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Alex peitschte das alte Motorrad wie ein Pferdejockey durch den schwarzen Ascheregen über die unbefestigte Straße. Veronica umschlang seine Taille von hinten, und zum ersten Mal seit Stunden waren weder Zombies noch Dinosaurier in der Nähe. Trotzdem stellte sich bei ihm in keinster Weise Zuversicht ein, nachdem er gesehen hatte, was seinem Vater widerfahren war. Er empfand nichts und erwartete nur noch eines: den Flugplatz zu erreichen und endlich aus dieser Hölle entkommen zu können.
»Festhalten«, warnte er Veronica, bevor sie wegen eines Steins abhoben. Zwei Motorradlängen weiter landeten die Reifen wieder auf locker komprimierter Erde. Er lenkte hart nach links ein, gewann seine Balance wieder und raste dann erneut mit Vollgas in Richtung Landebahn.
Dann hörten und fühlten sie plötzlich eine Explosion.
Die Erde unter den Rädern bebte, so heftig war sie.
Alex bremste ab, bis sie so langsam fuhren, dass sie sich, als sie stürzten, nicht verletzten. Sie blieben ausgestreckt auf dem Waldboden liegen, während es hinter ihnen am Vulkan wiederholt dumpf krachte.
Die Umgebung erzitterte noch einmal, als eine weitere Reihe von Donnerschlägen folgte – man konnte sich fast an ein Abschlussfeuerwerk zum US-Nationalfeiertag erinnert fühlen –, imposanter und länger andauernd als die vorangegangenen. Nachdem sich Veronica Laub vom Körper geklopft hatte, stand sie auf und schaute sich aufmerksam um, während Alex die Maschine wieder aufrichtete.
»Das muss den ganzen Bunker zerrissen haben«, sagte sie und stieg einmal mehr hinten auf.
Alex blickte zurück in Richtung Vulkan, dessen Kegelspitze jetzt vor Feuer übersprudelte. »Ich glaube, das war möglicherweise sogar erst der Anfang.«
»Die Munition dort zu lagern … all die Bomben …« Veronica erschauderte, als ein Ascheregen auf sie niederging, nunmehr stärker als zuvor.
»War das die Notbremse: eine Eruption auszulösen?«
»Ich will nicht hierbleiben und warten, um es herauszufinden. Lassen Sie uns …«
Sie hörten es beide gleichzeitig: den Lärm eines großen Tiers, das irgendwo in der Nähe auf den Boden stampfte und durch das Dickicht pflügte. Sie konnten es zwar noch nicht sehen, fuhren aber lieber so schnell sie konnten weiter. Als sie zu einer Weggablung gelangten, zeigte Veronica nach links. Alex fuhr dort entlang und kurz darauf über einen steilen Hügel, von dessen Kuppe aus man nicht weit unterhalb die Rollbahn erkennen konnte.
Und etwas anderes – eine Bewegung – fiel Alex ebenfalls auf.
Es war ein Jeep, der den Weg hinunterraste und dabei Dreckwolken hinter sich aufwarf.
»Da ist Xander!«
»Er will auch zum Flugzeug; wir müssen ihn aufhalten!«
»Wieso? Er kann doch gar nicht fliegen.«
»Wahrscheinlich will er sich im Hangar verstecken, auf DeKirk warten und … Er kann vielleicht nicht fliegen, dafür könnte er aber die Cessna aus reiner Bosheit hochjagen, nur um uns einen Strich durch die Rechnung zu machen.«
»Falls er erfährt, dass wir überlebt haben.«
»Tja, zwischen hier und dort unten gibt es eigentlich keine Versteckmöglichkeit für uns. Er wird uns in Kürze bemerken.«
Alex zuckte mit den Achseln. »Dagegen können wir nichts unternehmen, außer wir machen ihn dingfest.«
»Und dann endlich kalt.« Veronica biss die Zähne zusammen, schlang ihre Arme fester um Alex und nickte. »Nur zu!«
***
Die Vorstellung, auf dieser Insel festzusitzen, wo seinen Vater ein so abartiges Schicksal ereilt hatte, war für Alex mehr als nur unvorstellbar. Er jagte den Motor der Honda hoch und versteifte seinen Blick auf Xanders Jeep, der wesentlich schneller raste, als aus Sicherheitsgründen vertretbar gewesen wäre, denn die Raketenwerfer in seinem Stauraum wurden gehörig durchgeschüttelt. Das Motorrad war allerdings ein PS-Bolide, also rief Alex Veronica zu, sie möge sich doch bitte gut festhalten, und drehte den Gasgriff dann bis zum Anschlag auf. So brausten sie auf der holprigen Strecke hinunter, die ihm mitunter so vorkam wie eine Profiskipiste – nur Buckel und steile Gefälle. Die beiden hockten geduckt auf dem Zweirad, wurden schneller und schneller, näherten sich einer größeren Felsformation und schlossen dann zu Dyson auf, der, wie Alex mit Genugtuung sah, plötzlich erschrocken in den Rückspiegel schaute.
