26

Kathleen Soames war nicht überrascht, als sie die Menschenmenge sah.

Als sie ihren Ehemann auf dem Küchenboden zerstückelte und die Wände mit seinem Blut bemalte, hatte sie seit geraumer Zeit gespürt, dass sie kamen. Sie hatte es unbedingt gewollt. Sie wollte, dass sie zu ihr kamen und bestaunten, was ihr gehörte. Sie wollte, dass sie versuchten es zu erobern, damit sie gegen sie kämpfen konnte, sich mit ihnen im Dreck wälzen konnte.

Aber als sie sie sah, wusste sie, dass sie nicht gekommen waren, um sie zu überfallen.

Sie waren aus anderen Gründen gekommen.

Also schaute sie sie an und sie schauten sie an. Sie erkannten sich gegenseitig als das, was sie jetzt waren, und waren dankbar dafür, dass sie sich zu guter Letzt gegenseitig gefunden hatten.

Die Menschenmenge.

Lieber Gott, ja, die Menschenmenge!

Männer, Frauen und Kinder, die hinter drei Cops her trotteten, denen die dreckigen Hemden über die Hosen hingen. Der Große vorneweg hatte seine Brust entblößt und trug Kriegsbemalung. Er schob eine Schubkarre und darin lag, was Kathleen zu sehen erwartete. Etwas Zerbrochenes und Blutiges und Verknäultes. Etwas, das augenblicklich ihr Herz zersplittern ließ, sie an Dinge erinnerte, an einen dicken Bauch und an ein Treten, ein pausbackiges, rosa Wesen gegen ihre Brust gepresst, ein wachsendes und hungriges Wesen, blauäugig und strohblond. Ein lächelndes Gesicht. Das Lachen eines Jungen und eine Welt, die in Liebe und Freude ertrank. Aber es verschwand so schnell, als existierte es vielleicht niemals. Die Hitze der Erinnerung wurde zu einem Frost, der sich tief in ihr niederließ, ein tödlicher Frost, der Wurzeln und verschlossene Blüten verwelken ließ – dann existierte nur noch eine winterliche Kälte in ihr, die kein Frühlings-Tauwetter jemals wieder schmelzen würde.

Die Menschenmenge.

Sie betraten ihre Veranda und standen da, beobachteten sie, rochen ihren Duft und erkannten ihn als ihren eigenen an. Sie hatte die Veranda mit ihrem Urin markiert und den rochen die Leute jetzt. Sie würden ihre Fährte nicht überqueren, sofern sie es nicht erlaubte. Außer, wenn sie kämpfen wollten.

Sie drängten sich vor, waren zu einer einzelnen Masse zusammengedrückt, eine einzige Atmungsmaschine; etwas, das Augen besaß, die nicht sahen, und Herzen, die kaum schlugen, und Verstand, der leer und metallen und bissig war. Sie warteten am Rand der Veranda.

Der weißhaarige Polizist, der keinen Hut trug, schaute sie an und sagte: »Ma’am, ich bin Sergeant Warren. Das sind Officer Shaw und Officer Kojozian. Wir haben Ihnen das hier zurückgebracht, weil wir wussten, dass Sie es haben wollen.«

Kathleen starrte.

Sie spürte, wie sich ihre Brüste hoben und senkten, wie das Blut auf ihren Armen trocknete, konnte den Schweiß auf ihren Lippen schmecken. Roch die Dunkelheit, die aus ihr herausquoll, und war zufrieden, dass sie, die Menschenmenge, es jetzt wie sie roch. Ein Gestank von toten Wesen und Wesen, die ekelhaft lebendig waren, die mit einer krankhaften Lebensfreude pulsierten. Sie starrte Warren und das Wesen in der Schubkarre an. Ihr Verstand war ein leeres Aquarium, das sich tropfenweise mit Dunkelheit füllte.

Wachsam, wie es jedes Tier ist, wenn sich andere zu nahe an seinen Bau drängen, hüpfte sie die Stufen hinunter, um das Angebotene zu inspizieren, das sie gebracht hatten. Sie untersuchte die verknäulte Leiche in der Schubkarre. Sie beschnüffelte sie sorgfältig. Sie beugte ihren Kopf und leckte an der Haut des steifen Arms.

»Ja«, hörte sie sich selbst sagen. »Ja. Es gehört mir.«

»Wir bringen es dir«, sagte Warren und deutete auf die Leiche ihres Sohnes. »Hast du etwas für uns?«

»Ja. Drinnen. Oben.« Sie atmete schwer. »Würden Sie gerne meinen Ehemann sehen?«

»Ja.«

Nun gingen sie im Gänsemarsch an ihr vorbei. Sie hörte sie drinnen, hörte sie lachen, hörte sie knurren und um Gegenstände kämpfen. Sie würde teilen. Natürlich würde sie teilen. Sie war immer eine gute Nachbarin gewesen. Die Menschenmenge füllte das Haus mit Bewegung und Stimmen, Krallen und Zähnen und mit Wichtigkeit. Kathleen beobachtete, wie sie aus dem Wohnzimmer marschierten. Sie berührte den Dreck und schmierte Blut auf ihre Haut, fingerte an dem Unrat in ihren Haaren herum. Die Menschenmenge hatte Ehrfurcht vor ihr. Sie standen schweigend da, Gesichter wie gelbes Wachs und tote Monde, Münder rot bemalt und die Finger noch röter.

»Also«, sagte Warren, während er sich Blut von der Wange wischte, »was hast du anzubieten?«

Kathleen grinste und biss ihre Zähne fest zusammen. Sie fühlten sich lang und scharf und bereit an. »Oben«, sagte sie ihm. »Oben ist derjenige, den ihr wollt.«

Die Menschenmenge bewegte sich die Treppe hoch und hinterließ einen Geruch von Blut und Fleisch. Sie rochen wie sie auch, nur stärker. Einfach dreckig und ranzig und widerlich. Ein Duft wie ein Strauß verwelkter Lilien, wie Friedhofs-Rosen und Leichen-Orchideen in kalte, wachsartige Finger gedrückt. Ein guter Geruch, ein feiner Geruch, ein echter und wahrer Geruch.

Als sie die Treppe hochmarschierten, grinste Kathleen.

Die Sonne draußen war heiß, so heiß, brannte und blendete. Kathleen wollte Sonnenuntergang und Schatten und dampfende Dunkelheit, das Gefühl des kühlenden Bürgersteigs unter ihren Händen und Füßen, die Gerüche und Geschmäcker der Nacht. Die pure und atavistische Freude des wilden und freien und hungrigen Herumrennens mit dem Rudel.

Oben ertönte das erbärmliche, zerbrochene Schreien einer alten Frau.

Kathleen grinste.

Beeil dich, Sonnenuntergang!

Beeil dich.

Zerfleischt - Der ultimative Thriller
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