7

Das Garda-Revier in Blackrock war ein moderner Bau auf einer Insel zwischen der Frascati Road mit dem unablässig fließenden, vierspurigen Verkehr und der ruhigeren Temple Road. Seine Lage und die düstere Fassade – dunkler Backstein, nur durchbrochen von schwarzen Glasflächen – ließen darauf schließen, dass die Polizei die Bevölkerung lieber auf Abstand hielt, als ihr einen Ort der Hilfe und Sicherheit zu bieten. In anderen Teilen Dublins wäre das verständlich, aber Blackrock war seit jeher einer der wohlhabendsten Vororte Dublins, was das abweisende Äußere des Reviers noch unangemessener erscheinen ließ.

Der Vernehmungsraum 4 befand sich im ersten Stock. Cassidy hatte ein Auge am Türspion. Brogan ging in dem kurzen Flur davor auf und ab.

»Wie lange sitzt er da jetzt schon drin?«

Cassidy drehte sich um. »So knapp eine Dreiviertelstunde.«

»Und er ist immer noch nicht ins Schwitzen geraten?« Brogan sah auf die Uhr. Ihnen lief die Zeit davon. Eigentlich hätte sie ihn gerne noch etwas länger schmoren lassen, denn alles, was sie bisher von ihm mitbekommen hatte, schrie förmlich Klugscheißer. Aber Aidan hatte heute einen Pokerabend mit seinen Kumpeln, und da versuchte sie immer, pünktlich zu Hause zu sein, damit sie ein paar heilige Stunden allein mit ihrem Jungen verbringen konnte. Also musste es jetzt vorangehen.

»Er kaut ein bisschen an den Fingernägeln«, sagte Cassidy. »Aber ansonsten wirkt er ganz entspannt.«

Den Burschen festzunehmen war einfacher gewesen, als Brogan erwartet hatte. Wie versprochen hatten die Kollegen aus Blackrock sein Haus im Auge behalten – eine hübsche Doppelhaushälfte mit einem großen, sehr gepflegten Garten in Castlebyrne Park. Als sie ankamen, konnte Detective Sergeant Leahy bestätigen, dass Patrick Scully zu Hause war, weil er ein paar Minuten nach seiner Ankunft gesehen hatte, wie er zur Garage und zurück gegangen war. So viel Glück müssten sie immer haben. An der Tür hatte sie Cassidy und Leahy das Reden überlassen. Eine Frau hatte geöffnet und war ziemlich aufgeregt geworden, als sie erfuhr, mit wem sie es zu tun hatte und was sie wollten. Scully selbst hingegen, der fast so gut gekleidet und frisiert war wie auf den Bildern der Überwachungskamera, ging mit diesen Informationen erstaunlich gelassen um und war sofort bereit, sie aufs Revier zu begleiten. Er wirkte nicht einmal besonders überrascht, so dass sie sich fragte, ob irgendwie Methode dahintersteckte. Sie hielt sich weiter zurück, sagte kein Wort, was ihr den psychologischen Vorteil garantierte, sich ihm bei der Vernehmung als eine ihm unbekannte Person zu präsentieren.

»Okay, also gut, dann wollen wir nicht noch mehr Zeit verschwenden. Los geht’s.«

Sie öffnete die Tür, rauschte hinein, sah Scully sofort in die Augen, sagte aber kein Wort. Wie alle Vernehmungsräume auf der Welt war auch dieser schmucklos und sehr sparsam eingerichtet. Die fensterlosen, grauen Wände waren nur von zwei Lüftungsschlitzen, der Tür und dem leuchtend roten, kolbenartigen Alarmschalter rechts daneben durchbrochen, mit dem man Hilfe herbeiordern konnte, falls ein Verdächtiger aggressiv wurde. Scully flegelte in lässiger Haltung auf einem der vier Plastikstühle, die um den am Boden festgeschraubten Metalltisch herumstanden. Wieder überraschte es Brogan, wie attraktiv er war. Er trug beigefarbene Chinos, die aussahen, als stammten sie aus den Designerregalen bei Brown Thomas. Das Gleiche galt für seine makellosen Wildledermokassins, das perfekt gebügelte, blau karierte Hemd und sein vermutlich maßgeschneidertes Leinenjackett. Seine Handrücken und die langen Finger zeigten die Überreste von Bräune, und die Fingernägel glänzten wie manikürt und poliert. Offenbar kaute er normalerweise nicht daran, also musste er unter dieser Mr-Cool-Fassade doch etwas ängstlich sein. Gut.

Er hielt Brogans Blick stand, als sie sich setzte, und veränderte auch nichts an seiner flegelhaften Haltung. Sie zog ihren Stuhl an den Tisch heran. Erst als sie saß, setzte auch er sich aufrecht hin, wobei er die Ellbogen genau wie sie auf den Tisch stemmte. Aus der Nähe sah sie, dass ihr Blick ihn offenbar nicht verunsicherte. Ganz im Gegenteil. Sie war von seinen Augen verunsichert, die ziemlich ungewöhnlich waren. Im Licht der Leuchtstoffröhren glänzten sie so tiefbraun, dass sie fast mit den Pupillen verschmolzen. Brogan lehnte sich zurück, um sich seinem Blick ein wenig zu entziehen, und lauschte dem Scharren von Cassidys Stuhl, als der sich neben sie setzte. Sie wartete, während er das digitale Aufnahmegerät einschaltete, das mit einer Stahlklammer auf der Tischplatte angebracht war, und die Formalitäten wie Ort und Zeit sowie die im Raum anwesenden Personen vortrug.