Warum tut er denn so erschrocken?, fragte er sich, kurz bevor ihm bewusst wurde, dass es eventuell noch mehr als einen Grund für die Angst des Forschers geben könnte.
Liegt es am Vulkan oder daran, dass wir überlebt haben – oder ist es vielleicht …
Das Vorderrad der Maschine federte hart auf dem abflachenden Grund, wobei sie ausrutschten, aber zum Glück trotzdem noch im Gleichgewicht blieben, doch als sie hinter den Felsausläufern und Geröllhaufen entlangfuhren, bahnte sich bereits ein anderer Schrecken an.
Nun wusste Alex, was Xander gesehen hatte: Der T-Rex sprang neben den Felsen hervor, wo er gekauert hatte, beinahe perfekt getarnt vor Bruchgestein und Berghang. Er machte seinen Hals lang und streckte den Körper nun zu voller Größe aus. Er war mehrere Stockwerke hoch und auf ihm wimmelte es vor Zombies; die untoten Humanoiden klammerten sich an seinen Schwanz oder die Flanken und hockten sogar wie Cowboys auf seinem Rücken.
Er brüllte und schnappte mit seinem Riesenmaul nach der Maschine, biss aber knapp am Hinterrad vorbei ins Leere.
Wütend und ungestüm nahm er nun die Verfolgung auf.
***
Der Himmel war dunkler geworden, weil der Vulkan weiterhin wallend schwarze Aschewolken ausstieß. Die Erde rumpelte, der Wind wurde kalt und wirbelte schwarze Flocken herum.
Als Alex zum linken Rand der Straße hinüberlenkte, spürte er, wie seine Hände vibrierten, da sie mittlerweile über zerklüftetes Vulkangestein rollten. Er wollte gerne anhalten, weil er befürchtete ansonsten entweder zu stürzen oder gegen den Schwanz des Dinosauriers zu krachen, doch dann neigte sich dieser plötzlich nach vorne und hob den Fortsatz so schnell, dass es rauschte, ein wenig höher als das Motorrad.
»Ducken!«
Alex gab wieder Gas, und sie sausten unter dem dicken Schwanz des T-Rex hindurch vorwärts. Ein Zombie fiel nun von ihm hinunter – ob absichtlich oder zufällig, konnte Alex nicht sagen – und landete einen Sekundenbruchteil hinter der Maschine, wobei er die Finger beider Hände in den Speichen des Hinterrads verlor. Alex blickte über seine rechte Schulter zurück und sah den Dinosaurier nun erzürnt brüllen, ehe er in einer Dunstwolke herumwirbelte und ihnen nachsetzte.
»Schneller!«, drängte ihn Veronica, doch Alex benötigte keine extra Aufforderung. Wie in Trance wurde er eins mit der Honda, nahm nichts mehr außer den Hindernissen auf der Strecke unmittelbar vor sich wahr und erfühlte die Rhythmen der Maschine, während er ihr die erforderlichen Bewegungen entlockte. Er fasste Dysons Jeep ins Auge und versuchte, sich dessen Fahrmanövern anzupassen, wobei er immer weiter aufholte. Der Tyrannosaurus hinter ihnen stampfte auf seinen kräftigen Hinterläufen die Straße entlang. Alex legte sich in die nächste Kurve, und als er wieder hochkam, fuhr Xander nicht mehr weit von ihm entfernt.
Der Verbrecher warf hastig einen Blick zurück und sah seine Verfolger dicht hinter ihm. Die Nähe des Dinosauriers und der Maschine verstörten ihn so sehr, dass er umlenkte und gleichzeitig beschleunigte – im denkbar schlechtesten Augenblick.
Sein linkes Vorderrad knallte gegen die hervorstechenden Steine, und der Jeep trudelte, vollständig außer Kontrolle, nach rechts. Er blieb in einer Schlammlache stecken, bäumte sich auf und kippte dann beinahe komplett, ehe er auf drei Rädern stehenblieb; das Vierte war an der Achse abgebrochen. Xander war hinausgeschleudert worden und lag mit von sich gestreckten Gliedern auf der Straße. Als er sich hinsetzte, hielt er seinen Arm fest, an dem er sich in Ellbogennähe einen offenen Bruch zugezogen hatte, wo nun der Knochen weiß hervortrat. Er sah verwirrt und doch wütend aus, während er langsam wieder zur Besinnung kam.
