6
Der Fluß bewegte sich träge und von zitternden Schatten überspielt in der untergehenden Sonne. Sein Murmeln bildete einen flüsternden Kontrast zu den rauschenden Palmblättern und dem steten Summen der Insekten.
Sie kamen zu Fuß herunter. Die Pferde hatten sie am Rand der Böschung festgemacht zurückgelassen, und während Billy-Jo das sandige Ufer erkundete, beobachteten Neil Adams und Mary Dillon das Spiel der Schatten und den Flug eines glänzenden Eisvogels über dem Wasser. Die Erschöpfung von dem langen Ritt saß ihnen in den Knochen, und je mehr sich der Tag neigte, desto hoffnungsloser fühlte sich Mary. Ihr Gesicht war müde und staubbedeckt. Die Augen brannten ihr von der blendenden Helle. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte von dem langen ungewohnten Ritt. Auch Adams war erschöpft, das verrieten ihr die tiefen Falten um seinen Mund, seine hängenden Schultern und die Art, wie seine kräftigen harten Hände herabgesunken waren. Doch trotz seiner abgespannten Haltung blieb sein Geist wach und aufmerksam, und sie beneidete ihn um seine Zähigkeit, während sie ihm gleichzeitig seine scheinbare Gleichgültigkeit ihrer eigenen Verfassung gegenüber verübelte. Der Ärger gab ihrer Stimme einen spitzen Klang, als sie ihn fragte: »Was haben Sie rausgekriegt, Neil? Woran denken Sie? Sie haben in der letzten halben Stunde kaum ein Wort gesagt.«
Zu ihrer Überraschung entschuldigte er sich sofort. »Das tut mir leid, Mary. Ich bin bei meiner Arbeit keine Gesellschaft gewohnt – weibliche schon gar nicht. Billy-Jo und ich brauchen nicht viele Worte – wir denken immer gleichzeitig dasselbe.«
»Und ich bin ein Störenfried?«
»Nein, bloß eine Figur in der Landschaft, die ich von Zeit zu Zeit aus den Augen verliere. Übrigens gibt es auch nicht viel zu erzählen, was Sie nicht schon wüßten. Ihr Mann ist an dieser Stelle zum Fluß gekommen. Die Myalls waren ihm auf der Spur; in welchem Abstand, wissen wir noch nicht. Sehen Sie, das ist alles schon vierundzwanzig Stunden her, und in der Sonne trocknet die Erde schnell. Die verschiedenen Spuren scheinen gleichzeitig entstanden zu sein – aber wir wissen, daß das nicht stimmen kann.«
»Wollen Sie damit sagen, daß die Myalls Lance eingeholt haben?«
»Möglicherweise ja.«
Kalte Furcht ergriff ihr Herz, doch ihre Stimme blieb fest, als sie weiterfragte: »Heißt das, daß er jetzt tot sein könnte?«
»Vielleicht, aber nicht unbedingt. An Ihrer Stelle würde ich mit dem Schlimmsten rechnen – und doch das Beste hoffen.«
Ihre unerschütterliche Beherrschung beunruhigte ihn.
»Ich bin auf alles gefaßt. Meinetwegen brauchen Sie keine Angst zu haben.«
Er blinzelte sie von der Seite her an und meinte trocken: »Sie sind ganz schön tapfer, Mary.«
»Hätten Sie das nicht von mir erwartet?«
Er überhörte den boshaften Unterton ihrer Frage.
»Ich weiß nicht. Aber jedenfalls bin ich froh darüber. Was auch immer passiert, Sie werden Ihren Mut brauchen.«
Plötzlich fauchte sie ihn an: »Sie sind wohl ziemlich abgebrüht, wie? Vermutlich sind Sie deshalb so ein guter Polizist.«
Bevor er sich eine Antwort überlegen konnte, kam Billy-Jo über die Sandbank auf sie zugelaufen; aus seinem verwitterten dunklen Gesicht sprach Ratlosigkeit. Adams fragte ihn scharf: »Irgend etwas gefunden?«
Der Späher zeigte stromauf und stromab das Ufer entlang: »Überall Spuren von Eingeborenen. Gehen rauf und runter. Machen Feuer, essen und schlafen. Keine Spuren von weißem Boss, keine Kleider, kein Blut, nichts.«
Ein Schimmer der Bewunderung ließ Adams' Augen aufleuchten. Mehr zu sich selbst als zu Mary murmelte er: »Schlauer Kerl. Er hat den Fluß ausgenutzt, um seine Spuren zu verwischen. Er muß ihnen weit genug voraus gewesen sein, daß er sie völlig von seiner Fährte abbringen konnte. Ich möchte wissen, in welche Richtung er gegangen ist.«