»Würden Sie bitte bestätigen, dass Sie Patrick Cormac Scully sind?«

Er nickte, jetzt mit unter dem Kinn zusammengelegten Fingern.

»Könnten Sie bitte für die Tonaufnahme mit Ja oder Nein antworten«, sagte Cassidy mit aggressivem Unterton.

»Ja, der bin ich.«

»Wohnhaft Castlebyrne Park 43 in Blackrock?«

»Ja«, sagte er Cassidy zugewandt, dieses Mal aber selbstbewusster. Er sah Brogan wieder an. »Bin ich verhaftet?«

»Nein.«

»Könnten Sie mir dann bitte erzählen, worum es hier geht?«

»Sicher«, sagte Brogan. »Das ist ganz einfach. Wir wollen wissen, wo Sie den Abend vor drei Tagen verbracht haben und was Sie da gemacht haben. Am Samstagabend also.«

Brogan glaubte einen Hauch von Besorgnis in Scullys Gesicht zu erkennen.

»Samstagabend?«, fragte er bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.

Die Reaktion war so schwach gewesen, dass Brogan Cassidy unwillkürlich ansah, um festzustellen, ob sie ihm auch aufgefallen war. Cassidy nickte kaum merklich. Er hatte es auch mitgekriegt.

»Ja, am Samstag«, wiederholte Brogan. »Also genau genommen von Samstagabend bis Sonntagmorgen. Können Sie uns erzählen, was Sie da gemacht haben?«

»Natürlich«, sagte er, setzte sich aufrecht hin und zog die Ärmel des Jacketts über die Manschetten, während er konzentriert blinzelnd nach unten blickte. Er spielte auf Zeit. Schließlich schob er das Kinn leicht vor, hob den Kopf und sah Brogan in die Augen. Wieder war sie erstaunt von der Intensität seines Blicks. Es durchzuckte sie wie eine statische Entladung.

»Ich war auf Tour«, sagte er. »Sie wissen schon, in einem Club.«

»Könnten Sie das bitte etwas genauer ausführen? Ort und Zeit wären hilfreich – und alle Einzelheiten, an die Sie sich erinnern.«

»Kein Problem.« Er schien fast begierig, ihnen helfen zu dürfen, trotzdem wirkte er vorsichtig, als bemühe er sich, seine Worte ganz genau abzuwägen. »Ungefähr bis acht war ich zu Hause und hab mit meinen Eltern ferngesehen. Dann bin ich nach oben gegangen und habe mich fertig gemacht. Und so gegen zehn bin ich dann losgezogen.«

Brogan lächelte. Zwei Stunden, um sich fertig zu machen? Das erklärte vieles. Sie hoffte für die Mutter, dass es mehr als ein Bad im Haus gab.

»Sie wohnen noch bei Ihren Eltern?«, warf Cassidy ein, um ihn etwas aufzustacheln.

»Ja«, erwiderte Scully schlicht, ohne ihn auch nur anzusehen.

»Und wohin sind Sie dann gegangen?«, fragte Brogan.

»Zum GaGa in Stillorgan. Dem Club, wissen Sie? Ich muss so gegen halb elf angekommen sein. Da habe ich ein paar Bud getrunken und ein bisschen getanzt. Und gegen halb zwei bin ich wieder gegangen. Zu Fuß nach Hause. Spätestens um halb drei war ich zu Hause, wo ich direkt ins Bett gegangen bin. Und auch sofort eingeschlafen bin, das ist bei mir aber ganz normal.«

»Tatsächlich«, fragte Brogan, die den Eindruck hatte, es klänge wie einstudiert.

»Was soll ich dazu sagen?« Er grinste und drehte die Handflächen nach oben. »War nicht die aufregendste Nacht, die ich je erlebt habe, aber es gab auch schon schlechtere. Immer noch besser, als zu Hause zu bleiben und zuzusehen, wie Ma und Dad langsam geil werden.«

Brogan lächelte kurz. Er war jetzt etwas selbstbewusster, dachte, er könne mit ihr flirten. Gut, wenn er das brauchte, um sich sicher zu fühlen. Diese Sicherheit konnte sie ihm jederzeit nehmen.

»Kommen wir noch einmal zurück auf den Club«, sagte Cassidy. »Sind Sie allein hingegangen?«

»Yep.«

»Tun Sie das immer?«

»Nicht immer, aber meistens.«

»Finden Sie das nicht ein bisschen eigenartig?«

»Nicht eigenartiger, als allein ins Kino zu gehen oder so was.«

»Haben Sie Freunde, Patrick?«, fragte Cassidy.

