7. Kapitel

Dämonenangriff

Bestürzt sank Mr. Neebor in seinem Garten auf die Knie. Seine preisgekrönten Tulpen waren zu gelben und roten Farbklecksen zerschmolzen, die aussahen wie angetrocknete Kerzenwachslachen. Ein Durchschnittsbürger hätte geglaubt, die Blumen wären mit giftigen Chemikalien in Berührung gekommen, aber Neebor wusste es besser. Grimmig betrachtete er das düster aufragende Nachbarhaus. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es vor sich gegangen war, aber irgendwie hatten das Haus und die bizarren Dinge, die sich darin zutrugen, seine geliebten Blumen in wertlose Schmiere verwandelt.

Während Neebor noch hinüberstarrte, hörte er hinter sich ein Geräusch.

Raschel-raschel.

Er fuhr herum. »Wer ist da?«

Diesmal kam das Geräusch aus der entgegengesetzten Richtung.

Raschel-raschel.

Mit einer Handschaufel bewaffnet, begann Neebor durch den Garten zu kriechen, denn er fragte sich, ob er womöglich den Missetäter erwischen würde, der seine Tulpen auf dem Gewissen hatte.

Auf einmal brach hinter seinem prämierten Erdbeerbeet geräuschvoll der Boden auf. Neebor fuhr mit hocherhobener Schaufel herum. Es bewegte sich nichts, aber er erspähte einen dünnen Trieb in der Erde, der sich zwischen die rubinroten Erdbeeren geschoben hatte.

»Brombeeren«, schnaubte er.

Wenn er nicht sofort etwas unternahm, würde es bald einen Beerenkrieg geben, sagte er sich, und es stand außer Frage, wer diesen verlieren würde. Er stieß die Schaufel in die Erde und durchtrennte den Brombeerzweig an der Wurzel.

»Ha!«, lachte er.

Als Neebor sich abwandte, zog sich der Trieb mit letzter Kraft in die Erde zurück und sandte seinen Kollegen ein Signal seines Ablebens. Stirnrunzelnd schaute Neebor über die Schulter. Weitere Brombeerzweige waren aus dem Boden geschossen – dicke, sehnige Triebe voller Dornen, die sich zwischen seine Hortensien und den Spanischen Flieder wühlten. Warum hatte er die gerade übersehen?, fragte er sich.

Er legte sich auf den Bauch und drehte sich im Kreis, blickte prüfend auf die verschiedenen Beete. Nach jeder Drehung schienen die Brombeeren einen neuen Gartenbereich infiltriert zu haben. Sie kamen immer näher.

Man sah sie nie in Bewegung, aber irgendwie war es ihnen gelungen, ihn einzukreisen.

Richie quasselte von dem neuen Mädchen, während die drei zu Nates Haus zurückfuhren. »Diese Lilli is voll aufm Hippie-Trip. Habt ihr das bunte Blumenauto gesehen?«

»Ist wahrscheinlich cool«, seufzte Sandy und bog in Nates Straße ein. »Wenn man auf so etwas steht.« Sie warf ihrem Freund einen Seitenblick zu.

»Ja«, sagte Nate so unverfänglich wie möglich.

Sandy rümpfte die Nase. »Was soll das heißen, ›ja‹? Ja, es ist cool und du stehst drauf? Oder ja, es ist nur cool, falls man solche Dinge mag, was bei dir nicht der Fall ist?«

»Häh?«, fragte Nate.

»Ich meine, es ist doch bloß ein Klamottenstil ... und ein klappriger Käfer, den sie bunt angemalt hat, damit er ›hip‹ aussieht, Herrgott noch mal«, schimpfte Sandy.

»Sie hat den Troll gespürt«, sagte Nate. »Hat seine Schwingungen wahrgenommen.«

»Behauptet sie.«

»He, meint ihr, sie is ‘ne Zigeuner-Wahrsagerin oder so was?«, sagte Richie.

»Hört mal«, ignorierte ihn Sandy, »wir wissen, dass der Troll nicht weit gekommen wäre, ohne dass man ihn gesehen hätte. Folglich muss er sich im See versteckt haben. Ist doch kein großes Rätsel. Was meinst du, Nate?«

»Ja«, antwortete Nate, während er aus dem Fenster blickte. »Lilli hat gesagt, der Troll sei ganz in der Nähe.«

»Ich habe dich nach deiner Meinung gefragt«, hakte Sandy nach.

»Ich glaube, ich denke das Gleiche wie sie.«

Sandy fuhr abrupt an die Seite, der Reifen rollte über den Bordstein.

