22

Nach dem Essen klopfte Balke an meine Tür. Heute klang sein Klopfen äußerst optimistisch.

»Möchten Sie auch einen Kaffee?«

»Gerne.«

Er nahm Platz und strahlte mich an.

»Ich warte.«

»Worauf?«, fragte er schelmisch.

»Dass Sie mir sagen, wie Brauns Geliebte heißt.«

»Sein Neunhundertelfer steht abends ziemlich oft in der Nähe einer bestimmten Adresse in der Tinqueux-Allee in Leimen. Es ist ein Mietshaus der oberen Kategorie. Er parkt immer hinten, wo der Wagen von der Straße aus nicht gesehen werden kann. Ist ein verdammt umsichtiger Mann, unser Herr Braun.«

»Der Name«, unterbrach ich ihn ungeduldig.

»Céline Piaget. Verdammt hübsches Ding übrigens. Bis vor ein paar Monaten hat sie in der Vereinsgaststätte des Tennisclubs gekellnert. Aber jetzt hat sie das offenbar nicht mehr nötig, jetzt sieht man sie dort nur noch als Gast. Dafür wohnt sie auf einmal in einem noblen Appartement und kauft bei Prada und Gucci ein und fährt ein nigelnagelneues Fiat-Cabrio.«

Ich sah zur Decke. »Wenn ich so über all das nachdenke, dann kommt mir ein ganz schrecklicher Gedanke …«

»Seine Schussverletzung war nach drei Wochen schon wieder so gut wie verheilt. Da muss einer schon verdammtes Glück haben, dass es so einen glatten Durchschuss gibt.«

»Oder der Schütze hat genau gewusst, wohin er zielen muss.«

»Vielleicht hat er sogar selbst geschossen? Kann seine Frau bezeugen, dass es nicht so ist?«

»Ich werde sie fragen.« Ich stieß die Luft durch die Zähne. »Keiner wusste besser als Braun, wann genug Geld im Tresor liegen würde. Und wer ist weniger verdächtig als einer, der bei so einer Geschichte verletzt wird?«

»Und später hat er einfach das Handy in Seligmanns Mazda versteckt, um den Verdacht auf ihn zu lenken. Er brauchte ja nur nachts über den Zaun zu klettern …«

»Und der ist nicht mal besonders hoch.«

»Seligmanns Garage stand offen.«

Wir sahen uns an.

»Das passt alles fast zu gut zusammen«, sagte ich. »Haben wir eine DNA-Probe von Braun?«

»Er ist der Einzige, an den bisher kein Mensch gedacht hat.«

»Die besorge ich Ihnen. Und Sie versuchen in der Zwischenzeit bitte vorsichtig herauszufinden, ob sich auf seinen Konten in letzter Zeit etwas Auffälliges getan hat.«

»Hab ich schon.« Er winkte ab. »Er ist natürlich nicht so blöd, seine Beute aufs eigene Sparbuch einzuzahlen. Bestimmt hat er die Kohle längst in die Schweiz geschafft.«

»Oder seine Herzallerliebste.« Ich erhob mich und nahm mein Jackett aus dem Schrank. »Überprüfen Sie doch mal, ob die Dame in den letzten Wochen im Ausland war.«

 

Der Presse-Aufmarsch vor Seligmanns Haus war nicht annähernd so beeindruckend, wie ich nach seiner Schilderung erwartet hatte. Entweder hatte Seligmann am Telefon maßlos übertrieben, oder ein großer Teil der Meute hatte sich schon wieder verzogen. Ich zählte drei Menschen mit umgehängtem Recorder und Mikro in der Hand, eine Fernsehkamera und eine vollschlanke und ein wenig zu grell gekleidete Frau, die mit den Händen in den Taschen ihres weiten Rocks danebenstand. Die meisten rauchten und erzählten sich Witze. Hin und wieder wurde leise gelacht. Möricke entdeckte ich zu meiner Überraschung nicht.

In Seligmanns Haus war alles dunkel. Offenbar befolgte er meinen Rat. Früher oder später würden die Journalisten aufgeben. Für morgen war Regen angesagt, und nur neue Nachrichten sind gute Nachrichten. Zum Glück beachtete mich niemand, obwohl mir das eine oder andere Gesicht aus mancher Pressekonferenz bekannt vorkam.