»Natürlich habe ich Freunde. Hören Sie, worum geht’s hier? Ich geh dahin, weil der Club in der Nähe ist und genauso gut wie irgendein anderer Laden, wenn ich mal aus dem Haus muss – was häufiger vorkommt. Was um alles in der Welt soll daran falsch sein?«

Cassidy ignorierte die Frage. »Die anderen Gäste scheinen aber etwas jung für Sie zu sein. Da hängen doch vor allem Sechzehn- bis Achtzehnjährige ab, oder? Im Vergleich zu Ihnen sind das doch noch Kids. Was sagten Sie, wie alt Sie sind?«

»Nichts. Aber ich bin dreiundzwanzig. Und was soll ich dazu jetzt sagen? Vielleicht steh ich ja auf etwas jüngere Mädels. Ist doch nicht verboten, oder?«

»Solange sie nicht zu jung sind«, murmelte Cassidy.

Scully protestierte: »Hey, was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts«, sagte Cassidy, »abgesehen von dem, was ich gesagt habe.«

»Hören Sie, mir reicht das jetzt. An der Tür steht, dass niemand unter achtzehn den Club betreten darf. Soweit ich das beurteilen kann, sind die Mädels also alle alt genug. Also, es war ja bisher eine nette Unterhaltung, aber jetzt sagen Sie mir doch bitte, worum es geht, dann würde ich gern wieder gehen.«

»Haben Sie letzten Samstag im Club jemanden kennengelernt?«, fragte Brogan.

»Natürlich hab ich da jemanden kennengelernt. Ich lern da eigentlich immer …« Er brach ab.

»Immer?« Brogan zog die Augenbrauen hoch und lächelte ihn wieder an. »Das ist ja schön für Sie – andererseits sind Sie auch ein attraktiver junger Mann.«

»Auch das ist nicht verboten, oder?«

Er war jetzt etwas defensiver, saugte das Kompliment aber auf wie ein Schwamm. Er konnte einfach nicht anders.

»Ganz gewiss nicht. Ich finde sogar, dass man nichts anbrennen lassen sollte.« Brogan lachte. Sie spürte, wie Cassidy sie ansah. Auch Scully reagierte darauf. Das Spiel lief.

»Dann war Jesica niemand Besonderes, sondern nur eine Zufallsbekanntschaft?«

»Wer zum Teufel ist Jesica?«, fragte er, auf dem falschen Fuß erwischt, mit überraschtem Blick.

»Jesica – Sie wissen schon, das Mädchen, das Sie Samstagnacht abgeschleppt haben.«

»Ich hab Samstagnacht niemanden abgeschleppt. Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich hinterher nach Hause und sofort ins Bett gegangen bin. Ich habe noch nie von einer Jesica gehört. Wer hat Ihnen denn den Mist erzählt?«

Brogan sah Cassidy an und zog eine Augenbraue hoch.

»So, Patrick, dann leugnen Sie also, dass Sie den Club Samstagnacht mit einer anderen Person zusammen verlassen haben?«

Scully überlegte sorgfältig, bevor er die Frage beantwortete.

»Äh, nein … also ich meine, ich habe den Club mit jemandem zusammen verlassen. Mit einem spanischen Mädchen. Ihren Namen hab ich aber gar nicht gekannt. Ist das die Jesica, von der Sie reden?«

»Was wäre dann?«

»Na ja, ich hab sie hundertprozentig nicht abgeschleppt. Wir haben auf der Tanzfläche ein bisschen rumgeknutscht, aber ich wusste sofort, dass bei ihr damit Schluss ist. Die war wirklich noch ein Kind. Als ich zu ihr gesagt habe, dass ich gehe, meinte sie, dass sie auch nach Hause muss, und wie sich herausstellte, hatten wir den gleichen Weg. Daher sind wir zusammen bis zum Stillorgan-Einkaufszentrum gegangen.«

»Gegangen, sagen Sie? Sie haben sie nicht im Auto mitgenommen?«

»Nein, wir sind zu Fuß gegangen, wie ich schon sagte.«

»Zusammen bis zum Einkaufszentrum. Und was ist dann passiert?«

»Wir haben uns getrennt. Sie ist Richtung Kilmacud Road gegangen, ich runter nach Stillorgan Park.«

»Einfach so? Sie sind nicht noch mal stehen geblieben und haben ein bisschen rumgeknutscht?«

»Na ja, schon …«

»Obwohl sie ›wirklich noch ein Kind‹ war, wie Sie es gerade sagten?«, warf Cassidy höhnisch ein.

»Na ja, Sie wissen schon, der Spatz in der Hand und so …«

»In der Hand?«, unterbrach Cassidy mit gespielter Empörung. »Dann ist es ein bisschen weiter gegangen als ein paar Küsse, oder?«

»Nein, ich meinte bloß …« Scully holte tief Luft, um sich zu beruhigen, dann überlegte er sich, dass er die Bedeutung lieber nicht erklären sollte. »Nein, ist es nicht.«

»Die Versuchung muss aber schon groß gewesen sein, oder? Um die Zeit waren da am Einkaufszentrum bestimmt nicht viele Menschen unterwegs. Wäre doch ziemlich leicht, da ein bisschen in die Vollen zu gehen, damit Sie kriegen, was Sie wollen, ja?«

»Nein. Absolut nicht. Ich sag doch, dass wir noch ein bisschen rumgeknutscht haben und dann getrennte Wege gegangen sind.«

»Sind Sie sich ganz sicher, Patrick?«, hakte Cassidy nach.

