DREIZEHNTES KAPITEL
Das portugiesische Handelshaus Martins unterhielt eine Art Schenke unten im Hafenviertel, wo sich die Ausländer trafen, die sich während der Handelssaison an Land aufhalten durften. Trotz ihres Namens A Casa de Paz ging es in diesem Haus alles andere als friedlich zu. Es war ein berüchtigter Sammelpunkt für Glücksspieler, Säufer und Hurenböcke, und damit einher gingen die unvermeidbaren handgreiflichen Auseinandersetzungen, mit denen sich die Gäste Luft verschafften. Arthur hielt sich stets von Orten wie diesem fern und zog es vor, zwischen den sicheren und behaglichen Wänden seiner Schiffskabine zu verweilen, wann immer er nach Macao kam.
Die Neugierde ist jedoch eine der stärksten Triebfedern des Menschen, und als die Sonne sich in einem flammenden Orange über der Spiegelsee nach unten senkte, fanden Arthurs Füße den Weg zum Tor der Schenke Haus des Friedens. Eine einzige Duftwolke aus dem schlammigen Hof genügte, und Arthur war drauf und dran, sich wieder umzudrehen und in eine andere Richtung zu marschieren. Er wollte gerade diese Absicht in die Tat umsetzen, als er aus dem Innern des Wirtshauses, in dem es so dunkel wie in einer Höhle war, seinen Namen rufen hörte.
»Mr. Flinders-Petrie! Ich habe auf Euch gewartet.« Lord Burleigh tauchte im niedrigen Türdurchgang auf. »Ich bin so froh, Euch zu sehen. Ich habe Erfrischungen für uns bestellt. Mögt Ihr Sherry?«
»Das kommt darauf an«, entgegnete Arthur steif.
»Dann kommt bitte herein und gesellt Euch zu mir, mein Freund.« Burleigh streckte seine Hand aus und geleitete seinen widerwilligen Gast hinein.
Im Innern der Schenke herrschte ein trüber Mief aus Rauch und verbrauchter Luft, vermischt mit dem Gestank von ranzigem Fett, saurem Bier und anderen Dingen, die für einen Mann von vornehmer Abstammung zu vulgär waren, um sich näher damit zu befassen. Allerdings hatte man unter dem einzigen offenen Fenster einen Tisch platziert, auf dem Schüsseln mit Brot, Fleisch und Ziegenkäse standen. Zudem gab es Zinnkelche und eine dicke schwarze Flasche von jenem süßen portugiesischen Likörwein, der im Englischen Sherry genannt wird.
Zwei Stühle wurden an den Tisch gestellt, und Burleigh bot einen davon seinem Gast an. »Ich hoffe, Ihr verübelt es mir nicht, wenn ich sage, dass ich schon seit geraumer Zeit diesem Treffen freudig entgegensehe.« Er lächelte. »Es ist äußerst schwierig, Euch ausfindig zu machen.«
»Mir war nicht bewusst, dass irgendjemand möglicherweise wünscht, mich - wie Ihr es formuliert - ausfindig zu machen. Ich gehe einfach meinen Geschäften nach.«
»Richtig«, stimmte ihm sein lächelnder Tischgenosse zu, der nach der Flasche griff und einzuschenken begann. »Daran zweifle ich nicht.« Er stellte die Flasche zur Seite, hob die Pokale an und überreichte einen seinem Gast. »Lasst uns auf die Geschäfte und den beiderseitigen Nutzen trinken.«
»Wie Ihr meint«, erwiderte Arthur.
Er setzte das kalte Zinn an seine Lippen und nippte von der süßen Flüssigkeit, die seinen Mund angenehm wärmte. Eine Zeit lang tranken sie schweigend. Arthur spürte, dass der Schmerz seines neuen Tattoos abzuklingen begann: Der süße Wein war wie Balsam auf seinen Wunden. Schließlich leerte er seinen Pokal und setzte ihn ab.
»Vielleicht sollten wir vorab ein paar Dinge klären«, schlug er vor.
