Trainieren Sie Ihr Kairos-Gefühl! Das Kurztrainingsprogramm
In der Einleitung hatte ich das
Kairos-Prinzip vor allem dargestellt als die Wahrnehmung eines
günstigen Moments, einer Gelegenheit, die es gilt, »beim Schopfe zu
packen« – wie es das Bild des Gottes Kairos mit der gewaltigen
Stirnlocke und dem geschorenen Hinterkopf zeigt. Hätte ich selbst
damals vor 25 Jahren vielleicht zwei Wochen später bei der
Tanzzeitschrift in Berlin angerufen, wäre die Stelle schon vergeben
gewesen, wer weiß? So ist es wirklich notwendig, dass man beizeiten
zupackt, dass man Dinge umsetzt.
Es gibt jedoch eine paradox anmutende zweite
Fähigkeit, über die wir verfügen müssen, wenn wir Kairos nutzen
wollen. Und das ist die Präsenz in der Gegenwart. Es ist das
selbstvergessene, absichtslose Tun in jedem Augenblick. Ohne etwas
zu wollen, ohne etwas hinterherzuhetzen. Glauben Sie mir, Gott
Kairos ist immer schneller als wir, wenn wir versuchen, ihn zu
erhaschen.
Die Sicht, dass Präsenz im gegenwärtigen Moment
entscheidend ist, stammt aus den Weisheitstraditionen.38 Besonders die
fernöstlichen Traditionen, wie Zen oder andere buddhistische
Meditationsformen, betonen diese Gegenwärtigkeit. Aber auch die
christliche Tradition kennt das Paradox von Einsatz versus
Anstrengungslosigkeit und Gegenwärtigkeit. So schreibt Ignatius von
Loyola, der Begründer des Jesuitenordens: »Setz dich ein, als wenn
alles nur von dir abhängt, wissend, dass alles allein von Gott
abhängt.« Wenn Sie selbst keinen spirituellen Bezugspunkt haben,
ersetzen Sie einfach das Wort Gott durch andere Worte, die für Sie
Sinn machen, wie Evolution, Schicksal, Zufall oder Fügung.
Die Aussage bleibt die Gleiche: Tun, was getan
werden kann, und lassen, was nicht getan werden kann. Ganz
gegenwärtig sein und nicht an die Zukunft denken, um der Zukunft
Raum zu geben. Die Zukunft einladen, damit Sie jetzt in der
Gegenwart die Tür dorthin erkennen. Das ist das Wesen des
Kairos-Prinzips. Es ist ein wenig auch Gnade, dies erfahren zu
können. Aber auch trainierbar.
Zum Abschluss des Buchs möchte ich Ihnen ein
paar ganz einfach umzusetzende Übungen mitgeben, die Ihnen helfen
können, diese Art von Präsenz oder Intuition oder einfach
Kairos-Gespür zu entwickeln.
Und so trainieren Sie Ihre Intuition, Ihr
Kairos-Gespür im Alltag:
1. Führen Sie Routinen ein, in
denen Ihre Hände beschäftigt und Ihr Geist ruhig sein
kann. Dazu zählen alle Haus- und Gartenarbeiten. Führen
Sie diese aufmerksam und mit der nötigen Energie durch. Die Hände
arbeiten, der Geist ruht auf den Tätigkeiten und wandert
gleichzeitig in einer anderen Sphäre auf der Suche nach
Kairos-Optionen.
Notieren Sie nachher alles, was Ihnen in
solchen Momenten durch den Kopf gegangen ist, und setzen Sie es in
passenden Momenten um.
2. Nehmen Sie eine Praxis auf,
die meditative Elemente und Körperübungen umfasst. Es ist
weit bekannt, dass Meditation und Körperübungen sowohl den Körper
unterstützen als auch den Geist klären. Die ruhige Haus- und
Gartenarbeit ist so eine Art Meditation des Alltags. Was zu Ihnen
passt, kann niemand raten. Sie können einige Dinge ausprobieren. Im
Anhang finden Sie Internetadressen, um ein seriöses Angebot in
Ihrer Nähe zu finden.