»Ob ich mir ganz sicher bin? Natürlich. Ich meine … Hören Sie, Moment mal. Worum geht’s hier? Wollen Sie sagen, dass sie mir irgendwelche Vorwürfe gemacht hat?«

»Wie kommen Sie darauf, Patrick?«, warf Brogan ein. »Was hätte Jesica Ihnen denn Ihrer Ansicht nach vorwerfen können?«

»Ach, hören Sie auf damit.« In Scullys Stimme lag eine gewisse Panik. »Das ist doch die totale Verarsche hier. Was hat sie denn gesagt?«

»Was glauben Sie denn, was sie gesagt haben könnte?«, unterbrach ihn Cassidy harsch.

»Ich hab doch gesagt, dass ich keine Ahnung habe. Aber egal was, es ist nichts dran.«

»Das ist eine ziemlich interessante Formulierung, Patrick.«

»Was?«

Brogan begann gerade zu hoffen, dass sie etwas aus ihm herausbekommen könnten, als die Spannung im Raum durch ein lautes Türklopfen zerstört wurde.

»Was ist?«, rief sie und verschluckte einen Fluch, als Cassidy und sie sich finstere Blicke zuwarfen.

Ein junger, uniformierter Garda steckte vorsichtig den Kopf durch die Tür.

»Inspector Brogan?«

»Wer sollte sonst hier sein, du Trottel«, murmelte Cassidy, doch Brogan sagte laut: »Ja, was gibt’s? Schnell.«

»Eine dringende Meldung von draußen.«

Cassidy unterbrach die Vernehmung und starrte Scully an wie ein Wachhund, der versucht, einen Eindringling zu stellen. Vor der Tür gab der junge Polizist Brogan ein Telefon. Wer könnte das sein?

»Chefin, Donagh hier. Tut mir leid, dass ich Sie unterbreche, aber ich dachte mir, das muss ich Ihnen sagen.«

»Also gut, erzähl. Was gibt’s?«

»Sie werden’s nicht glauben, Chefin. Wir haben das Schwein. In Scullys Garage steht ein weißer Ford Transit mit einem Schweißgerät hinten drin. Ich hab’s prüfen lassen – der Wagen ist tatsächlich auf seinen Namen angemeldet.«

»Du bist spitze.« Innerlich jubelte Brogan. »Wie sieht’s denn im Wagen aus? Irgendwas, womit ich ihn direkt aus der Reserve locken kann?«

»Na ja, drinnen ist der ziemlich sauber. Ich hab kein Blut oder so was gesehen, aber als ich das Schweißgerät gesehen habe, bin ich auch sofort wieder raus. Ich dachte, den Rest überlass ich besser der Spurensicherung, weil’s ja ein Tatort ist und so.«

»Gut gemacht«, sagte Brogan. Sie wies ihn an, die Spurensicherung zu informieren, dass sie den Wagen beschlagnahmen, sofort mit einem Tieflader abholen und untersuchen sollten. »Das hat erste Priorität. Die sollen da nicht mit irgendwelchen Ausreden kommen. War sonst noch was im Haus?«

»Tja, eigentlich schon, Chefin. Maura hat bei ihm im Schlafzimmer einen Stapel Pornos eingesackt, dazu ein ganz gut gefülltes Haschversteck und einen Haufen Ecstasy-Pillen. So zwanzig, dreißig Stück.«

Brogans Brust zog sich zusammen. Sie war sicher, dass sie ihren Mann hatten. Mit dem, was sie gefunden hatten, sollte der Rest nur noch reine Formsache sein. »Klasse, Donagh, ihr habt euch selbst übertroffen. Ich geb nachher ’ne Runde Bier für alle aus, ja? Aber jetzt geh ich da erst mal wieder rein und nagel das Schwein fest.«

Sie unterbrach die Verbindung und gab das Telefon dem Polizisten zurück, der sie aus irgendeinem Grund breit anstrahlte. Sie beachtete ihn nicht, legte die Hand auf den Türgriff, atmete tief durch und erwartete fast, dass Cassidy Scully in ihrer Abwesenheit in Rage gebracht hatte. Aber im Vernehmungszimmer sah es genauso aus wie vorher: Cassidy blickte finster drein, Scully versuchte mit mäßigem Erfolg, unbesorgt auszusehen. Ich werde dir das affektierte Grinsen aus dem Gesicht fegen, dachte sie, als sie sich wieder setzte und Cassidy mit einer Geste aufforderte, das Diktiergerät wieder anzustellen.