»Warum nicht?«, meinte Burleigh und goss Sherry nach. »Was möchtet Ihr wissen?«
»Zunächst einmal würde ich gerne wissen, warum Ihr mir gefolgt seid.«
»Das lässt sich einfach erklären«, erwiderte der Earl leichthin. »Zufällig haben wir einen gemeinsamen Freund: Fatheringay Thomas. Ich habe ihm kürzlich geholfen, die Oxford-Bibliothek zu gründen. Ich glaube, er dient Euch als Ratgeber für Eure verschiedenen Expeditionen, nicht wahr?«
»Ich habe mit ihm manchmal darüber gesprochen; das ist wahr. Wir sind seit vielen Jahren befreundet. Und Freunde reden miteinander über mancherlei Dinge.« Arthur lächelte steif. »Doch bei keinem unserer Gespräche hat er je Euren Namen erwähnt.«
»Nein? Ach was! Nichtsdestotrotz hat er mir von Euch und Euren heldenhaften Taten erzählt.«
»Das waren sie kaum, Sir«, behauptete Arthur, der jeglichen Eindruck zu vermeiden suchte, dass seine Angelegenheiten in irgendeiner Weise abenteuerlich wären. »Das waren sie kaum.«
»Bitte, seid nicht so bescheiden! Ich weiß sehr viel mehr darüber, als Ihr wahrscheinlich vermutet. Zudem erkenne ich einen wahren Forscher, wenn ich einem begegne.«
Arthur zeigte ein verhaltenes Achselzucken und wechselte das Thema. »Und was bringt Euch in diesen Teil der Welt, wenn ich fragen darf? In Macao kommt auf fünf Portugiesen nur ein einziger Engländer.«
»Ich bin an einem Handelsunternehmen beteiligt, das in diesem Teil der Welt Kontakte knüpfen möchte. Ich reise, um meine Geschäfte und Investitionen zu fördern - obschon es wenig genug braucht, um mich in diesen Tagen aus London herauszubringen. Ich liebe das Reisen. Es macht einen Mann schnellfüßig und verschafft den Gedanken Raum, wie ich finde. Dies ist mein dritter Aufenthalt im Osten: China, Japan, Indien ... und so weiter.« Er wischte seine kleine Aufzählung mit einer Handbewegung beiseite. »Die Sonne geht im Osten auf, wie man zu sagen pflegt. Die Zukunft ist hier.«
»Habt Ihr Familie in England?«, erkundigte sich Arthur und trank mehr vom Sherry. Mit jedem Schluck verbesserte sich seine Stimmung.
»Ich habe niemals geheiratet. Leider. Ich möchte es natürlich gerne, doch ich könnte meine Reiselust nicht mit gutem Gewissen jemandem auferlegen, der von mir jene Art von enger Gemeinschaft erwarten würde. Eines Tages vielleicht - wenn der Drang etwas abgeklungen ist, neue Welten unter neuen Himmeln zu sehen. Wer weiß?« Er drehte den Pokal zwischen seinen Handflächen hin und her. »Und Ihr?« Wieder lächelte er rasch. »Wenn Euch meine Frage nichts ausmacht?«
Arthur zögerte, bevor er antwortete. »Ich bin Witwer. Inzwischen sind schon mehrere Jahre vergangen ... Meine Frau starb im Kindbett.«
»Mein aufrichtiges Beileid.«
Arthur nahm die Anteilnahme mit einem Kopfnicken und einem Schluck Sherry entgegen.
Burleigh wies auf ein Tattoo auf Arthurs Unterarm. »War das ihr Name?«
Arthur schaute nach unten und legte schützend seine Hand auf das Tattoo. »Ja - Petronella Livingstone.«
»Von den Livingstones aus Staffordshire?«
»Genau die. Kennt Ihr sie?«
»Nur vom Namen her. Ich hatte niemals die Ehre, ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Der Verlust Eurer Gattin muss niederschmetternd für Euch gewesen sein.«
»Meine ständige Arbeit lenkt mich ab.« Arthur wusste, dass er diesem Fremden zu viel erzählte - dass er ihm zu viel von sich offenbarte. Aber der Sherry hatte begonnen, seine Zunge zu lösen und seine intellektuellen Schutzwände abzubauen.