Rebecca Braun öffnete mir die Tür in einem hübschen dunkelblauen Hauskleid und mit offenem Lächeln. Sie schien sich zu freuen, mich zu sehen.

»Haben Sie eine Spur von dem geheimnisvollen Mann im Hintergrund?«, fragte sie über die Schulter, als wir ihr Wohnzimmer durchquerten. Sie führte mich auf die Terrasse hinter ihrem Bungalow. Das Wasser im Pool glitzerte in der Sonne. Blumen dufteten.

»Schön haben Sie es hier«, sagte ich.

Sie lächelte mich an wie jemand, der nicht oft ein Lob hört.

Wir nahmen Platz. Den angebotenen Kaffee lehnte ich dankend ab. Eine Meise mit blauer Brust kam herangeschwirrt und setzte sich auf einen Zweig in der Nähe, als wollte sie sich an unserem Gespräch beteiligen.

»Ich möchte noch einmal mit Ihnen über den Tag sprechen, als …«

Frau Braun erschauderte und schlug die Augen nieder.

»Ich weiß, es ist schwer für Sie«, sagte ich leise. »Bitte glauben Sie mir, dass ich Sie das nicht ohne Grund frage.«

»Es ist nichts.« Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie dadurch die Erinnerung vertreiben. »Es muss wohl sein. Sprechen Sie nur weiter.«

Der Gedanke ließ mich frösteln, dass womöglich ihr eigener Mann dieser zarten Frau das angetan hatte, worunter sie immer noch so sehr litt.

»Erzählen Sie mir alles noch einmal. Aber lassen Sie sich Zeit. Die kleinste Nebensächlichkeit kann wichtig sein.«

Sie nickte ernst. »Meine Therapeutin sagt auch immer, man muss sich erinnern. Nur so wird man mit der Zeit fertig damit.« Blinzelnd lehnte sie sich zurück, sah in ihren Schoß. »Vielleicht.«

Die Meise fand das Thema offenbar langweilig und flog davon. Dafür kamen zwei Spatzen, um eine Weile ohne jede Scheu zu unseren Füßen herumzupicken.

»Es hat geläutet«, begann Rebecca Braun tonlos. »Morgens, Viertel vor sieben war es. Harry war oben im Bad. Ich dachte, David hat vielleicht seinen Schlüssel vergessen. Er war erst seit ein paar Minuten weg.«

Ich unterdrückte den Drang, mich zu räuspern, bemühte mich, kein Geräusch zu machen. Sie hielt den Blick gesenkt. Einer der Spatzen interessierte sich für meine Schuhspitze, traute sich dann aber doch nicht näher heran.

»An der Gegensprechanlage sagte der Mann, er sei von der Polizei. Er hielt auch irgendeinen Ausweis in die Kamera. Mein Gott, ich dachte, vielleicht ist etwas mit David und …«

Sie kaute auf der Unterlippe, wie sie es oft machte.

»Sie waren ganz freundlich. Wir gingen ins Wohnzimmer, und ich wollte gerade fragen, was denn los ist, da hielt die junge Frau plötzlich eine Pistole in der Hand. Und der Mann wollte wissen, wo Harry steckt. Aber ich konnte nicht sprechen. Ich war wie …«

Wieder musste ich eine längere Pause überstehen. Leichter Wind kam auf, die Blätter raschelten, das Wasser im Pool plätscherte leise. Auf einem der drei Liegestühle lag ein sonnengelbes Laken.

»Natürlich hat er ihn auch so gefunden. Ich habe gehört, wie sie oben herumschrieen. Harry hat sich wohl gewehrt. Und dann fiel der Schuss.«

»Sie haben das also nicht beobachtet?«, fragte ich, als wäre es eine Nebensächlichkeit.

Wie in Trance schüttelte sie den Kopf.

Das Gebrüll im Bad oben konnte natürlich Theater gewesen sein. Es war sogar denkbar, dass Braun sich selbst die Verletzung beigebracht hatte, damit dabei nichts schiefging.