Seine Augen suchten das gegenüberliegende Ufer ab, wo Dornbüsche, Schlingpflanzen und die Wurzeln der Pandangpalmen den steilen, schlammigen Abhang überwucherten. Mary Dillon beobachtete ihn gespannt und wagte nicht, ihn in seinen Überlegungen zu unterbrechen. Billy-Jo sprach als erster wieder, ruhig und mit der Bestimmtheit dessen, der die Situation überblickt. »Licht verschwinden bald, Boss. Vielleicht wir gehen über Fluß und schauen, eh?«
Adams überlegte einen Augenblick, dann nickte er ernst und wandte sich zu Mary: »Wir müssen Sie jetzt eine Weile allein lassen, Mary. Wir möchten gern noch das Sumpfland da drüben überprüfen, ehe es dunkel wird. Bringen Sie die Pferde hier herunter, lassen Sie sie saufen und binden Sie sie dann an. Danach könnten Sie schon mal anfangen, Holz für ein Feuer zu sammeln. In meiner Satteltasche ist ein Gewehr. Hier ist es zwar nicht gefährlich, aber wenn Sie uns plötzlich brauchen sollten, feuern Sie zwei Schüsse ab. Sobald es dunkel wird, kommen wir zurück.«
Sie wollte ihm schon sagen, daß sie nicht mit Pferden umgehen könnte, in ihrem Leben noch keinen Schuß abgefeuert hätte, beim Lagern immer Lance oder die Viehtreiber das Feuerholz gesammelt hätten, daß sie schon beim bloßen Anblick eines Insekts zitterte und daß die Angst vorm Alleinsein sie fast verrückt machte. Aber sie unterdrückte das alles und sagte nur: »Gehen Sie ruhig. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich mach' was zu essen, während Sie weg sind.«
Zum ersten Mal an diesem Tag entspannte sich Adams' Gesicht zu einem Lächeln uneingeschränkter Anerkennung. Er klopfte ihr auf die Schulter und sagte wohlwollend: »Prima. Wir bleiben nicht lange weg. Vielleicht können wir Ihnen erfreuliche Nachrichten mitbringen.« Damit drehte er sich um und ging, gefolgt von Billy-Jo, stromabwärts zu der Stelle, wo der Fluß sich verengte und über ein paar Klippen floß; dort konnten sie ihn ohne Angst vor Krokodilen überqueren.
Mary Dillon sah ihnen nach, bis sie zwischen den Sträuchern am anderen Ufer hochkletterten und verschwanden, dann ging sie zurück, allein, voller Todesangst und doch irgendwie stolz; sie band die Pferde los und brachte sie zum Tränken an den Fluß hinunter.
Während die müden Tiere ihre Köpfe ins Wasser hängen ließen, nahm sie ihnen die Sättel ab, ungeschickt zwar, doch mit einer leisen Befriedigung über diese harmlose Beschäftigung. Früher hatte sie sich immer davor gedrückt, als wäre eine solche Arbeit ein Zugeständnis an das verhaßte Land. Jetzt tat sie es sogar gern, obwohl der Auftrag dazu von einem Mann kam, der sie eher zum Spott herausforderte als zur Liebe. Diese Handlung bestätigte ihr von neuem ihre getrübte Beziehung zu Lance und ihr unsicheres Verhalten gegenüber Neil Adams. Sie war böse auf ihn, und doch bemühte sie sich, ihm zu gefallen. Sie wollte ihn verletzen, doch sobald sie merkte, daß ihr Unmut ihm nichts ausmachte, setzte sie alles daran, seine Anerkennung zu erringen.
Nicht ein einziges Mal während ihrer drei Ehejahre war sie so auf ihren Mann eingegangen, der jetzt vielleicht tot war und mit blinden Augen in den pfirsichblütenfarbenen Himmel starrte. In dieser letzten Stunde des Tages, als Erschöpfung und Verdruß ihren Sinnen eine ungeahnte Hellsichtigkeit verliehen, erkannte sie, wie falsch sie sich Lance gegenüber verhalten hatte und wie auch er ihr gegenüber versagt hatte. Er hatte sie geliebt, doch Liebe allein genügte nicht. Er hatte sie gleichsam auf ein Podest gestellt, hatte zuviel Rücksicht auf sie genommen, hatte sie gleichsam in Watte gepackt. Ihm fehlte die rauhbeinige Art eines Neil Adams, das Selbstbewußtsein, die kalte Sicherheit seines Auftretens. Sogar jetzt, trotz aller Angst um ihren Mann, konnte sie die Vor- und Nachteile seines Todes abwägen, als hätte er mit ihrem Leben überhaupt nichts zu tun.
Merkwürdig, hier in der Einsamkeit des engen Flußtales konnte sie sich diesem Gedanken ohne Gewissensbisse hingeben – wenn auch nicht ohne Bedauern.
