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Nachgerüsteter Öltanker Hammond-1, 20 Meilen vor der Nordküste der Antarktis

Nachdem der Hubschrauberpilot seine Ladung abgeliefert und aufgetankt hatte, startete er genauso schnell wieder, wie er gelandet war. So als ob ihm davor graute, auch nur eine Minute länger als nötig auf dem eiskalten Oberdeck des gewaltigen Tankers verweilen zu müssen.

Xander Dyson streifte seine weiße Sturmhaube ab und zog sich die Schutzbrille über seinen dichten Schopf aus wellig blondem Haar. Obwohl er so viele Schichten Kleidung am Körper trug, dass er aufgehört hatte, sie zu zählen, zuckte er wegen der brutalen Kälte und des einschneidenden Winds zusammen, während die drei Männer immer näherkamen. Die Reise vom Flughafen in Chile aus war in jeder Hinsicht dem strapaziösen Höllenritt gleichgekommen, den er sich vorher bereits ausgemalt hatte, und nun hier zu sein in dieser zugefrorenen Kloake der Welt – herbeordert –, seiner Forschungsarbeit und den so unmittelbar bevorstehenden Ritterschlag entzogen, fand er nahezu unerträglich.

»Captain«, sprach Xander und richtete sich damit an den stämmigen, grobschlächtigen Mann in der Mitte, von dem er annahm, er habe hier das Sagen. Dessen konnte er sich zwar nicht sicher sein, doch normalerweise überließen Befehlshaber ihren Lakaien das Tragen von Waffen.

»Mr. Dyson, willkommen an Bord.«

Xander kam gleich zur Sache: »Ich brauche drei Dinge – erstens sofortige Wärme, zweitens ein Glas des stärksten Alkohols, den Sie haben, und drittens eine Erklärung des Anliegens, das einfach nicht warten konnte, weshalb ich in aller Eile in diese vereiste Einöde gebracht werden musste.«

Der Captain zog grinsend seine buschig weißen und vom Frost verkrusteten Augenbrauen zusammen. »Sie werden die ersten beiden Punkte hintanstellen, wenn Sie sehen, was wir Ihnen zeigen wollen.«

Xander blieb sichtlich skeptisch: »Das bezweifle ich. Was ist es denn?«

»Mr. DeKirks Fund. Und er besteht darauf, dabei zu sein, um Ihre Reaktion persönlich beobachten zu können. Wenn Sie nun also bitte mit uns nach unten kommen würden. Dort ist es warm, und wir haben auch eine Menge Wodka.«

Xander verbeugte sich und ließ sich von dem Dreiergespann führen.

DeKirk. Welchen Trumpf hatte der alte Bastard im Ärmel? Es gab nicht viele Menschen, von denen sich Xander auf Geheiß um die halbe Welt jagen ließ, doch der Milliardär zählte zu ihnen. Zweifellos brauchte ein Genie wie Xander mit solchen Talenten, Seilschaften und Fertigkeiten DeKirk nicht, doch dieser war einer von mehreren konkurrierenden Förderern, die Xanders Labor in Österreich ausstatteten, mehrere Forschungsfelder finanzierten und dafür sorgten, dass seine alles andere als legalen Bemühungen nicht die Aufmerksamkeit von Behörden erregten. Xanders Bedürfnisse zu befriedigen war äußerst kostenintensiv, doch seine Erzeugnisse erfreuten sich hoher Nachfrage. Er stand kurz davor, mehrere Verträge abzuschließen, wobei er diverse Agenturen und Landesregierungen in einem Auktionskrieg gegeneinander ausspielte, der ihm schon jetzt im relativ jungen Alter von achtundzwanzig Jahren eine rosige Zukunft garantieren würde – und dazu noch einen Platz in der Historie.

Sie stiegen mit ihm eine klapprige Metalltreppe hinunter und führten ihn dann über ein Unterdeck, auf dem es vor abgehetzten Crewmitgliedern nur so wimmelte, die Seilwinden und hydraulische Kräne in dem weitläufigen Bereich bereitmachten sowie das breite Tor des Frachtraums enteisten. Xander blieb stehen und schaute dabei zu, wie es aufgezogen wurde, wobei er annahm, der Tanker habe irgendetwas Wertvolles geladen.

Als die Flügel jedoch eingerastet waren, zeigte sich eine gähnende Leere in dem enorm großen Raum – Leere, bis auf überdimensionierte Ketten, die man wohl angebracht hatte, um etwas Riesiges darin festzuhalten.