»Dann kamen sie herunter. Dort …« Sie wies in irgendeine Richtung. »Ich habe das Blut gesehen. Das viele Blut und …«

»Dann wurden Sie ohnmächtig«, vervollständigte ich ihren Satz.

»Als ich wieder zu mir kam, war ich mit der Frau allein. Ständig hatte sie dieses Handy am Ohr. In der anderen Hand hielt sie immerzu die Pistole auf mich gerichtet. Und ihr Blick, mir war klar, die meint es ernst. Ich bin fast gestorben. Eine Dreiviertelstunde lang haben sie telefoniert. Was das kosten muss, habe ich immer wieder gedacht. Verrückt, nicht wahr?«

Von der Straße hörte ich laute Stimmen. Die Journalisten schienen etwas entdeckt zu haben, was eine kleine Aufregung wert war. In den Augen meiner Gesprächpartnerin flackerte Panik auf.

»Was suchen diese Leute da? Xaver … Herr Seligmann ist doch unschuldig! Es stand ja sogar in der Zeitung!«

»Morgen Abend sind sie weg, versprochen.«

Rebecca Braun sah wieder auf die schmalen Hände in ihrem Schoß.

»Die ganze Zeit habe ich in diese Pistolenmündung gestarrt und gedacht, gleich ist es aus. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt eine richtige Waffe gesehen habe. Ich weiß ja, es dauerte nur eine Dreiviertelstunde. Für mich war es eine Ewigkeit.« Sie sah mir erschöpft ins Gesicht. »Jetzt hat Harry ja leider auch so ein Ding. Er hat sie mir gezeigt und erklärt, wie sie funktioniert. Aber ich habe sie nicht angefasst. Er meinte, es wäre vielleicht gut, damit ich diese Angst verliere. Aber ich konnte das nicht, und dann …« Mit einer nervösen Bewegung fuhr sie sich durchs dunkle, lockige Haar. »Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ein Auto kam. Der Mann war wieder da und sagte, alles sei in Ordnung. Harry gehe es gut. Sie haben mich gefesselt, dort drinnen, auf einen der Stühle am Esstisch. Aber das war dann alles nicht mehr so schlimm. Die Pistole war weg, das war die Hauptsache.«

»Sind sie dabei brutal vorgegangen?«

»Gar nicht.« Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. »Die Frau hat es gemacht. Sie hat darauf geachtet, dass sie mir nicht wehtut. Auf einmal waren die beiden ja geradezu höflich. Und ich hatte auch kaum noch Angst. Wenn sie mich fesseln, dann lassen sie mich bestimmt leben, habe ich gedacht.«

Das Geschrei auf der Straße hatte sich schon wieder gelegt.

»Sie hat sogar gefragt, ob es so geht, ob ich bequem sitze. Sie wollte mich wirklich nicht quälen. Der Mann hat ständig auf die Uhr gesehen. Wir müssen weg, hat er einmal leise gesagt. Aber sie hat sich nicht drängen lassen.«

»Und dann sind die beiden fortgefahren.«

»Sie sagten noch, in spätestens einer Stunde schicken sie mir Hilfe. Und so war es dann auch. Nach einer Dreiviertelstunde kamen Ihre Kollegen.«

Mein Handy vibrierte. Ich drückte das Gespräch weg. »Sie wussten natürlich, dass an diesem Tag ziemlich viel Geld im Tresor der Bank war?«

Sie nickte. »Harry hatte es mir erzählt. Wenn es etwas Besonderes gibt bei der Arbeit, dann erzählt er es mir manchmal.«

Diese Frau würde noch viel und oft über ihre Erlebnisse sprechen müssen. Manche schafften es nie, so etwas zu überwinden. Manche müssen umziehen, den Beruf und oft sogar den Partner wechseln, um endlich vergessen zu können. Wie würde sie es auffassen, wenn sie erfuhr, dass ihr eigener Mann hinter all dem steckte? Ich mochte nicht daran denken. Aber noch hatten wir ja keinen Beweis. Den galt es zu beschaffen. Zu diesem Zweck war ich hier.