Siobhan wusste, dass sie nicht einfach die Stationen im Krankenhaus durchstreifen konnte. Es war nicht ihr Stil, außerdem würde sie so Aufmerksamkeit erregen. Und der Ruf, dass man so etwas tat, konnte einem Journalisten erheblich schaden. Natürlich hatte es auch keinen Sinn, die Ärzte oder das Verwaltungspersonal direkt anzusprechen. Die würden ihr nichts erzählen – nicht in einer solchen Situation. Die hatten alle viel zu bequeme und gut bezahlte Jobs, um sie für die Neugier einer Journalistin aufs Spiel zu setzen. Bei den Krankenschwestern hingegen bestanden immer gute Chancen: überarbeitet, nicht ausreichend gewürdigt und – was das Entscheidende war – unterbezahlt. Am besten sah es allerdings bei Putzfrauen, Hausmeistern und Hilfskräften aus, den armen Säuen, die die miesesten Jobs für einen Hungerlohn machten und im Allgemeinen bereit waren, für ein paar Scheine jede Information zu besorgen.

Sie ging davon aus, dass es auch einer von ihnen war, der sie mit dem Anruf überhaupt auf diese Story aufmerksam gemacht hatte – den breiten Dubliner Akzent über dem Knistern der Telefonleitung hatte sie noch im Ohr. Wahrscheinlich hätte sie ihn leicht ausfindig machen können, schließlich war er einer der letzten hier noch vorhandenen Iren. Die meisten Angestellten waren Bosnier, Afghanen, Vietnamesen – Asylbewerber und illegale Einwanderer, denen bei der derzeitigen Wirtschaftslage nichts anderes übrig blieb, als Scheiße, Blut und Kotze vom Fußboden zu kratzen. Selbst die anständigen Bürger, die sich seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder in die Schlange für Stempelgeld gestellt hatten, waren sich zu gut für solche Arbeit.

Sie stand in der Nähe des Krankenhausladens und überlegte, wie sie ihren Informanten ausfindig machen konnte, als das Glück ihr eine einfachere Lösung bescherte. Eine Glocke ertönte, und gegenüber öffnete sich eine Fahrstuhltür. Die große, hagere Gestalt Ivo Pirics watschelte heraus. Der Mann war ihr früher schon eine große Hilfe gewesen. Vermutlich war er noch keine vierzig Jahre alt, aber mit den tiefliegenden Augen, den hohlen Wangen und dem knochigen Körper wirkte er so, als ob er dringender medizinischer Hilfe bedurfte als der alte Knabe, den er in einem Rollstuhl vor sich herschob. Piric sah schon so aus, seit er Ende der 90er als bosnischer Kriegsflüchtling in Dublin aufgetaucht war. Die Vergangenheit hatte tiefe Spuren in seinem Gesicht hinterlassen – er hatte ein Massaker überlebt, indem er sich unter den Leichen der anderen Dorfbewohner versteckt hatte.

Eigentlich hatte sie seine Story an die Irish Independent verkaufen wollen, aber dann waren ihr Zweifel an seinen Angaben gekommen. Obwohl er zweifellos Zeuge eines Massakers geworden war, hatte sie sich doch gefragt, auf welcher Seite der Gräueltat er damals gestanden hatte. Andererseits – selbst wenn sie auf seine Schilderung hereingefallen war, die Arbeit, die Piric hier machen musste, konnte man nur als eine Form von Strafe sehen. Als er den Rollstuhl vorbeischob, erkannte er sie und lächelte. Ihr fiel wieder ein, wie beunruhigend sie dieses Lächeln schon immer fand – es lag keinerlei Wärme darin, erinnerte eher an ein zähnefletschendes Raubtier.

»Hi, Ivo.«

Er hob eine Hand und parkte den alten Mann im Eingang eines Fernsehzimmers, wo Patienten und Besucher mit einer unsäglich schlechten Magazinsendung ruhiggestellt wurden. Als Piric herankam, hatte er den Blick schon auf das kleine, braune Lederportemonnaie gerichtet, das Siobhan aus der Tasche zog.

»Ich brauche ein paar Informationen«, flüsterte sie, legte ihm die Hand auf den Unterarm und zog ihn zur Wand. »Und Sie sind der Mann, der sie mir besorgen kann.«

Mulcahy brauchte viel länger dazu herauszubekommen, wie er alle Reviere der Dublin-Metropolitan-Region in die Adresszeile kopierte, als für das Schreiben der Mail. Er klickte auf den Senden-Button, und seine Bitte um Informationen über gewaltsame sexuelle Übergriffe mit religiösen Untertönen verschwand mit einem tiefen Zischen aus den Lautsprechern im elektronischen Äther. Er überlegte, ob er noch einmal versuchen sollte, Brogan zu erreichen, als das Telefon klingelte. Sie war am Apparat.

»Ich dachte, Sie sollten Ihren Kumpeln von der Botschaft mitteilen, dass wir den Kerl in Gewahrsam haben«, sagte sie mit begeisterter Stimme.

