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Louis betrat das Haus der Sonderbergs. Als er hineinschlich, spürte er augenblicklich, dass er gerade einen sehr schlimmen Fehler begangen hatte. Das Haus roch nach Exkrementen und Blut und Gott allein wusste, nach was sonst noch. Ein dampfender Geruch nach Müll und Fleischabfall. Er durchquerte den Mief und bekämpfte seine eigenen Ängste. Er musste den Waffenschrank finden. Er musste eine Waffe haben, die diese Tiere aus der Distanz umlegen konnte.
Ein absolut guter Plan.
Es dauerte eine Weile, bis Louis sich zurechtfand. Er war nur ein- oder zweimal im Haus der Sonderbergs gewesen. Er trat ins Wohnzimmer und versuchte sich daran zu erinnern, wo sich Mike Sonderbergs Arbeitszimmer befand. Denn dort stand der Waffenschrank. Louis glaubte, dass es sich auf der anderen Seite des Hauses befand, irgendwo in der Nähe der Küche.
Während sein Herz wie wild in seiner Brust klopfte, lief er durchs Esszimmer, schlug sich ein Schienbein an einem Stuhl an und fluchte leise. So viel zum Thema Heimlichkeit. Als er in die Küche kam, meinte er draußen im Garten etwas zu hören. Ein Pochen. Er warf den Kopf zurück, lauschte, schwitzte und zitterte.
Nichts.
Die Nerven, wahrscheinlich nur die Nerven, beruhigte er sich.
Er ging weiter, während das Mondlicht dicht wie Sauermilch durch die Fenster schien.
Dann nahm er einen besonders ekelhaften Geruch wahr. Er war so beißend und widerlich, dass er ihn nur mit so etwas wie verfaulten Zwiebeln in Verbindung bringen konnte … oder mit Tierhäuten. Denn als er ein Junge war, hatte seine Klasse einen Schulausflug zu einer Nerzfarm unternommen. Die aufgehäuften Nerzfelle hatten so wie das hier gerochen, scharf und unerträglich moschusartig. Man hatte ihnen damals dort erzählt, dass der Gestank von den Stinkdrüsen der Nerze herrührte. So roch es hier. Oder so ähnlich.
Es war viel zu streng, um bedeutungslos zu sein.
Und genau jetzt trat ein Mann hinter dem Kühlschrank hervor. Er hielt etwas in seinen Händen, das eine Axt sein konnte. Er verströmte diesen Gestank.
Der Mann stieß einen kurzen, schrillen Schrei aus und schwang das, was er in der Hand hielt, in Louis’ Richtung und verfehlte ihn reichlich. Louis zögerte nicht. Mit aller Kraft schwenkte er den Hammer und spürte, wie er mit einem scheußlichen, hohlen, dumpfen Schlag auf dem Schädel des Kerls aufschlug.
Der Kerl klappte zusammen.
Plötzlich erstrahlte der Garten in hellem Licht, das die Küche durchflutete. Louis duckte sich. Zuerst dachte er, es wäre irgendeine Explosion, aber der Art des Widerscheins nach zu urteilen, den er sehen konnte, war es ein Feuer. Ein großes Feuer. Er zog sich hoch und spähte durch die Fenster über dem Spülbecken. Ja, im Garten brannte ein Lagerfeuer. Er sah fünf, sechs nackte Gestalten, die drum herum tanzten. Sie sahen wie Kinder aus. Jemand war an einen Baum gefesselt und sie hatten Zündholz um ihn herum aufgeschüttet.
Es brannte.
Die Kinder hüpfen glücklich umher, während sie jemanden verbrannten. Und so, wie die gefesselte Gestalt hin und her rutschte, gab es keinen Zweifel daran, dass sie lebte. Gefesselt und geknebelt, aber am Leben.
Etwas brach in Louis zusammen. Er konnte sich das nicht anschauen. Er stürmte mit einem wilden Schrei durch die Hintertür, mit einem Rebellenschrei, der von tief in ihm kam. Mit dem Hammer in der einen und dem Taschenmesser in der anderen Hand stürmte er hinaus. Eines der Kinder, eine Jugendliche, stürzte sich auf ihn. Er zerschmetterte ihr mit dem Hammer den Schädel und stach einem Jungen in den Bauch. Das Mädchen fiel schlaff vor seine Füße und der Junge humpelte davon.
Die anderen rannten fort, zerrten das Mädchen mit sich.
Keuchend, schweißgebadet, das Messer in seiner Hand, die bis zum Handgelenk voller Blut war, und mit dem blutbeschmierten Hammer sah er selbst einem Wilden ziemlich ähnlich. Louis wirbelte herum, weil er von überall her mit einem Angriff rechnete. Aber es erfolgte keiner. Der Baum versank in den Flammen, ebenso die Person, die man an ihn gefesselt hatte. Ihr war nicht mehr zu helfen. Die Flammen loderten so hoch, dass er den Menschen kaum sehen konnte. Aber der Gestank nach geröstetem Fleisch war stechend und ekelerregend.
Louis fiel auf die Knie und musste weinen.
Und aus der Dunkelheit sagte eine Stimme: »Hier drüben, Louis! Ich bin hier drüben …«