Vorhin hatte ich im Vorbeigehen die zerkauten Zahnstocher im Aschenbecher auf dem Couchtisch entdeckt. Ich bat Rebecca Braun um einen Schluck Wasser. Mit einer gemurmelten Entschuldigung sprang sie auf und lief in die Küche. Als sie mit einer Glaskanne und zwei Gläsern zurückkam, fehlten zwei der Zahnstocher.

Wir tranken zusammen ein wenig Wasser und unterhielten uns über unsere Kinder. Aus irgendeinem Grund war sie überrascht, als sie erfuhr, dass ich zwei Töchter hatte, wollte dies und jenes wissen. Sie erzählte mir von ihrem Sohn, zu dem sie eine enge Bindung zu haben schien.

»Was ist eigentlich mit seinem Bein?«, fragte ich. »Ein Unfall?«

Sie nickte. »Er war siebzehn. Mit dem Moped. Er hat nicht aufgepasst, ist bei Rot über eine Ampel gefahren und unter einen Lastwagen geraten. Er hatte so viel Glück, dass er überlebt hat.«

Wir kamen auf ihren früheren Beruf zu sprechen.

»Ach ja, das Theater«, seufzte sie mit leisem Lächeln. »Das ist lange her. Leider fehlt mir die nötige Härte, um Erfolg zu haben. Harry sagt es auch immer. Ich bin so leicht umzuwerfen, und in diesem Gewerbe braucht man vor allem Standfestigkeit. Und einige weniger positive Eigenschaften sind auch nicht schädlich. Aber ich trauere der Zeit nicht nach. Es ist gut, wie es ist.«

Es war unverkennbar, dass sie selbst nicht an ihre Worte glaubte.

Bevor ich zu meinem Wagen ging, sah ich mich noch einmal um. Es war wirklich ein Kinderspiel, vom Grundstück der Brauns zu Seligmann hinüberzuklettern. Der kräftige Drahtzaun war kaum mehr als einen Meter hoch, ein trainierter Mann wie Braun schaffte das mit einer Flanke. Und die Gefahr, dabei gesehen zu werden, war gering. Seligmanns Grundstück stand voller Bäume und Gestrüpp.

Gegenüber gab es nur ein Haus, von dem aus man den ganzen Zaun überblicken konnte, auch den hinteren Teil. Das waldgrüne Haus der Nachbarn, die offensichtlich immer noch in Urlaub waren. Die Rollläden waren heruntergelassen, aus dem Briefkasten quoll Werbung. Genau so, wie man es machen soll, wenn man Einbrecher anlocken möchte. Diesmal entdeckten mich Seligmanns Belagerungstruppen. Aber außer dass sie mich im Auge behielten, geschah nichts.

 

Wäre Céline Piaget nicht schwarzhaarig gewesen, sie hätte exakt dem Klischee des verführten blonden Dummchens entsprochen. Wir trafen sie auf der Terrasse der Vereinsgaststätte des TC Blau-Weiß Leimen im Schatten bunter Sonnenschirme.

Während der Hinfahrt hatte Balke mir noch ein paar letzte Neuigkeiten mitgeteilt.

»Also erstens, ihr Cabrio hat Braun zwei Wochen nach dem Bankraub gekauft. Der Händler wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus. Ich bin ihm dann ein bisschen auf die Zehen gestiegen, und dann hat er zugegeben, dass Braun den Wagen cash bezahlt hat.«

Er setzte den Blinker und überholte einen Traktor, der in die Römerstraße in Richtung Süden bullerte. Augenblicke später hingen wir hinter einem Bus, der kaum schneller fuhr. Rechts zog das nicht enden wollende amerikanische Kasernengelände vorbei. Scharf bewacht von schwer bewaffneten und ein wenig kampfmüde dreinschauenden Soldaten in tarnfarbenen schusssicheren Westen.