Als die Pferde genug getrunken hatten, machte Mary sie am Stamm einer Palme nahe der Böschung fest, dann ging sie langsam am Ufer entlang und begann, Treibholz und Äste fürs Feuer zu sammeln. Mit jedem Armvoll Holz entfernte sie sich ein Stück weiter von den Pferden und dem Gewehr, und der Rückweg in dem verblassenden Licht dauerte jedesmal ein bißchen länger. Anfangs war sie nervös; ihre Augen wanderten unruhig zwischen den Schatten im Gebüsch hin und her, und alle möglichen Schreckgespenster stiegen vor ihren Augen auf. Doch langsam legte sich die innere Spannung, bis sie sich schließlich einreden konnte: Ich hab' keine Angst. Hier gibt's Wasser, Sand und Felsen, und die Bäume rauschen im Wind; ich laufe dazwischen herum wie in meinem eigenen Garten. Die Schrecken sind ganz woanders – bei Lance, bei Billy-Jo, bei Adams, aber nicht bei mir.
Sie hatte das Treibholz auf dem Sand aufgestapelt und fühlte sich verschwitzt, schmutzig und unbehaglich. Sie schaute sich suchend nach einer Stelle um, wo sie sich waschen könnte, und zwanzig Meter stromaufwärts fand sie einen kleinen Tümpel zwischen den Felsen. Er war tief, von zackigen Sandsteinen eingefaßt und schimmerte kristallklar über sandigem Grund. Bunte Fische schwammen darin im sinkenden Sonnenlicht. Sie prüfte die Temperatur mit der Hand – das Wasser war noch warm von der Hitze des Tages. Kurz entschlossen zog sie sich aus, legte ihre Kleider ordentlich auf eine Felsenplatte und stieg so weit ins Wasser, bis es ihre Brüste bedeckte und um ihre Kehle plätscherte.
Es wirkte wie Balsam auf ihrer ausgedörrten Haut. Es spülte Schwäche, Wundheit und den roten Staub von ihr ab. Sie schien ein neues Geschöpf zu sein, das gelassen, zufrieden und unverwundbar in einem unbekannten Element dahintrieb. Die Schatten der Bäume wurden länger und legten sich gewichtslos auf ihren Körper, der Pfirsichblütenhimmel verdunkelte sich langsam zu karminrot, der Chor der Grillen schwoll immer stärker an, und die erste leichte Abendkühle strich über die Flußlandschaft. Mary ruhte immer noch in dem Wasser und hatte das Gefühl, wie neugeboren zu sein, als sie aus der Ferne jenseits des Flusses Billy-Jo rufen hörte: »… Dillon … Boss Dillon …!«
Und darauf von noch weiter weg ein langgezogenes angestrengtes Schreien aus Adams' Kehle: »Dillon! … Geben Sie Antwort! Wo sind Sie? Dillon!«
Mundaru, der Mann des Büffels, hörte es auch – so nah, daß er die Gestalt des rufenden Mannes durch die Grashalme erblicken konnte. Mit einem einzigen Sprung, mit einem einzigen Stoß seines Speeres hätte er ihn für immer zum Schweigen bringen können; doch wie ein erschrecktes Kaninchen blieb Mundaru still im tiefen Gras hocken, bis Mann und Stimme sich wieder entfernt hatten. Der hier war nicht sein Opfer. Den zu töten hätte keinen Sinn. Außerdem war er hungrig und müde von der Suche und von dem langen heftigen Kampf mit Menyan, bis er sie überwältigt hatte.
Damit hatte er nicht gerechnet: mit ihrer panischen Angst und ihrem verzweifelten Widerstand, als wäre er unrein oder ein Wesen aus dem Reich der Geister. Abwehr, ja; scheinbare Flucht, um dann schließlich doch nachzugeben – das gehörte zum Ritual einer Stammesentführung, wenn eine junge Frau einem alternden Gatten entzogen wurde. Die Frau mußte erst Treue beweisen, bevor sie untreu sein durfte, und der Mann mußte Stärke zeigen, bevor er die Frau eines anderen besitzen durfte.
Aber Menyans Reaktion war weit darüber hinausgegangen: dem ersten sprachlosen Entsetzen war der hoffnungslose Befreiungskampf eines gefangenen Vogels gefolgt. Er hatte sie am Ende würgen und grausam zusammenschlagen müssen, bevor er von ihr hatte Besitz nehmen können. Erst eine Stunde später, als ein schaler Ekel ihn überkam, ging ihm der Grund für Menyans Ablehnung auf: sie wußte, was er selbst nur vermutet hatte. Der Stamm hatte ihn also verurteilt. Die magischen Zeichen waren gegen ihn gerichtet, der Todessang auf ihn angestimmt worden. Die Todesboten waren schon auf dem Weg zu ihm.
Jetzt saß er versteckt im mannshohen Gras, lauschte den sich entfernenden Rufen des weißen Mannes und horchte gleichzeitig auf die Geräusche, mit welchen sich die Kadaitjamänner ankündigen würden. Er klammerte sich an seine letzte, verzweifelte Hoffnung: daß er sein eigenes Opfer finden, dessen Leber essen und sich so gegen die Magie der Rächer wappnen könnte. Gelang ihm das nicht, war er verloren – dann konnte er sich gleich hinlegen und auf den Tod warten. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Langsam senkte sich die Nacht auf das Land, die er allein verbringen mußte, ohne Feuer, ohne Gesellschaft, auf der Suche nach seinem Opfer. Er umschloß seine Knie mit den Händen, ließ den Kopf vornüber fallen und versank wie ein Tier in einen leichten Schlaf, während ferne Stimmen das Summen der nächtlichen Insekten übertönten.
