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Der Chulik löste den Helm von seinem Gürtel und setzte ihn auf den goldenen Schädel, auf den er so stolz war. Stolz ist ein Gefühl, das Chuliks kennen. Von Geburt an zu Kämpfern und Söldnern ausgebildet, sind ihnen die sanfteren menschlichen Gefühle weitgehend fremd. Die drei Zoll langen Hauer ragten ihm aus den Mundwinkeln und waren – natürlich – in Gold gefaßt.

»Wir kommen hier raus, wenn wir müssen, meine Dame.«

»Ja, Scancho, daran zweifle ich nicht.«

Wenigstens gab es einen, der die anderen bei Laune zu halten versuchte.

Dame Hebe fuhr fort: »Es wäre besser, wenn die anderen weiter vorn nichts davon erführen. Sag deinen Leuten das gleiche, Scancho. Wenn sie mir nicht gehorchen, ergeht es ihnen schlecht, das wissen sie.«

»Quidang, meine Dame.«

Sie warf Seg, Nath und mir einen forschenden Blick zu und setzte hinzu: »Auch ihr solltet eure Weinschnuten geschlossen halten. Dernun?«

Ich war wie bedrückt. Sie hatte einen bildhaften Ausdruck verwendet, der beim einfachen kregischen Volk gebräuchlicher war als beim hohen Adel. Die Art und Weise, wie sie schließlich ihr ›Dernun‹ herausbrachte – bestimmt, forsch, basta –, wies sie als Person aus, die das Befehlen gewöhnt war. Allmählich bildete ich mir eine hübsche kleine Theorie, was unsere Dame Hebe anging.

»Ich informiere Kov Loriman und Strom Tothor«, sagte ich gelassen.

Wieder der forsche, verdammende Blick. Dann: »Ja.«

Der Chulik, der Jiktar-Abzeichen trug, wollte Widerworte machen, aber schon marschierte ich durch den Gang, und Seg und Nath folgten mir. Wie auch immer – die Frau bildete ein neues interessantes, wenn auch nicht sonderlich bedeutendes Rätsel hier unten im Labyrinth des Coup Blag, wo so manches Rätsel eine umwerfende Wirkung entfaltete und sich damit als wichtig, als angsteinflößend wichtig entpuppte, bei Vox!

Die anderen waren an etlichen Türen vorbeimarschiert, die nun offenstanden. Vermutlich hatte man hinter jede geschaut. Die Räume waren leer, einige sauber, andere verstaubt, und einige erfüllt von üblem Verwesungsgestank, der sich noch lange in der Luft halten würde.

Hurngal hatte an einer Korridorkreuzung einen Sklaven postiert. Der arme Bursche zitterte vom kahlen Kopf bis zu den nackten Füßen, ihm stand der Angstschweiß auf der – leider nicht eingefetteten – Stirn. Er wies uns den Weg geradeaus. So folgten wir mit Hebes Gruppe dem Sklaven in die nächste Höhle. Hier gab es nichts Bemerkenswertes zu sehen, bis auf einen Toten in der Ecke, einen Apim, der meiner Ansicht nach nicht zu uns gehörte. Wir eilten durch die mittlere von fünf Türen und folgten dahinter einem gewundenen Gang, der mehr nach links als nach rechts führte und uns schließlich in einen hellerleuchteten, ziemlich großen sechseckigen Raum führte. Hier entbrannte in der Expedition wieder einmal die Diskussion um den besten weiteren Weg.

Ich schaute mich um und sagte zu Seg: »Eindeutig nicht der gleiche Raum, aber vermutlich dient er demselben Zweck wie der, den wir schon kennen.«

»Aye.«

»Wenn das so ist ...«

»Wenn das so ist, mein Dom, werde ich ein bißchen von dem Wein austeilen, den wir bei uns haben.«

Nath der Verstockte starrte uns an, doch nahm er bereitwillig den Krug Wein entgegen. Die übrigen schlossen sich an, wobei Dame Hebe dichter bei Hurngal stand als bei Loriman.

Der sechseckige Raum enthielt zwölf Türen, die in gleichmäßigen Abständen die Wände säumten. Jede Tür hatte eine unterschiedliche Farbe.

Etwa in der Mitte lagen zwei tote Chavonths und dicht dahinter ein dermaßen ungeordneter Haufen Knochen, daß es schon eines Paläontologen bedurft hätte, um festzustellen, welcher Diff-Rasse sie einmal gehört hatten. Vor der schwarzen Tür lag auch etwa ein halbes Dutzend in Stücke gehackte Höllenhunde. Die Sklaven wagten sich nicht in ihre Nähe, die Wächter stießen probehalber mit den Füßen dagegen.

