Sieben
Hochzeit
Nacoya verneigte sich tief.
»Mylady, es ist Zeit.«
Mara öffnete die Augen; ihr war viel zu warm für diese Tageszeit. Die Kühle des frühen Morgens war noch nicht gewichen, und doch engte das Kostüm sie bereits ein. Sie sah Nacoya an, die neben der blumengeschmückten Sänfte stand. Nur noch einen kleinen Augenblick, dachte Mara bittend. Doch sie wagte es nicht, länger zu bleiben. Diese Hochzeit würde ohnehin schwierig genug werden, und sie wollte nicht ein zusätzliches schlechtes Omen heraufbeschwören, indem sie riskierte, daß die Zeremonie nicht wie vorgeschrieben gegen Mittag abgeschlossen war. Mara erhob sich ohne fremde Hilfe und stieg wieder in die Sänfte. Sie gab mit einem Wink zu verstehen, daß sie bereit war, und Nacoya sprach mit den Trägern. Die Sklaven nahmen die Augenbinden ab, denn jetzt begann der offizielle Hochzeitszug. Als wären sie eins, drehten sich die am Rand des Gartens Wache stehenden Krieger um und salutierten ihrer Herrin, als die Träger die Sänfte aufnahmen und langsam ihren Weg zu dem. festlichen Podest begannen.
Die nackten Füße der Sklaven hinterließen kein Geräusch, während sie Mara in die geflieste Halle des Herrenhauses trugen. Keyoke und Papewaio warteten am Eingang; sie ließen sie passieren und folgten dann in angemessener Entfernung. In den offenen Türen entlang der Halle hatten sich Bedienstete aufgestellt und streuten Blumen aus, die der Braut Freude und Gesundheit während der Schwangerschaften bescheren sollten. Zwischen den Türen standen ihre Krieger an den Wänden, und jeder einzelne von ihnen salutierte ihr voller Inbrunst. Einige konnten nicht verhindern, daß ihre Augen feucht wurden. Diese Frau war für sie mehr als einfach nur ihre Herrin; denen, die Graue Krieger gewesen waren, hatte sie gegen jede Erwartung ein neues Leben geschenkt. Mara mochte wohl die Loyalität, die die Krieger ihr entgegenbrachten, auf Buntokapi übertragen, doch ihre Liebe würde immer ihr gehören.
Die Träger blieben vor den geschlossenen Türen der Festhalle stehen, während zwei Mädchen, die für die Dauer dieses Ereignisses einzig Chochocan dienten, einen farbigen Schleier an Maras Kopfbedeckung befestigten. Dann legten sie einen aus Schleifen, Shatra-Federn und Thyza-Schilfrohr gebundenen Kranz in ihre Hände, um die gegenseitige Durchdringung von Geist und Fleisch, von Erde und Himmel sowie die heilige Verbindung von Mann und Frau zu symbolisieren. Mara hielt den Kranz nur mit leichtem Druck fest, denn sie fürchtete, daß ihre feuchten Handinnenflächen die Seidenschleifen beflecken könnten. Die braunweiß gesprenkelten Federn der Shatras verrieten ihr Zittern, als vier vornehm gekleidete Mädchen sich dicht um die Sänfte stellten. Es waren Töchter von Verbündeten der Acoma, Freundinnen, die Mara noch aus ihrer Kinderzeit kannte. Ihre Väter mochten zu anderen Zeiten aus politischen Gründen Abstand wahren, doch an diesem Tag waren die Mädchen wieder ihre geliebten Freundinnen. Trotzdem vermochte auch ihr warmherziges Lächeln, während der Hochzeitszug sich formierte, Maras Beklommenheit nicht zu mildern. Sie würde die große Halle als Herrscherin der Acoma betreten, doch sie würde sie als Ehefrau Buntokapis verlassen, eine Frau wie all die anderen Frauen, keine Erbinnen, sondern nur Schmuckstücke, die dazu dienten, die Ehre und Annehmlichkeit ihres Herrn zu vermehren. Eine kurze Zeremonie vor dem Natami im Heiligen Hain, und sie würde keinen Rang mehr innehaben, außer dem, der ihr durch die Gnade ihres Mannes zufiel.
Keyoke und Papewaio zogen an den hölzernen Türgriffen, und die bemalten Holzflächen glitten geräuschlos zur Seite. Ein Gong erklang. Musiker spielten auf Schilfrohrpfeifen und Flöten, und die Träger marschierten los. Mara zwinkerte mit den Augen, kämpfte gegen ihre Tränen an. Sie hob den verschleierten Kopf, als sie an den höchsten Würdenträgern der größten Familien des Kaiserreiches vorbeigetragen wurde. Die Zeremonie, die ihr Schicksal mit dem von Buntokapi von den Anasati verbinden würde, war jetzt nicht mehr aufzuhalten.
Durch den farbigen Schleier erschienen Mara die versammelten Gäste wie Schatten. Die hölzernen Wände und Flure rochen nach frischem Wachs und Harz, und der Geruch vermischte sich mit dem Duft der Blumen. Die Sklaven trugen sie zum Podest und setzten die Sänfte auf der untersten der beiden Stufen ab. Dann zogen sie sich zurück, während Mara vor den Füßen des Hohepriesters von Chochocan und dreier Akolythen wartete. Die Mädchen, die sie begleiteten, ließen sich auf Kissen neben den Stufen nieder. Benommen von der Hitze und dem nahezu überwältigenden Rauch aus dem Rauchfäßchen des Priesters befahl sie sich, ruhig weiterzuatmen. Obwohl sie nicht über das Podest des Priesters hinaussehen konnte, wußte sie, daß entsprechend der Tradition gleichzeitig mit ihr auf der entgegengesetzten Seite Buntokapi die Halle betreten hatte, in einer Sänfte, deren papierne Dekorationen Waffen und Rüstungen symbolisierten. Jetzt saß er auf der gleichen Stufe wie sie, allerdings rechts vom Priester. Seine Gewänder waren ebenfalls kostbar und wertvoll gearbeitet, doch sein Gesicht war hinter einer gewaltigen Maske aus Federn verborgen, die von irgendeinem seit langem verstorbenen Ahn der Anasati nur für Hochzeiten hergestellt worden war.
Der Hohepriester hob seine Arme, drehte die Handflächen gen Himmel und intonierte den einleitenden Gesang: »Am Anfang war nichts als Macht in den Gedanken der Götter. Am Anfang formten sie mit ihrer Macht Dunkelheit und Licht, Feuer und Luft, Land und See, und erst ganz zum Schluß den Mann und die Frau. Am Anfang erschufen die getrennten Körper von Mann und Frau die Einheit des göttlichen Gedankens, der sie erschaffen hatte, von neuem, und Kinder wurden gezeugt und geboren, um die Macht der Götter zu rühmen. An diesem Tag, wie zu Beginn, sind wir versammelt, um die Einheit des göttlichen Willens zu bezeugen – durch die Verbindung der irdischen Körper dieser jungen Frau und dieses jungen Mannes.«
Der Priester ließ seine Hände sinken. Ein Gong erklang, und einige Jungen sangen eine Passage, die die Dunkelheit und das Licht der Erschaffung beschrieb. Dann standen die versammelten Gäste unter lautem Quietschen ihrer Sandalen und dem Rascheln von Seide, Brokat, Perlen und juwelenbesetzten Federn auf.
Der Priester fuhr mit dem Gesang fort, während Mara den Drang bekämpfte, die Hand unter den Schleier zu schieben und sich an der Nase zu kratzen. Der Prunk und der formelle Charakter der Zeremonie erinnerten sie an ein Ereignis ihrer Kindheit, als sie und Lano von einer ähnlich großen Hochzeit wie der, die sie soeben erdulden mußte, nach Hause zurückgekehrt waren. Als Kinder hatten sie oft Braut und Bräutigam gespielt; Mara pflegte dann ihre Haare mit Akasi-Blumen zu schmücken und sich auf die von der Sonne gewärmten Bretter eines Thyza-Wagens zu setzen, während Lanos Hochzeitsmaske aus gebackenem Schlamm mit Lehm und Federn bestand. Der »Priester« war ein betagter Sklave gewesen, dem sie so lange zugesetzt hatten, bis er sich zu diesem Anlaß ein Bettuch umgehängt hatte. Traurig verkrampfte Mara ihre Finger; der Festkranz in ihren Händen war dieses Mal Wirklichkeit, nicht die aus Gräsern und Reben geflochtene Einbildung eines Kindes. Hätte Lanokota noch gelebt und an der Feier teilgenommen, er hätte sie geneckt und ihr Glück gewünscht. Aber Mara wußte, daß er innerlich geweint hätte.
Der Priester setzte jetzt zu einer anderen Passage an, und der Gong ertönte. Die Gäste nahmen wieder auf ihren Kissen Platz, und der Akolyth zündete auf dem Podest die Kerzen an. Ihr schwerer Duft erfüllte die Halle, während der Hohepriester die Tugenden der Ersten Ehefrau wiedergab. Jedesmal, wenn er mit einer fertig war – Keuschheit, Gehorsamkeit, Wohlerzogenheit, Reinlichkeit und Fruchtbarkeit – beugte Mara sich nach unten und berührte mit der Stirn den Boden. Wenn sie sich wieder aufrichtete, entfernte ein Akolyth mit gefärbten Händen und Füßen die Schleier, den weißen für die Keuschheit, den blauen für die Gehorsamkeit und den rosafarbenen für die Wohlerzogenheit, bis nur noch ein dünner grauer Schleier für die Ehre der Acoma übrigblieb.