»Zweitens: Die süße Céline war genau zwei Tage nach dem Überfall in Luxemburg«, fuhr Balke fort, als er endlich auch den Bus hinter sich gelassen hatte. Wir passierten das US Army Hospital, das Heidelberger Ortsschild, und Balke trat das Gaspedal durch. »Morgens mit dem Zug hin, abends zurück. Das weiß ich von einer Nachbarin, die eifersüchtig ist, weil Céline ständig Männerbesuch kriegt und sie nicht.«

»Was hat sie dort gemacht?«

»Ich habe keinen Schimmer.« Schon kamen die ersten Häuser Leimens in Sicht und die alles überragende Zementfabrik. »Aber ich würde meinen Hintern darauf verwetten, dass sie ungefähr eine Dreiviertelmillion Euro auf irgendein Nummernkonto eingezahlt hat.«

»Gibt’s denn Nummernkonten in Luxemburg?«

»Keine Ahnung«, brummte Balke. »Abzüglich des Geldes für das Cabrio natürlich. Dreiundzwanzigtausend hat das Teil gekostet.«

Fünf Minuten später stiegen wir auf dem weitläufigen Parkplatz vor der Boris-Becker-Halle aus unserem Audi. Wir hatten Frau Piaget überraschen wollen, und die Überraschung gelang über alle Erwartung gut.

»Polizei?«, fragte sie mit großen, bergseeblauen Augen und nahm durch einen dicken Strohhalm einen langen Zug aus ihrem vielfarbigen Drink. »Isch ’aben etwa falsch geparkt?«

Um das süße Bild komplett zu machen, sprach Céline Piaget mit einem französischen Akzent, der sie problemlos für die Bierwerbung qualifiziert hätte, wo es so schön in »die Bauchnaböl prickält«. Balke hatte Recht, sie war eine Schönheit mit ausgeprägten Rundungen an allen richtigen Stellen, und schwarzhaarige Frauen mit hellen Augen hatten mich schon immer verrückt gemacht.

»Wir dürfen uns doch zu Ihnen setzen?« Ich nahm Platz und bemühte mich, sie nicht allzu dämlich anzustarren. Balke setzte sich ihr gegenüber und schaltete vermutlich völlig automatisch sein Herzensbrecher-Lächeln auf höchste Stufe.

»Frau Piaget, wir würden mit Ihnen gerne über einen gewissen Herrn Braun sprechen. Der Name sagt Ihnen was?«

»’arry?« Ihre Augen wurden noch ein wenig runder. Unsicher stellte sie das hohe Glas ab. »Warum?«

»Wir wissen, dass Sie am Freitag, dem dreizehnten Mai einen Tagestrip nach Luxemburg gemacht haben. Darf ich fragen, was Sie dort zu tun hatten?«

Nun wurde ihre Miene finster. »Gerne dürfen Sie fragen. Aber isch werde nischt antworten«, erwiderte sie mit Schmollmund.

Es roch nach Staub und ein wenig nach Kuhmist. Die Tennisanlage befand sich am Rand des Städtchens, weiter südlich begannen ausgedehnte Felder. In der Nähe ploppten, für uns wegen einer Hecke unsichtbar, Tennisbälle hin und her. Hin und wieder ertönte ein Freudenschrei oder auch das Gegenteil davon.

»Wir vermuten, dass Sie im Auftrag von Herrn Braun eine größere Summe Bargeld nach Luxemburg geschafft haben.«

»Nein«, erwiderte sie trotzig. »Das ’abe isch nischt!«

»Was dann? Was wollten Sie dann dort?«

In der offenen Glastür zum Lokal stand eine Bedienung mit hochgestecktem hennafarbenem Haar, vermutlich Frau Piagets Nachfolgerin, und spitzte die Ohren. Vielleicht deshalb sprach unsere Gesprächspartnerin auf einmal leiser. Irgendwo in der Ferne hörte ein Hahn nicht auf zu krähen.

»Das sein meine Angelegenheit. Und ’arrys. Aber nischt Ihre.«

Ich tat etwas, was ich normalerweise zu vermeiden suche. Ich log sie an.

»Zeugen haben aber gesehen, wie Sie gegen Mittag eine große Bank in der Luxemburger Innenstadt betreten haben. Wir können gerne eine Gegenüberstellung machen.«

Ihr Zug war um halb zwölf in Luxemburg angekommen, deshalb war die Uhrzeit nicht schwer zu erraten. Céline Piaget schwieg mit trotzig niedergeschlagenen Augen und rührte mit dem Strohhalm in ihrem Longdrink.

