14

 

Eiligst nahm Elspeth Deckung in der Grube, wo die anderen noch schliefen. Sie brauchte eine Waffe, etwas, das auf Entfernung wirkte; denn wenn Gorstein eine Vaza oder irgendeine andere Feuerwaffe besaß, konnte man ihm nicht offen entgegentreten. Noch nicht.

Als sie an dem dicken Stengel einer schwankenden Pflanze zerrte, erwachte Iondai sofort und dachte sich auch gleich, was geschehen war. „Wie nahe ist er?“ flüsterte er.

„Am Fluß. Wir haben praktisch keine Zeit mehr. Ich gehe ihn an, wenn er im Wasser ist …“ Die Worte ‚wie in alten Tagen’ traten ihr auf die Lippen, doch sie ließ sie vergehen. Wieder so eine sinnlose Redensart.

Iondai zog ein kurzes Knochenmesser hervor und schnitt den Stengel blitzschnell durch. Er gab einen ausgezeichneten Speer oder ein sehr gutes Rapier ab. Iondai schnitzte das untere Ende zurecht, bis es tödlich scharf war. Dann machte er ein paar Zoll unter der Spitze einen Einschnitt und schnitzte die Außenkante zu einem Widerhaken zurecht.

„Ein guter Stoß in sein Auge, dann spritzt ihm das Gehirn heraus.“

„Na wunderbar“, sagte Elspeth, befingerte die Spitze und spürte zum erstenmal etwas wie Spannung. „Wecke die anderen nicht. Das ist eine Sache zwischen mir und ihm.“

„Nimm auch das“, sagte Iondai und reichte ihr das Messer. „Dieses Schwert geht nicht durch Knochen. Denk daran.“

Sie schlüpfte aus der Senke auf den offenen Hang hinaus.

Gorstein hockte immer noch am Fluß, doch jetzt entleerte er seinen Darm ins Wasser und drehte Elspeth den Rücken zu.

Sie schulterte den Speer und warf einen letzten Blick zurück auf Iondai, der hinter einem Felsvorsprung hockte, um den Kampf aus einer relativ sicheren Position zu beobachten. Eine letzte Konzession an die Angst: Ihr Körper wurde heiß bei dem Gedanken, daß sie innerhalb der nächsten Minute tot sein könnte – und dann sauste sie den Hang hinunter.

Gorstein hörte sie kommen und zog rasch die Hosen hoch, als hätte er noch ein bißchen Schamgefühl in seiner barbarischen Seele. Er hatte einen thermostatischen Anzug an, ähnlich dem Elspeths, doch in besserem Zustand und wahrscheinlich noch funktionierend. Sie blieb stehen und suchte nach Anzeichen, daß er eine Vaza bei sich hatte. Sie konnte keine entdecken.

Grinsend blickte Gorstein ihr über den Fluß entgegen. Unter einer Kojendecke, die noch am Boden ausgebreitet lag, zog er ein langes Knochenschwert hervor, nahm es beim Griff und schwenkte es dem Mädchen entgegen.

„Wenn Sie Angst haben, ich könnte Sie erschießen – Feuerwaffen habe ich nicht“, rief er hinüber.

„Warum verfolgen Sie uns, oder ist es ein Zufall?“

„O nein, ich verfolge euch. Ich bin schon ein paar Tage hinter euch her. Ich will … die da …“ – sein Blick senkte sich auf ihre Brust, und dann sah er ihr wieder ins Gesicht. „Und Sie selbst natürlich auch. Ich weiß noch nicht, was ich mit Ihnen machen werde. Vielleicht lasse ich Sie leben.“

„Oder vielleicht auch nicht“, ergänzte sie. „Was wollen Sie denn mit den Diamanten, Schiffs-Meister? Was fangen Sie mit ihnen an, wenn Sie sie haben?“ Hoffentlich merkte er, daß sie ihn verspotten wollte. Seine Brauen zogen sich zusammen, er machte ein ganz merkwürdiges Gesicht. Verwirrt, unsicher. Dann grinste er. „Sie sind ziemlich wertvoll. Steine von solcher Kraft sind für Männer, die Kraft haben.“

„Aha. Also probieren wir’s aus.“

Sie verließ sich darauf, daß er hinsichtlich der Schußwaffe nicht gelogen hatte, und schritt weiter, bis sie zehn Yards von ihm entfernt stand, den Fluß zwischen ihnen.

Rauschend, kristallklar und kalt schoß das Wasser dahin, eine natürliche Schranke, eine Kraft für sich, ein Feind für sie beide, doch auch eine Herausforderung für sie beide. Elspeth hob ihr rapierartiges Schwert und klopfte auf den kurzen Beindolch an ihrem Oberschenkel. Sie wußte, daß sie zerzaust und vielleicht nicht sehr kriegerisch aussah, doch sie war an keinen besonderen Ehrenkodex gebunden und brauchte sich nicht darum zu kümmern, wie eine anständige Steinzeitkriegerin auszusehen hatte.

„Warum sind Sie nicht im Schiff geblieben?“ fragte sie unvermittelt. Es wurde heller, und der warme Pflanzengeruch überwand die morgendliche Kälte.

„Im Schiff?“ Er begriff nicht gleich, was sie meinte – es war keine Verstellung. „Das Schiff … ja … ich weiß nicht … die Edelsteine, diese Welt hier … es war eine Versuchung. Es ist hier so natürlich, Mueller. Ein Mann kann tatsächlich Lust daran bekommen …“ Er lächelte immer noch.

„Oder daran sterben“, erwiderte sie drohend.

„Ich bin prädestiniert dafür zu überleben. Männer wie ich töten, Mueller … sie teilen Tod oder Gnade aus … und empfangen beides nicht.“

Arrogant bis zum letzten, dachte sie. Aber irgend etwas war an ihm, etwas furchtbar Unsicheres, Mißliches. Er sah ebenso schlimm aus wie sie. Sie war dreckig und verzottelt; er, ihr männliches Gegenstück, war stoppelig und ungekämmt. Seine Kleidung war verschmutzt, um seinen rundlichen Bauch trug er einen behelfsmäßigen Gürtel mit mehreren Knochen- und Steinmessern, was ziemlich kriegerisch und kraftvoll wirkte. Sicher war er sich dieses Eindrucks bewußt, genoß ihn, freute sich daran. Elspeth ihrerseits war sich über ihre Schwäche nur zu klar. Hier waren Strategie und Vorsicht angebracht.

„Sie haben den Alten getötet“, schrie sie. „Warum?“

Gorstein starrte über das Wasser zu ihr hin. Sein Gesicht war ernst, fast verlegen, jedoch nur für einen Moment. (Er hatte fast alles vergessen, wie sie merkte.) Alles: die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, die er sich ausgemalt hatte. Von alledem war fast nichts mehr da. Nur die Steine und irgendwelche Rachegefühle waren noch übrig. Auch das würde bald weg sein. War es gerechtfertigt, ihn zu töten, wenn die Zeit und sein Verfall das innerhalb von ein paar Tagen für sie besorgen würden? Unglücklicherweise hatte sie diese paar Tage nicht mehr zur Verfügung …

Plötzlich schwang Gorstein sein Schwert. „Hierfür habe ich einen alten Mann umgebracht“, sagte er. „Ich habe ihm den Hals abgeschnitten, ein Stück weiter zurück, hinter dem Grat. Ein alter Mann, aber er hat einen guten Kampf geliefert. Da oben in den Bergen sind mehrere Krieger.“

Grinsend, mit weiten Schwertschwüngen trat er ins Wasser. „Jetzt schneide ich Ihnen die Juwelen heraus, Mueller. Und dann schneide ich Ihnen den Hals ab.“

„Das heißt, Sie werden es versuchen“, entgegnete sie und zückte ihre Waffe wie ein Schwert.