Der gazeartige Stoff kratzte immer noch, aber immerhin konnte Mara jetzt ihre Umgebung erkennen. Die Anasati saßen auf der Seite des Bräutigams, so wie die Gefolgschaft der Acoma hinter Mara saß. Die anderen Gäste hatten entsprechend ihrer Bedeutung Platz genommen. Am hellsten schimmerte das weißgoldene Gewand des Kriegsherrn, der dem Podest am nächsten saß. An seiner Seite saß seine Frau in scharlachrotem Brokat, in das türkisfarbene Federn eingenäht waren. Doch zwei Männer stachen in ihren tiefschwarzen Gewändern aus der Mitte des farbenfrohen Reigens heraus wie zwei Nachtvögel, die sich in einem Blumenbeet ausruhen. Es waren zwei Erhabene aus der Versammlung der Magier, die Almecho zur Hochzeit des Sohnes seines alten Freundes begleitet hatten.
Als nächstes in der Rangordnung hätten die Minwanabi folgen müssen, doch die Blutfehde zwischen den Minwanabi und den Acoma entschuldigte das Fehlen Jingus, ohne daß eine Beleidigung seitens der Anasati damit verbunden gewesen wäre. Nur bei einem Staatsakt wie der Krönung des Kaisers oder der Geburtstagsfeier des Kriegsherrn würden sich die beiden Familien ohne Auseinandersetzung begegnen können.
Hinter der Gefolgschaft des Kriegsherrn erkannte Mara die Lords der Keda, der Tonmargu und der Xacatecas; sie waren es, die zusammen mit Almechos Oaxatucan und den Minwanabi die Fünf Großen Familien bildeten, die mächtigster, im ganzen Kaiserreich. In der nächsten Reihe saß Lord Kamatsu von den Shinzawai zusammen mit seinem zweiten Sohn Hokanu, der inzwischen ein gutaussehendes Profil besaß. Wie die Acoma und die Anasati wurden die Shinzawai in der Rangordnung nur von den Fünf Großen Familien übertroffen.
Mara biß sich auf die Lippe, und die Blätter und Federn ihres Hochzeitskranzes zitterten. Über ihr dröhnte noch immer der Priester; jetzt beschrieb er die Tugenden des Ersten Ehemannes, während die Akolythen die Papierschwerter an Buntos Sänfte mit Perlenketten behängten. Mara sah, wie die roten und weißen Federn seiner Hochzeitsmaske nach unten tauchten, wenn er jede Eigenschaft einzeln anerkannte: Ehre, Kraft, Weisheit, Männlichkeit und Güte.
Wieder ertönte der Gong. Der Priester sprach gemeinsam mit den Akolythen ein Segensgebet. Schneller, als Mara es für möglich gehalten hätte, standen die Mädchen neben der Sänfte auf und halfen ihr beim Aussteigen. Auch Bunto erhob sich, und mit dem Priester und den Akolythen zwischen ihnen verließen sie das Podest und verbeugten sich vor den versammelten Gästen. Dann schritt das Brautpaar in Begleitung von Buntokapis Vater, dem Lord der Anasati, und Nacoya als Erster Beraterin der Acoma sowie dem Priester und den Akolythen aus der Halle und über den Hof zum Eingang des Heiligen Hains.
Dort nahmen die Diener Mara und Buntokapi die Sandalen ab, so daß ihre Füße in Kontakt mit der Erde und so auch den Ahnen der Acoma standen, während die Herrin das Recht zu herrschen an ihren zukünftigen Ehemann übergab. Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel, und auch das letzte bißchen Tau war verdunstet. Die Wärme auf den Steinplatten des Weges fühlte sich unwirklich unter Maras Fußsohlen an, und das helle Vogelgezwitscher vom Ulo-Baum erschien wie das Bruchstück aus einem Kindertraum. Nacoyas Griff an ihrem Arm jedoch war ziemlich fest und kein Tagtraum. Der Priester stimmte ein neues Gebet an, und sie spürte, wie sie plötzlich mit Buntokapi vorwärts ging, eine juwelenbesetzte Puppe an der Seite des sich auftürmenden Federschmucks seiner Hochzeitsmaske. Der Priester verbeugte sich vor seinem Gott und folgte dem Pärchen in den Hain, während er die Akolythen, den Lord der Anasati und die Erste Beraterin der Acoma zurückließ.
Mara folgte verkrampft ihrer vorgeschriebenen Rolle und traute sich nicht zurückzuschauen; hätte das Ritual es erlaubt, ihr Blick wäre auf Nacoyas Tränen gefallen.
Die kleine Gruppe trat aus dem behaglichen Schatten des alten Ulo-Baums und schritt im Sonnenlicht an blühenden Büschen vorbei, durch kleine Tore hindurch und über geschwungene Stege hinweg zum Natami der Acoma. Mit hölzernen Schritten wiederholte Mara den Weg, den sie bereits vor nicht allzu vielen Wochen gegangen war, um ihren Vater und ihren Bruder zu betrauern. Sie verscheuchte jetzt die Gedanken an sie, in der Furcht, ihre Schatten könnten es mißbilligen, daß sie einen Feind heiratete, um ihr Flrbe zu retten. Sie blickte auch den Mann an ihrer Seite nicht an. Seine schlurfenden Schritte verrieten, daß er nicht vertraut mit dem Weg war, und sein Atem kam leicht keuchend hinter dem hellen Antlitz der rot und golden bemalten Nase hervor. Die Augen seiner Maske blickten in starrem Ernst nach vorn, doch die Blicke des Mannes schössen hin und her und saugten alles in sich auf, was ihm schon bald rechtmäßig als Lord der Acoma gehören würde.
Ein Glöckchen läutete leise und forderte das Paar zur stillen Meditation auf. Mara und ihr Bräutigam verbeugten sich vor dem Gott, der auf das Zeremonientor gemalt worden war, und blieben ein Stück dahinter am Rand eines kleinen Teiches stehen. Die Spuren des Attentäters waren längst beseitigt worden und entweihten das grasige Ufer nicht mehr; doch die Priester von Chochocan hatten ein Dach errichtet, das einen Schatten über den uralten Natami warf. Nach einer Reihe von Gebeten und besinnlichen Gedanken erklang wieder das Glöckchen. Der Priester trat vor und legte seine Hände auf die Schultern von Braut und Bräutigam. Er segnete das Paar, besprenkelte sie mit Wasser aus dem Teich und wartete dann schweigend, während die beiden ihre Gelübde ablegten.
Mara zwang sich zur Ruhe, doch niemals zuvor war ihr diese Übung, die sie von den Schwestern Lashimas gelernt hatte, so schwer gefallen. Unter größter Mühe sprach sie mit fester Stimme die Worte, mit denen sie ihr ererbtes Geburtsrecht auf die Herrschaft über die Acoma widerrief. Sie schwitzte, blieb aber stark und hielt sich aufrecht, als der Priester den grünen Schleier abnahm und in der Kohlenpfanne am Teich verbrannte. Er benetzte seinen Finger, tauchte ihn in die warme Asche und malte Zeichen auf Buntos Handflächen und Füße. Dann kniete Mara sich nieder und küßte den Natami. Sie preßte ihren Kopf gegen die Erde, in der die Gebeine ihrer Ahnen lagen, während Buntokapi von den Anasati schwor, sein Leben, seine Ehre und seinen ewigen Geist dem Namen der Acoma zu widmen. Dann kniete er sich neben Mara nieder, die das Ritual mit einer Stimme beendete, die einer Fremden zu gehören schien.
»Hier ruht der Geist von Lanokota, meinem Bruder; Lord Sezu, meinem Vater; Lady Oskiro, meiner Mutter – mögen sie meine Worte bezeugen. Hier liegt der Staub meiner Großväter Kasru und Bektomachan und meiner Großmütter Lamaki und Chenio – mögen sie meine Taten bezeugen.« Sie holte tief Luft und gab ohne Stocken oder Fehler die lange Liste ihrer Ahnen wieder, bis zurück zum Patriarchen der Acoma, Anchindiro, einem einfachen Soldaten, der fünf Tage gegen Lord Tiro von den Keda in einem Duell gekämpft hatte, bevor er die Hand seiner Tochter und den Titel eines Lords gewinnen konnte – wodurch seine Familie auf den zweiten Platz nach den Fünf Großen Familien des Kaiserreiches gelangt war. Selbst Buntokapi nickte respektvoll, denn trotz der außerordentlichen Macht seines Vaters reichte die Blutslinie der Anasati nicht so weit zurück wie die der Acoma. Schweiß rann Maras Nacken hinab. Mit Fingern, die erstaunlicherweise nicht zitterten, pflückte sie eine Blume aus ihrem Kranz und legte sie vor dem Natami nieder – ein Zeichen dafür, daß ihr Fleisch eines Tages wieder zu Erde werden würde.
Das Glöckchen erklang noch einmal; es war ein klagender Ton. Der Priester stimmte ein weiteres Gebet an, und Bunto sprach die vom Ritual vorgesehenen Worte, und er ritzte dann sein Fleisch, bis etwas Blut floß und auf den staubigen Boden tropfte. Mit der Bindung der Ehre, die fester war als die des Fleisches und früherer Verwandschaft, fester sogar als die Erinnerung der Götter, nahm Buntokapi die Herrschaft als Lord der Acoma an. Der Priester entfernte die rotgoldene Hochzeitsmaske der Anasati; und der dritte Sohn des Feindes der Acoma verbeugte sich und küßte den Natami. Mara warf einen Blick zur Seite und sah, wie ihr Ehemann seine Lippen zu einem arroganten Lächeln verzog. Dann verfinsterte sich seine Miene, als der Hohepriester von Chochocan die grüne Hochzeitsmaske der Acoma über die Schultern des neuen Lords streifte.
Mara konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie sie aufgestanden war. Den Weg zurück zum Eingang des Hains nahm sie nur verschwommen war, als wäre es ein Traum, flüchtig wie Vogelgezwitscher. Bedienstete warteten auf sie, wuschen ihre erdverschmutzten Füße und zogen ihr die juwelenbesetzten Sandalen wieder an. Mara ließ es über sich ergehen, während der Lord der Anasati sich formell vor seinem Gastgeber, dem neuen Lord der Acoma, verneigte. Sie weinte auch nicht, als Nacoya ihren Platz einen Schritt hinter Buntokapi einnahm. Benommen von dem Sonnenlicht, das das Gewand des Priesters hell aufblitzen ließ, folgte sie ihnen in die große Halle, um den formellen Teil der Hochzcitszeremome zu Ende zu führen.
