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Um kurz vor sieben schreckte mich mein Handy aus wirren und schweißnassen Träumen. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich es in einer Tasche meines achtlos über den Stuhl geworfenen Jacketts fand.

»Bad news«, hörte ich Balkes belegte Stimme sagen. »Wollen Sie es auf nüchternen Magen, oder brauchen Sie erst einen Kaffee?«

»Wo steckt Vangelis?«

»Hat sich aufs Ohr gehauen. Sie war am Ende und hat mich gebeten zu übernehmen.«

»Okay.« Ich setzte mich auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Wie schlimm ist es?«

»Schlimmer. Eine Eingreifgruppe aus Freiburg hat sie gestellt. Vor einer guten Stunde auf dem Rastplatz Bad Bellingen. Und leider …« Balke räusperte sich. »Es ist genauso ausgegangen wie im Film. Sie haben es bis zum bitteren Ende durchgezogen.«

»Das heißt, sie sind tot?«

»Beide. Es ist komplett in die Hose gegangen. Der Tankwart hat unsere Leute alarmiert. Vielleicht haben die zwei da schon was gemerkt, wie er telefoniert hat, wer weiß. Die Freiburger haben eigentlich alles richtig gemacht. Sie waren in Zivil, sind mit drei Autos in großem zeitlichem Abstand gekommen. Wir hätten es nicht besser gemacht. Und sie sind den beiden auch nicht zu nahe gekommen, behaupten sie zumindest. Aber irgendwie müssen die Lunte gerochen haben, und auf einmal haben sie das Feuer eröffnet. Es muss eine regelrechte Schlacht gewesen sein.«

»Verletzte auf unserer Seite?«

»Nichts Ernstes. Zwei Fleischwunden und ein ziemlicher Sachschaden. Ein Einsatzwagen ist ausgebrannt.« Balke atmete tief durch. »Vor allem das Mädel muss um sich geballert haben wie eine Wahnsinnige. Sie haben dann sogar noch versucht, den Tankwart als Geisel zu nehmen, aber der konnte sich im letzten Moment in einem Nebenraum verschanzen. Dann wollten sie die Zapfsäulen in Brand schießen, aber das hat zum Glück nicht geklappt. Und als ihr Freund schon tot war, da hat sie seine Pistole auch noch genommen und beidhändig geschossen. Den Kollegen blieb gar nichts anderes übrig …«

»Ein zwanzigjähriges Mädchen?«, fragte ich entsetzt. »Hätten sie nicht ein bisschen warten können? Hinhalten, zermürben? Bis sie aufgibt?«

»Chef«, sagte er sehr müde, »ihr Lover lag neben ihr mit einer Kugel im Kopf. Sie hätte niemals aufgegeben.«

Langsam drückte ich den roten Knopf.

Natürlich hatte Balke Recht. Wir konnten nichts dafür. Niemand konnte etwas dafür.

Dennoch fühlte ich mich sehr, sehr einsam. Die Wohnung war still, und erst nach Minuten wurde mir klar, dass meine Töchter auf Klassenfahrt waren, dass ich in der Küche heute Morgen niemanden antreffen würde. Wie hatte ich mich gefreut auf die Zeit ohne sie.

Auch nach dem Duschen war mir immer noch schlecht. Mechanisch zog ich die Sachen an, die ich verstreut neben dem Bett fand. Mechanisch fuhr ich ins Büro, fand zum Glück einen Parkplatz, der nicht viel Geschick und Konzentration erforderte. Sönnchen wusste natürlich schon Bescheid und begrüßte mich mit einer Miene, als wäre meine halbe Familie gestorben.

Man muss sich als Polizist, auch als Kripochef, nicht oft schuldig fühlen am Tod zweier Menschen. Die meisten Polizisten ziehen ihre Waffen im Lauf ihres Berufslebens niemals mit der Absicht zu schießen. Die meisten haben das Glück, sie überhaupt nie ziehen zu müssen mit einer anderen Absicht als der, sie wegzuschließen und Feierabend zu machen. Und nun eine solche sinnlose Metzelei. Auch wenn die beiden ein Verbrechen begangen hatten, eine große, eine übergroße Dummheit, den Tod hatten sie nicht verdient. Den Tod hatte niemand verdient.