Er ahnte nichts. Als er halb über dem Fluß war, bis zu den Knien im Wasser, wechselte sie den Griff – jetzt war es ein Wurfspeer –, holte aus und zielte sehr sorgfältig.

Er sah, was sie vorhatte, und verzerrte das Gesicht vor Schreck; wutbrüllend machte er einen Satz auf sie zu, doch sie warf den Speer, der mit dumpfem Aufschlag in seine rechte Brustseite fuhr, so daß er mit mächtigem Aufplatschen und einem Schmerzensschrei rücklings ins Wasser stürzte; pumpend schoß das Blut um den Schaft hervor, färbte das kristallklare Wasser, rötliche Wolken trieben flußabwärts.

Schreiend zerrte Gorstein an dem Speer und brachte ihn schließlich heraus. Fleisch- und Kleiderfetzen hingen am Widerhaken.

Zu Elspeths Schrecken hob er sich mühsam auf die Knie und starrte sie an, immer noch schreiend; doch jetzt schrie er nicht nur vor Schmerzen, sondern beschimpfte sie wütend.

Er holte aus und warf den Speer. Elspeth sprang zur Seite, doch der Wurf war immer noch so kräftig, daß sie nicht schnell genug ausweichen konnte. Der Speer traf sie am Oberschenkel, drang durch die Haut und hing einen Moment im Fleisch, bevor sie ihn mit zitternden Fingern hinunterschlagen konnte.

Er kroch auf sie zu und hinterließ ein Kielwasser von hellem Rot – woher nahm der Mann diese eiserne Stärke?

Hinkend rannte sie in den Fluß und stürzte sich auf ihn, zückte den Dolch und stach zu. Wieder brüllte er auf, riß ihr die Hand von der Klinge, zog sich das Messer aus der Schulter und warf es nach ihr; doch es war so naß und blutig, daß er kaum einen richtigen Griff hatte – ihre letzte Waffe fiel in die Strömung. Sie schmetterte ihm die Faust ins Gesicht, doch er hatte sie umgeworfen, und sie zappelte im gürteltiefen Wasser. Platschend kam sie wieder hoch, versuchte, mit ihren von der Kälte tauben Sohlen im Flußbett festen Fuß zu fassen, und war plötzlich unter dem Schiffs-Meister. Er nahm sie zwischen die Beine, packte sie am Hals, drückte ihren Kopf unter Wasser, ganz tief, bis sich ihre Kopfhaut an den Steinen des Flußbettes rieb. Mit geschlossenen Augen, die Wangen geschwollen vor angehaltenem Atem, zerrte sie an seinen Händen. Sie konnte seinen Griff nicht lockern; langsam gruben sich seine Finger tief in ihren Hals, quetschten Muskel und Knorpel. Der Schmerz verschwand, totale Schwäche überkam sie. Sie ließ seine Hände los und sank auf den Grund, erstickt, mit berstenden Lungen. Sie konnte den Atem nicht länger anhalten. Langsam strömte die Luft durch ihren verzerrten, zusammengepreßten Hals, und sie sah, wie die Blasen hochstiegen und zerplatzten, so daß der grinsende, blutverschmierte Mann, der sie immer noch unter Wasser drückte, sie nicht mehr richtig sehen konnte. Doch auf einmal lockerte sich sein Zugriff, und sein Körper trieb über ihr im Fluß.

Eisiges Wasser füllte ihre Lungen, starke Hände zogen sie hoch. Sie kämpfte dagegen an, kämpfte gegen die schmerzende Flüssigkeit in ihren Lungen; dann lag sie mit dem Gesicht nach unten am Ufer, erbrach sich mehrmals, quetschte Mageninhalt und Wasser heraus …

Sie kam wieder zu sich und richtete sich hoch. Darren wischte ihr Mund und Gesicht ab, Moir rieb ihr die Hände, um das Blut wieder in Gang zu bringen.

„Was ist geschehen?“ Die Kehle tat ihr weh; sie konnte nur unter Schmerzen sprechen.

„Du lebst noch – das ist geschehen.“ Darren strich ihr das nasse Haar aus den Augen.

„Ist er tot?“

Darren zuckte die Achseln. „Ich habe mein Messer nach ihm geworfen. Zu etwas anderem war keine Zeit. Da wurde er bewußtlos und trieb ab, Gesicht nach unten. Wir haben nicht daran gedacht, hinterherzuschwimmen und nachzusehen.“

Er hatte das Messer wieder und hielt es liebevoll in der Hand. Er lächelte sie an; sie lächelte zurück, faßte seine Hand und küßte sie. „Danke, Darren. Ich habe noch viel zu lernen – furchtbar viel.“

 

In den nächsten Stunden, während sie höher stiegen, der Schneegrenze zu, gingen ihr diese Worte nicht aus dem Kopf. Furchtbar viel zu lernen.

Ja, dachte sie. Ich muß noch viel lernen – über Kämpfen, über Kraft und Brutalität, Schande und Strategie. Und vom Aeran zu leben muß ich auch lernen, denn sonst habe ich jetzt nichts mehr.

Sie betastete den halbverheilten Schnitt am Oberschenkel. Er tat nicht weh; der Saft einer tiefwurzeligen Pflanze hatte das Wundgebiet betäubt (und das Fußgelenk außerdem); die Wundränder waren sauber und mit kleinen schwarzen Partikeln bestäubt, Samenkörnern, die Moir aus der Speer-Pflanze von vorhin gewonnen hatte. Die Samen waren klebrig und hielten die Wunde geschlossen; Elspeth hatte wenig Neigung zu probieren, wie fest sie hielten.

Iondai ärgerte sich immer noch, daß er vergessen hatte, die Speerspitze zu vergiften. „Wenn er noch lebt und uns verfolgt“, brummte er, während sie mühsam den Weg durch die scharfen Vorsprünge blitzender kristallinischer Felsen suchten, „muß ich mir Vorwürfe machen. Wir haben gestern abend Nikkal-Blätter gegessen, und ich hätte daran denken müssen, daß die Wurzel ein schweres Gift enthält.“ Er konnte gar nicht davon aufhören. Elspeth lachte ihn aus, aber Darren schien ebenfalls ärgerlich zu sein. Moir sah immer nur ihren Bruder an und war anscheinend tief in ihre eigenen Gedanken versunken.