In der Halle war es mittlerweile warm geworden. Die edlen Damen wedelten sich mit Fächern aus bemalten Federn Luft zu, und die Musiker, die sie unterhalten hatten, wischten ihre schwitzenden Fingerspitzen an den Instrumenten ab, als die Bediensteten dem Bräutigam und der Braut in ihre Sänften halfen und sie dann ganz auf das Podest emporhoben, auf dem der Hohepriester und seine Akolythen warteten. Der Priester war jetzt in ein kostbares Obergewand mit Pailletten aus Silber, Gold und Kupfer gekleidet und verkörperte das nimmermüde Auge von Chochocan, dem Guten Gott. Der Gong dröhnte, als er seine Arme über der Brust kreuzte, und ein Junge und ein Mädchen stiegen auf das Podest. Beide trugen einen Käfig aus Schilfrohr, in dem zwei Kiri-Vögel hockten, ein Männchen und ein Weibchen. Ihre schwarzweiß gefleckten Flügelspitzen waren im Grün der Acoma gefärbt.
Der Priester segnete die Vögel, und Akolythen übernahmen die Käfige. Dann holte er den Elfenbeinstab, das Zeichen seiner Amtswürde, hervor und rief seinen Gott herbei, um die Heirat von Buntokapi und Mara zu segnen. Es wurde still in der Halle, und auch die Fächer in den Händen der Frauen schwiegen. Sie alle, von den geringsten Grundbesitzern bis zum Kriegsherrn in seinem edelsteinbesetzten Gewand reckten ihre Hälse, als der Priester mit dem Stab gegen die Käfige klopfte.
Das Schilfrohr ging etwas auseinander und gab den Vögeln die Möglichkeit, fortzufliegen – entweder in Freude vereint, was als Omen für eine gute Verbindung gedeutete wurde, oder getrennt, zum großen Jammer des Paares auf den Sänften. So kam Chochocans Gunst große Bedeutung zu.
Nacoya schloß die Augen; ihre alten Hände hielten krampfhaft ein Amulett unter ihrem Kinn fest. Bunto verbarg seinen Gesichtsausdruck hinter der in grellen Farben bemalten Maske, doch seine Braut starrte leer in die Ferne; sie sah nichts, als hätte das Ritual im Hain jedes weitere Interesse beiseite geschoben.
Der Gong erklang, und Diener schoben die Papierläden an den Wänden der Halle zur Seite. »Diese Hochzeit sei gesegnet im Angesicht des Himmels«, intonierte der Priester.
Die Akolythen klopften gegen die Käfige, versuchten die Vögel von den Stangen zu drängen. Das Weibchen zwitscherte ärgerlich und schlug mit den Flügeln, während das Männchen sich in die Luft schwang und über der Menge kreiste, um nach einer Weile wieder zu seiner Partnerin zurückzukehren. Er versuchte auf der Stange zu landen, die dem Weibchen am nächsten war, doch sie plusterte sich auf, schlug wütend mit den Flügeln um sich und hackte erbarmungslos nach ihm. Das Männchen zog sich zunächst zurück, doch dann näherte es sich erneut; schließlich schoß das Weibchen in die Luft, ihre gefärbten Flügelspitzen ein Schimmer von Grün. Mit einem lauten Schrei flog sie in die Freiheit, wurde schnell kleiner und verblaßte schon bald im Sonnenlicht. Das Männchen hielt sich an der verlassenen Stange fest. Es plusterte sich auf und schüttelte verärgert den Schnabel. Erwartungsvolle Stille herrschte in der Halle, während er seinen Schwanz putzte und anschließend zur Spitze des Käfigs hüpfte, um sich dort zu erleichtern. Nach einer anstrengenden Minute winkte der Hohepriester mit einer knappen, aber deutlich irritierten Handbewegung einen Akolythen herbei, der das Männchen sichtlich verlegen davonscheuchte. Alle Augen hingen an ihm, als er träge über ihnen kreiste und sich gleich jenseits der geöffneten Tür in ein Blumenbeet fallen ließ, wo er nach Larven pickte.
Ein Rauschen von Brokat und Federn ging wie eine Welle durch die Versammlung. Der Hohepriester räusperte sich; der Stab in seiner faltigen Hand hing schlaff herab. Nach einem Blick auf Buntokapi, der mit steifem Rücken dasaß, meinte er schließlich: »Preiset die Güte Chochocans und achtet auf seine Lektion. Unter seiner Führung mag dieses Paar Gnade, Verständnis und Vergebung finden.« Er räusperte sich wieder. »Das Omen zeigt uns, daß eine Hochzeit Diplomatie erfordert, denn als Mann und Frau müssen dieser Lord und diese Lady nach Einheit streben. Das ist der Wille der Götter.«
Eine angespannte Pause folgte, in der die Akolythen und die Gäste darauf warteten, daß der Priester fortfuhr. Schließlich wurde offenbar, daß er nichts mehr hinzufügen würde, und der Gong erklang. Ein Diener nahm Buntokapi die Hochzeitsmaske ab. Er sah Mara an, die benommen schien; doch über ihren leicht zusammengekniffenen Augen zeigte sich die kaum wahrnehmbare Andeutung eines Stirnrunzelns.
»Tauscht jetzt die Kränze aus«, befahl der Priester, als wäre er besorgt, daß das Paar es vergessen könnte.
Bunto neigte seinen Kopf nach unten, und Mara drückte den etwas verwelkten Festkranz auf seine dunklen Haare. Als er sich wieder aufrichtete, verrutschte er ein wenig, und sie roch Wein in seinem Atem, als er sich vorbeugte, um nun seinerseits sie zu krönen.
Die Falten auf Maras Stirn vertieften sich; das Ritual verlangte, daß während der Zeit, die sie zum Nachdenken im Garten verbracht hatte, der Bräutigam mit seinen unverheirateten Freunden einen kleinen Schluck Wein trank, um auch ihnen Glück und baldige Heirat zu wünschen. Es schien jedoch, daß Bunto und seine Kameraden gleich eine ganze Festtagsflasche geleert hatten; möglicherweise sogar noch ein oder zwei mehr. Verärgert über diese Taktlosigkeit hörte Mara kaum zu, als der Priester sie für die Dauer ihres sterblichen Lebens zu Mann und Frau erklärte. Auch das Ende der Zeremonie drang erst zu ihr, als die Gäste laut zu jubeln begannen und Glücksbringer aus sorgfältig gefaltetem Papier in einem farbenfrohen Wirbelwind über Braut und Bräutigam niederregnen ließen.
Mara brachte ein mechanisches Lächeln zustande. Jetzt kam der Augenblick, da jeder Gast das Hochzeitsgeschenk präsentierte – in Form eines handwerklichen Gegenstands, eines Gedichts oder einer musikalischen Komposition. Einige dieser Geschenke oder Vorführungen von den großen Lords und den politisch Einflußreichen des Kaisereichs würden von außerordentlicher Qualität und teuer sein. Es ging das Gerücht, daß der Kriegsherr eine ganze Theatergruppe mitgebracht hatte, mitsamt Kostümen und Bühne. Aber diese Vorführung würde erst in ein paar Tagen stattfinden, da die Reihenfolge bei den Rang-niederen begann.
Buntokapi pickte einen der Papierglücksbringer von seinem Gewand. Er wollte sich die Langeweile der ersten Darstellungen ersparen und erklärte, sich erleichtern und bequemere Kleider anziehen zu müssen. Wie es der Brauch wollte, konnte er mit seiner Braut erst dann schlafen, wenn der letzte Gast sein Geschenk abgeliefert hatte; und das schwere Hochzeitskleid verbarg zuviel von ihr, als daß es nicht ein besserer Zeitvertreib sein würde, den Sklavenmädchen nachzugaffen.
Mara nickte ihrem Herrn höflich zu. »Ich werde hierbleiben, mein Gemahl, damit auch die geringsten unserer Gäste die Dankbarkeit der Acoma für ihre Geschenke erfahren.«
Buntokapi rümpfte die Nase; er glaubte, daß sie ihn absichtlich mied. Er würde sich ihr später widmen; in der Zwischenzeit wartete ein Fest mit guter Musik und Getränken auf ihn. Und er würde zum ersten Mal zusehen dürfen, wie seine Brüder sich vor ihm verbeugten, denn er war jetzt Lord der Acoma. Er lächelte unter dem schiefen Hochzeitskranz und forderte seine Sklaven mit einem leichten Händeklatschen auf, ihn aus der Halle zu tragen.
Mara blieb zurück, obwohl die meisten der Hochzeitsgaste dem Beispiel des Lords folgten. Die Sonne stand jetzt hoch am Mittagshimmel, und über den entfernten Needra-Weiden flimmerte bereits die Hitze. Die ranghöchsten Gäste begaben sich in ihre Gemächer und schickten ihre Bediensteten fort, um sich kühle Getränke und frische Kleidung bringen zu lassen. Dann tauchten sie wie buntschillernde Vögel wieder auf, um sich bis zur Ankunft des kühleren Abends an aromatisiertem Eis, gekühlten Jomach-Früchten und San-Wein zu ergötzen.
Die rangniedersten Gäste hingegen blieben in der stickigen Enge der Halle sitzen, während gemietete Darsteller oder ein talentiertes Familienmitglied als Geschenk für das verheiratete Paar etwas vorspielten, sangen, oder vortrugen. Bei kleineren Hochzeiten wohnten die Braut und der Bräutigam aus Höflichkeit den ersten Darbietungen bei; in größeren Häusern waren die wirklich aufsehenerregenden Ereignisse erst sehr spät zu erwarten, so daß die Brautpaare sich häufig zurückzogen und die Vorführungen des ersten Tages hauptsächlich der Erheiterung der Bediensteten dienten, die nicht arbeiten mußten.