»Toll«, sagte er. »Erzählen Sie mir, wie Sie ihn gefunden haben, dann fange ich an, meine Koffer zu packen.«

»Na ja, das wäre noch etwas verfrüht. Wir haben noch keinen Haftbefehl gegen ihn.«

»Aber er ist es, oder?«

»Ein Geständnis hat er noch nicht abgelegt. Er hat jedoch zugegeben, dass er mit Jesica zusammen den Club verlassen hat, außerdem haben wir in seiner Garage einen Lieferwagen mit einer Schweißausrüstung im Laderaum gefunden. Die Spurensicherung guckt sich das gerade an. Morgen früh müssten sie erste Ergebnisse für uns haben.«

»Dann darf ich davon ausgehen, dass er nicht Schweißer von Beruf ist.«

»Nicht direkt.« Brogan lachte bitter. »Er sagt, er macht seinen Doktor am University College Dublin. In Mittelalterlicher Geschichte oder so was.«

»Das ist ja interessant.«

»Kann ich nicht beurteilen.«

»Nein, ich meine, ein Akademiker mit Schweißgerät. Schweißen gehört nicht zu den typischen Hobbys von Akademikern.«

»Absolut richtig, ja«, sagte sie leicht abwesend. »Na ja, im Moment halten wir ihn wegen Drogenbesitz fest. Wir haben in seinem Schlafzimmer Hasch und Ecstasy gefunden.«

»Viel?«

»Nicht besonders viel Hasch, aber immerhin so zwanzig bis dreißig Ecstasy-Pillen.«

Mulcahy wusste, was das bedeutete. »Ziemlich viel für einen klammen Studenten. Glauben Sie, dass er deshalb im Club war? Zum Dealen?«

»Das dachte ich auch erst. So klamm ist er im Übrigen gar nicht. Er trägt Designerkleidung, handgemachte Schuhe und so weiter. Also keine billigen Studentenklamotten. Ich dachte, vielleicht könnten Sie ihn mit Ihren Beziehungen zur Drogenfahndung mal überprüfen. Vielleicht haben die ja irgendetwas über ihn.«

»Kein Problem«, sagte er, froh darüber, endlich etwas Sinnvolles tun zu können.

»Das sollte dann ziemlich fix gehen. Wäre gut, wenn wir ihn in der nächsten Vernehmung schon damit konfrontieren könnten.«

»Das krieg ich schon hin. Sagen Sie mir seinen Namen und die persönlichen Daten, dann klär ich das und melde mich wieder bei Ihnen.«

Sie gab ihm alles, was sie über Scully wussten, und wollte auf seinen Anruf warten.

»Haben Sie meine Nachricht mit Geraghtys Auskünften bekommen?«

»Ja«, sagte sie. »Wie ist er an Sie geraten?«

Er war froh, dass sie nicht sah, wie er zum Himmel blickte. Beinahe hätte er ihre paranoide Ader vergessen.

»Ich hab mir selbst ein paar Gedanken über seine Entdeckungen gemacht«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Ich weiß nicht genau, ob wir nicht …«

»Hören Sie, das ist bestimmt alles sehr interessant«, unterbrach Brogan ihn. »Aber könnten Sie sich die Gedanken für die Besprechung heute Abend aufsparen? Dann wissen gleich alle Bescheid. Ich brauche die Drogeninfos über Scully wirklich ganz dringend. Könnten Sie das vielleicht jetzt sofort erledigen?«

Leck mich, dachte er. Seine eigenen Neuigkeiten konnten warten. »Okay, kein Problem. Nur eins noch: Weiß Healy schon über den Burschen Bescheid?«

»Was hat das denn jetzt damit zu tun?«

»Ich frag mich nur, was ich den Spaniern alles erzählen darf.«

»Healy hat mich gebeten, Sie anzurufen«, sagte sie spitz. »Ich habe ihn vor ein paar Minuten auf den neusten Stand gebracht. Er sagte, ich solle Sie – oder genau genommen die Spanier – wissen lassen, dass wir einen Verdächtigen in Gewahrsam genommen haben. Mehr brauchen die im Moment nicht zu wissen.«

Siobhan kam bei ihrer Recherche schneller voran, als sie zu hoffen gewagt hatte. Ivo Piric hatte schon von irgendeinem Aufruhr gehört, kannte jedoch kaum Fakten, sondern erzählte etwas von uniformierten Männern, die eine Patientin entführt hätten. Das war zwar faszinierend, klang aber, als hätte er es nur geträumt. Für zwanzig Euro wollte er jedoch gerne jemanden suchen, der genau wusste, was passiert war. Siobhan setzte sich in die leere Cafeteria, holte sich ein Stück langweiligen, grauen Fisch und ein paar schlaffe, gelbe Pommes und stellte sich auf eine lange Wartezeit ein. Doch als sie gerade erst vier Pommes gegessen hatte, war Piric schon wieder zurück. Und so hatte es sich ergeben, dass sie die letzten zehn Minuten gemeinsam mit Schwester Edith Sorenson in einem besseren Wäschekabuff verbracht hatte, eingepfercht zwischen Regalen mit gestärkten weißen Leinenlaken, während sie versuchte, den entrüsteten Wortschwall mitzustenografieren, der sich aus dem Mund der Schwester ergoss. Bisher hatte sie so indirekt, wie sie nur konnte, alles bestätigt, was Siobhans Informant ihr über die furchtbaren Verletzungen des Mädchens erzählt hatte. Aber was sie jetzt erzählte – dass die Gardaí das arme Ding verhört hätten, obwohl es dafür viel zu schwach war, dann die Rangelei mit einem Gesandten der Botschaft am Bett des Mädchens und, um das Ganze zu toppen, das Eindringen eines spanischen Einsatztrupps, der die Flure des St. Vincent’s Hospitals in seine Gewalt gebracht hatte – war das reinste Dynamit.