Am Spätnachmittag gingen sie langsam über sanfte Hänge auf steile Felsen mit schneebedeckten Säumen zu. Offenbar begann hier die Zone des tieferen Schnees. Ihr Atem dampfte in der Kälte. Iondai gefiel das, und Moir schien es ebenfalls zu mögen, Darren jedoch und Elspeth selbst (die sich in Iondais Decke gewickelt hatte und Gorsteins Decke über dem Arm trug, weil niemand sonst sie anfassen wollte) vertrugen die bittere Kälte schlecht. Zwergenhafter Baumwuchs stand verstreut auf diesen letzten Hängen: kurze baumähnliche Pflanzen, manche breit ausladend, platte Stämme, die in allen möglichen Winkeln aus dem Boden ragten, reich bedeckt mit palmblattähnlichen Lichtfängern, keinen eigentlichen Blättern, denn ihre Struktur unterschied sich nicht von der der Stämme, an denen sie wuchsen.

In diesem Wald (der größtenteils niedriger war als sie selbst) suchte Iondai herum und fand schließlich einen dürren Baum. Die ausladenden Äste brach er ab und häufte sie auf; dann zeigte er Darren und Moir, wie sie die Stücke mit den Bruchstellen in ihre Körperbehaarung knüpfen sollten, so daß sie Leib, Beine und Oberarme bedeckten. Waren sie erst einmal befestigt, so waren die Blätter ein Panzer, allerdings nicht sehr widerstandsfähig. Aber warm, fanden sie. Schön warm. Iondai verbrachte eine ganze Weile damit, die Stücke zurechtzuschneiden, daß sie gut an seinen vor Kälte zitternden Körper paßten. Er verwob sogar zwei dieser braunen Gebilde in seinen Kopfhaaren, so daß er ganz merkwürdig aussah – als ob irgendein plattes Tier durch die weißen Strähnen in sein Gesicht kröche.

Elspeth benutzte die Gelegenheit, um mit Iondais Erlaubnis die Schwarzflügler-Decke ein bißchen zuzuschneiden, so daß sie nicht beim Gehen hinderte. Sie band sie sich um Schultern und Taille; sie bot einen ausgezeichneten Kälteschutz, wenn sie dicht am Leibe anlag. Gorsteins Kojendecke ließ sie ganz. Sie war so groß, daß sie sich alle damit zudecken konnten; wenn es erst richtig bitterkalt wurde, dann würden die anderen schon nichts dagegen haben, die Decke mit ihr zu teilen.

Am schlimmsten biß die Kälte in den Fingerspitzen; dagegen half am besten, wenn man sie ständig bog und streckte; das wiederum ging am besten beim Marschieren.

Das meinte jedenfalls Darren, als sie einen Moment rasteten. „Wenn wir tatsächlich hinauf wollen“, sagte er und schlug sich klatschend auf die Knie, „und ich finde immer noch, daß das Unsinn ist, dann wollen wir lieber weiter. Auf diesem Felsen ist eine Menge Schnee, und der könnte uns auf den Kopf kommen, wenn es sehr windig wird.“

Elspeth starrte auf die Felswand, und als sie den überhängenden Schnee sah und feststellte, daß Darren recht hatte, überkam sie ein kurzes Angstgefühl. Sie dachte an ihren lebhaften und erschreckenden Traum: Wie sie vor einer drohenden dunklen Gefahr geflohen war und wie sie geschrien hatte, als die weiße Flut plötzlich über den Grat kam und sie unter sich begrub …

Eisige Finger packten ihr Herz, Kälte schoß ihr ins Blut und in die Knochen, trotz der wärmenden Decke. Sie schaute über die niedere Vegetation und glaubte, in der Ferne eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen, doch es war nur das Flitzen eines kleinen Tieres, das ebensoviel Angst vor ihr hatte wie sie – im ersten Moment – vor ihm. Wenn Gorstein noch lebte, war er schwer verwundet, lag wahrscheinlich todesmatt am Ufer und konnte froh sein, wenn er nach und nach wieder zu Kräften kam. Nein, vom Schiffs-Meister war nichts mehr zu fürchten. Wenigstens nicht für die nächste Zeit.

Und innerhalb von ein paar Tagen würde sein Hirn das Motiv der Rache und Gier eliminiert haben.

Sie kletterten die Schlucht hinan, zogen sich Hand über Hand die steilen Stellen hinauf, krochen und rutschten über die Hänge. Da sie auf beiden Seiten Wände hatten, kamen sie einigermaßen voran; rutschte einer ab, so stemmte er sich einfach fest, bis jemand kam und ihm half. Elspeth wagte kaum, in das weite Land hinunterzublicken. Da sie in den letzten zwei Tagen über langsam ansteigende Hänge marschiert waren, glaubten sie viel höher zu sein, als es tatsächlich der Fall war. Wenn sie bei einer kurzen Rast Ausblick hielten, sahen sie das ferne Meer hinter dem Marschland – ein Gebiet, das noch kein Aerani jemals durchquert hatte. Wald und Dschungel waren ein Gemisch von unzusammenhängenden Farbflecken; wenn der mittlere Teil des Landes im Sichtschatten der Hänge lag, konnte man die Landschaftsbilder nicht mehr voneinander unterscheiden: der nahe gelegene Zwergwald lief direkt in den meilenweit entfernten Dschungel hinein. Ein Teil des Flachlandes lag unter Wolken, und der Himmel, blauer denn je, schien nur ein paar Zoll über ihnen zu sein.

Als Elspeth nachher auf einer Felsleiste in der Schlucht hockte, kam sie sich vor wie auf einem meilenhohen Turm; der Kopf schwamm ihr bei diesem Gedanken, und da nichts, was sie sah, diesem Eindruck widersprach, wurde sie von lähmendem Schwindel gepackt. Nur Darrens ärgerliche Aufforderung, weiterzuklettern, riß sie aus ihrem Tagtraum, und sie machte sich daran, die letzte Strecke der Schlucht zu überwinden, wo die geschmeidige Moir den anderen bereits vorauskletterte.

Gegen Abend erreichten sie den Grat. Ein Licht in der Ferne erregte ihre Aufmerksamkeit, und Elspeth erkannte, daß es der crog war, wo die Fackeln auf der Brustwehr angezündet wurden; die vielen Lichter flossen zu einem zusammen, das wie ein ferner Leuchtturm blinkte.

Sie hockten sich am Ausgang der Schlucht nieder, wo der Schnee noch so dünn war, daß sie ihn wegfegen konnten. Atemlos und erschöpft spähten sie unter sich, wo der Fluß gerade noch als dünnes Silberband erkennbar war, das sich in bizarren Windungen durchs Tal fädelte. Von Gorstein oder auch von seiner Leiche war nichts zu sehen; aber sie waren sich klar darüber, daß man außergewöhnlich gute Augen haben müßte, um einen reglosen menschlichen Körper auszumachen; allenfalls hätte man ihn sehen können, wenn er sich bewegte.

Moir erkundete den Grat – es war mehr ein Plateau –, und bald verschwand ihre schlanke Gestalt in der sich vertiefenden Dunkelheit. Manchmal sahen sie sie durch den Schnee waten, auf einen Aussichtspunkt zu, der nur wenig höher war als das Plateau selbst.