Doch Mara war die gesamte erste Runde der Vorstellungen anwesend und sah einem Jongleur zu, der als Komödiant erfolgreicher war, zwei Sängern, einem Zauberkünstler – dessen Magie ausschließlich aus Taschenspielertricks bestand – und einem Poeten, dessen eigener Herr während seines Vortrags vernehmlich schnarchte. Nach jeder Vorführung applaudierte Mara höflich, und wenn sie die Darbietung auch nicht besonders auszeichnete, indem sie ein paar der Blumen von der Sänfte hinunterwarf, so wartete sie doch höflich die Pause ab. Diejenigen Darsteller, die danach folgen würden, warteten ein wenig angespannt; sie waren überzeugt, daß sie die Pause nutzen würde, um zum Fest aufzubrechen. Doch Mara ließ nicht die Sänftenträger kommen, sondern beauftragte ihre Dienerin, ein Tablett mit einigen Erfrischungen zu bringen. Die Gäste murmelten überrascht.
Der fette Händler aus Sulan-Qu in der ersten Reihe errötete und versteckte sich hinter dem Fächer seiner Frau. Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er nicht daran zu glauben gewagt, daß die Lady der Acoma beim Flötenspiel seines Sohnes anwesend sein würde. Der Junge mußte ein fürchterliches Gehör haben, doch seine Mutter blühte auf vor Stolz. Mara blieb auf dem Podest und nippte an dem kühlen Jomach-Saft. Sie nickte liebenswürdig, als sich der junge Flötenspieler verbeugte und floh; beinahe stolperte er in seiner Eile, den Weg für den nächsten Auftritt frei zu machen. Mara lächelte dem verlegenen Vater und seiner Frau zu, und sie begriff, daß sie zwar die Langeweile solcher Musik hatte ertragen müssen, dafür aber den Händler und seine Familie jederzeit um einen Gefallen würde bitten können.
Pantomimen, ein Mann mit dressierten Hunden, ein singender Liendi-Vogel und zwei weitere Poeten – die Herrin zeigte keine Ungeduld. Sie belohnte den zweiten Poeten mit einer Blume, die sie geschickt in seinen Hut warf. Dann trat ein Maler auf, der sie mit seinen komischen Zeichnungen von Needra-Bullen, die es auf Krieger abgesehen hatten, zum Lachen brachte. Als sie in der zweiten Pause die Dienerinnen beauftragte, ihr äußeres Gewand fortzunehmen, um es sich in der Mittagshitze bequemer zu machen, murmelte auch der rangniederste Gast, daß diese Lady von einer im Kaiserreich bisher unbekannten Großzügigkeit wäre. Die Darsteller spürten ihr Interesse und hauchten ihren Darbietungen neues Leben ein. Als die Herrin schließlich Bedienstete beauftragte, Erfrischungen zu verteilen und unter den bereits Angehörten kleine Dankesgaben zu verteilen, gaben sich die Anwesenden weit weniger steif. Der Wein machte sich bemerkbar, und kühnere Zungen flüsterten, daß die Lady in Ordnung wäre und die Ehre ihrer Ahnen verdiente.
Mara schnappte einige dieser Bemerkungen auf und lächelte sanft. Als die dritte Pause begann, bat sie ihre Dienerinnen, den beengenden Kranz fortzunehmen und die langen Haare frei über den Rücken fallen zu lassen. Während der Hochzeitskranz auf ihren Knien verwelkte, lehnte sie sich zurück, um die nächste Runde anzuschauen, und zur Freude all derer, die ihr zum Vergnügen etwas vorführten, auch die übernächste. Als der Nachmittag sich in die Länge zog, nahm die Hitze in der Halle zu; jetzt kamen auch andere Gäste herbei, um nachzusehen, was die Lady der Acoma solange festhielt.
Bei Sonnenuntergang tauchte der Bräutigam auf; sein Schritt war etwas unsicher und seine Stimme viel zu laut. Mit durchdringender Fahne von dem vielen San-Wein trat er auf das Podest und verlangte Auskunft von seiner Frau, weshalb sie so lange in dieser Halle herumtrödelte; der Kriegsherr und andere Gäste feierten bereits, und es sah doch ganz sicherlich so aus, als würde sie diese meiden, wenn sie statt dessen gewöhnliche Sänger und Darsteller niederen Ranges angaffte!
Mara neigte ihren Kopf in unterwürfigem Schweigen; dann blickte sie ihrem Ehemann in die Augen. Er roch nach Alkohol und Schweiß, aber dennoch brachte sie ein Lächeln zustande. »Mylord, als nächster wird der Poet Camichiro etwas vortragen, und wenn auch sein Werk noch zu neu ist, um bekannt zu sein, so eilt dem Lord der Teshiro doch der Ruf voraus, Genies frühzeitig erkennen zu können. Warum bleibt Ihr nicht und feiert die Entdeckung eines neuen Talents mit uns?«
Bunto straffte sich. Er kreuzte die Arme, ungeachtet der Weinflecken auf seiner linken Manschette. Er grunzte. Nicht nur stand er einer sich unschuldig gebenden Frau gegenüber, deren Kleidung jede Sicht auf das verhinderte, was darunter lag, sondern er wurde auch von dem deutlich aufwallenden Stolz Camichiros und Lord Teshiros überrumpelt. Dem Lob seiner Frau zu widersprechen wäre ziemlich schlechter Stil gewesen. Er war nüchtern genug, um sich zusammenzureißen, bevor er das Risiko einging, in seinen Pflichten als Gastgeber zu fehlen, und verneigte sich ebenfalls. »Ich werde für die schönen Künste später noch Zeit finden. Andere Gäste haben das Spiel Chiro begonnen, und ich habe auf den Gewinner gesetzt.«
Der Lord der Acoma verließ die Halle. Seine Braut rief Bedienstete herbei, um eine neue Runde Wein für die Darsteller bringen zu lassen. Indem sie gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Bräutigams noch dort blieb, gewann sie die Bewunderung ihrer unwichtigsten Gäste. Am lautesten lobten sie der Händler und sein Sohn, der unbeholfene Flötenspieler, dicht gefolgt von der überschwenglich bemalten Frau des Poeten Camichiro. Unter den Gewöhnlichen in Sulan-Qu war es kein Geheimnis, daß sie die Geliebte von Lord Teshiro und der Schutz ihrer Familie allein ihrem frechen Charme zu verdanken war.
Der Sonnenuntergang brach an, und die Shatra-Vögel erhoben sich in die Lüfte. Die Versammlung der Hochzeitsgäste zog sich bis zum nächsten Tag zurück, während die Köche exotische Gerichte zubereiteten und mit Glückssymbolen aus Papier schmückten. Laternen wurden entzündet, Musiker spielten, und bei Einbruch der Nacht führten Jongleure Kunststücke mit Feuer vor. Mara saß an der Seite ihres Ehemannes, bis er händeklatschend einige Sklavenmädchen aufforderte, einen Schleiertanz aufzuführen. Diese Gelegenheit nutzte die Lady der Acoma, um sich erschöpft in ein eigens dafür errichtetes Hochzeitszelt aus bemaltem Papier zurückzuziehen, wo sie sich entkleidete, badete und eine lange Zeit wach in ihrem Bett lag.
Der Morgen dämmerte staubig und trocken, und kein Lüftchen wehte. Die Bediensteten hatten die ganze Nacht hindurch mit den Vorbereitungen zu einem weiteren Festtag verbracht, und die frisch gewässerten Akasi-Blumen blühten, während die Gärtner jetzt in Kitteln das Gemüse für die Köche schnitten. Mara stand auf und hörte durch die dünne Papierwand, die ihre Hochzeitshütte trennte, ihren Ehemann grunzen. Sie erkannte, daß er einen Kater hatte, und befahl ihrem hübschen Sklavenmädchen, sich um ihn zu kümmern; dann ließ sie sich Chocha bringen. Sie machte einen Spaziergang, solange die frische Kühle des Morgens noch über dem Land lag. Schon bald würden die neue Königin der Cho-ja und ihr Schwarm auf dem Gebiet der Acoma ankommen. Die Verteidigung der Domäne wäre dann nicht mehr so problematisch. Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Zudem lag das Vermögen der Acoma bei Jican in fähigen Händen, und die Ländereien selbst waren abgesichert. So würde sie all ihre Kraft darauf richten können, wie sie mit dem Lord verfahren mußte, den sie geheiratet hatte. Erinnerungen stiegen in ihr auf, und sie dachte an das helle Lachen einer Frau und an Buntos mißmutig fordernde Stimme, ehe sie gegen Morgendämmerung in ein lautes Schnarchen übergegangen war. Mit gerunzelter Stirn und einem entschlossenen Zug um die Lippen betete Mara zu Lashima und bat um Kraft.
Sie unterbrach ihre Meditation gerade rechtzeitig, um jemanden aus ihrem Haushalt mit einer Fahne eine kleine Gruppe in die große Halle führen zu sehen. Der zweite Tag der Hochzeitsdarbietungen begann, und allem bisherigen zum Trotz ließ Mara sich eine Sänfte bringen. Sie würde sich die Darbietungen bis zuletzt ansehen, und wenn auch bis zum späten Nachmittag kein Gast von gleichem oder höherem Rang an der Reihe wäre, so würde sie doch dafür sorgen, daß keine der vorherigen Aufführungen unbelohnt bliebe. Mit Buntokapi als Herrscher würden die Acoma jedes bißchen Wohlwollen benötigen, das Mara erlangen konnte.
Am Nachmittag des folgenden Tages kam Wind auf; Wolkenschatten rasten über die Needra-Weiden, und der Himmel im Osten sah bedrohlich nach Regen aus. Trotz der Gefahr, daß das Finale ein nasses Ende finden könnte, saßen die Gäste der Acoma draußen und betrachteten den letzten Akt.