Ich hoffte, dass Sönnchen mit dem Kaffee ein paar Minuten brauchen würde. Dass ich noch ein bisschen Ruhe hätte. Aber mein Wunsch erfüllte sich nicht. Manchmal sehnte ich mich nach unserer alten, langsamen, gemütlich vor sich hinblubbernden Maschine, auch wenn die moderne natürlich den entschieden besseren Kaffee machte. Manchmal wünschte ich mich viele Jahre zurück, in die Zeit, als alles noch ein wenig länger dauerte, als man Zeit noch in Stunden und Tagen maß und nicht in Minuten. Als man nicht jeden Menschen überall auf der Welt innerhalb von Sekunden per Handy erreichen konnte. Als man am Tag zehn Briefe beantwortete und nicht zwanzig E-Mails in der Stunde. Damals wären Bonnie and Clyde vielleicht entkommen. Damals hätten sie überlebt. Vielleicht.

Ich glaube, an diesem Morgen fühlte ich mich zum ersten Mal wirklich alt.

 

»Und was ist mit dem Geld?«, fragte ich, als wir kurz nach neun in meinem Büro zusammensaßen. Ich war müde und frustriert und vor allem wütend. Ja, wütend. Das Schlimmste war diese Wut, die kein Ziel hatte. Niemandem war ein Vorwurf zu machen. Alle hatten alles richtig gemacht. Und dennoch war es schiefgegangen.

Vor mir dampfte schon das zweite Kännchen Kaffee. Die Croissants hatte ich noch nicht angerührt, aber ich fühlte mich ein wenig besser. Es half ja nichts. Die Show musste weitergehen.

»Also, wie kommt die Beute in den Kofferraum?«

»Ich nehme an, sie haben das Geld im Lauf der Nacht aus einem Versteck geholt«, erwiderte Vangelis, die schon wieder so frisch aussah, als hätte sie zehn Stunden geschlafen und nicht zwei. »Unsere Leute haben Erdspuren daran gefunden. Vermutlich hatten sie es also irgendwo vergraben. Das eigentlich Interessante ist: bis auf ungefähr achttausend Euro haben wir exakt die Hälfte gefunden.«

Uns allen war klar, wo die restlichen siebenhundertfünfzigtausend zu finden waren – bei unserem Unbekannten, dem dritten Mann.

 

Da auf der Straße nichts frei war, fuhr ich auf den Hof und stellte meinen inzwischen fünfzehn Jahre alten Peugeot Kombi auf dem kleinen Parkplatz der Eppelheimer Sparkasse neben einem offensichtlich neuen, feuerwehrroten Porsche ab.

»Da wird die Versicherung aber jubeln«, meinte Heribert Braun ohne Enthusiasmus, als er hörte, dass ein Teil der Beute wiederaufgetaucht war. »Und schön, dass Sie die Lumpen geschnappt haben.«

In seinem Aschenbecher lagen schon fünf zerkaute Zahnstocher. Auch er schien heute keinen guten Tag zu haben.

»Geschnappt ist nicht das richtige Wort. Die beiden sind tot.«

»Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um«, meinte er achselzuckend. »Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich Mitleid heuchle. Die beiden Seelchen haben mir und meiner armen Frau verdammt übel mitgespielt. Und die wussten sehr genau, was sie taten und wozu sie es taten. Denen ging’s um Geld, und Menschenleben haben in ihrer Kalkulation keine Rolle gespielt. Wenn es darauf angekommen wäre, hätten die mich oder meine Frau ohne Zögern abgeknallt. Mir gellt immer noch manchmal das Gekreische dieses durchgeknallten Flittchens in den Ohren. Wie die mit ihrer Knarre rumgefuchtelt hat, Sie machen sich keine Vorstellung. Und nein, ich habe kein Mitleid mit dem Pack. Ich bin auch nur ein Mensch.«

»Würden Sie auch so denken, wenn Ihr Sohn beteiligt wäre?« Mein Ton war schärfer als gewollt.

Braun holte tief Luft. Und dann legte er los.

»Selbstverständlich würde ich das! Wer Mist baut, muss die Rechnung bezahlen. So ist das nun mal im Leben. Aber ich kann Sie in diesem Punkt beruhigen – mein Sohn würde so etwas niemals tun. Der hat nämlich eine ordentliche Erziehung genossen. Unser David hat früh gelernt, Gut und Böse zu unterscheiden.«

Das Letzte hatte fast wie eine Drohung geklungen. Eine Weile schwiegen wir uns betreten an. Dann sah Braun über mich hinweg ins Nirgendwo.