Schließlich wählte Hurngal die grüne Tür, und die anderen folgten. Als die Höhle beinahe leer war, sagte Nath: »Am besten gehen wir auch.«

»Bleib ruhig, Nath. Die kommen zurück.«

»Ach?«

»Es sei denn, die Tür war die richtige.«

»Verstehe.«

Ich fragte mich, ob er das wirklich tat, ging aber nicht darauf ein. Er würde es schnell genug herausfinden, wenn nämlich die Expedition durch eine andere Tür müde und enttäuscht wieder hereinmarschieren würde.

Dies geschah ziemlich schnell – und man stieß auf uns, die wir da gelassen am Boden saßen und gesellig dem Wein zusprachen.

»In einer Herrelldrinischen Hölle, wie habt ihr es geschafft, vor uns hier zu sein?« wollte Loriman wissen. »Ich habe euch nicht vorausgehen sehen.«

»Das haben wir auch nicht getan, Pantor«, antwortete ich. »Hätten die Anführer dieser Expedition zugehört, hätten wir euch sagen können, daß die Chancen, hierher zurückzukehren, zehn zu zwei stehen.«

»Also, du Rast!« rief Hurngal. »Welche verdammte Tür ist dann die richtige?«

»Das wissen wir nicht genau. Beim letztenmal waren wir nicht in dieser Höhle, sondern in einer sehr ähnlichen – da führte die türkisgrüne Tür in einen großen Bankettsaal.«

»Dann gehe ich durch die türkisfarbene Tür«, verkündete Hurngal, als hätte er diese Wahl selbst getroffen.

»Ich würde mich wirklich gern ein Weilchen ausruhen«, sagte Dame Hebe. Ihr Chulik-Cadade, ihr Wachhauptmann stand finsteren Blickes neben ihr.

Loriman öffnete den Mund, und Hurngal sagte barsch: »Na schön, meine Dame. Aber nur eine kurze Rast, denn ich gedenke das Gold dieses Labyrinths zu ernten, bei Hanitcha dem Sorgenbringer!«

Nachdem wir uns ausgeruht hatten, erprobten wir die türkisfarbene Tür, und der vorausgehende Mann, ein Rapa, hatte gerade noch Zeit für einen kurzen Schrei, ehe er in dem Loch verschwand, das von seinem tastenden Stab geöffnet worden war.

Wir schauten in die Öffnung, doch unsere Fackeln zeigten nur kahle Wände, so weit das Licht reichte.

Wir schoben uns vorsichtig um die Falle herum, und die Stabschwinger arbeiteten nun mit besonderer Hingabe, das kann ich Ihnen sagen.

Gleichwohl begann plötzlich ein kräftiger, schwer gepanzerter Ranstak, ein Geschöpf mit verhüllten Augen und gedrungenen Gesichtszügen, wie trunken zu torkeln. Aus einem Schlitz in der Wand war ein Bolzen hervorgeschnellt und ihm in den Nacken gefahren. Er fiel zur Seite und ließ seinen Schwanz herumpeitschen, wie es ein Kataki in vergleichbarer Lage ebenso getan hätte. Die Männer mit den Holzstangen musterten nun jeden noch so geringen Schatten an den Wänden mit großem Mißtrauen.

Nun ja, sie lernten dazu, und die Lektionen kosteten Menschenleben.

Ich beugte mich über den Ranstak und löste einen Ledergürtel von seiner dicken Hüfte. Daran baumelte ein kurzes Schwert in seiner Scheide. Es hatte eine nicht zu breite gute Klinge, bestens geeignet für Nahkämpfe, wie man sie in Tunneln und Höhlen erwarten mußte.

Schließlich grüßte ich den Ranstak mit der Klinge und überantwortete ihn der Fürsorge seines Gottes, dessen Namen ich damals nicht kannte, und ging weiter.

»Du hast seine Rüstung nicht genommen«, stellte Nath fest.

»Zu klein.«

Mit diesem kurzen Schwert als Ergänzung für das Langschwert, das ich halb verdeckt auf dem Rücken trug, war ich schon halbwegs gut ausgerüstet. Seg und Nath würden meinem Beispiel folgen, wenn sich die Gelegenheit ergab; für mich war nämlich klar, daß die Expedition weitere Opfer fordern würde.

Ich wußte, daß Seg ein Auge auf einen großen rotschöpfigen Burschen geworfen hatte, der sich geschmeidig durch die Höhlen bewegte und einen Bogen in der Faust trug.