»Dillon! … Wo sind Sie? Dillon …!«
Die Kadaitjamänner hörten die Stimmen ebenfalls und erschauerten, während sie ihre bemalten Gesichter wie Spürhunde nach dem Geräusch umdrehten. Sie verstanden zwar die Worte nicht, wußten aber, was sie bedeuteten: Die weißen Männer suchten ihren verlorenen Bruder. Mochte er tot sein oder lebendig – das machte keinen Unterschied. Doch von denen, die ihn suchten, ging Gefahr aus; sie behinderten möglicherweise ihr Ritual, dessen Durchführung für die Sicherheit des Stammes notwendig war. Fanden die Weißen Mundaru zuerst, würden sie ihn irgendwohin bringen, wo er für die heiligen Speere unerreichbar war. Aber solange sie noch riefen, hatten sie ihn nicht gefunden. Er versteckte sich bestimmt in der Endlosigkeit der Grassteppe, deren Gräser höher waren als der größte Mann. Dem konnte er jetzt nicht entfliehen. Er mußte die Nacht im Sumpf verbringen. In der Dunkelheit war er blind und würde von Geistern verfolgt. Sie selbst fürchteten sich nicht vor der Finsternis, denn sie unterstanden einem mächtigen Zauber, und ein allsehendes Auge saß in ihren kleinen Zehen unter den federgeschmückten Stiefeln.
Unbeweglich und aufmerksam warteten sie auf das Zeichen ihres Anführers, das ihnen verkünden würde, was sie zu tun hatten. Vor ihnen klang das Rufen noch eine Zeitlang fort und verstummte dann. In der darauffolgenden Stille hörten sie ihr Signal – den Ruf eines Peitschenvogels, einmal, zweimal und noch einmal. Langsam liefen sie los; leicht, im Rhythmus des Windes, teilten sie die Gräser, ohne ein Blatt oder einen Halm zu verletzen. Aus der Ferne ertönten deutlich vernehmbar abermals Rufe, doch diesmal in einer neuen Tonart, schneidend und dringend: »Billy-Jo! Hierher! Schnell, beeil dich!«
Lance Dillon vernahm all diese Stimmen nur undeutlich durch den Schleier seines Fiebers. Für ihn bedeuteten sie nichts weiter als neue gestaltlose Alpträume, gegen welche der ermattete Mechanismus seines Geistes sich ständig wehren mußte, während er wie ein Reptil schwerfällig über die Graswurzeln kroch.
In den endlosen letzten Stunden hatte er viel gelernt: daß Zeit relativ ist; daß der Schmerz einen Höhepunkt erreicht, dem Empfindungslosigkeit folgt; daß kranke Menschen Visionen haben, daß der Verstand sich über einen messerrückenschmalen Pfad bewegt, auf dessen beiden Seiten abgrundtiefe Finsternis und schreiender Wahnsinn lauern, daß ein Mensch, einmal in den finsteren Abgrund gestürzt, nur noch blindlings auf ein Ziel zustrebt, das einst deutlich vor ihm lag, aber jetzt wie ein Leuchtfeuer im Sturm längst erloschen ist. Blinder Wille war es, der das müde Herz in Gang hielt und das kranke Blut durch den Kreislauf der Arterien, Venen und Haargefäße pumpte. Der Wille war es auch, der die Hände abwechselnd vorwärts greifen ließ, um den Körper wie eine gedunsene Fleischmasse hinter sich herzuziehen. Der Wille hielt die verquollenen, eiterverklebten Augen offen; er erstickte das gequälte Stöhnen vor Sonnenbrand und Insektengift; er verscheuchte die Alpträume und brachte jene verführerischen Stimmen zum Schweigen, die ihm befahlen, sich hinzulegen und zu schlafen, aufzustehen und den Speeren zu trotzen und um Mitleid zu wimmern in dieser mitleidlosen Welt.
Doch es gab auch eine Grenze für das, was der Wille vermochte. Nach und nach erschlafften die Werkzeuge, über die er verfügte … Fleisch, Muskeln, Blut und die Kraft in den Knochen. Eins nach dem anderen würde die Arbeit einstellen, bis das innerste Triebwerk versagte und zum Stillstand kam.
Lance Dillon war nicht mehr bei Sinnen, doch eines wußte er mit Bestimmtheit: er mußte in Bewegung bleiben. Alles andere war Illusion – Irrlichter, die ihn ins Verderben lockten. Deshalb ignorierte er die Stimmen, die seinen Namen riefen, und schleppte sich weiter. Doch da er halb blind war, merkte er nicht, daß er sich bei der Feststellung des Sonnenstandes geirrt hatte und sich mit jeder Bewegung mehr vom Fluß und von seinen Rettern entfernte.