Burleigh füllte erneut ihre Pokale. »Wir sind Männer von Welt, Ihr und ich«, verkündete der Earl selbstbewusst. »Wir sind Überlebende. Weit mehr, Sir - wir sind Eroberer. Ich hege keinerlei Zweifel, dass Ihr jede vornehme junge Lady in England haben könntet ... wenn es das wäre, was Ihr wünschtet.«
»Einstmals vielleicht«, räumte Arthur ein. »Doch ich fürchte, ich bin zu bärbeißig geworden und in meiner Lebensweise zu festgefahren. Außerdem habe ich meine Arbeit.«
»Und was für eine wichtige Arbeit das doch ist, wie ich sagen muss!«
Selbst in seinem entspannten Zustand spürte Arthur, dass in diesen Worten etwas Bedrohliches lag. »Erneut fürchte ich, dass Ihr mich falsch einschätzt, Lord ...«
»Burleigh, wenn es Euch recht ist. Nur Burleigh.« Er strich etwas vom weichen Käse auf ein Stück Brot und führte es zum Munde. »Ihr werdet herausfinden, dass ich nicht jemand bin, der sich aufspielt.«
»Ein bewundernswürdiger Wesenszug«, räumte Arthur ein. »Trotzdem fürchte ich sehr, dass unser gemeinsamer Freund Euch irregeführt hat. Ich bin in keiner Weise ein Abenteurer. Ich reise bloß zu meinem eigenen Vergnügen und wegen der wenigen geschäftlichen Unternehmen, mit denen ich das nötige Kleingeld dafür verdiene.«
»Ich glaube, Ihr seid unaufrichtig, Sir«, widersprach Lord Burleigh rasch. »Thomas hat auf das Nachdrücklichste betont, dass wir uns treffen sollten.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, warum«, entgegnete Arthur. »Es gibt wirklich nur wenig Interessantes zu erzählen, und zwar zu jedem -«
»Halt! Das gestatte ich einfach nicht.« Burleigh hob seine Hand. »Wenn wir gemeinsam miteinander sprechen, müsst Ihr diese falsche Bescheidenheit ablegen. Es schickt sich nicht im Mindesten für Euch.« Sein Tonfall klang unbeschwert, doch der Sinn seiner Worte war so scharf wie ein Dolch in den Rippen. Er legte seine Hände flach auf den Tisch und richtete seinen Oberkörper auf. »Lasst uns offen reden. Ihr habt eine äußerst seltene und merkwürdige Begabung, Mr Flinders-Petrie. Es hat keinen Zweck, das leugnen zu wollen. Ich habe höchstpersönlich gesehen, wie diese Gabe wirkt.«
»Bei allem Respekt«, entgegnete Arthur, den die abrupte Verhaltensänderung des Mannes etwas ernüchterte, »ich habe keine Ahnung, worüber Ihr sprecht.«
»Diese Reisen, von denen Ihr redet - sie geschehen nicht immer mithilfe üblicher Beförderungsmittel, nicht wahr?« Sein Ton war anklagend geworden. »In Wirklichkeit passieren sie überhaupt nicht auf der materiellen Ebene dieser Erde. Tatsächlich führen sie in eine Anderswelt.«
»Ich muss doch sehr bitten!« Arthur schoss schwankend von seinem Stuhl hoch. »Wie könnt Ihr Euch anmaßen ...«
Mit einer abwinkenden Gebärde wies Lord Burleigh den Vorwurf ab. »Bitte setzt Euch. Wir sind noch nicht fertig miteinander.«
Entgegen dem Drängen all seiner Instinkte und wider bessere Einsicht setzte sich Arthur abermals hin.
Burleigh goss erneut Sherry in die Pokale und schob den seines Trinkgenossen näher zu ihm hin. »Ich habe mir beträchtliche Mühen gemacht, diese Begegnung zu arrangieren; und ich habe die aufrichtige Hoffnung, dass Ihr mich ausreden lasst.« Der Earl lächelte Arthur hinterhältig an. »Wir sind zwei Engländer, die weit von zu Hause weg sind. Wir können zumindest einander Gehör schenken.«
»Wie Ihr meint«, räumte Arthur ein, ohne allerdings wieder nach dem Sherry zu greifen.
»Wohlan«, erklärte der Earl of Sutherland, »Ihr habt die Last Eurer Gabe bis jetzt alleine getragen. Ihr musstet sie sorgfältig behüten. Das verstehe ich. Tatsächliche ehre ich Euch dafür umso mehr. Es gibt nicht viele Männer, die - wenn sie an Eurer Stelle wären - dem Verlangen nach Macht, Reichtum und wer weiß was noch widerstehen könnten. Aber Euch ist das gelungen, und das ist höchst lobenswert.« Der finstere Mann lehnte sich nach vorne und verringerte so die Distanz zwischen ihnen beiden. »Doch mir scheint, Ihr könntet einen Partner gebrauchen.«
Arthur hob die Brauen. »Welche Art von Partnerschaft habt Ihr im Sinn?«
»Ich beabsichtige, ein Schiff samt Mannschaft bereitzustellen, das unter Eurem ausdrücklichen Befehl segelt - wo auch immer Ihr hinwollt und so lange Ihr es braucht. Weiterhin bin ich bereit, ein Expeditionskorps von jeder realisierbaren Größe auszurüsten, das ebenfalls Eurem Befehl unterstehen wird. Kurz gesagt, ich bin bereit, Euch jegliche Art von materieller Unterstützung zur Förderung Eurer Arbeit zur Verfügung zustellen - zusammen mit einem großzügigen finanziellen Betrag für Euch persönlich. Alle Entscheidungen über die Verfügung von Mitarbeitern und den Einsatz von Mitteln würdet Ihr treffen, und zwar Ihr ganz allein.« Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, hielt jedoch inne und schloss seine Vorschläge mit der einfachen Frage ab: »Was sagt Ihr dazu?«
Arthur war durch den Sherry, die Unterhaltung und die Quälerei mit den Tattoo-Nadeln ziemlich müde geworden und fühlte sich daher sehr stark im Nachteil. »Nun, Sir«, antwortete er nach einem Moment, »ich weiß kaum, was ich sagen soll.«
»Dann sagt einfach Ja. Und anschließend sollten wir uns beide unverzüglich und ohne Verzögerung verbünden.«
»Ihr habt mir noch nicht erzählt, was Ihr als Gegenleistung für solche Großzügigkeit zu erhalten erhofft.«
»Nur dies - dass ich Euch in Euren Fußstapfen folgen und gewissermaßen in Eurem Schatten wandeln darf, um Eure fabelhafte Arbeit mit meinen geringen Gaben zu fördern«, erwiderte der Earl mit einer Bescheidenheit, die zuvor noch nicht bei ihm in Erscheinung getreten war.
