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Die Soldaten Christi wussten anfangs nicht genau, wo und wie sie die Jagd beginnen sollten.
Touristen, Bettler, Prostituierte verfolgten sich tagsüber gegenseitig auf den Straßen und trafen sich abends vor den Sieben-Sterne-Hotels erneut. Es war, als gehörten diese Luxusschreine gleichermaßen den Reichen, den Touristen, den Bettlern und den Huren, mit einem wesentlichen Unterschied: Nachts blieben die Reichen, die Touristen und die Prostituierten drinnen, während sich die Bettler draußen wiederfanden und Regen oder Kälte erdulden mussten. Sobald aber der Tag anbrach, waren sie alle wieder vereint.
Jeder Bettler beherrschte ein paar Brocken Englisch, Deutsch, Japanisch, Italienisch und Französisch, hauptsächlich aber sprachen sie Kiswahili. Helft den Armen. Saidia Maskini. Baksheesh. Einige musizierten auf selbstgebauten Gitarren und Trommeln, andere führten Sketche auf, die manchmal belustigten Touristen etwas Kleingeld aus der Tasche lockten. Sie versuchten, sich auf den Straßen zu postieren, wo die meisten Touristen unterwegs waren, was zu einem großen Gedränge um den besten Standort führte.
Manchmal fiel die Polizei über die Bettler her, aber das war nur Theater, denn die Gefängnisse in Aburĩria waren schon überfüllt. Die meisten Bettler wären glücklich gewesen, wenn man sie eingesperrt hätte, weil es im Gefängnis ein Bett und etwas zu essen gab. Auch musste die Regierung sich davor hüten, dem Tourismus zu schaden, indem sie zu viele Bettler von den Straßen fegen ließ. Schnappschüsse von Bettlern oder wilden Tieren, die die Touristen nach Hause schickten, waren der Beweis, tatsächlich in Afrika gewesen zu sein. Wilde Tiere gab es in Aburĩria wegen der Wilderei und den schwindenden Wäldern allerdings immer weniger, sodass Bilder von Bettlern oder Kindern mit Kwashiorkor, entzündeten Augen und Fliegen, die ihnen an den Rotznasen saßen, als Inbegriff der Authentizität galten. Wenn keine Bettler mehr auf den Straßen zu finden wären, könnten die Touristen zu zweifeln beginnen, ob Aburĩria ein richtiges afrikanisches Land war.
Die Soldaten Christi überprüften also die Lage. Welche Orte würde Satan am ehesten heimsuchen? In welcher Verkleidung? Er steckt voller Schliche, denn, so erinnerten sie sich gegenseitig, war Luzifer nicht geboren worden, noch bevor die Welt erschaffen wurde? Wenn er sich in eine Schlange verwandeln und sich unter den Augen Gottes in den Garten Eden schleichen konnte, was sollte ihn davon abhalten, jetzt die Gestalt eines Menschen, eines Tieres oder gar eines Steins anzunehmen? Warum konnten Maritha und Mariko die Objekte ihrer Begierden nicht benennen? Weil ihnen Satan höchstpersönlich in unterschiedlichen Verkleidungen erschien! Vielleicht hatte er sich jetzt als Tourist verkleidet, als Prostituierte, als Bettler oder als einer von denen, die durch die Straßen zogen, oder …
„Seht mal“, rief ein Soldat Christi und zeigte mit dem Finger auf die andere Straßenseite – auf eine Skulptur des Herrschers zu Pferde. Die Soldaten Christi begriffen sofort, was er dachte, denn die Bronzeskulptur erinnerte sie an das nicht lange zurückliegende Schauspiel des Teufelsanbeters, der in Nachahmung Christi auf einem Esel geritten kam, was unbestreitbar ein Sakrileg war. Warum hatten sie genau in diesem Augenblick eine solche Erscheinung? In der Stunde der höchsten Not? Sie riefen sich ins Gedächtnis, dass Gott den Kindern Israels untersagt hatte, Götzenbilder zu fertigen. Wieso? Weil Satan sich leicht in einer solchen Skulptur verstecken konnte. Die Denkmäler des Herrschers näher zu untersuchen, war keine leichte Aufgabe, wie sie bald herausfanden, denn Monumente des Herrschers standen in Eldares an jeder Straßenecke.
Dort sieht man ihn auf dem Rücken eines dahinpreschenden Pferdes, da im verhaltenen Galopp. Hier steht er auf einem Sockel und hat die Hände zur Segnung der Passanten erhoben. Da sieht man den Oberbefehlshaber in Uniform mit erhobenem Schwert, als schreite er eine Ehrenformation ab. Auf einem anderen Podest sieht es aus, als befehlige er einen Sturmangriff. Mal ist er der große Lehrer und Gelehrte in Talar und mit Doktorhut, mal der nachdenkliche Herrscher in grüblerischer Pose.