Die Dunkelheit brach mit einem Schlag herein, und Mary Dillon häufte mehr Holz aufs Feuer, so daß die züngelnden Flammen eine kleine Lichtinsel auf dem Sand bildeten. Sie konnte nicht zu kochen anfangen, ehe das brennende Holz nicht zu Kohle verglüht war; doch sie brauchte Wärme und Helligkeit, um die Schrecken der Nacht abzuwehren. Schon länger hatte sie keine Rufe mehr gehört, überhaupt keinen einzigen menschlichen Laut – nichts als das leise Plätschern des Wassers, das allmählich ersterbende Zwitschern der schläfrigen Vögel, den schwerfälligen Aufsprung eines Zwergkänguruhs und das Flattern der Fledermäuse, die sich aus den Schatten auf das sternengesprenkelte Wasser stürzten.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Am liebsten hätte sie mit aller Kraft nach Adams und Billy-Jo gerufen, doch die Angst vor einem spottenden Echo aus der Wildnis hielt sie zurück. Bilder aus Erzählungen der alten Buschmänner formten sich ihr zu Schreckgespenstern, die außerhalb des Feuerscheins lauerten: der kläffende Monsterkauz, der in dunklen Teichen hauste, der kopflose Viehtreiber von Stone Country, das Totemkrokodil, welches mit einer Haarnadel in seinen Zähnen stocherte und zu jedem Geburtstag eine weiße Frau verzehrte, der irre Herzog von Kilparinga, Erbe eines englischen Adelstitels, der mit einem Beil Amok lief, weil er sich bei einem eingeborenen Mädchen den Aussatz geholt hatte. Früher hatte sie sich über diese verrückten Geschichten der einfachen Männer in den Kneipen des Buschgebietes amüsiert, aber hier unten am Fluß nahmen sie plötzlich eine beängstigend realistische Gestalt an.
Um sich abzulenken, schnürte sie die Packsäcke auf und legte Lebensmittel und Eßgeschirr zurecht. Die Blechteller glitten ihr scheppernd aus der Hand. Die aufgeschreckten Pferde wieherten, und aus den Blättern über ihrem Kopf entfloh ein Vogel kreischend in die Nacht. Sie warf sich in den Sand und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Dann hörte sie unten vom Fluß her das platschende Geräusch von im Wasser watenden Menschen und den vertrauten Klang von Adams' Stimme. Beschämt und erleichtert sammelte sie die Teller auf, und kurz darauf bot sie das friedliche Bild einer braven Frau, die das Abendessen vorbereitet. Doch als Adams und Billy-Jo in den Schein ihres Feuers traten, traf Mary ein neuer Schock. Über den Schultern Billy-Jos hing der schlaffe Körper eines eingeborenen Mädchens. Adams, mit finsterer Miene und verkniffenem Mund, sagte kurz: »Wir haben sie drüben nahe dem Sumpf gefunden. Ihr Zustand ist jämmerlich. Leg sie hin, Billy-Jo.«
Der Spurenleser bettete den dunklen kindlichen Körper in den Sand, und Mary stockte der Atem, als sie das ganze Ausmaß der Verletzungen erkannte. Das Gesicht war zu einem blutigen Klumpen geschlagen. Die Brüste waren wie von Tierklauen zerkratzt, die schmalen Hüften blutüberströmt. Das Mädchen lebte, doch sein Atem ging flach und ungleichmäßig. Mary sah Adams erschrocken an.
»Wer ist das? Was ist mit ihr passiert?«
»Geschlagen und vergewaltigt. Sie ist verheiratet, das sieht man am Lendenschurz. Sie hatte abseits von den anderen Frauen Nahrung gesammelt. Wer auch immer ihr das angetan hat, er muß sie überrascht haben. Sie hat sich gewehrt, und dabei wurde sie so zugerichtet. Mehr wissen wir nicht.«
»Sie ist ja noch ein Kind.«
»In dieser Gegend heiraten sie früh.«
»Das ist furchtbar … furchtbar.« Mary drehte sich weg, denn Übelkeit stieg in ihr hoch. Adams beugte sich über den kleinen geschändeten Körper und untersuchte ihn mit peinlicher Sorgfalt. Ohne sich umzudrehen, rief er scharf: »Mary! Bringen Sie mir eine Wasserflasche und den Whisky.«
Sie gehorchte. Er hob den Kopf des Mädchens und zwängte ihm ein paar Tropfen unverdünnten Schnaps in den gebrochenen Mund, dann legte er die Kleine in den Sand zurück und stand kopfschüttelnd auf.
»Sie stirbt heute nacht. Ich würde vorher gern noch ein paar Worte von ihr wissen. Versuchen Sie, ob Sie sie nicht ein wenig säubern können, danach decken Sie sie zu und behandeln ihr Gesicht.«
Nach kurzem Zögern nahm Mary wortlos Decken und ein Handtuch aus den Satteltaschen. Adams legte sanft eine Hand auf ihre Schulter und sagte müde: »Tut mir leid, Mary, daß ich Ihnen nichts über Ihren Mann sagen kann. Wir brauchen wohl noch einen halben Tag, um in dem Gras da drüben auf seine Spuren zu stoßen.«
In einer Geste der Ratlosigkeit fuhr er sich mit der Hand durch sein dichtes Haar.
