Epilog: März 2008

 

„Ich habe keine Lust, in den Ferien fremde Leute kennen zu lernen,“ maulte Marina und packte die Sonnencreme in ihre Badetasche. „Dass du gestern den ganzen Tag mit deinen spanischen Polizisten verbracht hast, ist in Ordnung, aber müssen wir wirklich mit diesem Vicente Ortega essen gehen?“

„Er ist ein reizender Mensch, du wirst ihn mögen. Im Übrigen ist er ein Freund von Andrew, und er bemüht sich sehr darum, mir zu helfen. Das Mindeste, was wir tun können, ist ihn einzuladen.“

Nick war guter Laune. Er hatte sich dazu durchgerungen, das Netzwerk von Andrew in Anspruch zu nehmen, und Marina hatte sich sofort für zehn Tage Teneriffa begeistern lassen. Statt die Stadtvilla von Andrew zu benutzen, hatten sie eine Ferienwohnung im sonnigen Süden der Insel gemietet. Seine Warnung, dass er Elena Fuchs suchen und nicht jeden Tag am Strand oder am Pool liegen werde, hatte Marina geflissentlich überhört – bis jetzt.

„Für die nächsten zwei Tage habe ich einen Wagen gemietet, wir könnten uns den Vulkan ansehen und dann der Westküste entlang zurück fahren, wenn du Lust hast. Vicente hat mir heute erzählt, wie wunderbar grün die Gegend um Orotava ist.“

„Von mir aus.“ Sie stopfte ihre Sachen in die Tasche und stand auf. „Hauptsache, du denkst nicht dauernd an deine Geschäfte.“ Mit einem mürrischen Ausdruck im Gesicht knüpfte sie ihren Pareo und stapfte durch den Sand Richtung Promenade davon, ohne Nick anzusehen.

„Hey, Marina, lass uns nicht streiten.“ Er holte sie ein und legte den Arm um ihre Schultern. „Ich bin hierher gekommen, um Frau Fuchs zu finden, und du warst damit einverstanden, ab und zu allein gelassen zu werden. Ich kann den Fall nicht einfach vergessen, das weisst du; ich will absolut sicher sein.“

Sie lehnte ihre Kopf an seine Schulter. „Ich weiss, Nick, ich weiss. Ich verstehe ja deine Hartnäckigkeit und habe Verständnis dafür, aber wenn du arbeitest, habe ich das Gefühl, ich existiere für dich gar nicht.“ In diesem Moment klingelte ihr Handy. „Ja? Hallo Diana. Alles in Ordnung? Was ist denn passiert?“

Nick lachte auf den Stockzähnen und führte Marina zum Strandcafé, während sie ihrer jungen Mitarbeiterin erklärte, was zu tun sei bei einem Fehlbetrag in der Kasse. Er bestellte zwei Gläser Viña Sol und eine Flasche Wasser, lehnte sich zurück und genoss die Abendsonne. Nach zwanzig Minuten war es Marina gelungen, Diana zu beruhigen, und sie legte auf mit dem Versprechen, morgen wieder anzurufen.

„Salud.“ Er schaute sie lächelnd an. „Eben gerade habe ich mich auch ziemlich ausgeschlossen gefühlt.“

Sie hob die Hände hoch und entspannte sich. „OK, OK, ich gebe mich geschlagen und bekenne mich schuldig. Wir leiden beide an der selben Krankheit: wir leben für die Arbeit und können uns nur schlecht davon lösen.“ Sie hob ihr Weinglas. „Zur Strafe musst du nachher mit mir einkaufen gehen, ich habe ein hübsches Kleid gesehen, perfekt geeignet für einen Abend mit Señor Ortega.“

Und er war es wert, dieser Vicente Ortega, dass man sich für ihn herausputzte. Der etwa sechzigjährige Comisario mit seiner dunklen Haut und den angegrauten Schläfen war eine Augenweide, und erst noch ein Gentleman mit vollendeten Manieren. Er führte die beiden in ein kleines Restaurant hinter dem Hafen von Los Cristianos, überhäufte Marina mit Komplimenten und konzentrierte sich ganz darauf, dass sie sich wohl fühlte, was ihm auch gelang. Erst nach einem delikaten Kanincheneintopf, bei Kaffee und Brandy, kam das Gespräch auf die Polizeiarbeit – Ortega entschuldigte sich wortreich dafür, dass er eine so schöne Frau mit Geschäftlichem behelligen müsse, aber es lasse sich leider nicht vermeiden, denn er habe interessante Neuigkeiten. Es sei nämlich so, dass sich die von Nick gesuchte Person nicht mehr in Playa de las Américas aufhalte, sondern nach Puerto de la Cruz gezogen sei. Sie sei dort seit einigen Wochen das Stadtgespräch: es sei ihr gelungen, den als ewigen Junggesellen bekannten Direktor des Gran Casino Taoro in ihren Bann zu ziehen, und die beiden seien seit Anfang Februar öfter zusammen gesehen und fotografiert worden.

„Er ist in Gefahr“, rief Nick aus, „wir wollen keinen zweiten Mord!“

„Bedauerlicherweise wurde der Direktor vor zwei Tagen mit schweren Vergiftungssymptomen in eine Spezialklinik gebracht.“ Vicente Ortega schüttelte traurig den Kopf und machte eine lange Pause, dann verzog sich sein Gesicht unvermittelt zu einem breiten, strahlenden Lächeln. „Die Ärzte sind zuversichtlich, dass er überleben wird. Dank Ihren Hinweisen, mein Freund, haben meine Kollegen gestern Abend die Señora Fuchs verhaftet und halten sie in einem alten, düsteren Untersuchungsgefängnis fest.“

Nick hatte den Atem angehalten und liess ihn nun mit einem erleichterten Seufzer entweichen. „Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell reagiert haben, Vicente. Jetzt kann sie uns nicht mehr entwischen, habe ich Recht?“

„Unsere Beweislage ist gut, und sie wird wohl mindestens fünf Jahre hinter Gittern verbringen. Vielleicht wird ihr Anwalt verlangen, dass sie ihre Strafe in der Schweiz absitzen kann, und als Gegenleistung könnte sie Ihnen ein Geständnis für den Mord in Aarau liefern. Ich schlage vor, dass wir die Angelegenheit ab jetzt den Juristen überlassen. Salud, Nick, auf unsere Zusammenarbeit.“

Sie tranken ihren Brandy aus und verabschiedeten sich, nachdem ihnen Vicente nochmals die Schönheiten der Insel ans Herz gelegt hatte. „Und lassen Sie Ihre wundervolle Freundin nicht aus den Augen, vor allem nicht hier in Spanien“, rief er aus dem Autofenster, winkte und brauste davon.

„Wo er Recht hat, hat er Recht“, schmunzelte Marina, und hängte sich bei Nick ein.