Überall lag Schnee; er bedeckte die Fläche etwa eine halbe Meile weit, bis sich der Berg wieder zu seinem Gipfel türmte. Man hatte den falschen Eindruck, sich auf ebenem Boden zu befinden, doch Iondai meinte, es sei ein gefährliches Gebiet voller Felsbrocken und Löcher. „Da müssen wir ganz vorsichtig gehen“, sagte er; „so habe ich es auch gemacht, als ich vor Jahren hier war, und ich kam ohne Zwischenfall hinüber. Wir werden gut daran tun, wenn wir es ebenfalls so machen.“

Zum erstenmal wandte Elspeth sich um und sah sich die Berge hinter ihr, die eisige Fläche vor ihr richtig an. Daß sie zitterte, kam, wie sie wußte, nicht nur von der Kälte. Oder vielleicht war die Kälte noch etwas anderes als nur niedrige Temperatur. Sie kuschelte sich an Iondai und blickte Darren nach, der vorsichtig einen Fußpfad bis zur nächsten (und letzten) Phase des Aufstiegs austrat. Obgleich sie im Vergleich zur Gipfelhöhe überhaupt noch nicht richtig geklettert waren, lag ihr Ziel bereits hinter der nächsten eisigen Felswand – eine Tagesstrecke vielleicht. Noch ein Tag bis zur Höhle.

Alle paar Sekunden verschwand Darren hinter der nebligen Wolke ihres Atems, die so rasch kam, als sei sie erschöpft; doch nicht die Erschöpfung ließ sie so schnell atmen. Als die Dunkelheit den Glanz des Schnees dämpfte, wurde sie etwas ruhiger. Jetzt wurde der Schnee zu einem stumpfen grauen Teppich, kalt bei der Berührung, aber nicht mehr so bedrohlich. Jetzt konnte sie darüber nachdenken, warum sie diesen an sich unschuldigen Stoff so haßte. Schnee verursachte ihr Todesangst, sie reagierte panisch, wenn sie Schnee berührte – manchmal sah sie ein Gesicht, ein vertrautes Gesicht, unter dem Schnee begraben; in der Ferne schien eine Stimme zu rufen, doch sie konnte die Worte nicht verstehen … Was bedeutete das alles? Woher kam es?

Sie wickelte sich fester in ihren Mantel und verdrängte den Gedanken aus ihrem Hirn.

An der Felswand vor ihr hob sich jetzt ein Muster ab; ein inzwischen wohlvertrautes Ornament, ein Spiralenmuster, das sich mehr und mehr in ihrem Bewußtsein nach vorn drängte. Die Halluzination war so lebendig, daß sie sich aufrichtete und sich wunderte, weil ihr dieses riesige Bild erst jetzt auffiel. Fast zwanghaft hob sie die Hand und zeichnete das Muster in der Luft nach, vom Zentrum der einen Doppelspirale bis ins Herz der nächsten. Iondai sah ihr zu und erkannte das Symbol.

„Der Erdwind“, sagte er.

„Es ruft mich, Iondai. Es ist immer in meinem Kopf, es lockt mich, winkt mir …“

Es entschlüpfte ihrem Zugriff wurde unberechenbar, tanzte im letzten Moment hinweg; und während sie noch zu verstehen suchte, was sie dort oben sah, kroch bereits hinter ihr das Dunkel heran und griff nach ihr …

„Es gab einmal eine Geschichte; jetzt ist es nur noch ein Stück von einem Heldenlied aus der Frühzeit des crog: daß der Erdwind die Menschen gerufen hat und sie ihm hörig geworden sind. Keiner war frei von ihm, und sie griffen nach dem Erdwind gerade so, wie du es jetzt tust …“

Sein Blick war weit weg, oben auf dem Berg, wo die Höhle lag, und ging in die Höhle hinein …

„Hat er dich auch gerufen?“ fragte sie. „Siehst du ihn vor Augen, tanzt er vor dir einher?“

Iondai schüttelte den Kopf. „Er hat nur die ersten Menschen gerufen. Seitdem leben wir in seinem Schatten und verehren ihn. Er gibt uns das Lied der Erde …“

Elspeth unterbrach ihn. „Wie meinst du das – er hat nur die ersten Menschen gerufen? Hat er sie hierher gerufen? Zur Höhle?“

„Die ersten Menschen wurden in der Höhle geboren“, erwiderte Iondai lächelnd. „Der Erdwind kam von jenseits der Absoluten Finsternis und machte sich die ersten Menschen Untertan. Sie nahmen ihn mit in den Orakeltunnel und erreichten lebend den Platz, wo sie den crog bauten. So berichtet es uns die Legende.“ Er blickte Elspeth an. „Nun frage ich mich!!!“

Er verstummte und saß so unbeweglich, daß nur die gefrorene Luft vor seinem Munde verriet, daß er noch am Leben war.

„Warum bist du hier, Iondai? Hat Ashka dich so verwirrt?“

„Das Lied der Erde hat vorausgesagt, daß in der Verwirrung der Tod liegt.“ Er wandte sich wieder zu dem Mädchen um. „Ich hatte es über mein eigenes Schicksal befragt.“

„Wie lange ist das her?“

„Viele Fackel-Zyklen, viele, viele Jahreszeiten … als ich noch jung war, grade erst zum Seher geweiht. Dein Freund Ashka hat auch nach seinem Schicksal gefragt, und die Antwort war nicht die richtige Antwort. Er ist zu früh gestorben und doch so, wie das Lied der Erde gesagt hat. Er muß in großen Schmerzen gestorben sein, in den Schmerzen der Verwirrung. Ich verstehe es selbst nicht, und es sollte mir auch gleichgültig sein. Aber das ist es nicht. Euer ching und mein Lied der Erde – sie scheinen aneinanderzuprallen, miteinander zu kämpfen, gegensätzliche Antworten zu geben, obwohl ich zuerst dachte, es sei die gleiche Antwort. Dieses ching, dieses … andere Orakel … es hat mich verwirrt.“

„Und in der Verwirrung liegt der Tod“, ergänzte Elspeth. „Glaubst du also, du kommst nicht wieder in den crog zurück, wenn wir die Höhle erreicht haben?“

Iondai schwieg und starrte weiter nach oben, sein Gesicht war eisig in der bitterkalten Nacht, die Augen waren halb geschlossen.

Nach einiger Zeit schreckte ein tiefes Grollen Elspeth auf; doch das Geräusch verstummte so schnell, wie es gekommen war. „Das hörte sich an wie …“

„Ich habe es dir ja gesagt. Wir sitzen hier über dem Gang zum Lied der Erde. Tief im Felsen zieht es den Berg hinunter und unter dem Tal hindurch, bis es schließlich durch die Orakelgrube weht.“

Wieder kam das Grollen, sehr tief, sehr weit weg, doch trotz der hohen Schneedecke deutlich hörbar.