»Auf irgendeine Weise ist das Mädchen in diese Angelegenheit verwickelt, aber ich sehe den Zusammenhang noch nicht. Möglicherweise hat sie der gleiche Mann vergewaltigt, der hinter Lance her ist.«
»Wieso ein Mann? Ich denke, es geht um mehrere?«
Adams nickte.
»Am Anfang ja. Gestern haben eine Menge den Fluß abgesucht. Sie haben auch nachts dort gelagert. Aber als wir uns auf der anderen Seite den Boden vornahmen, haben wir nur die Spuren von einem einzelnen Mann gefunden. Billy-Jo scheint anzunehmen, daß die anderen zum Lager zurückgekehrt sind und es dem einen überlassen haben, Ihren Mann zu verfolgen. Allerdings sind das alles bloß Vermutungen. Wenn wir das Mädchen durchbringen könnten …« Er lächelte und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. »Ich weiß, das ist keine angenehme Aufgabe, aber tun Sie, was Sie können.«
Wieder stieg dieser verschämte Stolz in ihr auf, weil Adams ihr soviel zutraute, und sie war froh, daß er sie nicht gesehen hatte, als Angst und Verzagtheit über sie kamen. Sie sagte einfach: »In zehn Minuten mach' ich das Abendessen.«
»Danke. Ich glaube, wir alle können's brauchen.« Er streckte sich auf dem Sand aus, lehnte seinen Kopf gegen einen Sattel, zündete sich eine Zigarette an und blickte starr zu dem samtenen Himmel hinauf, an dem die Sterne so tief wie Lampions hingen.
Auch er besaß seinen Stolz, und dazu gehörte es, daß er in Gegenwart dieser Frau, der Frau eines anderen Mannes, nichts von seiner Stärke, Erfahrung und Klugheit aufgab. Seiner Meinung nach war Dillon tot, aber bevor er das nicht beweisen konnte, durfte es nicht ausgesprochen werden; denn dadurch könnte eine Situation entstehen, der er sich jetzt nicht gewachsen fühlte.
Die Schändung der Kindfrau war ihm ein Rätsel. Das paßte nicht zu dem, was er über die Sitten der Eingeborenen wußte. Untreue spielte in den Stammesgesetzen keine große Rolle, wenn dabei die allgemeine Ordnung nicht gestört und der Gatte vor Demütigungen bewahrt wurde. Ein Mädchen in diesem Alter war wahrscheinlich mit einem alten Mann verheiratet. Sie konnte damit rechnen, daß früher oder später ein junger Mann kommen und sie entweder heimlich verführen oder entführen und die entsprechende Strafe zahlen würde. In jedwedem Fall geschah das nur unter der Voraussetzung, daß das Mädchen einverstanden war. Die meisten Eingeborenen prahlten mit ihrer Männlichkeit und behaupteten, daß ihre Frauen unersättlich seien. Vergewaltigung innerhalb eines Stammes war ein ungewöhnliches Verbrechen, weil es für eine solche Tat einfach keinen Anlaß gab.
Aber er entdeckte noch andere Ungereimtheiten. Als Territoriumspolizist kannte Adams sich ein wenig in Gerichtsmedizin aus und wußte einiges über die sexuellen Gewohnheiten der Primitiven. Er hatte schon mehr als einen Fall sadistischer Verstümmelung erlebt. Aber auf das Mädchen hier im Sand traf auch das nicht zu. Sie hatte mit dem Angreifer gekämpft und war durch Schläge zur Unterwerfung gezwungen worden. Wieder stellte er sich die Frage: warum? Sie war allein gewesen. Sie brauchte weder Ruf noch Ehre zu verteidigen. Sie mußte den Mann gekannt haben. Warum hatte sie lieber Gewalt und Tod in Kauf genommen, als ihm zu Willen zu sein?
Ein neuer Gedanke nahm erst zögernd, dann immer deutlicher Gestalt an. Entschlossen stand Adams auf, ging zu Mary hinüber und sah ihr zu, wie sie das Gesicht des Mädchens mit einem feuchten Handtuch wusch, während Billy-Jo, auf den Fersen hockend, fortwährend ins Leere starrte.
Nach einer Weile ergriff ein Schüttelfrost das Mädchen, seine Augenlider flatterten, und sein Kopf rollte ständig hin und her. Ein unverständliches Lallen kam von den geschwollenen Lippen. Adams nahm Mary das Handtuch weg und reichte es Billy-Jo.