»Ich verstehe«, sagte Arthur knapp.
»Ich bin ein sehr wohlhabender Mann, müsst Ihr wissen«, fuhr Burleigh fort, der nun seine Bescheidenheit wieder ablegte. »Mit dieser Tatsache halte ich nicht hinter dem Berg. Warum sollte ich auch? Ich bin so reich, wie nur wenige Menschen es sich je erhoffen können. Aber Reichtum bringt von sich aus keine dauerhafte Erfüllung: ein merkwürdiger Sachverhalt, den Ihr sicherlich versteht. Während der Zeit, die mir auf dieser Erde zugestanden ist, hoffe ich, meine finanziellen Mittel einzusetzen, um meine Mitstreiter - Menschen wie Fatheringay Thomas und seine Kollegen an der Bodleian Library - beim Erwerb von Kenntnissen für den Fortschritt unserer Rasse voranzubringen. Nichts Geringeres als das.«
Arthur starrte seinen Gastgeber schweigend an und überlegte, wie er am besten darauf antworten sollte. »Nun«, begann er langsam, »es schmeichelt mir, dass Ihr mich als wert erachtet, Euch bei Euren honorigen Bestrebungen zu unterstützen. Allerdings kann ich nicht anders als zu glauben, dass Ihr viel mehr aus mir und meinen bescheidenen Anstrengungen gemacht habt, als es berechtigt ist. Mein Werk wird möglicherweise eines Tages eine praktische Anwendung finden; doch so sehr ich mich auch darum bemüht habe - und ich habe mich wohlgemerkt sehr bemüht -, ich kann mir nicht vorstellen, was es sein könnte. Außerdem benötige ich weder Schiffe noch Expeditionsmannschaften. Und obwohl mein eigenes Vermögen sicherlich geringer ist als Eures, reicht es für meinen Bedarf aus. Fügt zudem noch die Tatsache hinzu, dass meine Arbeit am besten von einer Person alleine durchgeführt wird, so werdet Ihr einsehen, dass die von Euch vorgeschlagene Partnerschaft nur von sehr geringem Nutzen für mich ist.« Er schob seinen Stuhl langsam zurück und stand auf. »Kurz gesagt: Es tut mir leid, aber ich muss Euer äußerst großzügiges Angebot ablehnen.« Er trat von dem Tisch weg und verbeugte sich leicht. »Habt Dank für den hervorragenden Sherry. Ich wünsche Euch eine gute Nacht und einen angenehmen Aufenthalt in Macao.«
Lord Burleigh seufzte schwer. »Ich verstehe. Dennoch muss ich fragen - gibt es keine Möglichkeit, Euch zu einer Sinnesänderung zu überreden?«
»Ich fürchte, nein«, erwiderte Arthur und schaute nach dem Ausgang. »Lebt wohl, Mylord.«
Burleigh erhob sich, als wollte er dem hinausgehenden Gast noch die Hand schütteln. Doch stattdessen machte er eine verstohlene Geste und ein schnalzendes Geräusch mit den Fingern.
Zwei breitschultrige, derb aussehende Hafenarbeiter tauchten aus dem Schatten auf. Einer von ihnen hatte einen kurzen, dicken Knüppel in der Hand, der andere ein langes, scharf geschliffenes Messer.
»Packt ihn!«, befahl der Earl und bewegte sich rasch auf den schockierten Arthur Flinders-Petrie zu. »Wenn er irgendwelche Schwierigkeiten macht, wisst ihr, was zu tun ist.«