Zum Erstaunen aller Anwesenden hatte der Kriegsherr aus seinem Privatvermögen eine Aufführung des Kaiserlichen Jojan-Theaters bezahlt. Jojan war das Theater für die Edlen, während die Gewöhnlichen die rauheren und deftigeren Darbietungen des Segumi-Theaters vorzogen. Aber die Kaiserlichen Jojan waren die besten Schauspieler der Welt, denn aus ihren Reihen wurden die Mitglieder der Kaiserlichen Shalotobaku-Truppe erwählt, die nur dem Kaiser und seiner Familie vorspielte. Die Aufführung hieß Lord Tedero und die Sagunjan, eines der zehn klassischen Sobatu, im wahrsten Sinne des Wortes »großes Drama« in Form einer alten Oper.
Mara aalte sich in der kühlen Brise und genoß jeden Augenblick, den sie es hinauszögern konnte, ihrem Ehemann ins Hochzeitsbett folgen zu müssen. Sie konzentrierte sich auf das bevorstehende Finale. Die Schauspieler waren hervorragend und spielten mit einer außerordentlichen Gelassenheit, obwohl die Brise die Federbüsche ihrer Kostüme in Unordnung brachte. Das vorgeführte Stück war jedoch schändlich überfrachtet, dachte die Lady. Sie mochte Sobatu eigentlich nicht, sondern bevorzugte Grand Do; und das Bühnenbild war selbst für tsuranische Augen auffällig bunt.
Dann, auf dem Höhepunkt der Oper, als Lord Tedero die Höhle betrat, um Neshka aus den Fängen des bedrohlichen Sagunjan zu befreien, betraten zwei Gestalten in schwarzen Umhängen die Halle. Die Gegenwart der Erhabenen wäre schon für sich allein eine Besonderheit gewesen, doch die beiden Magier schufen zusätzlich Illusionen. Statt dem üblichen Papiersagunjan, in dem sich ein Sänger und verschiedene Arbeiter versteckten, erzeugten sie eine Erscheinung von verwirrender Eindringlichkeit. Ein Sagunjan trat aus einem als Höhle bemalten Gang; seine Schulterhöhe mochte vier Meter betragen, er war mit goldenen Schuppen bedeckt und spie rote Flammen. Eine wundervolle Baßstimme entfuhr den fürchterlichen Fängen, und obwohl alle in der Halle wußten, daß nur der Sänger sich bewegte, konnte ihn keiner sehen. Selbst Mara war entzückt von dem Anblick und vergaß all ihre Sorgen. Dann zischte Tederos Schwert durch die Luft, und die Illusion des Sagunjan verflüchtigte sich erst zu einem Nebel und löste sich dann in nichts auf. Gewöhnlich endete ein Sobatu mit der formellen Verbeugung der Schauspieler beim höflichen Applaus der Zuschauer; doch der Höhepunkt dieser Oper rief lauten Jubel hervor und wildes Händeklatschen, das eigentlich eher dem Straßentheater entsprach. Und alle konnten sehen, daß sich eines der seltenen Lächeln auf das Gesicht des Kriegsherrn stahl; er badete in dem Ruhm, der von seiner Theatergruppe und den Magierfreunden auch auf ihn fiel. Mara seufzte leise; sie war traurig, als die Darsteller sich zum letzten Mal verbeugt hatten. Als die paillettenbesetzten Vorhänge raschelnd zugezogen wurden beziehungsweise es zumindest versucht wurde, da die Brise mittlerweile in starke Böen übergegangen war, fügte sie sich in das Unvermeidliche. »Nun, meine Gemahlin«, flüsterte Buntokapi ihr ins Ohr. »Es ist an der Zeit, daß wir uns zurückziehen.«
Mara versteifte sich instinktiv, und das der Situation angemessene Lächeln gefror auf ihrem Gesicht. »Wie Ihr wünscht, mein Gemahl.«
Doch selbst ein blinder Mann hätte ihren Widerwillen gespürt. Buntokapi lachte. Mit einem trunkenen Triumphschrei nahm er sie in die Arme und hob sie hoch.
Die Gäste jubelten. Mara dachte an die unachtsame Kraft in den Armen, die sie umfaßten, und versuchte ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie würde es ertragen, würde es ertragen müssen, um das Weiterleben des Namens der Acoma zu garantieren. Sie barg ihren Kopf am schweißnassen Kragen ihres Mannes und erlaubte ihm, sie vom Podest hinunterzutragen. Papierne Fruchtbarkeitsfiguren regneten auf sie hinab, während er sie durch die Menge der ihnen Glück Wünschenden hindurch und den Pfad entlang auf die mit leuchtenden Farben bemalte Hochzeitshütte zutrug.
Keyoke und Papewaio standen als Ehrenwache am Ende des Pfades. Buntokapi schritt an ihnen vorbei, als wären es gewöhnliche Diener, und trat über die Schwelle in das silbrige Zwielicht, das durch die Wände aus Schilfrohrpapier und Latten fiel. Ein Diener und eine Dienerin verneigten sich tief, als ihr Herr und ihre Herrin erschienen. Buntokapi ließ Mara hinunter. Grunzend gab er ein paar Worte von sich, woraufhin das Dienstmädchen aufstand und den Eingang schloß. Der Diener blieb reglos in der Ecke sitzen und wartete auf Anweisungen seines Herrn.
Die Hütte war während des Tages umgestaltet worden; Bedienstete hatten die Papierbahnen entfernt, die bisher die Bettstätten von Ehefrau und Ehemann getrennt hatten. Statt dessen lag eine breite Schlafmatratze mit Laken aus feiner Seide vor der gen Osten gerichteten Wand, da der Sonnenaufgang den Anfang symbolisierte. In der Mitte des Raumes war neben einem niedrigen, leeren Tisch eine Reihe von Sitzkissen verteilt. Mara tat einen zittrigen Schritt nach vorn und setzte sich auf einige der Kissen vor dem Tisch. Sie hielt ihre Augen gesenkt, als Bunto sich ihr gegenüber niederließ.
»Schick nach dem Priester Chochocans«, verlangte der Lord der Acoma. Er betrachtete Mara erregt und intensiv, während der Diener in der Ecke aufsprang, um den Befehl auszuführen.
Der Priester trat allein ein; er hielt ein Tablett in den Händen, auf dem eine Karaffe mit goldfarbenem Tura-Wein stand, zwei Pokale aus Kristall und eine Kerze in einem juwelenbesetzten Ständer. Er hob das Tablett gen Himmel, sprach eine Segnung aus und stellte es auf den Tisch zwischen Mann und Frau. Mit einem beinahe sorgenvollen Blick schaute er sie beide an, die Lady, deren Hände jenseits ihrer Kontrolle zitterten, den jungen Lord, dessen Ungeduld greifbar im Raum hing. Dann zündete er resigniert die Kerze an. »Möge die Weisheit Chochocans Euch erleuchten.« Mit Kreide malte er ein Symbol um den Kerzenständer und hob den Wein hoch, während er ihn segnete. Er füllte die beiden Pokale und stellte sie vor der Braut und dem Bräutigam ab. »Möge der Segen Chochacans Eure Herzen erfüllen.« Er schrieb noch weitere Kreidesymbole um die beiden Pokale und die halbleere Karaffe.
»Trinkt, Ihr Kinder Gottes, und lernet Euch kennen, wie Eure Herrn im Himmel es bestimmt haben.« Der Priester verneigte sich mit einem letzten Segen und verließ sichtlich erleichtert die Hochzeitshütte.
Buntokapi winkte dem Diener mit einer knappen Handbewegung hinaus, und die Papiertür fiel mit einem leichten Geräusch zu. Er war allein mit seiner Braut in der Unterkunft, die unter den böigen Windstößen erbebte.
Mit seinen dunklen Augen sah er Mara an. »Jetzt endlich, meine Gemahlin, gehört Ihr mir.« Er hob seinen Pokal ein wenig zu schnell, der Wein schwappte über und zerstörte eines der Symbole. »Seht mich an, Mylady. Der Priester würde es bevorzugen, wenn wir zusammen trinken.«
Ein Windstoß rüttelte an den Läden, ließ das Papier in den Holzrahmen rascheln. Mara fuhr zusammen; dann schien sie sich wieder unter Kontrolle zu haben. Sie streckte die Hand aus und griff nach ihrem eigenen Pokal. »Auf unsere Hochzeit, Buntokapi.«
Sie nahm einen kleinen Schluck, während ihr Herr den Wein bis zur Neige leerte. Dann goß er den Rest der Karaffe in sein Glas und trank auch den aus. Die ersten Regentropfen platschten gegen das mit eingeölten Stoffen gedeckte Dach der Hochzeitshütte, als er das Glas und die Karaffe wieder absetzte.
»Gemahlin, holt mir noch mehr Wein.«
Mara stellte ihren Pokal auf den Tisch, mitten in die Kalkmarkierungen des Priesters. Donner grollte in der Ferne, und der Wind machte einem stürmischen Regen Platz. »Wie Ihr wünscht, mein Gemahl«, sagte sie sanft und hob dann den Kopf, um nach dem Diener zu rufen.
Bunto sprang auf. Der Tisch wackelte, und Wein spritzte aus ihrem umgefallenen Glas. Ihr Ruf wurde zu einem Schrei, als die schwere Faust ihres Ehemanns in ihrem Gesicht landete.
Sie fiel rücklings zwischen die Kissen und blieb dort benommen liegen; der Regen trommelte so heftig auf das Dach wie das Blut in ihren Ohren. Alles um sie herum drehte sich, und Schmerz vernebelte ihre Sinne. Mara war blind vor Wut, doch sie behielt ihren Stolz. Schwer atmend lag sie auf der Erde, als der Schatten ihres Mannes über sie fiel.