Alex bremste, um nicht gegen den Jeep zu stoßen, und kam dann seitwärts schlitternd zum Stehen, weil er die Bodenhaftung verlor. Da ihm nichts anderes übrigblieb, wollte er das Motorrad wieder in Stellung bringen, doch Veronicas Gewicht brachte ihn endgültig aus der Balance. Als er den Kopf drehte, um zu sehen, wo das Untier war – er glaubte fest, es habe schon zu ihnen aufgeschlossen und werde sie gleich verschlingen –, spürte er, wie es an der Maschine vorbeihuschte, und sah dann seine roten Augen, die vor blindwütigem Zorn glommen. Sein Kopf ragte bedrohlich über ihnen auf, und die Zombie-Reiter krallten sich weiter furchtlos an ihm fest.
Was er im Sinn hatte, war ohne Zweifel klar: Es trachtete nach seiner verwundeten Beute.
In Alex keimte Nervenkitzel auf, und einen Moment lang spürte er, was Veronica, wie er vermutete, ebenfalls empfand.
Schnapp ihn dir!, dachte er, das Monster stillschweigend anfeuernd, als es auf Xander losging.
***
Während er sich den Arm festhielt, wurde Xander mit schmerzverzerrtem Gesicht bewusst, dass ihm nicht mehr viele Optionen blieben. Er war ein wehrloses und obendrein verwundetes Opfer, und damit die perfekte Mahlzeit für einen rasenden Dinosaurier und dessen Reiter. Hungrig steigerte sich der T-Rex in seinen rauschhaft glühenden Zorn hinein, der weit über den schlichten animalischen Selbsterhaltungstrieb hinausging. Erwacht nach Äonen an einem unbekannten Ort in einem von Krankheit verheerten Leib, nicht einmal mit funktionierendem Herzen ausgestattet und von einer Anhängerschaft parasitärer Zombies gequält, sah sich diese Kreatur nun durch Kräfte seiner eigenen Evolution zu der einen Handlung auf dieser Welt gezwungen, die sie auszuführen verstand: Angreifen und Fressen!
Xander sah den Saurier unaufhaltsam auf sich zukommen und benutzte seinen unverletzten Arm, um aufzustehen. Er versuchte genau den richtigen Zeitpunkt abzupassen und lief dann vorwärts, während die Echse in einem Geschwindigkeitsausbruch auf ihn zustürzte. Er brachte sie dadurch in ihrem Timing durcheinander, dass er sich duckte und unter ihrem hinabsausenden Kiefer durch und zwischen den Beinen am peitschenden Schwanz vorbeirollte.
Ohne zurückzuschauen, weil er nicht wusste, wie viel Zeit er gerade gewonnen hatte – er hörte nur das enttäuscht wutschnaubende Brüllen des Tiers –, rannte er zum Jeep, obwohl er wusste, dass Flucht egal in welche Richtung in gleicher Weise seinen Tod bedeutete, wie regungslos auf der Straße stehenzubleiben. Als er den Wagen schließlich erreichte, rang er sich zu einer Bewegung durch, von der er schlimme Schmerzen erwartete: Er zog einen der schweren Raketenwerfer von der Ladefläche und balancierte ihn auf seiner rechten Schulter, der Seite seines unversehrten Arms. Während das Monster auf ihn zulief, drehte er sich um und zielte mit der Waffe auf ihn.
Er nahm den auf und ab wippenden Kopf des T-Rex ins Visier und machte sich darauf gefasst, zu feuern. Ergriffen von Furcht, die so intensiv war, dass sie die Qual in seinem gebrochenen Arm vollständig ausblendete, versuchte Xander den Gedanken zu verdrängen, dass sein Leben gleich im schwärenden Maul eines prähistorischen Tiers enden würde.
Xander bereitete sich auf sein letztes Gefecht vor, als er einen Hebel am Raketenwerfer umlegte. Der Dinosaurier hielt kurz inne, und ging dann bemessener weiter, wobei er seinen Kopf einzog, als wenn er genau wüsste, was Xander vorhatte. Einer der Zombies glitt an seiner Schnauze hinunter wie ein Kind auf einer Rutsche und flog an Dyson vorbei, nicht ohne mitten in der Luft nach ihm zu schlagen. Der Verletzte wich reflexartig aus und drückte ab, als er den Schädel des Ungeheuers im Fadenkreuz sah.