»Bitte verstehen Sie, vor allem Rebecca leidet immer noch sehr an diesem Drama«, sagte er leise. »Sie ist so sensibel. Ich hoffe, sie kommt irgendwann über alles hinweg. Diese anderthalb Stunden haben sie völlig verändert. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.«

»Sie haben Recht«, gab ich zu. »Es ist leicht, Verständnis zu haben, wenn man nicht betroffen ist. In Ihrer Situation würde ich vermutlich ähnlich reagieren.«

»Warum eigentlich bloß die Hälfte?«, fragte er mit plötzlich wieder ruhiger Stimme. »Wo ist der Rest von dem Geld?«

»Wir sind jetzt mehr denn je davon überzeugt, dass es einen dritten Täter geben muss. Den Ideengeber und Manager. Das erklärt die Verteilung: Fünfzig Prozent für den Chef, die andere Hälfte fürs Fußvolk. Und die Hinweise darauf, dass dieser Dritte Ihr verschwundener Nachbar ist, verdichten sich.« Ich sah Braun ins Gesicht. »Haben Sie noch mal darüber nachgedacht? Halten Sie es für möglich, dass Seligmann die treibende Kraft im Hintergrund war?«

»Darf ich Ihnen was anbieten? Wir können alles: Espresso, Cappuccino, Latte Machiato …«

Ich winkte ab. Mein Herz klopfte ohnehin schon vom vielen Kaffee am Morgen.

Braun faltete die Hände auf dem Tisch und sah mir fast ein wenig resigniert in die Augen. »Ja, ich habe darüber nachgedacht. Und ja, ich halte es für sehr gut möglich. Je länger ich überlege, desto logischer erscheint mir Ihre Erklärung. Der Bursche hat alle Zeit und Gelegenheit gehabt, über unser Leben Buch zu führen. Manchmal habe ich beobachtet, wie sich drüben die Gardine bewegte, wenn ich vor die Tür trat. Ich hätte dem Trottel so was zwar nie im Leben zugetraut, aber man täuscht sich eben hin und wieder in Menschen.«

»Warum mögen Sie ihn eigentlich nicht? Nun ist er nicht mehr Ihr Kunde. Sie können also frei sprechen.«

»Ganz einfach«, erwiderte Braun mit gepresster Stimme. »Weil er einer von diesen unzähligen Schmarotzern ist, die systematisch unser Land ruinieren.« Er fixierte mich, als wäre ich Seligmanns Komplize. »Der Mann war Lehrer, und das ist doch weiß Gott kein Beruf, in dem man sich zu Tode arbeitet. Ich habe ja oft genug gesehen, wie munter der in seinem Garten gewerkelt hat, obwohl er offiziell zu krank war zum Arbeiten. Früher natürlich, bevor er alles hat verkommen lassen. In den letzten zwei Jahren hat man ihn ja dann kaum noch draußen gesehen.« Braun zog eine angewiderte Grimasse. »Können Sie mir verraten, warum so einer in Pension geht, noch bevor er fünfzig ist? Und jetzt faul von unseren Steuern lebt? Von meinem und übrigens auch Ihrem Geld?«

Er sprang auf und begann, mit den Händen auf dem Rücken auf und ab zu gehen. »Seligmann ist einer von diesen unzähligen Faulpelzen, die an Schülerallergie leiden oder an Burn-out-Syndrom oder irgendeinem anderen Schwachsinn. Gucken Sie doch in die Zeitung! Millionen gibt es inzwischen in unserem Land, die es sich bequem machen in der großen Hängematte und sich von uns versorgen lassen. Wissen Sie, was ich denke?«

Abrupt blieb er stehen, starrte mich an. »Hätte der Kerl hin und wieder ein bisschen Sport getrieben und nicht nur sein widerliches Viehzeug gehätschelt, er könnte noch zehn Jahre arbeiten und müsste uns nicht auf der Tasche liegen!«