Er beugte sich ein wenig vor, und seine Gestalt verdeckte das Licht hinter ihm. Er deutete auf Mara. »Ich habe gesagt, Ihr sollt ihn holen.« Seine Stimme war leise und bedrohlich. »Versteht mich richtig, Frau. Wenn ich Euch bitte, Wein zu holen, so holt Ihr ihn. Nie wieder legt Ihr diese Aufgabe oder irgendeine andere ohne meine Erlaubnis in die Hände irgendwelcher Bediensteten. Wenn ich irgend etwas von Euch verlange, Lady, dann tut Ihr es.«
Er setzte sich wieder hin. In dem Zwielicht wirkten seine Gesichtszüge noch brutaler als sonst. »Ihr haltet mich für dumm.« Sein Ton enthüllte langgehegte Vorbehalte. »Ihr alle denkt, ich bin dumm, meine Brüder, mein Vater und jetzt auch Ihr. Nun, ich bin es nicht. Neben Halesko und besonders neben Jiro war es allerdings nicht schwer, dumm zu wirken.« Er lachte düster und bitter auf. »Aber jetzt muß ich mich nicht mehr dumm stellen, ha! Durch die Heirat mit Euch bin ich in einen höheren Rang aufgestiegen. Ich bin der Lord der Acoma. Vergeßt das niemals, Frau. Und jetzt holt mir endlich den Wein!«
Mara schloß die Augen. »Ja, mein Gemahl.« Sie zwang sich, ihre Stimme fest klingen zu lassen.
»Steht auf!« Bunto stieß sie mit seiner Fußspitze an.
Mara widerstand dem Drang, ihre geschwollene und gerötete Wange zu berühren, und gehorchte. Sie hielt den Kopf in der vollkommenen Haltung des unterwürfigen Weibes nach unten geneigt, doch in ihren Augen blitzte etwas ganz anderes auf, als sie sich vor Buntokapis Füßen verneigte. Dann riß sie sich noch mehr zusammen, als es bei der Übergabe der Rechte als Herrscherin der Acoma notwendig gewesen war, stand auf und holte Wein von einer Kommode neben der Tür.
Buntokapi sah, wie sie den Tisch wieder herrichtete, das Glas wieder darauf stellte und nachfüllte. Jung und voller Vorfreude auf den Anblick konzentriert, als er sah, wie Maras Brüste sich unter dem dünnen Stoff ihrer Tagesrobe hoben und senkten, bemerkte er nicht den Haß in ihren Augen, während er trank. Dann hatte er den Wein auch schon hinuntergestürzt und den Pokal zur Seite geworfen. Er legte seine schweißigen Hände auf den Seidenstoff, den er als unerträglich behindernd empfand. Viel zu betrunken und erregt, um irgend etwas anderes wahrzunehmen, schleuderte er seine Frau in die Kissen.
Mara ertrug seine Hände auf ihrem nackten Fleisch. Sie wehrte sich nicht, und sie weinte und schrie auch nicht. Mit einem Mut, der dem ihres Vaters und Bruders im Kampf auf dem Schlachtfeld Midkemias gleichkam, erduldete sie alles, was danach folgte, ohne Tränen, auch wenn Buntokapis Eifer ihr Schmerzen verursachte. Viele Stunden lag sie auf zerdrückten, verschwitzten Kissen und lauschte dem trommelnden Regen und keuchenden Schnarchen ihres Mannes. Jung und von Schmerzen gepeinigt und voller blauer Flecken dachte sie an ihre Mutter und ihre Amme Nacoya; sie fragte sich, ob deren erste Nacht mit einem Mann wohl anders gewesen war. Dann drehte sie sich auf die andere Seite, fort von dem Feind, den sie geheiratet hatte. Sie schloß die Augen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Aber wenn auch ihr Stolz schmerzlich gelitten hatte, so war doch ihre Ehre, die Ehre der Acoma, noch unverletzt. Sie hatte nicht geschrien, nicht ein einziges Mal.
Als der Morgen am nächsten Tag anbrach, war es merkwürdig still. Die Hochzeitsgäste waren gegangen; der Lord der Anasati und Nacoya hatten sich anstelle der Frischvermählten von ihnen verabschiedet. Bedienstete zerrissen die papiernen Läden der Hochzeitshütte, und regenfrische Luft strömte herein, zusammen mit den Rufen der Hirten, die das Vieh auf die weiter entfernten Weiden zum Grasen trieben. Mara sog den Duft feuchter Erde und Blumen tief ein und stellte sich die Gärten vor, hell und strahlend, da der Sommerstaub von den Blättern gewaschen worden war. Sie war immer schon eine Frühaufsteherin gewesen, doch die Tradition verlangte, daß sie an dem Morgen, nachdem die Hochzeit vollzogen worden war, nicht eher aufstand als ihr Ehemann. Jetzt setzte ihr der Zwang zur Untätigkeit noch mehr zu als sonst, denn dies ließ ihr zu viel Zeit zum Nachdenken und nahm ihr die Möglichkeit, sich von den schmerzlichen Stellen in ihrem Körper abzulenken. Unruhig wälzte sie sich hin und her, während Bunto nichtsahnend weiterdöste.
Die Sonne stieg höher, und es wurde stickig in der Hochzeitshütte. Mara rief eine Dienerin herbei, die die Läden ganz öffnete, und als die Mittagssonne über das grobe Antlitz ihres Mannes strich, grunzte er. Mit ausdrucksloser Miene sah Mara zu, wie er sich in den Kissen wälzte und mit scharfer Stimme befahl, die Läden und Vorhänge wieder zu schließen. Bevor der Schatten sein Gesicht wieder verhüllte, bemerkte sie, daß es sich leicht grünlich färbte und Schweiß auf die Haut seines Nackens und seiner Handgelenke trat.
Sie wußte, daß er einen ausgesprochenen Kater hatte. »Mein Gemahl, geht es Euch nicht gut?« fragte sie mit betont süßlicher Stimme.
Bunto stöhnte und forderte sie auf, Chocha zu besorgen. Mara, die bei den Erinnerungen an sein Verhalten in der Nacht zuvor selbst zu schwitzen begann, stand auf und holte eine dampfende Kanne. Sie drückte ihrem Herrn einen heißen Becher in die zitternde Hand. Da die Chocha den ganzen Morgen vor sich hin geköchelt hatte, war sie möglicherweise zu stark, doch Buntokapi leerte den Becher bis auf den letzten Tropfen. »Du bist ziemlich schmal gebaut«, bemerkte er und verglich seine grobknochige Hand mit ihrer schlanken. Schmollend über seine Kopfschmerzen streckte er dann die Hand aus und kniff ihr in die immer noch geschwollene Brustwarze.
Mit großer Mühe zwang Mara sich, nicht zurückzuzucken. Sie verteilte mit einem kurzen Kopfschütteln die Haare über den Schultern, so daß deren lockere Wärme ihre Brüste bedeckte. »Was wünscht Mylord?« fragte sie.
»Noch mehr Chocha, Frau.« Er sah ihr beim Einschenken zu, als wäre er peinlich berührt von seiner eigenen Grobheit. »Ah, ich habe das Gefühl, als hätte eine ganze Needra-Herde angehalten, um ihren Nachtdung in meinem Mund zu verteilen.« Er verzog das Gesicht und spuckte. »Du wirst mir beim Ankleiden helfen, dann läßt du Thyza-Brot und Jomach-Früchte bringen.«
»Ja, mein Gemahl«, sagte Mara. »Und danach?« Sehnsüchtig dachte sie an die schattige Kühle im Arbeitszimmer ihres Vaters und an Nacoya.
»Belästige mich nicht, Frau.« Bunto stand auf; er hielt vorsichtig seinen Kopf. Nackt wie er war, reckte er sich vor ihr, seine Kniescheiben nur wenige Zentimeter von ihrer Nase entfernt. »Du wirst die Angelegenheiten im Haus regeln, aber erst dann, wenn ich deine Dienste nicht mehr benötige.«
Die Schatten der Vorhänge verbargen Maras Zittern. Mit einem Gefühl der Übelkeit und voller Verzweiflung über die Rolle, die sie jetzt würde spielen müssen, bereitete sie sich bereits innerlich vor, es zu ertragen, doch das viele Trinken und ausschweifende Essen hatten die Bedürfnisse ihres Mannes abgestumpft. Er ließ die leere Tasse auf dem Bettlaken stehen und forderte sie auf, ihm sein Gewand zu holen.
Mara brachte ihm das Kleidungsstück und half, die Seidenärmel über seine dichtbehaarten, stämmigen Arme zu schieben. Dann saß sie gelangweilt daneben, während Diener das Badewasser für ihren Herrn brachten. Nachdem sie seinen gewaltigen Rücken gewaschen hatte und das Wasser in dem Trog wieder abgekühlt war, erlaubte er seiner Frau, sich ebenfalls anzukleiden. Bedienstete brachten Brot und Früchte, doch sie allein durfte ihn bedienen. Während sie ihm zusah, wie er sich Jomach-Früchte in den Mund schob und Saft an seinem Kinn herunterrann, fragte sie sich, wie der kluge Lord der Anasati nur zu einem solchen Sohn hatte kommen können. Dann blickte sie durch sein ungehobeltes Benehmen hindurch in seine unergründlichen Augen, und mit einem kalten Gefühl tiefster Panik erkannte sie, daß er sie ebenso argwöhnisch betrachtete – wie ein Jäger. Mara begriff, daß seine Behauptung, er wäre nicht so dumm, möglicherweise keine Prahlerei gewesen war. Niedergeschlagenheit ergriff sie. Wenn Buntokapi einfach nur verschlagen war, wie der Lord der Minwanabi, würde es Wege geben, mit ihm fertig zu werden. Wenn er allerdings auch intelligent war … Der Gedanke bereitete ihr eine Gänsehaut.
»Du bist sehr schlau«, meinte Buntokapi schließlich. Er streichelte mit einem feuchten Finger ihr Handgelenk, beinahe kindisch besitzergreifend.
»Meine Vorzüge verblassen neben denen meines Herrn«, flüsterte Mara. Sie küßte seine Finger, um ihn abzulenken.