»Wir werden den Angestellten der Bank Ihr Foto zeigen. Das wird das Einfachste sein.«

Sie schob die tiefrot geschminkte Unterlippe vor.

»Wenn Sie mit uns kooperieren, dann wird sich das zu Ihren Gunsten auswirken«, sagte Balke milde. »Überlegen Sie sich das in Ruhe.«

»Isch darf aber nischt sagen«, murmelte sie. Ihre großen Augen begannen zu schwimmen.

Ich schaltete einen Gang zurück.

»Seit wann sind Sie denn schon mit Herrn Braun zusammen?«

»Siebzehn Monate«, flüsterte sie mit bebender Lippe, »und elf Tage.«

»Hat er Ihnen versprochen, sich von seiner Frau zu trennen?«

Sie nickte verzagt. »Er liebt misch so sehr!« Ein Tränchen kullerte dekorativ über die makellose Wange bis zur Kinnspitze und tropfte von dort zielgenau in den freigiebigen Ausschnitt ihres bordeauxroten T-Shirts, das vermutlich so viel gekostet hatte wie der Anzug, den ich trug.

Ich zwang meinen Blick weg von der Stelle, wo die Träne eben verschwunden war.

»Wann wird er sie verlassen?«

»Bald«, flüsterte sie so leise, dass Balke sich unwillkürlich vorbeugte. »Aber sie ist so krank. Er muss warten, bis sie wieder gesund ist.«

»Wollen Sie dann zusammenziehen? Heiraten?«

Eine zweite Träne erzeugte auf dem Shirt einen dunklen Fleck. »Wir gehn zusammen nach Paris.«

»Nach Paris?«

»Ein Wohnung nehmen. Auf die Montmartre vielleicht.«

»Für einige Zeit oder für immer?«

»Aber für immer!«, erwiderte sie empört. »Wir wollen zusammenleben! In Paris!«

»Und wovon wollen Sie leben?«, fragte Balke. »Will er sich dort eine Arbeit suchen? Paris ist ziemlich teuer, habe ich gehört!«

»’arry ’at genug Geld«, murmelte sie. »Er muss nischt mehr arbeiten.«

»Seit wann hat er denn so viel Geld?«, fragte ich.

Die arme Frau, sie mochte höchstens fünfundzwanzig sein, merkte nicht einmal, dass sie dabei war, ihren Geliebten ins Gefängnis zu reden.

»Seit ein paar Wochen.«

Meine nächste Frage war schon unverfroren. Aber einen Versuch war es wert.

»Wissen Sie auch, woher das Geld stammt?«

»Ja«, erwiderte sie treuherzig, und mein Herz machte einen Hüpfer. »Aber isch darf nischt verraten. ’arry ’at mir verboten.«

Die Bedienung war ein wenig näher gekommen. Jetzt erst fiel mir auf, dass sie sich gar nicht so sehr für unser Gespräch interessierte, sondern dass ihr Blick unentwegt an meinem Mitarbeiter klebte. Hatte er mir nicht erzählt, er habe mit ihr angebändelt, um etwas über Céline Piaget zu erfahren? Sicherheitshalber bestellte ich eine Cola. Widerstrebend trollte sie sich. Hinter der Ligusterhecke ertönte ein Schmerzensschrei, und das nervige Plop-Plop brach ab.

Balke reichte unserer Gesprächspartnerin ein Päckchen Papiertaschentücher, da ihres leer zu sein schien. Sie dankte ihm mit einem verzweifelten Kleinmädchenblick, und ich rechnete jeden Augenblick damit, dass er sie tröstend in den Arm nahm. Sie putzte das Näschen, tupfte die Augenwinkel. Inzwischen hatte sich schon einiges an Mascara in ihrem Gesicht verteilt.

»Wann wollten Sie denn nach Paris übersiedeln?«, fragte er freundlich.