Zu was für Gedanken Menschen fähig sind, wenn es die Umstände erfordern!

Gleichwohl sagte ich zu Seg: »Vielleicht ist auf engem Raum der Verbund-Reflex-Bogen viel besser einzusetzen als ein langer, Seg. Wie bei den Schwertern.«

»Solche Überzeugungen mögen sich in den Köpfen von Schwächlingen festsetzen, mein alter Dom. Ich weiß nun mal Bescheid über Bögen.«

Nun ja, mehr war dazu nicht zu sagen, denn für mich gab es auf zwei Welten keinen besseren Bogenschützen als Seg Segutorio, der in diesen Landen als Seg der Horkandur bekannt war.

Bei der nächsten Gelegenheit – wir passierten gerade die Brücke über einen Abgrund, in dem Brände waberten und übelkeiterregende Dämpfe absonderten – schob ich mich an Loriman heran. Aus dem Höllenschlund im Boden stieg eine Wolke schwarzgeflügelter Gestalten empor: Ihre Augen funkelten rot, die Zähne wirkten wie Reihen gelber Nadeln, die klauenbewehrten Flügel flatterten vor dem Feuerschein. Mit Kreischlauten, die der Hölle zu entstammen schienen, attackierten sie uns als beißender, krallender Schreckensschwarm.

Sofort hieben alle um sich, ließen die Waffen kreisen, in dem verzweifelten Bemühen, sich der kleinen Ungeheuer zu erwehren. Die Wesen waren kaum größer als gut gewachsene Krähen, doch die nadelscharfen Zähne konnten das Fleisch offenlegen, die Krallen wirkten wie Enterhaken. Ich konnte einen kurzen Blick auf einen Rapa werfen, der von den Wesen besetzt war, als wollten sie ihn als Brutstätte benutzen. Zahlreiche Federn wirbelten.

Das kurze Schwert bestand hier seine Bewährungsprobe; ich konnte damit die Flugwesen wie bei einem makabren Tennisspiel fortschmettern. Lorimans Klinge funkelte neben mir. Wie viele Angreifer es geben mochte, konnten wir nicht wissen. Wir eilten im Laufschritt über die Brücke und hieben mit den Waffen um uns. Wie immer litten die Sklaven am meisten.

Ohne zu überprüfen, ob Seg bei mir blieb, hielt ich mich etwas zurück und versuchte den halbnackten Sklaven Deckung zu geben, die sich mit Hilfe ihrer Lasten zu schützen suchten. Die Flugmonstren stanken nach dem Höllenschlund unter uns. Die Brände, die Dämpfe, der Rauch, die sinnverwirrenden Schwärme der pelzigen Teufel – dies alles vereinigte sich zu einer Szene, die zu einem klassischen Höllenbild paßte.

San Aramplo, der Khibil-Magier, kroch auf Händen und Knien herum, Sklaven stolperten über ihn. Ich faßte mit der linken Hand unter seinen Arm und zerrte ihn hoch. Er hatte keine einzige Wunde erlitten, und ich verfehlte einen der kleinen Flieger, der San Aramplos Gesicht zu zerfetzen suchte. Die nadelscharfen Zähne prallten ab.

»Keine Zeit, keine Zeit«, stotterte der Khibil. Er streckte die rechte Hand aus und versuchte ein Zeichen zu machen – im gleichen Augenblick ging er beinahe zu Boden und versuchte einem neuen Angriff auszuweichen. Diesmal war ich zur Stelle und kämpfte das Inferno zurück.

»Wenn sie dir nichts tun können, stell dich hin und laß sie mit deiner Zauberkraft verschwinden!«

»So einfach ist das nicht, du Hulu – laß mich los!«

Ich versetzte ihm einen energischen Stoß in Richtung Tunnelöffnung am Ende der Brücke. »Und bleib den Sklaven aus dem Weg!« brüllte ich hinter ihm her.

Segs Schwert schnellte einen schwarzgeflügelten Teufel von meiner Schulter. »Wir scheinen diesmal einen ziemlichen Waschlappen als Zauberer erwischt zu haben, mein alter Dom!«

»Aye.« Hieb, Schwenk, Schlag um Schlag – immer neue Angreifer mußten vertrieben werden.

Schließlich erreichten wir den Schutz des Tunneleingangs und schauten zurück auf die Brücke, die wir passiert hatten. Sie war übersät mit Leichen und vereinzelten Bündeln; viele waren in den Abgrund gestürzt.

Wir erreichten allmählich das Innere des bösen Labyrinths von Coup Blag, bezahlten dafür aber einen hohen Preis.