VIERTES KAPITEL

Der Sturm verzog sich heulend und ließ Kit nass und mit einem ekelhaften Gefühl im Magen zurück. Zudem hatte Kit den unangenehmen Eindruck, dass sein Kopf um zwei Größen zu dick geworden war. Mit einem durchnässten Ärmel wischte er sich den Sabber vom Kinn und wartete einen Moment; währenddessen lauschte er auf das Geräusch des rasch verschwindenden Sturmes.

»Mina?«, rief er.

Keine Antwort.

Erneut schrie er ihren Namen und begann, einen Teil des Weges zurückzugehen, den er gekommen war. Dabei suchte er nach einem Eingang, einer Mauernische oder nach irgendeinem noch so winzigen Raum, wo sie Schutz gesucht haben könnte. Er fand nichts als glatte Ziegelsteinmauern auf beiden Seiten. Als er schließlich wieder zum Ende der Gasse zurückkehrte, musste er sich eingestehen, dass Mina nicht mehr da war.

Kit hatte sich zuvor so manches vorgestellt, was eintreten könnte, aber diese Möglichkeit hatte er nicht mit einkalkuliert: dass ihm der Sprung zu dem anderen Ort gelingen würde - wie es ihm nun schien -, während sie in der realen Welt zurückblieb. Der Gedanke, dass Mina sich jetzt klatschnass auf den Heimweg begab, seinen Namen in alle vier Himmelsrichtungen schrie und ihn laut verfluchte, ärgerte und frustrierte ihn. Es ärgerte ihn beinahe genauso stark wie zuvor, als sie ihm nicht geglaubt hatte. Doch vielleicht glaubte sie ihm jetzt. Nachdem sie gesehen hatte, wie er vor ihren Augen verschwunden war - was konnte sie da anderes denken, als dass er ihr die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hatte?

Andererseits hatte er sie in einer schmutzigen Gasse in King's Cross zurückgelassen. Das könnte alles zunichte machen, was ihm möglicherweise zugute gehalten wurde, weil er tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Bei Wilhelmina konnte man so etwas nie wissen.

Doch dann fiel ihm ein, dass der Ausweg aus dieser Zwickmühle klar auf der Hand lag: Er würde einfach zurückgehen.

Kit atmete tief ein, sammelte seine Kräfte und machte sich bereit für einen weiteren Lauf. Gerade als er in die tiefdunklen Schatten der Gasse hineinrennen wollte, vernahm er, wie jemand seinen Namen rief. Er drehte sich um, blickte auf den Zugang zur Gasse und sah die nunmehr vertraute Gestalt des alten Mannes herbeieilen, der behauptete, sein Urgroßvater zu sein.

»Hallo, Kit!«, rief Cosimo. Wie zuvor trug er einen langen dunklen Mantel und einen breitrandigen Filzhut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. »Ich wusste, dass du zurückkommen würdest«, sagte er, als er vor seinem Urenkel stehen blieb. »Darf ich annehmen, dass du deine Meinung geändert hast? Dass du deine Angelegenheiten geordnet und allen für dich wichtigen Personen Lebewohl gesagt hast? Und dass du bereit bist, bei dem lebenswichtigsten Unterfangen mitzuwirken, das deinen höchsteigenen und ganz persönlichen Einsatz erfordert?«

»Okay, okay«, lenkte Kit ein. »Immer langsam.«

»Hör auf, der Frage auszuweichen. Bist du bereit, dich mir anzuschließen?«

»Na ja ... Es gibt da ein kleines Problem. Das Mädchen, das ich kenne - meine Freundin Mina -, wartet zu Hause auf mich ... Eigentlich im Stane Way. Wir hatten vorgesehen, zusammen hierherzukommen, und -«

»Was?«

»Ich wollte es ihr nur zeigen; aber sie hat den Sprung nicht mitgemacht.«

»Nicht mitgemacht?«, wiederholte Cosimo und zog die Augenbrauen nach unten, sodass sein Gesicht sich verfinsterte. »Was hast du angerichtet, Kit«

»Nichts!«, protestierte der junge Mann. »Ich wollte es ihr nur zeigen! Sie hat mir nicht geglaubt, deshalb wollte ich ihr die Ley-Linie zeigen, verstehst du. Nun, es passierte das Gleiche wie beim letzten Mal, und ich bin hier gelandet. Sie allerdings ist auf der anderen Seite zurückgeblieben.«