»Und das ist der Grund, warum Sie ihn nicht leiden können?«

»Demnächst sind wir so weit, dass jeder von uns, der sich noch nicht zu fein ist für ehrliche Arbeit, einen von diesen … Lebenskünstlern durchfüttern muss. Unsereins bezahlt brav seine Steuern, hält sich an Gesetze, erzieht seine Kinder zu Ordnung und Anstand und darf dabei zusehen, wie er von den Faulpelzen zum Deppen gemacht wird. Zum Trottel, der sich das Geld mit beiden Händen aus jeder Tasche ziehen lässt.« Plötzlich erschien ein müdes Grinsen in seinem Gesicht. »Und außerdem, ja verdammt, ich mag ihn einfach nicht. Er ist ein Waschlappen. Ein Mensch ohne Rückgrat.«

»Mit welcher Begründung ist er eigentlich seinerzeit so früh pensioniert worden?«

»Ich bin sein Nachbar, nicht sein Arzt.« Braun setzte sich wieder, stützte die Unterarme auf den Tisch, betrachtete seine kräftigen Sportlerhände mit gepflegten, sauber gefeilten Nägeln. »Von Anfang an war mir der Kerl aus tiefstem Herzen unsympathisch. Mit seinem Bernhardinerblick, den ungebügelten Hosen, diesen ewigen karierten Schlabberhemden, seiner ganzen schleimigen Art. Ich kann Menschen nun mal nicht ausstehen, die sich gehen lassen, keine Energie in sich haben, nichts aus sich machen.«

Ich begann zu begreifen, warum seine Frau solchen Wert darauf legte, dass ihr Mann nichts von ihrem Kontakt zu Seligmann wusste.

»Eines kann ich Ihnen jedenfalls versichern«, sagte Braun sehr leise und kalt und mit einem Blick, der mir absolut nicht gefiel. »Noch mal passiert mir so was nicht!«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe mir eine Waffe besorgt. Eine Beretta, neun Millimeter. Und ich kann damit umgehen, keine Sorge, und ich werde sie auch benutzen, wenn’s drauf ankommt. Sollte es wieder mal so früh an meiner Haustür klingeln, dann werde nicht ich derjenige sein, der anschließend ärztliche Versorgung braucht.«

»Ich nehme an, Sie haben die nötigen Papiere dafür?«

»War überhaupt kein Problem, bei meinem Job und allem, was passiert ist.«

Wir verabschiedeten uns beinahe freundlich, und ich wandte den uralten Trick an, den Fernsehkommissare so gerne benutzen: Schon in der Tür blieb ich stehen und sah noch einmal zurück, als wäre mir die Frage eben erst eingefallen.

»Halten Sie es eigentlich für möglich, dass Ihr Nachbar ermordet wurde?«

»Für möglich halte ich es zwar nicht«, erwiderte er, nun wieder ganz entspannt, »aber man kann ja auch mal Glück haben.«

 

Sowie ich wieder an meinem Schreibtisch saß, bestellte ich Balke zu mir.

»Ich hätte einen Job für Sie. Einen, der Ihnen Spaß macht, wie ich Sie kenne.«

Er sah mich an und wartete auf die Bescherung.

»Sie haben doch eine Menge Verbindungen. Lassen Sie die mal spielen und versuchen Sie, alles über die Familie Braun in Erfahrung zu bringen, was Sie können. Wie Sie es machen, ist mir gleichgültig, solange ich hinterher keinen Ärger kriege.«

»Alles?«

»Wie sind ihre finanziellen Verhältnisse? Was erzählen die Nachbarn? Was sagen die Angestellten über ihren Chef? Was hört man so im Tennisclub?«

»Haben Sie denn einen Verdacht?«

»Nur so ein Gefühl.«

Das stimmte nicht ganz. Es war mehr als ein Gefühl, was mich umtrieb, es war ein Vorurteil. Menschen, die ihre Anständigkeit derart lautstark vor sich hertragen wie Braun, hatten mich schon immer misstrauisch gemacht.