»Mach du weiter. Wenn sie zu sich kommt, sprich mit ihr.«
Der dunkelhäutige Mann nickte und redete in dem sanften Singsang seiner Stammessprache auf sie ein. Adams nahm Mary bei der Hand und führte sie aus dem Feuerschein heraus an den Rand des Wassers. Sie sah ihn fragend an: »Warum haben Sie das gemacht?«
»Aus reiner Taktik, Mary. Wenn sie aufwachen und Sie erblicken würde, bekäme sie Angst. Sie würde wahrscheinlich kein Wort sagen. Außerdem spricht Billy-Jo ihre Sprache. Er ist der einzige, der mit dem Mädchen umgehen kann.«
»Sie verstehen wirklich was von Ihrem Job, Neil!«
Ihre Stimme war voller Bewunderung.
»Ich kenne das Land, Mary. Ich mag meinen Job … die meiste Zeit jedenfalls.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Er hob beschwichtigend die Hände.
»Nichts Wichtiges. Nur, daß die Arbeit einfacher ist, wenn keine persönlichen Interessen mit hineinspielen.«
Sie wandte sich ihm zu und blickte ihn scharf an, doch er starrte in den dunklen Fluß.
»Und jetzt spielen persönliche Interessen mit?«
»In gewisser Weise – ja.«
»Wollen Sie nicht darüber reden, Neil?«
»Nein. Jedenfalls nicht jetzt.«
Wie auf einen geheimen Befehl hin wandten sie sich zur Seite und wanderten am Ufer entlang, während die Stimmen hinter ihnen leise murmelten. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, schienen sie sich einig, ihre Gedanken und Gefühle schwangen im Gleichklang ihrer Schritte. Sie schwiegen und sprachen miteinander, beides voller Harmonie, und eine unausgesprochene Vertrautheit verband beide miteinander.
»Neil?«
»Ja, Mary?«
»Das junge Mädchen da … was mit ihr passiert ist … wie können Menschen – gerade primitive Menschen – so brutal sein?«
»Aber, Mary, das sind sie doch gar nicht. Sie leben anders als wir, aber sie sind nicht brutal. Sie lieben ihre Kinder. Sie lieben ihre Frauen. Sie sind zärtlich zu ihnen, auch wenn sie unsere Art zu küssen nicht kennen. Wenn Sie nur einmal durch eines ihrer Lager gehen, können Sie sehen, wie rührend ein Mann seine kranke Frau pflegt, ihr das Haar streichelt, ihr mit einem Blatt zufächelt, ihr etwas vorsingt. Und derselbe Mann hat vielleicht während eines langen Trecks, als das Wasser knapp war, ihr neugeborenes Kind getötet. Diese beiden Haltungen lassen sich durchaus miteinander vereinen. Sie gehören einfach in verschiedene Kategorien. Zu überleben steht an erster Stelle, und zwar muß die Gruppe überleben. Ein Säugling könnte die Mutter zu sehr schwächen, so daß sie zurückbliebe und ihre Pflicht als Mitglied des Trecks nicht mehr erfüllen könnte. Der Bursche, der das Mädchen geschändet hat, ist für seinen Stamm genauso ein Verbrecher wie für uns. In vielen Dingen ähneln sich unsere Auffassungen, in anderen sind sie verschieden, weil unsere Lebensweise so unterschiedlich ist.«
»Lance hat auch schon versucht, mir das zu erklären. Ich habe mich bisher nie dafür interessiert.«
»Sie brauchten sich auch nicht dafür zu interessieren. Ihr Mann hat ja für Sie mitgedacht.«
Es lag keine Bosheit in seinem Tonfall. Er stellte einfach eine Tatsache fest.
»Meinen Sie, das war ein Fehler?«
»Ich bin Polizist und kein Richter, Mary.«
Sie gingen weiter und kamen schließlich zu einer Felsenplatte, die sich ins Wasser hineinschob. Sie setzten sich; Adams zündete zwei Zigaretten an und reichte ihr eine; sie rauchten und beobachteten die wirbelnden Strudel am Fuß des Felsens. Nach langem Schweigen fragte sie ihn zögernd: »Neil, könnten Sie mir eins erklären?«
»Das kommt drauf an«, antwortete er ihr mit einem ironischen Unterton. »Im Moment kann ich mir selbst eine Menge Dinge nicht erklären. Um was geht es denn?«
»Um mich … und um Lance. Wie passiert so etwas? Wie können zwei Menschen sich erst lieben, und nach ein paar Jahren Zusammenlebens endet es dann … so, wie es jetzt mit uns steht?«
»Und was heißt: ›So, wie es mit uns jetzt steht‹?«
Ihre Hände fingerten hilflos herum, als wollten sie die Antwort aus der Luft pflücken.