Habe ich dich, dachte er im Taumel des Überschwangs … der sich plötzlich von einer Sekunde zur anderen in ausgemachten Schrecken verwandelte …
Denn nichts geschah.
Er nahm den Panzerbrecher hinunter und zuckte dabei wegen der erneuten Schmerzen in seinem ruinierten Arm zusammen.
Shit.
Xander öffnete den Mund und starrte in die von Kugeln durchsiebte, geifernde Schreckensvisage vor ihm, die dämonischen Augen und spitzen Zähne in einem faulenden Maul, das einen so widerwärtigen Atem aushauchte, dass er fast würgen musste.
Es war vorbei, und gerade als er das Motorrad aufheulen hörte und eine verschwommene Bewegung im Augenwinkel wahrnahm, als Veronica und Alex in Sicherheit flohen, wusste er es: Es gab kein Entkommen … keine zweite Chance … kein Morgen.
Seine außerordentliche Genialität, seine Pläne, sein Einfallsreichtum – vertan auf dieser verfluchten Insel, hinfällig wegen etwas, das er ausnahmsweise einmal nicht hatte voraussagen können.
Der T-Rex war blitzschnell, er schob seine aufgerissenen Kiefer vor und schloss sie um Dysons ganzen Körper, ehe er den Kopf zur Seite drehte, sodass die Füße seiner Beute an einem, der Kopf und die Arme am anderen Maulwinkel heraushingen. Blut floss links und rechts auf die Straße, als er sich zu voller Größe aufrichtete, Xanders Rippen mit seinem Gebiss einfach zerdrückte und die inneren Organe durchstach. Der Zombie, der an der Kreatur hinuntergerutscht war, stand nun vor ihr und blickte auf, um sich vom Blut berieseln zu lassen, das aus ihrem zermalmenden Maul regnete. Er öffnete seinen Mund, so weit er konnte, fing Xanders frisch ausgepressten Lebenssaft auf wie das Fruchtfleisch einer zerquetschten Orange und gurgelte, als er überquoll und der Rest an seinen Wangen hinunterströmte.
Der Forscher, der den Raketenwerfer immer noch festhielt, nun aber mit dem Tod rang, drückte noch einmal reflexartig ab, und jetzt wurde die Zündung ausgelöst.
***
Alex bremste und fuhr langsamer.
Veronica und er schauten gerade zurück, als eine Rakete direkt aus dem Schlund des T-Rex zu fliegen schien und in den Jeep einschlug, der sofort in einem Feuerball aus Trümmerteilen aufging. Der Zombie, der in der Nähe gestanden hatte, wurde von den Flammen ergriffen, sodass Xanders Blut auf seiner von Fäulnis zerfressenen Haut verdampfte, bevor sein Fleisch verzehrt und die Knochen eingeäschert wurden.
Der Tyrannosaurus schreckte überrascht zurück, als er die Hitze der Explosion spürte. Seine Reaktion bestand darin, die Beute hochzuschleudern und noch tiefer in sein Maul sacken zu lassen, und dann kräftig darauf zu beißen. Der Druck schnitt beziehungsweise presste den Biochemiker augenblicklich in zwei Hälften. Sein Kopf blieb mit dem oberen Torso zwischen den Zähnen der Kreatur hängen, eingeklemmt wie Portionen in einem Fleischwolf. Der Unterleib – zerfetztes Fleisch und Knochen – fielen hinunter in den brennenden Jeep, wo wenige Augenblicke später die anderen Waffen in die Luft flogen. Splitter stoben in alle möglichen Richtungen, und ein spitzes Stück schlug durch ein Bein des T-Rex, der dies aber gar nicht zu bemerken schien, während er die Mahlzeit in seinem angespannten Schlund hinunterwürgte. Ein anderer Splitter traf einen Zombie auf dem Rücken der Echse und sprengte ihm den Schädel wie eine Wassermelone unter einem Vorschlaghammer.
Auf der Straße packte Alex die Lenkgriffe der Maschine fester, weil er sich jetzt umso mehr zum Flugplatz hingezogen fühlte. Er fuhr los, als er spürte, dass Veronica ihre Arme ein wenig lockerte, und er ihren Atemhauch wahrnahm – ein langer Seufzer, bei dem sie etwas sagte wie: »Nun kannst du in Frieden ruhen, Edgards …«
Ohne zu fragen, was das genau bedeuten sollte, schaute er in den Rückspiegel und gab dann noch mehr Gas.
Denn der T-Rex war ganz bestimmt noch nicht satt.
Das Monstrum drehte sich um, heulte, leckte sich die Zähne sauber und hüpfte dann hinter dem Motorrad her.