»Und Sie sind sicher, dass gestern bei diesem Trupp derselbe Mann dabei war wie am Tag zuvor? Der Mann aus der Botschaft?«

»Ja, absolut sicher. Er war nur ein Strich in der Landschaft, aber sehr von sich überzeugt. Der ist hier herumstolziert wie Franco.«

Siobhan schnalzte mitfühlend, notierte die Anspielung und kam zu dem Schluss, dass Schwester Sorenson Mitte vierzig sein musste. »Aber seinen Namen haben Sie nicht gehört?«

»Er hat sich nicht vorgestellt – beide Male nicht. Was ihn betraf, hätte ich ebenso gut gar nicht da sein können. Ein sehr unhöflicher Mann.«

»Und sein Name steht auch nicht in irgendwelchen Papieren – es gibt keine Aufzeichnungen oder so was oben im Schwesternzimmer? Das wäre wirklich sehr hilfreich, wissen Sie, damit wir ihm in der Zeitung die wohlverdiente Strafe zuteilwerden lassen können.«

Der Vorschlag schien Schwester Sorenson zu gefallen, da sie es jedoch schon abgelehnt hatte, Siobhan heimlich einen Blick in die Krankenakte des Mädchens werfen zu lassen, hegte sie keine große Hoffnung. Die Schwester schüttelte dann auch reumütig den Kopf.

»Nein. Um den Papierkram hat Schwester Philomena sich gekümmert.«

»Und Sie glauben nicht, dass Schwester Philomena …«, setzte Siobhan an, während sie den Namen zum Schrecken ihrer Informantin aufschrieb. »Sie glauben nicht, dass sie bereit wäre, mit uns zusammenzuarbeiten.«

»Um Himmels willen, nein. Niemals. Sie würde mir die Eingeweide rausreißen, wenn sie wüsste, dass ich mit Ihnen rede. Das wäre mein Ende. Ich erzähle Ihnen das nur, weil …«

»Schon gut, geht in Ordnung«, sagte Siobhan beschwichtigend. »Wenn Sie nicht ein bisschen leiser werden, locken Sie sie noch selbst hierher. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich erzähl niemandem etwas von unserer kleinen Unterhaltung, wenn Sie das nicht wollen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie mir das erzählt haben. Es ist wichtig, dass diese Leute nicht das Gefühl haben, sie könnten uns einfach so herumschubsen.«

Schwester Sorenson entspannte sich etwas, offenbar war sie erleichtert, dass sie ein so vertrauenswürdiges Mitglied der Vierten Gewalt als Adressaten für ihre Geschichte ausgewählt hatte.

»Wo wir gerade dabei sind, erinnern Sie sich vielleicht noch an die Namen der Gardaí, die am Tag vorher hier waren? Die, die in den Streit mit diesem Botschafter verwickelt waren? Die scheinen ja fast genauso schlimm zu sein.«

»Das waren sie auch«, pflichtete Schwester Sorenson ihr bei. »Besonders die junge Frau, die das Sagen hatte. Die war ganz hübsch angezogen, aber ein Mundwerk hatte die. Hat sich benommen, als ob sie auf dem Wasser gehen könnte.«

»Und wie hieß sie?«

»Das weiß ich nicht mehr, tut mir leid. Der Name fing mit B an – so ähnlich wie Brady oder Bronson, aber das war’s beides nicht.«

»Und die anderen?« Siobhan blickte hoffnungsvoll von ihrem Notizblock auf. »Vielleicht der, der in den Kampf verwickelt war?«

»Ah, ja, ich glaube, sie hat Andy zu ihm gesagt. Ja, da bin ich ziemlich sicher. Das hat sie zu ihm gesagt, als sie ihn von dem anderen runterziehen wollte …«

»Und Sie sind sicher, dass der Garda den Kampf angefangen hat?«

»Oh ja, ganz sicher. Und ohne jede Vorwarnung. Er hat sich sofort auf den Mann gestürzt, als der durch die Tür gekommen ist.«

Siobhan war so sehr damit beschäftigt, das alles zu notieren, dass sie die nächste Enthüllung fast verpasst hätte.

»Inspector Mulcahy war der Einzige, der sich der armen Jesica gegenüber halbwegs anständig benommen hat.«

Siobhan glotzte sie an und wusste nicht, ob sie ihren Ohren trauen konnte. »Inspector Mulcahy, sagten Sie?«

»Ja, ich bin sicher, dass er sich so vorgestellt hat.« Schwester Sorenson lächelte jetzt etwas schüchtern. »Das war der Einzige, der wie ein richtiger Garda aussah, fand ich.«

»Also Mike Mulcahy von der Drogenfahndung?« Das konnte unmöglich stimmen. Bei der Polizei musste es diverse Mulcahys geben. Aber im Rang eines Inspectors?