„Und es kommt aus der Höhle?“

„Von unter der Höhle“, verbesserte Iondai. „Der Wind, der um das Gebirge weht, fängt sich in den Schluchten, und die Schluchten laufen zu einem einzigen Gang zusammen. Wenn der Luftzug unter der Höhle entlangfährt, geschieht etwas mit ihm; manchmal bläst er durch die Höhle selbst, manchmal weiter durch den Gang bis zum crog. Daher kommt er auch so stoßweise …“

„Und du glaubst, etwas in der Höhle, etwas, das mit dem Erdwind zu tun hat, beeinflußt den Luftstrom?“

Iondai lachte. „Es gab eine Zeit, da habe ich … ja, da habe ich genau das geglaubt. Irgendwie sei das Lied der Erde voll von der Kraft der Weitsicht, und aus seinem Nachklang könne ich die Zukunft des crog lesen. Ich war ganz zufrieden mit diesem Gedanken, ganz zufrieden mit dem Glauben an die Naturkräfte meiner Welt und mit meiner bescheidenen Aufgabe, ihren Rat für uns einfache Menschen abzulesen …“

„Und dann?“

Iondai sah sie forschend an, als zweifle er, ob er klug daran täte, ihr noch mehr anzuvertrauen. Dann wandte er die Augen ab und blickte zu Boden. „Und dann kam Askha. Mit seinem ching, mit seinen seltsam … erschreckenden Ideen.“

„Verwirrung.“

„Verwirrung“, stimmte Iondai zu. „Und vielleicht Tod. Tod eines Glaubens, Tod eines Wächters. Es gibt so viele Wächter, Elspeth. Unsere Erdsänger sind die Kräfte solcher Wächter, die des Nachts durch den crog schweben. Der Wind in der Stimme des einen, Felsen und Pflanzen in den Stimmen anderer, und der Fluß, und die Wolken … alle sind sie Wächter unseres winzigen crog und leiten uns bei allem, was wir tun, bei der Jagd, beim Zweikampf. Doch der größte Wächter …“

Götter, dachte Elspeth, entschlossen, nicht vor diesem Wort zurückzuschrecken. Er redet von Göttern … und ich habe gar nicht gedacht, daß der crog dergleichen hat. Wie vieles ist mir entgangen, weil ich nicht richtig hingesehen habe!

„… der größte Wächter von allen: das Lied der Erde selbst, der Seher aller Zeiten und aller Geschicke.“

„Aber das Lied der Erde ist doch nicht tot“, wandte Elspeth ein. „Wir haben doch gehört, wie es die Leitung hinunterweht.“

„Das ist nur Wind“, entgegnete Iondai. „Ashkas Orakel sprach nicht durch sein Buch, sondern durch seinen Verstand. Ich hatte das schon gemerkt, ehe er es mir gesagt hatte. Ich habe eine ganze Weile überlegt, ob das Lied der Erde nicht auch durch meinen Verstand spricht. Verwirrung, Zweifel, Tod …“

Doch kein Orakel ist das, was Iondai jetzt glaubte: nur ein Mann, der die Kraft dazu hat, ein Mann auf einer Welt, der seine visionäre Kraft durch das Wehen des Windes, das Stöhnen der Erde rationalisiert. Und auf einer Welt, wo Körper und Geist zugleich in der Vergangenheit und in der Zukunft lebten, hatten die Menschen sicherlich die gesamte Zeit im Griff, und wenn es ihnen nicht bewußt war, so mochte der Verstand selber sich dessen bewußt sein (Systeme von Kanälen – wie die Erd-Energien –, die kreuz und quer durch die Hirnrinde liefen und vielleicht die präkognitiven Hirnzentren erregten, die so lange im Bewegungsmoment verschlossen lagen), und gewissen Menschen mit besonderer Sensitivität mochte die Zukunft leichter enthüllt werden als anderen; nicht im crog oder auch im freien Felde, sondern an einem Ort, der mit solchen Kräften in Verbindung gebracht wurde, der Orakelhöhle (der Ort, an dem die ersten Menschen aufgetaucht waren, die auf den Aeran kamen, jene frühen Kolonisten, die vor Jahrhunderten gelandet waren, und zwar vermutlich nicht in der Ebene, sondern in den Bergen) –, und seitdem hatten die Seher in lebenslanger Schulung gelernt, sich an eben diesem ehrwürdigen Orte in die kommende Zeit einzustimmen.

Tief unter ihnen stöhnte der Wind und wehte hinunter ins Tal mit einem Schrei, der wie Verzweiflung klang.

 

Endlich kam Darren zurück, die Füße eisklamm in seinen Mokassins, doch ganz zufrieden. „Ich habe einen sicheren Pfad ausgetreten“, sagte er, „aber der geht ziemlich steil hoch. Weißt du bestimmt, daß du diesen Weg schon einmal geklettert bist?“

Iondai bejahte. „Es gibt viele Stellen, wo man sich festhalten kann. Die Route ist steil und nicht leicht, aber möglich ist es.“

„Damals warst du ja auch noch jünger“, entgegnete Darren mit arrogantem Grinsen. „Wie sieht es jetzt aus?“

„Ich schaffe es immer noch“, erwiderte der Seher gelassen.

Dann kam Moir zurück, ebenfalls durchgefroren, und ließ sich von Iondai ein Weilchen die Füße massieren. Ihr Haar war voller Schnee, und Elspeth fing an, ihn mit der Hand herauszubürsten, doch Moir und schlug nach ihr.

Bestürzt versuchte Elspeth, das gespannte Verhältnis zwischen ihnen etwas aufzulockern, doch Moir schnitt ihr das Wort ab. „Es gibt einen bequemen Weg zum Gipfel“, sagte sie; „ich glaube, wir nehmen lieber den.“

„Der Weg in die Wand ist schon in Ordnung. Ich habe unsere Route ausgesucht“, fuhr Darren ärgerlich auf.

„Da hätten wir den halben Tag zu klettern“, entgegnete Moir und starrte ihren Bruder böse durch das Dunkel an. „Wenn wir meinen Weg nehmen, brauchen wir nur eine Stunde durch ein bißchen Schnee zu stapfen.“

Darren sah Elspeth an, als wolle er sagen: sag du ihr, daß wir nicht auf sie hören. Moir spürte, wie unsicher er war, und lachte bitter auf. „Mir ist es ganz gleich, welchen Weg du gehst, Darren; ich nehme jedenfalls den leichten. Ich werde vor euch da sein, also paß auf, daß ich dir nicht einen Tritt gebe und du wieder runterfliegst.“

Mit wütendem Gebrüll fiel Darren über seine Schwester her und hätte sie möglicherweise über die Klippe gestürzt, wäre Elspeth nicht dazwischengegangen. Moir lag auf dem Rücken und lachte ihn aus; ihr Haar lag über den Schnee gebreitet, Blut rann aus dem Riß in ihrer Oberlippe, wo Darrens Faust sie getroffen hatte.

„Steh auf, Moir“, sagte Elspeth und streckte ihr die Hand entgegen. Wieder schlug Moir ihr die Hand weg, drehte sich um, wusch sich das Gesicht im Schnee und schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen.

Darren knurrte und schäumte ein Weilchen und fragte dann laut und ärgerlich: „Also, welchen Weg? Welchen wollt ihr nehmen?“

„Den leichten“, antwortete Elspeth. „Und du, Iondai?“

„Lieber stapfen als klettern“, lächelte der Seher, „aber junge Leute sollen ruhig ihren Spaß an der Wand haben. Soweit sie dazu Lust haben, heißt das.“

Wütend schüttelte Darren den Kopf und reinigte die Felsleiste vom Schnee, den er über die Kante hinunterwarf; die weißen Streifen verloren sich in Dunkelheit und Ferne, im lautlosen Fall zum Boden der Schlucht.

„Noch etwas“, sagte Moir, „wir hätten uns die Kletterei durch die Schlucht sparen können. Vom Wald her kommt man über den Rand der Platte leichter herauf.“

„Das kann uns jetzt gleich sein“, murrte Darren.

