistisch veranlagt bist, hast du angefangen, junge Frauen zu beobachten. Du hast ihre Haut mit deiner verglichen, ihre Wirkung auf das männliche Geschlecht mit deiner, ihre Taille mit deinem Rettungsring. Prompt hast du Depressionen bekommen.
Und weil nach Murphys Gesetz der Teufel sich immer den größten Haufen aussucht, sind auch noch deine Eltern krank geworden, sind deine Kinder in eine WG oder zu ihren Liebhabern gezogen, hast du in deinem Job oder mit deinem Mann Schwierigkeiten.
Deine Komplexe sind also ins Unendliche gestiegen und deine Kraft, so zu tun, als ob alles normal sei, ist ins Endliche gesunken. Kurzum: Das Leben macht dir jetzt überhaupt keinen Spaß mehr.
Du hast Angst, dass die Leute anfangen, über dich zu reden. Natürlich reden sie über dich, warum redest du nicht über deine Wechseljahre? Eines muss dir doch klar sein: Als Kind hat man dir pubertäres Verhalten nachgesagt, wenn du dich über irgendetwas beschwert hast. Als du ein junges Mädchen warst, hat man gedacht: ‚Die hat wohl ihre Tage.‘ Als junge Frau fand man, was dir fehlt, sei einfach ein Mann, der es dir „richtig besorgt“. Und jetzt? Jetzt glauben alle, dass du völlig durchgeknallt bist, bloß weil du in den Wechseljahren sein könntest. Tröste dich. Selbst wenn du nicht in den Wechseljahren wärst, würde man sie dir in deinem Alter unterstellen. Und es wird noch schlimmer kommen. Kaum wirst du die Wechseljahre hinter dir haben und dich fühlen wie eine junge Göttin (das verspreche ich dir!), wird bereits die kleinste Schusseligkeit von dir zum ersten Anzeichen von Altersdemenz erklärt.
Du bist nun mal eine Frau. Alles, was Frau tut, so denkt die männliche Bevölkerungshälfte, sei hormonell bedingt. Dass die meisten Herren der Schöpfung komplett vom unteren Teil ihres Körpers gesteuert sind, vergessen sie dabei völlig.