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Schwester Sorenson schwieg und konzentrierte sich mit geschürzten Lippen. »Ich wüsste nicht, warum jemand von der Drogenfahndung dabei gewesen sein sollte. Von Drogen hab ich nichts gehört. Aber jetzt, wo Sie so fragen, muss ich zugeben, dass er nicht so richtig zu den anderen beiden zu gehören schien, wenn Sie wissen, was ich meine. Wenn ich so darüber nachdenke, war er vielleicht nur deshalb da, weil er Spanisch sprach und die anderen unbedingt mit der kleinen Jesica reden wollten.«

»Er sprach Spanisch?« Siobhan wartete gar nicht auf eine Antwort: Sie ging in Gedanken schnell die Möglichkeiten durch, die ihr in den Sinn kamen, probierte Wege aus, verwarf andere, versuchte, alle Einzelteile zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Wenn Mulcahy wirklich hinzugezogen worden war, gab es womöglich auch noch eine Verbindung zum internationalen Drogenhandel. Langsam entwickelte sich das zu einer richtig tollen Story.

Jetzt musste sie der Sache nur noch auf den Grund gehen.

Mulcahy rief Liam Ford an, und es dauerte nur ein paar Minuten, bis er das Ergebnis der Anfrage hatte. Ein Piepton, der übers Telefon an sein Ohr drang, kündigte einen Treffer an. Als Mulcahy zum letzten Mal in dem überfüllten Büro der Drogenbekämpfungstruppe in Dublin Castle gearbeitet hatte, hätten sie für so eine Anfrage nach Überprüfung eines Verdächtigen mindestens ein paar Stunden gebraucht. Jetzt wusste man praktisch sofort, woran man war.

»Yep, wir haben hier zwei Patrick Scullys. Einen aus Ballyheigue in Kerry, der wird’s aber wohl nicht sein. Der andere wohnt tatsächlich in Blackrock. Geboren am 25.03.86. Dann ist er jetzt dreiundzwanzig. Letzte bekannte Tätigkeit: Studium am University College Dublin. Passt das so weit?«

»Das ist er. Was habt ihr über ihn?«

»Nicht viel. Wurde wegen Besitzes geringer Mengen Haschisch festgenommen. Zwei Komma zwei Gramm hatte er bei sich. Bei einem Konzert in der Universität. Er ist mit einem Klaps auf die Finger davongekommen, weil es sein erstes Vergehen war. Seitdem gibt’s nichts Neues, wobei es ein paar Berichte gibt, in denen er als Kleindealer von Ecstasy erwähnt wird. Über härtere Drogen ist nichts bekannt. Und das war’s dann auch schon.«

»Also ein typischer Studentendealer, der sich damit ein bisschen was dazuverdient.«

»Klingt so. Ein kleiner Scheißer, der bei uns gelegentlich am Rand des Radars auftaucht.«

»Gut, dann haben wir noch mehr, womit wir ihn unter Druck setzen können. Zusammen mit den Infos aus der Akte können wir ihn auf jeden Fall erst mal in Gewahrsam behalten.«

»Hängt den Scheißkerl«, grummelte Ford. »Ganz egal, was er gemacht hat.«

»Schön zu wissen, dass du im Lauf der Jahre nicht deine sensible Seite entdeckt hast«, sagte Mulcahy lachend.

»Das stimmt. Ganz im Gegensatz zu dir. Worum ging’s denn da letztens? Du bist ja abgehauen wie eine gesengte Katze.«

»Ach, das interessiert dich sowieso nicht.«

»Und Murtagh hast du vermutlich auch noch nicht angerufen.«

»Noch nicht, aber das kommt noch.«

»Wo wir gerade von Anrufen reden, hier hat sich vorhin eine heiße Braut gemeldet und sich nach dir erkundigt.«

»Nach mir?« Mulcahy runzelte die Stirn. »Bei euch?«

»Am Telefon. War echt komisch, Mann, vor allem weil ich mich doch grade erst mit dir getroffen hatte. Als ich ihr gesagt hab, dass du seit Jahren nicht mehr hier arbeitest, war sie ein bisschen überrascht, dann hat sie was von Madrid erzählt und dass sie deine Handynummer hätte, also bin ich da nicht weiter drauf eingegangen.«

»Ihren Namen hat sie wohl nicht genannt?«

»Nein. Und damit hatte es sich auch schon.«

Mulcahy zermarterte sich den Kopf, um auf eine Frau zu kommen, die ihn kannte, als er im Castle und in Madrid gearbeitet hatte, und die auf Fords Beschreibung passte. Im fiel niemand ein.

»Ach, wenn sie meine Nummer hat, kann sie sich ja melden.«

»Dann wollen wir mal hoffen, dass sie das auch macht. Ich hab dich noch nie so niedergeschlagen gesehen. Und die klang so, als ob sie dich ein bisschen aufbauen könnte.«