„So? Was ist mit deinem Jenseitler-Freund, Elspeth – dem Mann, der anscheinend nie stirbt? Der könnte eine Menge Zeit und Kraft sparen, wenn er sich ein bißchen besser umsieht als wir.“

„Hast du was von ihm gesehen?“ fragte Elspeth.

„Ich habe überhaupt nicht viel gesehen“, erwiderte das Mädchen abweisend. „Es ist ja schließlich Nacht.“

„Ich habe so etwas wie Flügelschlag gehört“, wechselte Darren das Thema. „Es könnte eine ganz gute Jagd geben, sogar hier oben.“

„Hoffentlich hast du recht“, sagte Iondai und klopfte sich leicht auf den Magen. „Mächtig leer.“

 

Sie bauten eine Wand aus Schnee, bogig und hoch, fest genug, um einen starken Wind auszuhalten, und in diesem kunstreichen Bau schmiegten sie sich eng aneinander und versuchten zu schlafen. Die Aerani schliefen bald ein, doch Elspeth hatte Schwierigkeiten, sich ins Unbewußte zu verlieren. Eine tiefwurzelnde Angst hielt sie wach – vielleicht die Angst, die letzten Reste ihrer Vergangenheit einzubüßen, die Angst vor einem so starken Persönlichkeitsverlust, daß sie beim Erwachen nur noch ein Tier auf einem Berg wäre, das keinen anderen Wunsch hat, als lebend in das Land jenseits der Berge zu gelangen.

Sie sah den Erdwind vor sich, lockend, wirbelnd, jede Kurve, jeder Winkel seines komplexen Musters klar hervortretend, fast zu greifen. Wie sie sich sehnte, ihn zu berühren, mit den Fingern an den Linien entlangzufahren, um bei ihm etwas Erleichterung von ihrem Schmerz über ihren langsamen Persönlichkeitszerfall zu suchen!

Der Erdwind war Wärme, Befriedigung, eine Möglichkeit, sich den höheren Mächten in völligem Frieden zu unterwerfen. Ehe sie starb, mußte sie es unbedingt begriffen haben; bevor sie zur leeren Tafel wurde, bereit zur Neubeschriftung, mußte sie sich die Antwort ins Hirn hämmern, wo sie begraben sein mochte, aber immer vorhanden wäre. Ihre Funde aufzuzeichnen, ihr Verstehen festzuhalten, war alles, was sie sich wünschte. Sich freien Herzens der Leere hinzugeben, ohne den kleinsten Rest von Verzweiflung … Ihr war, als hinge ihr Denken am Rande eines riesigen Loches, als schreite sie auf der rasiermesserscharfen Kante zwischen zwei Abgründen dahin, versuche, das Gleichgewicht zu halten, obwohl zwei Kräfte sie nach beiden Seiten rissen und sich bemühten, sie ins Nichts zu saugen. Stechender Schmerz schoß ihr durch den Kopf, Bilder und Stimmen tanzten und wirbelten in ihrem Schädel, und mitten darunter war das Symbol ein Hafen des Friedens, dem sie kämpfend zustrebte – doch nie konnte sie es fassen, immer glitt es zurück in die Wirrnis, versank im Chaos wirbelnder Fragmente.

Am Morgen erwachte sie und rappelte sich mühsam hoch, fast ohne der Schmerzen in den Gliedern und Gelenken gewahr zu werden, der eisigen Steifheit im ganzen Körper nach der Nacht am Berg. Sie starrte zur Felswand hinauf und folgte dann Moirs Fußstapfen, um den Fuß des Berges herum, wo der Aufstieg nicht so steil war.

Darren rief ihr etwas nach, und bald stapften sie alle durch den Schnee hinunter, pustend und sich die Arme um den Leib schlagend. Es wurde kaum gesprochen. Alle konzentrierten sich darauf, sich warm zu halten und die Füße so zu setzen, daß sie einigermaßen glimpflich durch diese eisige Hölle kamen.

Der Himmel war dunkel und bedrohlich. Schwerer Nebel verhüllte das Flachland. Ein beißender Wind trieb Schneeflocken hoch in die Luft und gegen die Felswand. Immer wenn der Wind eine Schneesäule vor ihnen hochtrieb, umging Elspeth das Hindernis. Schließlich ging sie ganz gebückt und drehte den Kopf nach allen Seiten, als suche sie etwas, das sich irgendwo in der Luft versteckt hielt, etwas Böses, das auf einmal hervorkommen und sie anspringen könnte.

Im Laufe des Vormittags wurde ihnen beim Marschieren und Steigen wärmer, doch dann kam ein Schneesturm auf und trieb sie in mächtigem Tempo voran. Sie stiegen das letzte Stück bis zum Gipfel und machten dort Rast. Es mochte Mittag sein, doch das war mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Ein riesiges Schneemeer erstreckte sich vor ihnen, meist langsam ansteigend bis zu den Klippen und der unbesteigbaren Wand des Gipfels. Doch sie mußten ihr Ziel erreichen, über diesen weißen Ozean zu der klaffenden Höhle gelangen, die – es sah fast obszön aus – den Schnee auszuspucken schien, der zwischen ihr und den hinüberstarrenden Menschen lag.

„Wir brauchen etwas zu essen“, sagte Iondai. „Es ist ein langer Marsch – wir brauchen Wärme und Essen.“

„Hier gibt es Weißflügler“, sagte Darren. „In der Nacht habe ich sie gehört, und heute früh habe ich sie gesehen. Wenn ich Glück habe, kann ich einen fangen.“

„Womit denn?“ fragte Elspeth und starrte zur Höhle. Auch sie war scheußlich hungrig. Schmerzhaft zog sich ihr Magen zusammen, ihr ganzer Körper schrie nach Nahrung und Wärme; etwas ruhiger als vorhin am frühen Morgen bekämpfte sie den Impuls, über das Schneefeld zur Höhle zu rennen. Sie setzte sich auf dem gefrorenen Boden zurecht und machte sich daran, einen einfachen Windschirm zu bauen.

„Mit Schnelligkeit“, erläuterte der junge Mann. „Die Weißflügler kennen nicht den Menschen und seine Listen. Man muß nur schnell sein.“

„Ich komme mit“, sagte Moir.

„Ich gehe allein“, wies ihr Bruder sie ab. Elspeth hatte keine Lust, sich noch lange Streitereien anzuhören, und schrie wütend: „Geht zusammen, ihr Dummköpfe! Hört gefälligst auf, euch zu streiten!“

Darren rannte los durch den Schnee, und Moir eilte ihm nach. Sie verschwanden in der Ferne hinter dem Hang.

Iondai und Elspeth warteten. Mit geschlossenen Augen hielten sie sich umschlungen und versuchten, durch ihren Willen die Kälte abzuhalten, doch sie froren jämmerlich.

Es war ihnen, als seien schon Stunden vergangen, und immer noch war von den beiden jungen Aerani nichts zu sehen. Gewaltsam riß Elspeth ihre Gedanken vom Erdwind los. Unvermittelt überkam sie eine Welle der Unruhe, ein schreckliches Vorgefühl, daß etwas nicht in Ordnung sei.

Und dann hörte sie aus der Ferne einen furchtbaren Schrei, als würde ein Mensch grausam getötet …

Augenblicklich war sie auf den Füßen und rannte durch den Schnee – bei jedem Schritt roch sie Blut und Tod.