Bei den Skulpturen fanden sie Satan nicht. Sie schauten in allen Gebäuden nach, die Seite an Seite mit Elendshütten aus Pappe und Plastikteilen standen. Gegenüber von indischen, chinesischen, italienischen und griechischen Restaurants befanden sich Verkaufsstände, die Gerichte aus Kohl und ugali anboten. Aus den großen Restaurants strömte der Duft brutzelnder Steaks und von den Bürgersteigen stieg der Geruch von knackendem Mais und Haselnüssen auf, die über Holzkohle geröstet wurden.
Die Ergebnisse waren enttäuschend. Wie die Weisen aus dem Morgenland, denen sich auf ihrem Weg zum Kind in der Krippe zahlreiche Schwierigkeiten entgegenstellten, mussten auch die Soldaten Christi viel erdulden, als sie in den unzähligen Gebäuden von Eldares nach Satan suchten. In manchen Kneipen wurden sie mit höhnischem Gelächter empfangen, und einmal schleuderten ihnen ein paar Betrunkene Apfelsinenschalen ins Gesicht. In den Sieben-Sterne-Hotels wurden sie mehrmals hinausgeworfen und schließlich bekamen sie Hausverbot, weil sie die Gäste belästigten. Draußen auf den Straßen, auf denen sich schicke Autos, Eselswagen und Handkarren den Platz und die Vorfahrt auf den mit Schlaglöchern übersäten Pisten streitig machten, setzten ihnen Sonne und Staub zu; von der Polizei ganz zu schweigen, die einige Male Jagd auf sie machte, weil sie sie für Bettler hielt. Und auch von den Touristen, die mit ihren Fotoapparaten hinter ihnen herrannten, weil sie glaubten, sie seien heilige Bettler. Sie hatten Hunger. Sie hatten Durst. Sie waren müde. Und der Gestank auf den Straßen von Eldares machte es auch nicht besser.
Es war die Zeit, als die Straßen von Eldares zu beiden Seiten statt von Bäumen von Müllbergen gesäumt wurden. Einige Ladeninhaber bezahlten private Müllsammler, um den Zugang zu ihren Geschäften vom Müll befreien zu lassen, sodass es hier und da, vor allem in der Einkaufszone der Innenstadt, auch ein paar saubere Flecken gab. In vielen anderen Straßen aber gab es nur Fliegen, Würmer und den Gestank von Fäulnis.
Gehört dieser Gestank zu den Waffen des Teufels, mit denen er uns vertreiben will?, fragten sie sich. Könnte er sich nach allem, was wir über ihn wissen, in den Müllbergen verstecken und uns auslachen, während wir unter den Menschen, in den Gebäuden und Herrscherstandbildern nach ihm suchen? Nein, riefen sie trotzig, sein Gestank wird uns nicht von unserer Suche abbringen.
Aber wie mutig sie sich auch fühlten, je mehr sie über Satans Ränke sprachen, desto klarer wurde, wie schwierig es war, jemanden zu bekämpfen, den sie nicht mit eigenen Augen sehen konnten. In ihrer Niedergeschlagenheit erinnerten sie sich daran, dass sie Soldaten Christi waren und, wie es in der Bibel geschrieben stand, den heiligen Kampf ausfechten mussten. Glücklich sind die, die um meinetwillen leiden. Von solchen Gedanken belebt, reckten sie mit neuem Mut die Kreuze in die Höhe und sangen, bis sie heiser waren:
Dieser Ort erstaunt mich
Am Kreuz
Denn nach dem Kummer herrscht Freude
Am Kreuz
Eines Freitagnachmittags, als sie in den Außenbezirken von Santamaria unterwegs und guter Dinge waren, kamen drei Männer auf sie zugerannt. Die riefen voller Entsetzen: „Satan! Satan!“ und versteckten sich hinter dem Banner der Soldaten Christi. „Bitte helft uns … Satan ist hinter uns her …“
Die Soldaten, die ihre Lieder gesungen und im Stillen gebetet hatten, waren von der Ironie der Situation überrascht. Als sie ausschließlich an Satan gedacht hatten, konnten sie ihn nicht finden. Aber jetzt, auf dem Höhepunkt ihrer Freude und unter dem Eindruck Seiner Unermesslichen Gnade, als sie einzig und allein an Jesus dachten, erreichte sie eine Nachricht über Satan.
„Was erzählt ihr da?“, fragten sie im Chor.
„Satan … er macht uns die Hölle heiß! Helft uns!“
„Wo steckt er?“, fragten die Soldaten Christi aufgeregt, noch immer ein wenig verblüfft und bestürzt über die dramatische Wendung.
Vielleicht war es ja weniger beängstigend, Satan im Geiste zu bekämpfen, als ihm leibhaftig gegenüberzustehen. Doch dies war ihre Stunde und nichts sollte sie davon abhalten, sich ihrer Aufgabe zu stellen.