Freitag, 7. Dezember 2007

 

Aargauer Zeitung:

Mord an Casino-Direktor geklärt

Wie an einer Pressekonferenz der Kantonspolizei Aargau gestern bekannt wurde, konnte der Mord an Casino-Direktor Tom Truninger aufgeklärt werden. Kripo-Chef Gody Kyburz und Dienstchef Nick Baumgarten teilten mit, dass es sich bei der Täterin mit grösster Wahrscheinlichkeit um eine Frau S. handle. Sie arbeitete früher als Sekretärin im Grand Casino und wurde vor einem Jahr aufgrund mangelnder Leistungen entlassen. Zur Zeit des Mordes befand sie sich in stationärer psychiatrischer Behandlung wegen schwerer Depressionen, möglicherweise ausgelöst durch die Kündigung. Es scheint, dass sie unbemerkt ins Bürogebäude eindringen konnte und dort den Mann, der sie entlassen hatte, im Affekt mit zwei Messerstichen tötete. Anschliessend an ihre Rachetat warf sich die Mörderin in die Aare und ertrank.

„Deshalb werden wir auch nie genau wissen, was in der Mordnacht wirklich geschah“, sagte Kyburz. „Wir haben nur Indizien, die darauf schliessen lassen, dass sich die Tat so zugetragen hat.“ Auf die Frage, warum eine solche Patientin freien Ausgang habe und sich ein Messer beschaffen könne, antwortete Baumgarten, eine psychiatrische Klinik sei kein Gefängnis. Ob er ausschliessen könne, dass der Mörder heute noch frei herumlaufe, wurde er gefragt. Nein, sagte er, zu hundert Prozent könne er das nicht ausschliessen. Es gebe allerdings keine stichhaltigen Beweise, die für einen anderen Tathergang sprächen, und deshalb seien die Ermittlungen vorläufig eingestellt worden.

Kyburz bat die versammelte Presse, aus Rücksicht gegenüber den Angehörigen keine weiteren Nachforschungen zur Identität von Frau S. anzustellen. Dieses Blatt wird sich daran halten.

*

„Guten Abend, Herr Baumgarten, bitte kommen Sie herein.“ Maggie Truninger lächelte ihn an und hängte seinen Mantel auf. „Setzen Sie sich, der Whisky steht bereit und Andrew wartet schon darauf, endlich einen Schluck trinken zu können.“ Ihre Wangen waren eingefallen, die Blässe ihres Gesichts wurde durch das dunkelbraune Sweatshirt betont, aber sie gab Nick trotzdem das Gefühl, willkommen zu sein.

„Der erfolgreiche Sherlock Holmes!“ Andrew erhob sich vom Sofa, sie schüttelten sich die Hand. „Wir gratulieren Ihnen zum Abschluss des Falls und danken Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz.“ Er drückte Nick und Maggie ein Glas in die Hand. „Lassen Sie uns auf das Leben trinken, auch wenn es der Tod war, der uns zusammengebracht hat. L’chaim!“

„L’chaim, zum Wohl, und danke für die Einladung.“ Jüdisch? dachte Nick. Könnte sein, das würde vielleicht den guten Draht zwischen uns erklären. Er trank aus seinem Glas und war angenehm überrascht, wie sanft dieser Whisky war: beinahe wie ein Cognac, samtig und rund, kein Brennen im Hals. „Schmeckt ausgezeichnet, dieser Scotch.“

„Zu diesem Getränk Scotch zu sagen ist etwa so unangebracht, wie wenn ich einen Chateau Pétrus einfach Bordeaux nennen würde“, lachte Andrew. „Das hier ist ein Single Malt Whisky, der zwar aus Schottland kommt, aber aus einer ganz bestimmten Gegend, und der nicht mit anderen Whiskys gemischt werden darf. Beim Wein ist es der Boden, auf dem die Traube wächst, beim Malt Whisky ist es der Boden, durch den das Quellwasser fliesst: torfiger Boden ist beispielsweise eine Geschmackskomponente. Natürlich trägt der Mensch mit seinem Wissen und seiner Erfahrung ebenfalls zum Endprodukt bei, aber die Herkunft ist bestimmend.“

„Ich möchte Sie noch etwas fragen, Herr Baumgarten, dann lasse ich Sie beide allein, damit Sie in aller Ruhe fachsimpeln können.“ Maggie Truningers Gesicht war ernst. „Hat Viktoria Fischer etwas mit dem Mord an Tom zu tun? Andrew hat mir erzählt, dass sie Tom aus Las Vegas kannte und dass die Frau, die Tom erstochen hat, Viktorias Patientin war.“