Ein Gesicht starrte sie an, ein Mund öffnete sich in lautloser Todesqual … Blut auftreibendem Schnee. Sie lief über einen Grat und blieb stehen.

Ein paar Yards weiter zerrte Moir ein Kristallmesser aus einem Loch in Darrens Schädel, dicht über den Augen. Sie blickte hoch, als sie Elspeth kommen sah, und hielt eine Sekunde lang inne; schlaff und leer hing der Beutel an ihrem Hals … (Darrens Messer? Hatte sie das Initiationsgeschenk ihres Bruders gestohlen?) Dann riß und ruckte sie wieder an dem Messer, bis es freikam. Darren krümmte sich und zuckte noch einmal kurz auf; dann lag er still. Seine Augen starrten nach oben, der Mund stand offen.

Moir stand über dem Leichnam und sah Elspeth an.

Elspeth schrie auf; Wut und Trauer gaben ihrem Schrei einen unirdischen Klang. Sie rannte durch den Schnee zu dem Toten hin. Moir fuhr herum und floh, in der Annahme, Elspeth wolle sich auf sie stürzen; rutschend und gleitend rannte sie bergabwärts, bis sie nicht mehr zu sehen war.

Elspeth nahm Darren in die Arme und weinte bittere Tränen. Fest hielt sie ihn an sich gepreßt und versuchte, etwas von ihrer eigenen Körperwärme in den erstarrenden Leichnam überzuleiten. Wieder und wieder rief sie ihn beim Namen; und erst als Iondai sie am Arm zog, löste sie sich von dem toten Jungen.

Der Tote behielt seine sitzende Stellung, doch sank der Oberkörper zurück in den Schnee, die Knie blieben angezogen und standen hoch. Seine Haut unter der Behaarung war eisig blau, sie fühlte sich kalt und knochenhart an.

„Ich habe es kommen sehen“, sagte Iondai. „Ich habe gesehen, daß es so kommen mußte.“

„Ich habe niemals geglaubt … nie …“

„Komm weiter. Wir haben noch einen langen Weg bis zur Höhle, wo wir geschützt sind.“

„Du hast es gewußt!“ schrie sie den Seher an. „Du hast gewußt, daß sie auf diese Weise zur Kriegerin werden würde – warum hast du ihn nicht gewarnt? Du hast es gewußt!“

„Was hätte er schon tun können? Komm weiter, Elspeth – bitte!“

Doch sie schüttelte den Kopf und kniete weiter bei dem Jungen, der sie so geliebt hatte.

 

Die Zeit verstrich. Der Himmel wurde immer bedrohlicher, und schließlich fing es heftig an zu schneien; ein dickes Schneelaken deckte den Toten zu und Elspeth auch, die immer noch steif und starr bei Darren kniete. Trauer und Angst mischten sich in ihr, doch ihrem Gesicht war nichts von beidem anzusehen, so kalt und tot war ihr Fleisch.

Erst als Iondai über den Schnee gerannt kam und ihren Namen rief, stand sie mühsam auf.

„Er kommt!“ schrie der Seher und deutete den Hang hinauf. „Er kommt! Schnell!“

„Wer?“

„Gorstein. Er ist uns gefolgt. Er lebt noch.“

Sie rannte zum Grat und blickte auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. In der Ferne, vom treibenden Schnee verschleiert, sah sie den Mann herankommen. Er war zerlumpt und blutig, doch deswegen ging er keineswegs langsamer. Sein rechter Arm hing steif herunter. Er spähte durch den Schnee, entdeckte schließlich Elspeth und setzte sich in Trab. Sekunden später klang sein Triumphgeschrei an ihr Ohr; sie fuhr herum und floh auf die ferne Höhle zu.

Iondai stapfte hinterher und hielt mit ihr Schritt. Der fallende und der liegende Schnee dämpften ihr Stapfen und Keuchen; wortlos strebten sie der fernen Höhle zu. Elspeth hielt ihr mörderisches Tempo; nicht einmal als sie es hinter sich krachen und knacken hörte und Iondai um Hilfe rief, verlangsamte sie ihren Schritt. Sie blickte nur über die Schulter und sah Gorstein unbeirrt durch den Schnee hinken. Er hatte ein Schwert und einen Speer, sein Gesicht war maskenhaft verzerrt vor Anstrengung, doch in seiner ganzen Haltung war etwas Triumphierendes.

Ohne sich um Iondai zu kümmern, rannte sie weiter. Sie würde es nie schaffen, das war ihr klar. Er hatte schon zu dicht aufgeschlossen, die Höhle war noch zu weit; und doch rannte sie vorwärts, schmerzhaft brannte die bittere weiche Kälte in ihren Lungen.

Als sie noch einmal zurückblickte, sah sie, daß Gorstein stehengeblieben war. Er beugte sich über Iondai und zerrte energisch an dem sich heftig wehrenden Seher. Sie konnte sich nur zu deutlich vorstellen, was er tat. Da schnitt auch schon Iondais schriller Todesschrei durch den wirbelnden Schnee; doch dieser Schrei bestärkte sie nur noch mehr in ihrem Entschluß, die Höhle zu erreichen.

Plötzlich hatte sie nackten Felsen unter den Füßen. Sie zögerte kurz und spähte durch den weißen, wirbelnden Schleier auf den dunklen Schlund der Höhle, dann rannte sie mit einem Freudenschrei in den Bauch des Berges hinein, ihrem Ziel, dem Erdwind entgegen.

Das Echo ihrer Stimme lief rund um die Höhle. Durch eine Felsformation hoch über ihrem Kopf fuhr der Wind mit jammernd schrillem Ton. Wasser tropfte herab. Die Höhlendecke wurde hinten rasch niedriger und bildete eine flache, gedrückte Nebenhöhle, die, soweit sie es in dem trüben Licht erkennen konnte, ins Finstere verlief.

Aber sie war da! Endlich war sie da! In der Höhle, wo alles angefangen hatte, wo, wie Iondai gesagt hatte, der Erdwind selbst wohnte und herrschte!

Hohl und leer klang ihre Stimme. Widerhallend tropfte das Wasser unter dem Druck des schmelzenden Schnees herab und wurde auf dem glatten Boden rasch wieder zu Eis.

Sie sah auf den Boden, auf die Wände mit den vielen zackig herausragenden Vorsprüngen und Leisten – überall suchte sie nach dem Symbol; sie öffnete dem Erdwind Geist und Sinne, wollte von ihm besessen sein, erweckt werden …

Nichts!

Verzweifelt schrie sie auf (rostige Wrackteile, die in einer Ecke lagen, bedeuteten jetzt gar nichts mehr; die gehörten einfach zu diesem Loch in der Erde).

Nichts!

Wieder schwankte ihr Denken auf jenem schmalen Grat zwischen den beiden Abgründen, versuchte Gleichgewicht zu halten vor dem endgültigen Sturz ins Dunkel. Mit einem verzweifelten Schrei sank sie in die Knie, schlug die Hände an die Ohren, als könne sie sich damit gegen das Knacken und Knirschen ihres zerfallenden Geistes taub machen …

 

Ein Windstoß von hinten warf sie zu Boden, nicht bewußtlos, aber benommen, und sie leistete keinen Widerstand, als eine grobe Hand ihren Arm packte und sie umdrehte. Sie starrte zu dem Manne hoch, atmete seinen Geruch, sah die schlecht verbundene Brustwunde. Sie hielt ganz still, als er das Messer hob, nach ihrer Brust griff, den dünnen Stoff wegschnitt und zu lachen anfing, als die Klinge gegen Diamant schabte …

Schmerzen hatte sie nicht.