»Ich werde sehen, was ich tun kann. Wird nicht leicht werden, aber irgendwas geht ja immer.« Fröhlich sprang er auf. »Am besten, ich ruf nachher gleich mal die kleine Jessica beim Finanzamt an. Die ist mir sowieso noch einen Gefallen schuldig. Und, jetzt fällt’s mir ein, da gibt’s auch noch die süße Coco. Die war vor drei Jahren noch irgendwas Wichtiges in der Verwaltung der Sparkasse. Die redet zwar nicht mehr so wahnsinnig gerne mit mir, aber vielleicht, wenn ich ein bisschen nett zu ihr bin …«

Abwehrend hob ich die Hände. »Es reicht mir völlig, wenn Sie mir am Ende erzählen, was Sie in Erfahrung gebracht haben.«

Schon am frühen Nachmittag klopfte er wieder an meine Tür. Die Kraft, mit der er dies tat, war meist ein gutes Maß für seine Zufriedenheit mit den Ergebnissen seiner Arbeit. Heute klopfte er etwas lahm.

»Viel habe ich auf die Schnelle nicht erreicht«, sagte er. »Aber so viel ist schon mal klar: Dieser feine Herr Braun lebt eindeutig über seine Verhältnisse. Ich weiß jetzt ungefähr, was er als Chef einer kleinen Sparkassenfiliale verdient. Gar nicht mal so berauschend, übrigens. Und da fährt der Mann einen niegelnagelneuen Neunhundertelfer Carrera, der mindestens hunderttausend Mücken gekostet haben muss! Haus und Grundstück sind zusammen eine dreiviertel Million wert, und die Hypotheken sind noch lange nicht getilgt. Der Sohnemann studiert und will bestimmt auch jeden Monat ein bisschen Geld sehen.«

»Hat er vielleicht geerbt? Oder im Lotto gewonnen?«

»Meines Wissens nicht. Jedenfalls versteuert Braun so gut wie keine Kapitalerträge.«

»Vielleicht hat seine Frau Geld mit in die Ehe gebracht.«

Er schüttelte den Kopf. »Bevor sie ihn geheiratet hat, war sie Schauspielerin. Nichts Bedeutendes, Nebenrollen an kleinen Theatern, mal ein kurzer Auftritt in einem Werbespot im Fernsehen und so. Da kommt man auch nicht so leicht zu Reichtümern.«

Ich sah auf die Uhr. »Ist Ihre … Lebensgefährtin denn nicht eifersüchtig, wenn Sie immer noch Kontakt mit Ihren Verflossenen pflegen?«

»Eifersüchtig?« Balke lachte bitter und machte mit dem Daumennagel eine rasche Bewegung über seine Kehle. »Wenn meine Nicole erfährt, dass … Müssen Sie irgendwo hin? Sie sehen dauernd auf die Uhr.«

»Ich will gleich noch mit Seligmanns ehemaligem Chef reden. Wir sind um drei verabredet.«

»Ich hätte da nämlich eine Frage.«

»Wenn es nicht zu lange dauert.«

Verlegen sah er auf seine Hände. »Es ist nämlich was Persönliches.«

Was gibt es für einen Chef Schöneres, als wenn seine Untergebenen mit ihren privaten Problemen zu ihm kommen?

Tapfer sah Balke auf. »Nicki will ein Kind.«

Nicki, vermutete ich, war Nicole.

»Ist das nicht ein bisschen plötzlich? Wie lange wohnen Sie denn jetzt zusammen?«

»Drei Monate, ja. Es soll auch nicht gleich sein, es geht mehr ums Prinzip. Darf man das denn heute noch? Wo alles rund um uns herum zusammenbricht? Überall nur noch Wirtschaftskrisen und Treibhauseffekt und Krieg, und die Arbeitslosigkeit steigt und steigt!«

»Sie sind Beamter, Herr Balke. Und Polizisten wird man auch in hundert Jahren noch brauchen. Vermutlich sogar mehr als heute. Und außerdem, wenn alle Menschen mit dem Kinderkriegen gewartet hätten, bis der passende Zeitpunkt gekommen war, dann wäre die Menschheit vor fünfzig Millionen Jahren ausgestorben.«

Balke nickte nachdenklich. »Das hab ich mir natürlich auch überlegt. Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie es nie bereut, dass Sie Kinder angeschafft haben?«

»Bereut?«, lachte ich. »Ich bereue es jeden Tag! An manchen sogar mehr als einmal.«

»Und?«

»Ich würde es trotzdem jederzeit wieder tun.«

»Aber warum?«

»Das werden Sie in der Sekunde herausfinden, in der Sie zum ersten Mal Ihr Baby auf dem Arm haben.«