»Steigen wir hier aus?«, fragte Richie.

Als Sandy kurz darauf davonbrauste, standen Nate und sein Lehrling auf der Straße. Nate nahm ihr die Erklärung nicht ganz ab, dass sie zu spät nach Hause käme, wenn die beiden nicht zwei Blocks früher ausstiegen. Das letzte Stück gingen sie zu Fuß.

Als sie auf das Haus zutrotteten, blieb Nate plötzlich stehen. Er hockte sich hin. »Sieh dir das an.« Ein feiner Riss durchzog den Beton.

»Ein Riss im Bürgersteig«, sagte Richie. »Na und?«

Nate deutete in die Richtung, aus der der Riss kam. Richies Blick folgte dem Finger über den Bürgersteig und den Gehweg bis zum Haus seines Mentors. Dort führte der Riss um das Gebäude herum in den Garten. Er hatte ihn bisher gar nicht bemerkt.

»Spürst du etwas?«, fragte Nate.

»Ja.« Richie nickte, wandte sich um und folgte dem Riss im Laufschritt in die andere Richtung. Nate lief neben ihm her. Der Spalt wand sich mehr als eine halbe Meile den Hügel hinab, machte Schlenker durch Einfahrten, Holzzäune und Zementwände, während er alles, was ihm im Weg stand, entzweibrach.

»Das ist die Art von Riss, die Kail hinterlässt«, erklärte Nate. »Er ist der Spalterdämon und war der zweite Gehilfe des Dürren Mannes. Er ist so etwas wie ein Parasit – er dringt in leblose Objekte ein und reißt sie auseinander. In der Nacht, als wir gegen den Dürren Mann gekämpft haben, hat Nikolai die Holzdiele herausgerissen, in der Kail steckte, damit der Dämon nicht auf einen anderen Gegenstand überspringen konnte, dann hat Nik die Diele in den Gartenteich geschleudert. Aus Wasser kann Kail sich nicht befreien, denn in Flüssigkeiten ist er bewegungsunfähig. Die Diele muss an etwas Festes gestoßen sein, so dass Kail darauf überspringen und es auseinanderreißen konnte.«

»Zum Beispiel an die Betonwand eines künstlich angelegten Gartenteichs.«

»Genau«, sagte Nate. »Du lernst dazu.«

»Er wird immer größer.« Richie deutete auf den sich verbreiternden Spalt in der Straße.

»Er ernährt sich und wächst«, erklärte Nate.

Die Jungen folgten dem Riss noch mehrere Straßenblocks weit, bis sie einen asphaltierten, vollständig aufgesprungenen Fußweg erreichten. Der Weg mündete in einen Platz mit einer Pferdestatue, die in der Mitte auseinandergebrochen war. Die vordere Hälfte sah aus wie ein zweibeiniges, aufrecht stehendes Tier, die hintere wie eine obszöne Witzfigur, die sich dem vorbeirauschenden Verkehr entgegenneigte.

Die Jungen bogen um die Ecke.

»O mein Gott!«, keuchte Nate.

»Ja, das is nich gut«, sagte Richie.

Zwei Häuser lehnten in merkwürdigem Winkel aneinander, ihre Fundamente waren zertrümmert. Sie standen schief am Rand einer Senkgrube von der Größe eines Swimmingpools, die sich in der Mercer Street zwischen Nates Wohngegend und dem Stadtzentrum auftat. Ein drittes Haus war vollständig eingestürzt. Zerborstenes Glas, verbeulte Möbel und zerbrochene Regalbretter lagen auf der Straße verstreut. Eine Gruppe von Arbeitern lud Schutt auf einen Laster, während ein Mann, eine Frau und drei Kinder vom Nachbargarten aus zusahen, wie die Überreste ihres Hauses fortgekarrt wurden.

»Kail ist in der Grube verschwunden«, sagte Nate mit einem schuldbewussten Seufzer. »Ich habe ihn entkommen lassen, und jetzt ist er stark genug, um Häuser einzureißen.«

»Fangen wir ihn ein«, sagte Richie. »Komm, ich warte schon seit Wochen auf ein bisschen Action.«

»Das können wir nicht. Er steckt unter der Erde. Dorthin können wir ihm nicht folgen.«

»Wenigstens wissen wir jetzt, wo er is«, sagte Richie.

»Ja«, murmelte Nate düster, »irgendwo im Zentrum unter den Wolkenkratzern.« Er wandte sich um und machte sich auf den Heimweg. »Eins nach dem anderen«, sagte er. »Zuerst müssen wir den Troll finden.«