»Du dummer Junge!«, brüllte Cosimo. »Wie konntest du nur so etwas Törichtes tun?«

»Mir schien es vorhin eine gute Idee zu sein«, verteidigte sich Kit wenig überzeugend. »Jedenfalls gibt es keinen Grund, das Schlimmste anzunehmen. Nichts ist passiert.«

»Das solltest du wirklich hoffen.«

»Sie wird mit der U-Bahn nach Hause gefahren sein. Meine Güte, wahrscheinlich ist sie furchtbar sauer auf mich. Aber ihr ist nichts passiert.«

»Du weißt wirklich nicht, was du da angerichtet hast, nicht wahr? Du hast nicht die leiseste Ahnung, wie unglaublich gefährlich das ist.«

»Nein, ich -«, begann Kit und brach den Satz ab. »Wieso gefährlich?«

»Gefährlicher, als du es dir möglicherweise vorstellen kannst.«

»Aber du hast gesagt, ich sollte zurückkommen, wenn ich meine Meinung geändert hätte, und so -«

»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du versuchen würdest, deine Geliebte mitzubringen. Ich nehme an, du hast ihr alles erzählt? Warum erzählst du es nicht halb London, wenn du schon dabei bist - gib eine Annonce in der Times auf, lass es von der BBC ausstrahlen?« Der alte Mann schüttelte bestürzt seinen Kopf. »Nun, es lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Uns bleibt jetzt nur noch, den Schaden in Grenzen zu halten. Hoffen wir, dass es nicht eine totale Katastrophe ist.«

Kit runzelte die Stirn. »Okay, okay, ich hab's begriffen. Es tut mir leid. Lass uns weitermachen.«

»Versteh doch, mein Junge: Tellurische Energie ist eine der subtilsten Kräfte im Universum - und auch eine der stärksten«, erklärte Cosimo. »Und sie gehört zu den Kräften, die am wenigsten berechenbar sind. Du bist durch etwas gereist, was manche ein Niedrigfrequenz-Fenster nennen - eine Schwelle zwischen den Dimensionen, wenn man so will. Du bist, wie erwartet, hier gelandet; aber es gibt keine Möglichkeit, zu erkennen, wo deine Freundin hingegangen ist.«

»Aber sie ist nirgendwo hingegangen«, widersprach Kit. »Sie ist mir nicht gefolgt. Sie ist auf der anderen Seite geblieben ...« Ein Blick ins Gesicht des alten Mannes genügte, und Kit verlor jeglichen Glauben daran, dass seine letzte Behauptung richtig war. Am Ende sagte er schwach: »Das stimmt doch, oder?«

»Es ist möglich, aber keineswegs sicher. Du hast weder die Fertigkeit noch die Erfahrung, um andere mitzubringen. Mit der Zeit - wenn du lange genug leben solltest - wirst du vielleicht deine Talente entwickeln. Aber bis dahin musst du wirklich jeden Versuch unterlassen, andere herüberzuziehen, auch wenn es dir im Augenblick als eine gute Idee erscheint. Die Ergebnisse sind unkalkulierbar.«

»Du kannst also nicht feststellen, ob Mina dageblieben ist oder nicht?«, knurrte Kit gereizt.

»Ich vermute, deine Freundin ist ebenfalls auf dem Pfad gewandert«, erklärte Cosimo. »Aber da sie nicht hier angekommen ist, müssen wir annehmen, dass sie irgendwo anders ausgekommen ist.«

»Und wo?«

»Genau das ist das Problem. Versteh doch - die Möglichkeiten sind endlos. Deine Freundin könnte an jedem Ort und in jeder Zeit sein.«

»In jeder Zeit?«

»Wenn man sich von einer Welt oder Dimension in eine andere bewegt, reist man unvermeidlich auch in der Zeit. Es führt kein Weg daran vorbei. Glaub mir, ich habe es versucht.«

»Eine Zeitreise! Natürlich ...« Kit begriff nun, warum er vorhin acht Stunden später in London angekommen war, als er geglaubt hatte - und auch, dass Sefton-on-Sea etwas völlig anderes als eine malerische Touristenattraktion darstellte.