Sie lag zusammengekrümmt in einer Ecke, tief im Innern der Höhle, und beobachtete ihn, wie er am Eingang seine Trophäen prüfend hochhielt, so daß sie vor dem lautlos fallenden Schnee glommen und glitzerten.

Wenn sie ihn überhaupt sah, dann nur als Schatten unter anderen Schatten, denn nun war in ihrem Kopf nur noch Dunkelheit. Das Gewebe ihrer Vergangenheit, ihrer Wirklichkeit, war endlich ganz aufgelöst, und sie war leer, sie schwebte über dem rasiermesserscharfen Grat zwischen den beiden Abgründen. Entweder in den einen oder den anderen mußte sie stürzen, denn sie konnte sich an keiner neuen Stofflichkeit festhalten, konnte weder in dem einen noch in dem anderen Universum eine sichere Bleibe finden, nicht in dem, was sie verlassen hatte, noch in dem anderen, das sie fast erreicht hätte in ihrem verzweifelten Kampf um das Verstehen des Erdwinds.

Jetzt war ihr Kopf leer – die Benommenheit war weg, in den Zerfall hineingeronnen; was übrigblieb, hatte die Erde aufgesogen. Leer starrte sie vor sich hin, alles sehend, nichts erkennend. In ihrem Kopf waren keine Fragen, keine Wünsche, keine Ziele, kein schmerzliches Nichtwissen, das zu heilen sie sich sehnte. All das war weg und vorbei.

(Und doch …)

Es stieg vor ihren Augen auf, wie es so oft in vergangenen Tagen neckend aufgestiegen war … der Erdwind, das Symbol des … das Ornament, das …

Sie richtete sich hoch (Blut hatte sich in ihrem Schoß gesammelt; es rann auf den Steinboden und gefror dort) und griff in die Luft; sie wollte die Spiralen anrühren – ein mächtiges Gefühl der Erleichterung, ein kurzes Licht in all der Finsternis.

Der Mann am Höhleneingang spürte ebenfalls etwas – vielleicht war es weiter nichts, als daß sie sich jetzt plötzlich bewegte, nachdem sie so lange zusammengekrümmt und reglos dagelegen und ihre brutale Verstümmelung verborgen hatte.

Sie begann, mit dem Blut neben ihr auf dem Steinboden Linien zu ziehen, langsam, aber unbeirrt, und wurde immer erregter, als sich die Blutstriche zu der allgegenwärtigen Form verfestigten … die Finsternis erhellte sich, ihre Sinne schlossen sich auf – Lachen, Freudenrufe, ein Wohlgefühl bei der Arbeit auf dem Stein. Der Abgrund wich, sie hatte Sicherheit gefunden …

So oft hatte ihr Hirn das vergessene Gedächtnis nach vorn gestoßen, das Bild – das Drei-Spiralen-Bild – des veränderten Erd-Zeit-Systems hatte es dringlich nach vorn geschoben. Schon früher; wenn sie daran dachte, was Ashka gesagt hatte, war ihr die hohe Bedeutsamkeit des Symbols aufgegangen, doch nur um fast sofort wieder in Vergessenheit zu sinken … doch jetzt erinnerte sie sich wieder, obgleich ihr Gedächtnis ihr nichts mehr bedeutete.

Ashka hatte ganz bestimmt recht gehabt mit seiner Befürchtung, daß gewisse lebenswichtige Verbindungen zwischen dem unbewußten Zeit-Zentrum und den höheren Hirn-Arealen im Laufe der Evolution verlorengegangen seien; die Anpassung an die neue Umgebung wurde irgendwo in den Tiefen des Hirns gesteuert; und obwohl ein großer Teil der Persönlichkeit, die einst Elspeth war, jetzt in der Leere zwischen den beiden Universen lag, war das bewußte Denken von jenem Steuerungszentrum isoliert worden, und der Auslösungsmechanismus mußte von Hand implantiert werden. So viele Male in den letzten Tagen, immer, wenn es kritisch geworden war, hatte ihr das Unterbewußtsein das Symbol gezeigt und hatte sie veranlaßt, es aufzuzeichnen und so das Ornament in das Sehzentrum ihrer Hirnrinde einzuprägen und damit den Wechsel auszulösen – doch sie hatte nur die Hand danach ausgestreckt, mit zitternden Fingern nach diesem Geistesbild gegriffen, hatte nicht erkannt, wie wichtig der Akt des Zeichnens war; nicht erkannt, wie verzweifelt wichtig es war, daß sie sich dieses mal so konkret ins Bewußtsein grub …

… die Todesschwärze schwand völlig, und neues Bewußtsein kroch langsam zwischen die Zellen ihres Gehirns, und als sie das Ornament fertiggezeichnet hatte, brach sie in Lachen aus, fühlte sich wieder leben, fühlte den Schmerz in Brust und Oberschenkel, an ihrem wunden Hals …

Als ob ihr nach überlanger Qual nun wieder wohl würde. Als ob sie, nach allzu langem Verweilen in regloser Vergangenheitsbetrachtung nun wieder zur Bewegung fände, zu einem zukunftsorientierten Weltgefühl …

Hinübergleiten – Anpassung – den unberührbaren Geist über die Brücke zwischen den zwei Universen treiben, wohin ihm die körperliche Stofflichkeit, Fleisch und Bein vorausgegangen waren, die den Übergang in einem Nu vollzogen hatten; und jetzt kam ihr nichtstofflicher Teil, der unbeständige, flüchtige Geist, hinterher … durch eine manuelle Operation, nachdem der automatische Prozeß im Laufe der Evolution so säuberlich abgetrennt worden war: Feedback vom Stein zur Hirnrinde – dadurch konnte dieses bizarre Imago, auf das alles Leben auf Erden unbewußt und adaptiv reagierte … nur nicht der Mensch, dessen komplexer Geist alles vergraben hatte, außer einem Schatten des Ornaments, außer einem Echo … dadurch konnte dieses Imago Form annehmen.

Der Mann am Höhleneingang beobachtete sie eine Weile; dann kam er immer näher zu ihr heran, als spüre auch er die Wirkung des Symbols, als präge sich das Abbild auch dem visuellen Bezirk seiner Hirnrinde ein …

Draußen frischte der Wind auf, und Schnee wirbelte in die Höhle. Tief in der Erde, im Berg, kam eine Bö auf und machte sich auf die lange Reise ins Flachland.

Elspeth war mit ihrer Zeichnung bis zur letzten Spirale des Symbols gediehen. Mit dem Blut ihrer Brust malte sie ihre Körperwärme gegen die Kälte, zeichnete ihre Entlassung aus einer vergangenen Wirklichkeit in eine neue Wirklichkeit.

Vom Zentrum aus beschrieb ihr Finger enge Kurven, ausfahrend, weiter ausfahrend, spiralig …