»Du ißt nichts«, bemerkte er. »Du grübelst nur. Ich mag das nicht bei einer Frau.«
Mara schnitt eine Scheibe Thyza-Brot ab und wog sie in der Hand. »Mit Eurer Erlaubnis, Mylord?«
Buntokapi grinste, als sie an einem Stück herumnagte. Das Brot hatte für sie jeden Geschmack verloren, doch tapfer und trotzig kaute und schluckte sie. Der Anblick ihres Unbehagens langweilte ihn bald, und er rief nach Musikern.
Mara schloß die Augen. Sie brauchte Nacoya so sehr, daß es sie innerlich schmerzte. Dennoch konnte sie als die Gemahlin des Herrschers nichts tun, als seinem Vergnügen zusehen, während er Balladen verlangte und mit dem Sänger über einige Nuancen in der vierten Strophe stritt. Der Tag wurde wärmer, und durch die geschlossenen Vorhänge wurde es in der Hochzeitshütte immer stickiger. Mara ertrug es und holte Wein, als ihr Mann der Musik überdrüssig geworden war. Sie kämmte seine Haare und schnürte seine Sandalen. Dann tanzte sie auf seinen Wunsch hin, bis ihre Haare an den Schläfen feucht wurden und ihr mitgenommenes Gesicht vor Anstrengung brannte. Genau in dem Augenblick, als es so schien, als wollte der Lord den ganzen Tag in der Hochzeitshütte verbringen, stand er auf und befahl den Bediensteten brüllend, seine Sänfte vorzubereiten. Er würde die Zeit bis zum Abend in den Baracken verbringen, um sich einen Überblick über die Anzahl der Krieger zu verschaffen und ihren Übungen zuzusehen, verkündete er.
Mara hoffte inständig, daß Lashima etwas von ihrer Geduld Keyoke zukommen lassen würde. Ermattet von der Hitze und Anstrengung, folgte sie ihrem Mann aus der Hütte hinaus in die blendende Nachmittagssonne. Die unbehagliche Situation hatte sie ganz vergessen lassen, daß die Ehrenwache draußen wartete, und so blieb ihr keine Zeit, die verletzte Wange zu verdecken, als sie vor Papewaio und Keyoke erschien. Viele Jahre harter Übung versetzten die beiden in die Lage, ein solch beschämendes Mal ausdruckslos anzusehen. Doch Keyoke umklammerte den Speerschaft mit solcher Kraft, daß die Knöchel weiß schimmerten, und Papewaios Zehen bohrten sich beinahe in die Sohlen seiner Sandalen. Hätte irgendein anderer Mann als der Herrscher selbst ihrer Mara-anni so etwas angetan, er wäre auf der Stelle tot gewesen. Mara trat in das helle Licht eines klaren Tages, den die Götter nicht hätten schöner machen können. Doch als sie an ihren früheren Vertrauten vorbeiging, spürte sie ihre Wut wie schwarze Schatten in ihrem Rücken.
Die Hochzeitshütte brannte, noch bevor sie das Herrenhaus erreicht hatten. Der Tradition nach wurde das Gebäude in Flammen gesetzt, um den heiligen Übergang der Frau zur Ehefrau und des Mannes zum Ehemann zu ehren. Nachdem Keyoke die rituelle Fackel über die Türschwelle geworfen hatte, wandte er sich still den Unterkünften der Wachen zu, um dort auf die Befehle seines Lords zu warten. Papewaios Gesicht war noch immer eine steinerne Maske. Mit einer Intensität, die in ihrer Unbeweglichkeit geradezu unheimlich war, sah er zu, wie das Papier und die Rahmen, die verschmutzten Kissen und zerwühlten Laken in Flammen aufgingen. Niemals hatte er sich glücklicher gefühlt angesichts eines Brandes, denn indem er der Gewalt des Feuers zusah, konnte er beinahe das Mal auf Maras Gesicht vergessen.
Nacoya war nicht im Arbeitszimmer. Mit einem unangenehmen Stich erinnerte sich Mara daran, daß ihre Heirat auch die bisherige Ordnung verändert hatte. Das Arbeitszimmer war jetzt der Bereich Buntokapis, des Herrschers der Acoma. In Zukunft würde nichts in dem Haushalt mehr so sein, wie sie es gewohnt war. Jican würde wie zuvor seine Rechnungen in dem Flügel zusammenstellen, der den Schreibern zugewiesen war, doch sie würde ihn nicht länger empfangen. Trotz ihrer erst siebzehn Jahre fühlte sie sich müde und zog sich in den Schatten des Ulo-Baumes in ihrem eigenen kleinen Garten zurück. Sie setzte sich nicht, sondern lehnte sich nur an die weiche Rinde des Baumes, während der Läufer sich beeilte, Nacoya zu holen.
Das Warten schien unendlich lang zu dauern, und auch das plätschernde Wasser des Springbrunnens konnte sie nicht beruhigen. Als Nacoya dann endlich atemlos und mit gewohnt schief sitzenden Haarnadeln auftauchte, konnte Mara sie nur still und kummervoll anstarren.
»Mistrcss?« Die Amme trat zögernd einen Schritt vor. Ihr Atem stockte, als sie das Mal auf Maras Wange sah. Wortlos breitete sie die Arme aus. Im nächsten Augenblick war die Lady der Acoma nur noch ein verängstigtes Mädchen, das sich in den Armen ihrer alten Amme ausweinte.
Nacoya strich ihr über die Schultern, während ein Schluchzer nach dem anderen Mara schüttelte. »Mara-anni, Tochter meines Herzens«, murmelte sie. »Ich sehe, daß er nicht sehr sanft war, dieser Lord, den Ihr geheiratet habt.«
Für kurze Zeit erfüllte nur das traurige Plätschern des Brunnenwassers die Lichtung. Dann, schneller als Nacoya erwartet hätte, richtete Mara sich auf. Sie sprach mit überraschend fester Stimme: »Er ist der Lord, dieser Mann, den ich geheiratet habe. Aber der Name Acoma wird ihn überleben.« Sie schneuzte sich die Nase und berührte das Mal in ihrem Gesicht. Sie sah ihre frühere Amme mit einem verletzten, bittenden Blick an. »Und, Mutter meines Herzens, bis ich empfange, muß ich die Kraft finden, mit Dingen zu leben, über die mein Vater und mein Bruder weinen würden.«
Nacoya klopfte die Kissen unter dem Ulo ein wenig fest und drängte Mara, sich zu setzen. Ihre alten Hände sorgten dafür, daß das Mädchen gemütlich saß, während eine Dienerin mit einer Schüssel kühlem Wasser und weichen Tüchern herbeieilte. Mara lehnte sich in die Kissen zurück, als Nacoya ihr Gesicht wusch. Dann kämmte sie die Strähnen des glänzendschwarzen Haares, wie sie es immer getan hatte, als die Lady noch ein kleines Kind gewesen war. Währenddessen sprach sie mit weicher Stimme zu ihrer Herrin:
»Mara-anni, letzte Nacht hat Euch keine Freude gebracht, das weiß ich wohl. Aber versteht in Eurem Herzen, daß der Mann, den Ihr geheiratet habt, so ungestüm ist wie ein Needra-Bulle zur Zeit seines dritten Frühlings. Urteilt nicht über alle Männer nur aufgrund der Erfahrung mit einem einzigen.« Sie hielt inne. Keine von ihnen sprach darüber, daß Mara ihren Rat abgeschlagen und sich dickköpfig geweigert hatte, sich durch eine sanfte Begegnung mit einem Mann aus der Ried-Welt Kenntnisse über Männer zu verschaffen. Nacoya tupfte kühles Wasser auf die Wunde ihrer Herrin. Der Preis ihrer Halsstarrigkeit war jetzt schmerzhaft erzwungen worden.
Mara seufzte und öffnete die geschwollenen Augen. Der Blick, den sie ihrer Amme zuwarf, enthielt schmerzhafte Unsicherheit, aber kein Bedauern. Nacoya legte die Tücher und die Schüssel mit Wasser beiseite und nickte mit nachdenklicher Zustimmung. Dieses Mädchen mochte jung sein, zierlich und mitgenommen, aber sie besaß die Stärke ihres Vaters, wenn es um die Familie ging. Sie würde es ertragen, und der Name der Acoma würde fortbestehen.
Mara zupfte an ihrer Tagesrobe und verzog das Gesicht, als der Stoff über die wunden Brustwarzen scheuerte. »Mutter meines Herzens, das Verhalten der Männer ist mir fremd. Ich brauche dringend Euren Rat.«
Nacoya antwortete mit einem Lächeln, das frei von jedem Triumph war. Sie neigte den Kopf etwas zur Seite, und nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte, zog sie die Haarnadeln und begann sorgfältig, die Haare neu festzubinden. Der Anblick der gewöhnlichen, sogar vertrauten Bewegungen der faltigen Hände brachte Mara etwas Entspannung. Der Tag folgte immer der Nacht, unabhängig davon, wie dunkel die Wolken waren, die den Mond bedeckten. Sie hörte zu, als Nacoya leise zu sprechen begann, damit nur sie es hören konnte.
»Kind, das Kaiserreich ist riesig, und es gibt viele Herren, deren Herzen durch ihre Zielstrebigkeit grausam geworden sind. Unglückliche Bedienstete leiden oft unter der Herrschaft solcher Männer. Doch aus solcher Not entspringt Weisheit. Die Bediensteten haben gelernt, wie auch Ihr lernen werdet, daß der Ehrenkodex ein zweischneidiges Schwert ist. Jedes Wort hat zwei Bedeutungen und jede Tat viele Konsequenzen. Auch ohne die Treue oder Ehre zu gefährden kann ein Diener einem grausamen Herrn das Leben zur Hölle machen.«
Mara betrachtete die Blätter des Ulo-Baumes, zwischen deren dunklen, gezackten Formen kleine Stücke des Himmels hindurchschimmerten. »Wie du, Keyoke und Jican an dem Tag, als Papewaio mich vor dem Homoi Tong rettete«, murmelte sie schläfrig.