»Bleib genau hier stehen!«, befahl der alte Mann. »Beweg keinen Muskel. Kannst du das zwei Minuten lang?«

»Kapiert, Professor.«

»Gut«, sagte Cosimo und hastete fort. Doch nach nur wenigen Schritten drehte er sich um und fragte: »Wie sieht deine Mina überhaupt aus?«

Kit gab ihm eine kurze Beschreibung und nannte sogar die Farbe ihrer Jacke und ihrer Hose, die sie heute trug.

»Das genügt«, meinte der Alte, wandte sich um und spazierte in die dunklen Schatten.

Sein Körper wurde immer verschwommener - als ob man ihn durch eine reifbedeckte Fensterscheibe sähe. Plötzlich kam eine Windböe auf, und er verschwand vollständig.

Kit wartete. Er fragte sich, wie lange er wohl in der Gasse würde stehen müssen. Der Gedanke ging ihm noch immer durch den Kopf, als er erneut eine Brise verspürte. Sogleich sah er, wie Cosimo aus den Schatten herbeieilte.

»Sie ist nicht da.«

»Wo?«

»Stane Way.«

»Vielleicht ist sie nach Hause gegangen.«

»Nein, sie sollte genau dort sein, wo du sie zurückgelassen hast.«

Kit zuckte mit den Schultern. »Wenn du es sagst.«

Langsam schüttelte Cosimo seinen Kopf. »Du hast wirklich keine Ahnung, was hier vor sich geht, nicht wahr?«

»Wenn man es so ausdrücken will«, brummte Kit. »Nicht wirklich, nein.«

»Wenn deine Freundin in eine andere Existenzebene gereist ist, dann stellt das ein Problem dar. Und zwar ein sehr großes, das mit höchster Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit angegangen werden muss. Und nun komm mit, mein Junge.« Cosimo wandte sich in Richtung Meeresufer. »Wir werden jetzt einen alten Freund von mir besuchen. Heute Abend hält er einen Vortrag, und danach habe ich für uns ein Dinner arrangiert. Wir werden ihm die Situation erklären. Zufällig ist er ein Kollege und Wissenschaftler. Vielleicht ist er in der Lage zu helfen.«

Sie traten aus der Gasse heraus und spazierten am Hafen entlang. Am Kai war es nun ruhiger als bei Kits letztem Besuch; die Gegend wirkte jetzt nahezu menschenleer. Der große Schoner lag immer noch vor Anker, aber die Hafenarbeiter und Fischer waren fort; ihre Boote hatten sie für die Nacht gesichert. Am östlichen Himmel erschienen gerade die ersten paar Sterne, und die Sonne ging wie eine geschmolzene Kugel hinter einer der beiden Landzungen unter, die nur noch als dunkelblauer Schatten zu sehen war. »Abendrot, gut Wetterbot«, sinnierte Kit. Das Meer war ruhig und bekam allmählich einen silbernen Glanz.

Wenig später bogen sie in eine von Fahrrinnen zerfurchte Straße ein. Sie mühten sich einen steilen Abhang empor - die Bucht lag nun hinter ihnen - und stiegen durch eine Ansammlung niedriger Häuser den schützenden Hügel hoch. Kit schnaufte und schwitzte, als sie den Rand der Hügelkuppe erreichten. Nun durfte er anhalten und wieder Atem schöpfen. Die Bucht breitete sich unter ihnen in einem leuchtenden Bogen aus, und die untergehende Sonne verlieh ihr einen bronzefarbenen Ton.

»Wohin gehen wir?«, fragte Kit, der spürte, wie die Luft den Schweiß auf seiner Haut abkühlte.

»Siehst du diesen Stein da?« Cosimo zeigte auf einen dünnen, aufrecht stehenden Stein neben der Straße, der ein paar Hundert Yards entfernt war. »Er markiert einen Ley, der besonders nützlich ist, wie ich herausgefunden habe.« Kits Urgroßvater warf einen flüchtigen Blick auf den sich verdunkelnden Himmel. »Wir sollten sehen, das wir weiterkommen.«

In einem schnellen Tempo marschierten sie auf der Straße weiter. Der alte Mann schien mit jedem Schritt vitaler zu werden. Kit bemerkte bald, dass er ein ums andere Mal hasten musste, um mit Cosimo Schritt halten zu können. Als sie den aufrecht stehenden Stein erreichten, rief Kit: »He, können wir eine Sekunde anhalten?«

Cosimo blieb stehen. »Junge Leute haben keine Ausdauer.«

»Wir haben andere Qualitäten.« Kit beugte sich vor, legte seine Hände auf die Knie und rang nach Luft.