»An meine Geburtstag«, murmelte sie fassungslos, »in August. Dann wollte ’arry sisch auch scheiden lassen. Er liebt seine Frau schon lange nischt mehr.«

Warum irritierte mich plötzlich das Wort Geburtstag? Sollte ich etwa schon wieder …? Aber nein, meine Töchter hatten erst im September, meine Eltern im Frühjahr. Meine Cola kam, und ich wurde aufgefordert, bitte gleich zu bezahlen.

»Und Sie wollen uns wirklich nicht sagen, woher das Geld für Ihre schönen Zukunftspläne stammt?«

Céline Piagets Stimme wurde allmählich wieder fester. »’arry ’at gesagt, wir werden in Braus und Saus leben. Ein ’aus in die Normandie wollte er kaufen, am Meer! Und ein Motorboot, ein sehr großes mit ein rischtisch Badezimmer drin. Er kann das bezahlen und noch viel mehr, ’at er gesagt. Er ’at so viel Geld, dass wir nie wieder arbeiten müssen, ’at er gesagt.«

Da hatte der gute Herr Braun wohl ein wenig übertrieben. So viel war eine Dreiviertelmillion nun auch wieder nicht.

»Wie geht’s nun weiter?«, fragte Balke auf der Rückfahrt. Diesmal fuhr ich. Ich wählte die Strecke über die Rohrbacher Straße. Das war zwar ein bisschen weiter, aber sie gefiel mir besser als diese schnurgerade, gesichtslose Römerstraße.

»Wir nehmen Braun in Haft. Fluchtgefahr. Er hat ja offenbar Geld im Ausland. Jeder Staatsanwalt wird uns das unterschreiben.«

Der Bergfriedhof kam in Sicht, links das Schulzentrum. Ich hielt an einer roten Fußgängerampel. Schüler vom nahen Gymnasium überquerten johlend, lachend und raufend die Straße. Erst im letzten Moment sah ich meine Töchter winken. Ich winkte zurück. Louise strahlte, Sarah dagegen zog ein schiefes Gesicht.

Auch Balke war es aufgefallen. »Was hat sie?«

»Zahnschmerzen«, seufzte ich. »Seit Wochen rede ich auf das Kind ein, aber ich kriege sie einfach nicht zum Zahnarzt. Sobald sie das Wort auch nur hört, sind die Schmerzen wie weggeblasen.«

Es ging weiter. Unter der großen Platane vor der Apotheke an der Ecke zur Dantestraße tauschten vier ältere Damen mit Einkaufskörben den neuesten Tratsch der Weststadt aus.

»Was ist eigentlich aus Vangelis’ Unfall geworden?«, fragte ich, als wir am Bismarckplatz an der nächsten roten Ampel standen. Ich hätte wohl doch besser die Westroute gewählt wie Balke. »Sie wirkt auf einmal so entspannt. Hat sie sich mit dem Gegner gütlich geeinigt?«

Balke grinste. »Gütlich geeinigt ist gut!« Die Ampel wurde grün, aber es ging nicht weiter, weil sich weiter vorne der Verkehr wegen der Baustelle am Römerkreis staute. »So kann man es natürlich auch nennen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Balkes Grinsen wurde hinterhältig. »Sie haben sich getroffen, so viel weiß ich. Zum Abendessen, und Klara wollte sich tatsächlich irgendwie mit dem Kerl einigen. Dann stellte sich heraus, dass er auch griechische Vorfahren hat, und anscheinend haben die zwei sich dann auf einmal ganz prima verstanden, und den Rest können Sie sich denken.«

»Nein!«, entfuhr es mir. »Vangelis?«

»Doch.«

Ich legte den ersten Gang ein. Die Ampel schaltete schon wieder auf Gelb, als ich endlich anfahren konnte.

»Ich hab sogar manchmal gedacht, sie ist eine Lesbe«, fuhr Balke kopfschüttelnd fort. »Aber seit neuestem telefoniert sie ungeheuer viel. Und wenn ich ins Büro komme, dann legt sie hastig auf und tut ganz harmlos. Einmal, da ist sie sogar fast rot geworden. Und ich hätte ehrlich nie gedacht, dass Klara überhaupt rot werden kann.«