»Was in aller Welt haben Sie entdeckt: King Kong?«

Xander schaute den Captain an und wartete auf eine Antwort, doch der Mann trat lediglich durch das offene Tor, während die Soldaten draußen blieben und sich zu beiden Seiten aufstellten.

Dyson folgte prompt, nachdem er kurz zurückgeschaut hatte, da nun große Scheinwerfer ansprangen, die in den Laderaum gerichtet waren. Als das Schiff unvermittelt wankte, musste er sich an einem Handlauf festhalten, um seine Balance zu halten. Er wusste nicht, was er bis zu diesem Zeitpunkt inniger hasste: Helikopter, Schiffe oder einfach nur die erbarmungslose Kälte.

»Was wollen Sie denn hier einsperren, Captain?«, fragte er noch einmal, nachdem er eingetreten war, woraufhin sich das Tor mit einem Knall hinter ihm schloss.

Ein leises Lachen erfolgte, dann bekam er ein Schnapsglas vor die Nase gehalten. Der Captain hatte seine Jacke beiseite geworfen und Dyson sah, dass er einen schwarzen Rollkragenpullover aus Wolle darunter trug. Schließlich hob er sein eigenes Glas und trank gemeinsam mit Xander.

»Sie werden es mir nicht glauben, bis Sie es mit eigenen Augen gesehen haben«, erwiderte er nur. »Könnte sein, dass Sie dann noch einen Kurzen brauchen, aber hier …« Er ging zu einem Laptop, der in dem engen, aber warmen Raum auf einem Schreibtisch stand, und drehte sich zu seinem Gast um. »Dies wird übrigens ihr Quartier sein, bis wir auf Adranos Island eintreffen.«

»Was?« Xander schluckte den bitteren Wodka hinunter, fuhr sich mit seiner Zunge über die Lippen und schaute sich um.

Ein kleines Bett, ein Tisch und keine Fenster; ein Bücherregal und natürlich der Laptop sowie ein Monitor. »Ich setze keinen Fuß auf irgendeine Insel.«

Nun leuchtete der Bildschirm des Laptops auf, und DeKirks Visage erschien. »Ah, Xander! Willkommen zum Fest.«

»Ja, ja«, nölte Dyson, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, um dem Milliardär auf Augenhöhe begegnen zu können. »Ich kann mich nicht daran erinnern, die Gelegenheit bekommen zu haben, auf eine Einladung zu antworten.«

»Nicht nötig, mein Freund. Nun denn, Sie sind doch bereit, nicht wahr?«

Xander tat die Frage gleichgültig ab, und schaute zum Captain hinüber, der gerade die beiden Gläser noch einmal auffüllte. Jetzt fragte er sich, wie viele der Kerl schon zu sich genommen hatte, und was genau treibt ihn dazu, solche Mengen zu trinken?

»Ich schicke ihnen nun Eindrücke unserer amerikanischen Freunde im Süden, von Station Erebus in der Antarktis.«

Na toll, stöhnte Xander innerlich, wir fahren dorthin, wo es noch kälter ist.

»Halten Sie Ihr bestes Stück warm und machen Sie sich darauf gefasst, Bauklötze zu staunen.«

Xander ließ sich ein zweites Glas geben. »Ich bin neugierig, also spucken Sie es schon aus.«

DeKirk verschwand, und nachdem es ein paarmal geklickt hatte, zeigte der Monitor das helle, grobkörnige Bild einer Arbeitsstätte im Eis, einer Industrieanlage mit Kränen und Podesten. Dutzende Männer in Parkas waren dort zugange, und dann … Eine Überblendung in einen Tunnel, wo sich etwas auf einer Plattform erhob … etwas Übergroßes, etwas …

Xander schaute genauer hin, indem er die Augen zusammenkniff.

Er erschrak so sehr, dass er sein Glas losließ; es ging zu Bruch, als es auf den Boden fiel.

»Heiliger Strohsack, ist das etwa …«

»Ist es«, bestätigte DeKirk, dessen Stimme kaum kaschierte, wie vergnügt er war. »Einwandfrei konserviert, und er ist nicht der Einzige. Wir haben mindestens zwei weitere Dinosaurier gefunden – andere Spezies, doch sie sind genauso unversehrt.«

»Das ist es«, flüsterte Xander fassungslos. Die Kälte, der Flug, die raue See: Dass alles war plötzlich vergessen. »Das bedeutet … die Welt.«