Darauf zu antworten wäre beinahe einem Verrat gleichgekommen. Mit steinernem Gesicht verbeugte Nacoya sich wortlos. Dann meinte sie: »Ich werde die Hebamme für Euch holen lassen, Lady. Sie kennt die Weisheiten der Erde und wird Euch erklären, wie Ihr so schnell wie möglich empfangen könnt. Dann wird der Lord Euren Schlaf nicht mehr mit seiner Lust stören, und der Name der Acoma ist durch einen Erben gesichert.«
Mara richtete sich in den Kissen auf. »Ich danke dir, Nacoya.« Sie tätschelte leicht die Hand der alten Frau und stand auf. Doch bevor sie sich zum Gehen wandte, blickte die Amme tief in die Augen des Mädchens. Sie sah Schmerz und auch Furcht; aber sie bemerkte darüber hinaus den hellen Funken der Berechnung, den sie seit dem Tod von Lord Sezu schon öfter in Maras Augen wahrgenommen hatte. Sie verneigte sich, um ein aufwallendes Gefühl zu verbergen; und als sie Mara mit aufrechtem Gang auf ihre Gemächer zugehen sah, zwinkerte Nacoya mit den Augen und weinte.
Die Asche der verbrannten Hochzeitshütte kühlte ab und verteilte sich im Wind. Staub wirbelte auf, denn es war jetzt trocken und heiß geworden. Die Tage wurden länger, bis der Sommer seinen Höhepunkt überschritten hatte.
Needras wurden für das Fest Chochocans geschlachtet, und die freien Arbeiter zogen ihre beste Kleidung für die Segnung auf den Feldern an, während die Priester Papierbildnisse verbrannten, symbolische Opfer für eine reiche Ernte. Buntokapi blieb während der Zeremonie nüchtern, zum größten Teil deshalb, weil Mara die Bediensteten angewiesen hatte, seinen Wein mit Wasser zu mischen. Die Gesellschaft ihres lauten Ehemannes mochte ihr zusetzen, doch sie zeigte nichts davon in ihrem Verhalten. Nur ihre eigenen Zofen wußten, daß die dunklen Ringe um ihre Augen von Schminke verdeckt waren und die Kleidung ihres schlanken Körpers manchmal blaue Flecken verbarg.
Die Lehren der Schwestern Lashimas hielten ihren Geist aufrecht. Sie zog Trost aus dem Rat der Hebamme und lernte Wege kennen, wie sie sich einen Teil der Unannehmlichkeiten ersparen konnte, wenn ihr Mann sie zu sich ins Bett rief. Irgendwann zwischen dem Mittsommerfest und dem nächsten Vollmond wurde sie von Kelesha, der Göttin der Bräute, gesegnet, denn sie empfing. Buntokapis Unkenntnis über die Frauen kam ihr zugute, denn er war sofort einverstanden, als er hörte, daß sie nicht länger als Mann und Frau zusammenkommen könnten, ehe nicht das Baby geboren wäre. Er nörgelte ein bißchen, ließ sie dann jedoch in jene Gemächer ziehen, die früher ihre Mutter bewohnt hatte. Die Räume waren ruhig und von Gärten umgeben, und Buntokapis laute Stimme drang nicht dorthin. Dies war um so besser, da ihr jeden Tag mehrere Stunden übel war und sie zu den merkwürdigsten Zeiten schlief.
Die Hebamme lächelte breit und rieb Maras Bauch und Brüste mit süßlichem Öl ein, um die Haut weich zu machen für die Zeit, da sie sich wegen des Kindes dehnen würde. »Ihr tragt einen Sohn in Euch, Mylady, ich schwöre es bei den Gebeinen meiner Mutter.«
Mara lächelte nicht zurück. An Buntokapis Entscheidungen durfte sie nicht teilhaben, und die Art, wie er mit einigen Bediensteten umging, beschämte sie. So schien sich die Hausherrin immer mehr in sich zurückgezogen zu haben. Doch es war eine Resignation, die nur nach außen so wirkte. Jeden Tag sprach sie mit Nacoya, die für sie den Klatsch der Bediensteten zusammenfaßte. Wenn sie draußen in der Sänfte saß, um die frische Luft des frühen Herbstes zu genießen, befragte sie Papeiwaio so nachdrücklich, bis dieser sich spöttisch beklagte, daß er keine Luft zum Antworten mehr hätte. So mochte sie zwar die Rolle der unterwürfigen Frau spielen, doch dabei entging ihr auch nicht die kleinste Kleinigkeit, die die Angelegenheiten der Acoma betraf.
Mara war die Massage leid und stand auf. Eine Dienerin brachte ein leichtes Gewand, das sie anzog und über dem bereits rundlich werdenden Bauch verschloß. Sie seufzte, als sie an den Vater des Babys dachte und an die Veränderungen, die er in das Anwesen gebracht hatte. Buntokapi hatte sich bei den Kriegern Respekt verschafft, indem er auf brutale Weise seine Stärke zur Schau gestellt und durch einen gelegentlichen Anfall von Klugheit dafür gesorgt hatte, daß jeder einzelne Mann höchst wachsam war. Er hatte die Angewohnheit, plötzlich Kampfübungen anzusetzen oder irgendwelche Soldaten, die ihm zufällig über den Weg liefen, als Eskorte in die Stadt mitzunehmen, und dabei war ihm völlig gleichgültig, welche Aufgaben und Pflichten sie eigentlich hätten erledigen müssen. Die Garnison wurde dadurch regelmäßig in ein heilloses Durcheinander gestürzt. Buntos häufige Änderungen einmal gegebener Befehle ließen alle Versuche Keyokes, eine Art von Ordnung aufrechtzuerhalten, unzulänglich erscheinen. Jican verbrachte immer mehr Stunden mit seiner Tafel auf den entlegendsten Needra-Weiden. Mara kannte den Hadonra gut genug, um sein Verhalten als Ablehnung des neuen Lords interpretieren zu können. Buntokapi hatte eindeutig keinen Kopf für die Feinheiten des Handels. Wie so viele Söhne mächtiger Lords dachte er, daß Wohlstand und Reichtum etwas Unerschöpfliches wären, etwas, das stets und für jedes semer Bedürfnisse bereitstand.
In der Mitte des Herbstes trieben die Hirten die Needras über die Straße. Nebelschwaden hingen in der Luft, als die Kälber des Vorjahres zunächst zu Sammelstellen und dann zum Schlachten getrieben wurden. Die im Frühling geborenen Kälber wurden kastriert, zur Zucht beiseite genommen oder auf die höhergelegenen Weiden getrieben, um dort weiter zu wachsen. Wie ein Kind, das es nicht erwarten kann, endlich den Eintritt ins Erwachsenenalter feiern zu dürfen, spürte Mara die Zeit vorüberstreichen; jeder Tag zog sich endlos in die Länge.
Die Untätigkeit wurde teilweise aufgehoben, als die Cho-ja ankamen. Der Schwarm erschien ohne Vorwarnung; an dem einen Tag war die östlich gelegene Weide, die sie für sie vorbereitet hatten, noch leer, am nächsten eilten Arbeiter energiegeladen und voller Tatendrang hin und her. Erdhügel wuchsen am Zaun entlang. Es wurmte Buntokapi, daß die Königin ihre Nachricht direkt an Mara gerichtet hatte. Mitten in seiner Tirade erkannte er, daß die Cho-ja aus dem Stock des Lords der Inrodaka stammten. Er vermutete, daß die Verhandlungen über die Ansiedlung des neuen Schwarms irgendwann zwischen dem Heiratsangebot und der Hochzeit selbst stattgefunden haben mußten, denn seine Augen zogen sich in einer Weise zusammen, die seine Ehefrau zu fürchten gelernt hatte.
»Du bist schlauer, als selbst mein Vater geahnt hatte, Frau.« Dann lächelte er humorlos mit einem Blick auf Maras Mitte. »Aber deine Tage des Reisens in aller Hast und Heimlichkeit sind vorbei. Jetzt bin ich Herrscher, und die Cho-ja werden mir gehorchen.«
Doch da zuvor Mara für die Acoma verhandelt hatte, wandte sich die Königin auch jetzt nur an sie – so lange zumindest, bis der neue Lord sich die Zeit nehmen würde, wegen seiner eigenen Sache selbst mit ihr zu verhandeln. Doch die Angelegenheiten der Krieger schienen immer Vorrang zu haben, und so verbrachte die junge Frau mehr und mehr Zeit in den frisch gegrabenen Kammern der Königin; sie tranken Chocha und unterhielten sich. Buntokapi bemerkte es kaum, so sehr war er in die Wettrunden der Ringkämpfe in Sulan-Qu vertieft. Mara war dankbar dafür, denn die Gespräche mit der jungen Königin boten Abwechslung von der Langeweile des häuslichen Lebens. Sie lernte immer mehr über die Verhaltensweisen der fremdartigen Wesen. Im Gegensatz zu den Fehltritten Buntokapis mochte die Beziehung, die sie jetzt festigte, den Acoma in späteren Jahren zugute kommen.
Wenn Mara wieder nach oben auf die Erde zurückkehrte, zu den Gütern, die jetzt Buntokapi gehörten, erkannte sie, wie sehr ihr das Regieren gefallen hatte. Sie ärgerte sich darüber, auf die zweitrangige Rolle der Frau und Ehegattin beschränkt zu sein, und zählte die Tage bis zum Winter. Nach den Regenfällen im Frühling würde ihr Kind geboren werden, und die Acoma hätten einen Erben. Bis dahin mußte sie warten; und die Wartezeit war hart.
Mara berührte ihren Bauch, sie spürte das Leben darin. Wenn das Kind ein Junge war und gesund, würde ihr Ehemann allen Grund haben, sich in acht nehmen zu müssen, denn im Spiel des Rates waren selbst die besonders Mächtigen verletzlich. Mara hatte vor den Geistern ihres Vaters und Bruders einen Eid abgelegt, und sie würde nicht eher ruhen, bis ihre Rache vollendet wäre.