Unterbezahlt und unglücklich
Manchmal kann ein einziger Satz ein Leben ändern. So ging es mir. Ich werde nie den Schock vergessen, als ein Kollege meinte, wir stünden ja in der Lebensmitte. Himmel, ich war fünfunddreißig. Geradezu unerträglich jung. Und ehrgeizig. Ich wollte ganz nach oben, erfolgreich sein, ich wollte alles. Eine gute Beziehung, die beste Frau der Branche sein, ich wollte Geld, Macht und Einfluss. Und ich hatte nichts davon.
Ich war dick, hässlich, unterbezahlt und unglücklich. Obwohl es mir sehr viel besser ging als mit fünfundzwanzig. Da war ich auch dick, hässlich, noch unterbezahlter und noch unglücklicher. Der Unterschied war nur, dass ich mir mit fünfundzwanzig keine tollen Klamotten leisten konnte, den Mistkerl, der mich unglücklich machte, geliebt habe und nicht mal im Ansatz wusste, wovon ich im nächsten Monat die Miete bezahlen sollte, geschweige denn, was ich anstellen könnte, um endlich reich zu werden. Dafür habe ich allerdings damals neunzig Stunden die Woche gearbeitet.
Nach dem Gespräch mit meinem Kollegen bin ich nach Hause gegangen und habe mich von meinem Mann getrennt. Mit Sack und Pack bin ich zu einer Freundin gezogen, die mir ihre Wohnung für ein paar Monate zur Verfügung stellen konnte. Dort gab es etwas, was es bei uns zu Hause nicht gab: wandfüllende Spiegel. Und dort lernte ich, dass es nur auf die Betrachtungsweise ankommt.