„Wir wissen nur, dass Viktoria Fischer Ihren Mann nicht eigenhändig umgebracht hat, Frau Truninger. Doktor Fischer und ihre Kollegen behaupten, es widerspreche allen Lehrbüchern und Erfahrungen der Psychiatrie, dass eine depressive Patientin einen Mord begehe. Wir könnten ihr höchstens vorwerfen, sie habe die Frau nicht davon abgehalten, Ihren Mann zu konfrontieren, aber das ist kein Straftatbestand. Weil Frau Senn tot ist, werden wir nie die ganze Wahrheit erfahren.“

Nick trank von seinem Whisky. „Viktoria Fischer ist im Übrigen mit sofortiger Wirkung entlassen worden, was sicher bis zu einem gewissen Grad auch eine Strafe ist.“ Er schaute in Maggies grosse traurige Augen. „Ich weiss, dass diese Unsicherheit für Sie ebenso unbefriedigend ist wie für mich, Frau Truninger, aber wir müssen damit leben, dass es keine endgültige Klarheit geben wird. Es tut mir Leid.“

„Danke für Ihre Offenheit, Herr Baumgarten, ich schätze sie sehr. Und nun werde ich mich zurückziehen. Grüssen Sie Frau Manz von mir, und richten Sie ihr aus, dass meine Haut nächstens wieder eines ihrer wunderbaren Peelings brauchen wird. Ich melde mich für einen Termin. Auf Wiedersehen.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, und er stand auf.

„Auf Wiedersehen, Frau Truninger, und alles Gute.“

„So, und nun zu uns.“ Andrew schenkte wieder ein. „Sind Sie einverstanden, wenn wir uns duzen? Ich heisse Andrew, wie du ja mittlerweile weisst.“

Nick lachte. „Und ich bin Nick, getauft auf den Namen Hansniklaus, die kombinierten Vornamen meiner beiden Grossväter.“ Sie prosteten sich zu und setzten sich wieder. Andrew erzählte von Schottland, vom Lachsfischen und vom Whisky; Nick hörte interessiert zu und wehrte sich nicht, als Andrew wieder und wieder einschenkte.

„Andrew, ich muss dir etwas gestehen.“ Nüchtern war er nicht mehr, aber er wusste noch, was er sagte. „Ich bin nicht völlig sicher, dass Frau Senn die Mörderin war. Meine Intuition sagt mir, dass es die Personalchefin war, aber ich kann es ihr ebenso wenig nachweisen wie Frau Senn. Frau Fuchs hat ihre Stelle gekündigt und ist anfangs Woche nach Teneriffa gezogen; und ohne Beweise kriege ich von der spanischen Polizei keine Hilfe.“

Andrew zog die Augenbrauen hoch. „Der Fall ist also für dich noch gar nicht gelöst?“

„Doch, im Prinzip schon, aber mein Bauch ist nicht zufrieden, kennst du das nicht? Ach, lassen wir es, es ist nicht das erste Mal, und es wird auch nicht das letzte sein.“

„Teneriffa, hast du gesagt? Zufällig habe ich ein Haus in der alten Hauptstadt La Laguna, und zufällig kenne ich einen Comisario der nationalen Polizei auf der Insel. Könnte es sein, dass du und deine schöne Freundin nächstens ein paar Tage Urlaub auf den Kanaren verbringen und bei dieser Gelegenheit Comisario Vicente Ortega kennen lernen möchtet?“

„Du weisst, dass ich keine Geschenke annehmen darf, Andrew. Aber wenn du mir diesen Kontakt herstellen könntest, informell natürlich ...“ Er nippte am Whisky, liess sich noch einen letzten halben Finger breit einschenken.

„Ich könnte ihm sagen, dass ihr meine Freunde seid, dass du einen ausgezeichneten Ruf als Ermittler geniesst, und dass du dich für seine Arbeit interessierst. Er spricht übrigens ziemlich gut deutsch und englisch. Für das Haus darfst du natürlich bezahlen, wenn dir wohler ist dabei. Ich mache dir einen guten Preis.“

„Danke Andrew, du bist sehr grosszügig, ich werde darüber nachdenken. Entschuldigst du mich kurz? Ich rufe Marina an, sie soll mich abholen. Ich bin in weiser Voraussicht mit dem Bus gekommen.“

Andrew begleitete ihn nach draussen in die kalte Nacht. Sie beschlossen, zu Fuss die lange Treppe hinunterzusteigen, obwohl beide nicht mehr ganz trittsicher waren. Marina schaute ihnen aus dem warmen Wagen zu, wie sie langsam und vorsichtig die letzten Stufen herabkamen. Die Männer umarmten sich, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, konnten sich nicht voneinander trennen. Sie lachten, und ihr Atem war dicht wie Nebel. Marina schmunzelte. Es war ein Gefühl wie am Ende des Films Casablanca: the beginning of a beautiful friendship.