»Von Lance weiß ich nur, daß er mich liebt, daß er jedoch gekränkt und enttäuscht ist und daß seine Liebe deshalb langsam in Abneigung umschlägt. Und ich …« Sie schnippte ihren Zigarettenstummel ins Wasser und sah ihm nach, wie er in die Dunkelheit trieb. »Und ich … Ich bin über mich selbst erschrocken. Irgendwo da drüben liegt Lance, verwundet oder tot. Ich äußere sämtliche Empfindungen einer guten und treuen Ehefrau, aber tief in meinem Inneren ist er mir gleichgültig.«
Ihre Stimme bekam einen spitzen hysterischen Klang. »Verstehen Sie? Er ist mir völlig gleichgültig!«
»Sie haben einen schweren Tag hinter sich«, sagte Neil Adams nüchtern. »In Ihrer Verfassung ist einem einfach alles egal. In dieser Beziehung geht es mir übrigens genauso.«
»Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen, Neil?«
»Ich will überhaupt nichts mehr sagen, Mary.« Er lächelte sie spöttisch von der Seite an. »Auch nicht, daß wir uns unsere Indiskretionen bis zum Frühstück aufheben sollten. Sie sind müde, und ich bin es auch. Gehen wir zurück und essen wir etwas.«
Am Lagerfeuer hockte Billy-Jo friedlich rauchend neben der Glut. Das eingeborene Mädchen war in ihre Bewußtlosigkeit zurückgesunken, in ihren Mundwinkeln hatte sich schleimiger Schaum gebildet. Adams betrachtete sie kurz und ging dann zu Billy-Jo, um sich mit ihm zu besprechen. Mary beschäftigte sich mit den Vorbereitungen für das Essen und lauschte dabei der kurzen, leisen Unterhaltung.
»Hast du etwas aus ihr herausgekriegt, Billy-Jo?«
Der Fährtenleser nickte, seine alten Augen blickten triumphierend.
»Ihr Name Menyan, Boss. Frau von Willinja, großer Zauberer. Mann sie geschlagen, wollte sie schon lange haben.«
»Und warum hat sie nicht gewollt?«
»Willinja zeigen ihm Knochen, singen ihm Tod. Schicken Kadaitjamänner, ihn töten. Frau will nicht toten Mann.«
»Warum haben sie mit dem Knochen auf ihn gezeigt?«
»Er töten Bullen. Versuchen zu töten weißen Mann. Schwarze Leute wollen nicht Ärger mit dir, Boss.«
»Wie heißt der Bursche?«
»Mundaru, Mann von Büffel.«
»So ist das also!« Adams' Gesicht hellte sich auf, als ihm die Zusammenhänge dämmerten. Doch dann, als ihm die Situation klar bewußt wurde, verfinsterte sich sein Blick wieder. »Und alle sind jetzt da drüben! – Kadaitjamänner, Mundaru und Dillon.«
Der Farbige schüttelte den Kopf und warf einen bedeutungsvollen Blick zu Mary hinüber. Seine Stimme dämpfte sich zu einem Flüstern.
»Dillon tot, Boss.«
»Woher weißt du das?«
»Ist einfach, Boss. Schwarzer Mann machen so: töten erst, dann essen Leberfett, machen ihn stark. Nehmen Frau hinterher.«
Stirnrunzelnd überdachte Adams diese simple und sachliche Logik. Sie war leicht zu begreifen und paßte genau in das im Kreis verlaufende Denken der Primitiven. Und doch war da ein Haken, und dieser Haken war Dillon selbst – der Mann des zwanzigsten Jahrhunderts, der sich nicht an die uralten Gesetze gehalten hatte und dadurch in diese nicht vorauszusehende Lage geraten war.
Ein plötzliches Geräusch unterbrach den Lauf seiner Gedanken, ein Krachen und Splittern, ein lautes Plätschern, dann ein Glucksen im Wasser.
»Krokodil, Boss!« sagte Billy-Jo aufgeregt.
Aber Adams hatte sein Gewehr schon in der Hand und entsichert, während er den Schatten auf der anderen Seite des Flusses anstarrte. Mary Dillon bewunderte seine schnelle, automatische Reaktion.
»Da drüben, Boss, bei Treibholz.«
Die scharfen Augen des Spurenlesers hatten einen Schimmer von Mondlicht auf schuppiger Haut eingefangen.
»Ich sehe schon. Ein großer Bursche.«
Drei Sekunden später feuerte Adams, und die große Echse schlug um sich und warf sich im Wasser hin und her, ihr Schwanz fegte die angeschwemmten Steine in alle Himmelsrichtungen. Nach einer Weile ließen die Schläge nach, das Krokodil rollte auf den Rücken, so daß sein bleicher Bauch zu sehen war, und blieb in dem Stauwasser unter den Pandangwurzeln liegen.
Ohne eine Aufforderung abzuwarten, stürzte sich Billy-Jo in das flache Wasser und watete durch den Fluß. Krokodilhäute waren Gold wert, und da ein Polizist keinen privaten Handel treiben durfte, gehörte dieser Nebenverdienst ihm. Plötzlich blieb er im Wasser stehen, das ihm bis zur Taille reichte, und sie sahen, wie er etwas herausfischte. Darauf kehrte er sich von der toten Bestie ab und prüfte das angesammelte Treibholz. Sie sahen, wie er es auseinanderbog, in dem Durcheinander herumwatete und dann lange den dunklen Bereich dahinter erforschte.
Nach fünf Minuten stand er wieder am Lagerfeuer, tropfnaß, doch siegesbewußt. In seinen Händen hielt er Dillons Hemd und Hose und die lange gezackte Spitze von Mundarus Speer.