»Tut mir leid, mein Junge, aber wir müssen voranmachen«, erklärte sein Vorfahre. »Wir können wirklich nicht mehr länger herumtrödeln.«

Erneut flitzte er fort. Nun verließ er die Straße und bahnte sich querfeldein seinen Weg. Mit großen Schritten eilte er durch das lange Gras auf eine breite Anhöhe zu, die erste einer ganzen Reihe von Erhebungen, die im düsteren Zwielicht in einem satten Smaragdgrün leuchteten. Kit, der joggen musste, um Schritt halten zu können, folgte ihm.

»Die Leys sind meistens recht sensibel, was die Zeit anbelangt, weißt du«, erklärte Cosimo.

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als wie aus dem Nichts ein grauenhaftes Knurren erklang, bei dem einem das Blut in den Adern gerann. Das Geräusch hallte über die Landschaft, die rasch immer dunkler wurde, und verdrängte alle leiseren Töne in der Natur.

»Was war das?«, fragte Kit besorgt.

»Wir sind leichtsinnig gewesen«, antwortete Cosimo. »Jetzt haben sie uns gefunden.«

»Wer?«, verlangte Kit zu wissen. Hektisch schaute er umher und versuchte, den Urheber des nervenzerreißenden Knurrens zu entdecken. »Was war das?«

»Hör mir gut zu«, beschwor ihn Cosimo, in dessen Stimme Verzweiflung mitschwang. »Tu genau das, was ich dir nun sage - und zwar ohne zu zögern oder irgendwie davon abzuweichen.«

Das Knurren brach erneut aus - ein bösartiges kehliges Grollen, das in der Magengrube nachhallte.

»Klar doch«, sagte Kit, der wild umherblickte. »Was soll ich machen?«

Drei dunkle Gestalten erschienen an der Stelle, an der sie die Straße verlassen hatten. Sie zögerten einen Augenblick lang. Dann nahmen sie die Spur auf und bewegten sich voran. Zwei dieser Gestalten besaßen vage die Umrisse von Menschen, und zwischen ihnen befand sich ein Wesen von etwas geringerer Höhe, das zu klein für ein Pferd und zu groß für einen Hund war.

»Pass auf!«, blaffte Cosimo. »Dieser Einschnitt dort ...« Er zeigte auf eine V-förmige Spalte oben auf dem Hügel, der direkt vor ihnen lag. »Siehst du ihn?«

Kit nickte.

»Lauf dorthin, so rasch du kannst, und schau nicht zurück.« Er gab dem jungen Mann einen Klaps auf den Rücken. »Los!«

Kit kämpfte sich zum Einschnitt - er kletterte, sprang und flog über den unebenen Boden. Rufe erklangen von unten aus dem Tal, doch er ignorierte sie. Als er die seltsame Bresche auf der Hügelspitze erreicht hatte, hielt er inne und riskierte einen Blick zurück. Er bildete sich ein, im verschwindenden Licht eine gewaltige Katze zu sehen, die etwa die Größe eines kleinen Ponys besaß. Sie war gelbbraun und hatte zahlreiche dunkle Flecke auf den muskulösen Schultern und dem Rücken. Die Kreatur zerrte immer wieder an der eisernen Kette, die an seinem Hals befestigt war und von einem sehr großen Mann festgehalten wurde. Ein zweiter Mann, der ähnlich hoch gewachsen war, hatte eine Fackel in der Hand. Beide trugen breitkrempige grüne Hüte und lange grüne Mäntel.

Cosimo kam herangestampft. »Kit! Nicht stehen bleiben! Da entlang.« Sein Urgroßvater gab mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen. »Beeil dich!«

Kit erblickte einen schmalen Trampelpfad im Gras, der sich durch das ausgedehnte Hochland erstreckte. Er betrat den Pfad und begann zu laufen.

»Bleibt auf der Stelle stehen!«, rief einer der Männer hinter ihnen.