3. Nehmen Sie an einem
Anti-Stress- und Achtsamkeitstraining nach der MBSR-Methode
teil. Eine alltagsnahe Methode, die aus
Meditationstechniken schöpft, ist die sogenannte MBSR-Methode
(Mindfulness-Based Stress Reduction – Achtsamkeitsbasiertes
Stressreduktionstraining). Es handelt sich um eine Methode, die
Stressreduktion über die Entwicklung von Achtsamkeit herstellt. Und
Stress ist der ärgste Feind des Kairos-Gespürs!
4. Probieren Sie einmal eine
Auszeit im Kloster. Völlig unabhängig davon, ob Sie sich
selbst als gläubig, zweifelnd, agnostisch oder atheistisch
bezeichnen, kann ein Aufenthalt in einem Kloster wesentlich Ihr
Kairos-Gespür unterstützen. Ein bis drei Tage als Start reichen
völlig. Der dortige klare Rhythmus unterstützt das Vertrauen, in
den Kreislauf der Zeit eingebunden zu sein. Und damit Ihr eigenes
Rhythmusgefühl. Einziger Ausschlussgrund für diese Option wäre,
wenn Klöster bei Ihnen regelrechten Widerstand auslösen.
Im Anhang finden Sie Adressen von Klöstern und
einem überkonfessionellen Meditationszentrum.
5. Brechen Sie einen Tage lang
mit Routinen! Legen Sie einen »Revolutionstag« ein. Dieser
Tipp scheint völlig im Widerspruch zu den ersten drei zu stehen, in
denen ich Ihnen rate, Routinen zu entwickeln.
Es ist wiederum ein Paradox, was hier eine
Rolle spielt. Und der Unterschied zwischen achtsamer Routine und
eingefahrenem Trott. Häufig befinden wir uns nämlich in Letzterem.
In diesem Autopilotenmodus würden wir den Gott Kairos sogar
übersehen, wenn er neben uns auf dem Bürgersteig auftaucht.
Außergewöhnliche Tage, in denen wir aus unserem
gewohnten »Trott« ausbrechen, machen uns hingegen wach,
lernbereiter und – glücklicher! Das weiß man inzwischen aus der
Motivations- und Verhaltensforschung. Neue Gehirnareale werden
stimuliert und unser Belohnungszentrum aktiviert, wenn wir auch
einmal neue Wege gehen. Der Neurologe Dr. Volker Busch schlägt vor,
immer mal wieder einen »Revolutionstag« einzuführen und einen Tag
lang vieles einfach einmal anders zu machen als
gewohnt.39 Und diese neuen
Erfahrungen zunächst einfach wertungsfrei zu erleben und zu sehen,
was eventuell mehr Spaß als der Trott! Alle anderen Gewohnheiten
können Sie nach dem Revolutionstag ja wieder aufnehmen.
Revolutionstag heißt:
-
Statt morgens wie immer Kaffee, einmal Tee trinken.
-
Statt morgens muffelig zu sein – »Hallo meine Liebste/mein Liebster« sagen.
-
Statt Auto die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen – oder umgekehrt.
-
Woanders Mittag essen als sonst oder stattdessen einmal einen Spaziergang machen.
-
Statt mit Ärger, diesmal nachsichtig auf den Kollegen reagieren und fragen: »Hast wohl ganz schön Stress, was?«
-
…
Sie werden sehr viel Neues erleben an
solch einem Revolutionstag, und Ihre Liebsten und Freunde mit
Ihnen. Vielleicht erhaschen Sie auch ganz unverhofft so manchen
Kairos!
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Finden des
richtigen Jobs zum richtigen Zeitpunkt mit dem
KAIROS-Prinzip!