»Ihr wisst, was wir wollen!«, erscholl die Stimme des anderen, der die Fackel hielt.

»Gebt es uns!«, fügte der Mann hinzu, der die Kette der Katze in der Hand hielt. »Dann könnt Ihr ungehindert weitergehen - Ihr und Euer kleiner Freund da. Nichts passiert Euch.«

»Ich habe es nicht!«, brüllte Cosimo, der mit wilden Gesten Kit zu verstehen gab, dass er weiterlaufen sollte. »Jetzt lasst uns in Ruhe ... Wir wollen keinerlei Schwierigkeiten haben.«

»Es ist Zeit, die Zeche zu bezahlen, alter Mann!« Der Verfolger hielt die angekettete Katze zurück.

»Vielleicht muss ich ja Gewalt anwenden!«, rief Cosimo. »Ich warne Euch.«

Ein trockenes Lachen war die einzige Erwiderung, die er erhielt.

Cosimo eilte weiter den Pfad entlang, und Kit blieb direkt hinter ihm.

»Ihr könnt nicht entkommen!«, schrie der Mann, der die Kette hielt. »Bleibt stehen - oder wir werden euch Baby auf den Hals hetzen.«

»Ihr habt noch eine letzte Chance!«, rief der Mann mit der Fackel. »Gebt uns die Karte, und wir lassen euch gehen.«

»Ich zähle jetzt bis drei«, erklärte sein Kumpan. »Und dann lass ich Baby von der Kette.«

»Ihr macht einen großen Fehler!«, brüllte Cosimo über seine Schulter zurück. »Ich habe sie nicht.«

»Eins ...«

»Einen sehr großen Fehler. Wirklich.«

»Zwei ...«

»Pack meine Hand, Kit«, flüsterte Cosimo mit drängender, nervöser Stimme. »Was auch immer geschehen mag - nicht loslassen.«

»Drei!«

Ein Kettengerassel war zu hören, und der Unmensch schrie: »Fass, Baby! Töte sie!«

Die riesige Katze schien sich zu sammeln. Dann stieß sie ein ohrenbetäubendes Brüllen aus und schnellte nach vorne - auf die beiden Flüchtenden zu.

Kit, der die Hand des alten Mannes festhielt, wurde auf einmal mit großer Kraft weggezogen. Er hatte das Gefühl, als risse man ihm beinahe den Arm aus dem Gelenk. Die Kreatur sprang mühelos den Hügel hoch und auf den Trampelpfad; ihren hoch gewachsenen Halter zog sie hinter sich her. Wenn nicht am anderen Ende der Kette ein Mann gehangen hätte, wären Cosimo und Kit im Nu von der Bestie gepackt worden. So aber drosselte der Mensch die Geschwindigkeit des Tieres, sodass die beiden Fliehenden ein oder zwei Schritte vor ihm blieben - bis Kit in ein Loch trat und stolperte. Er fiel hin und ließ ungewollt die Hand los.

Während er sich auf dem Boden wand, sah er flüchtig einen langen Fangzahn und das bösartige Funkeln eines goldenen Auges. Er spürte, wie die Luft beim Gebrüll des Geschöpfs vibrierte, als es herbeisprang. Im letzten Moment rappelte Kit sich auf und ergriff stolpernd die Flucht. Hinter sich hörte er das Rasseln der Kette und das entsetzliche kratzende Geräusch großer Krallen, die den Grasboden zerfetzten. Irgendwie bekam er wieder die Hand des alten Mannes zu fassen, hielt sie mit grimmiger Entschlossenheit fest und wurde weiter den Pfad entlanggezerrt. Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war ein anschwellender Gegenwind, der das Laufen mühsam machte. Er spürte Nieselregen auf seinem Gesicht und konnte hören, wie hinter ihnen wilde Flüche und Rufe erschollen.

»Nicht stehen bleiben!«, schrie der alte Mann. »Lauf weiter!«

Die Stimmen ihrer Verfolger schienen dahinzuschwinden. Sie wurden leiser und entfernten sich offenbar immer mehr.

»Festhalten!«, rief Cosimo. »Jetzt geht's los!«

Das wilde Heulen der wutentbrannten Katze wurde plötzlich verschluckt vom Kreischen des Windes. Im selben Moment fiel Kit kopfüber ins Unbekannte.

Die Zeitwanderer
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