10. Kapitel




Josh tigerte in seinem Büro auf und ab. Seit fast zwei Woche hatte er Cassandra nun weder gesprochen noch gesehen. Es brachte ihn schier um, nicht zu wissen, was los war.
Sie hatte sehr glaubhaft abgestritten, verheiratet und Mutter zu sein. Aber die Beweise waren erdrückend. Er fuhr sich mit seinen Händen wieder durch sein Haar, dass mittlerweile in alle Himmelsrichtungen abstand.
Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute musste er sich abhalten sie einfach anzurufen. Letzten Freitag wäre er beinahe wieder zum Weiberabend in die Bar gekommen, nur um einen Blick von ihr zu erhaschen. Er wusste noch nicht einmal, was er ihr hätte sagen sollen.
Sie stritt die Vorwürfe vehement ab. Sie wollte ihn nie wieder sehen. Und obwohl er noch kurz zuvor ihre Beziehung beendet hatte, störte ihn die Art, wie sie nach der Versöhnung wieder auseinander gegangen waren. Er wollte sie. Das wurde ihm in den letzten Tagen überaus deutlich bewusst.
Er konnte noch nicht einmal in seine Wohnung, ohne an sie erinnert zu werden. Überall sah er sie. Vor allem das Bett war ein großer Anreiz zur Depression. Und das Badezimmer. Zum Glück hatte er sie nie mit ins Herrenhaus genommen, sonst müsste er sich eine neue Schlafstätte suchen.
So konnte es nicht ewig weiter gehen. Er musste sich einfach mit ihr aussprechen. Mittlerweile war er schon an dem Punkt angelangt, dass er sie trotz Ehemann und Kind haben wollte. Würde sie sich besänftigen lassen? Würde sie wieder zu ihm kommen?
Er nahm kurz entschlossen sein Telefon in die Hand und wählte ihre Nummer. Zwar wusste er nicht, was genau er hätte sagen sollen, aber er musste einfach ihre Stimme hören. Nach dem dritten Läuten ging ein gehetzt klingender Charly ans Telefon.
"Ja?" Josh räusperte sich und fragte nach Cassandra. Missmutig gab Charly zurück: "Sie ist ausgezogen. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit." Im Hintergrund zeterte das Baby und Josh wurde hellhörig. Hatte Cass ihre Familie doch verlassen? Für ihn?
"Könnten sie mir ihre neue Adresse geben? Es geht um das nächste Klassentreffen." Charly nannte ihm schnell die Adresse und legte dann auf. Er schien es sehr eilig zu haben. Oder wollte er nur den Anrufer los werden? Hatte Cassandra ihm gesagt, dass sie einen Liebhaber hatte? Oder war er selbst dahinter gekommen? Auf jeden Fall stand jetzt nichts mehr zwischen ihm und ihr. Josh hatte gewonnen.
Triumphierend lächelte Josh das Telefon an. Warum sonst sollte sie ihre Familie verlassen, wenn nicht für ihn? Vielleicht war sie endlich zur Vernunft gekommen und würde sich mit ihm versöhnen.
Versöhnungssex.
Josh knurrte und vor seinem geistigen Auge erschienen verschiedene, erotische Bilder von ihm und Cassandra. Voller Vorfreude schnappte er sich seine Jacke und verließ das Herrenhaus.

Meine eigene Wohnung!
Cass war wirklich stolz auf sich, immerhin hatte sie bis jetzt alles allein gemanagt. Die Wohnungssuche hatte sie schon vor Monaten begonnen, war aber nicht konsequent gewesen, weil sie gern bei Charly und Charlott gewohnt hatte.
Außerdem hatte sie sich um die beiden gekümmert. Sie waren ihre Familie. Und sie hatten Cassandra damals mit offenen Armen empfangen, als ihre Wohnung abgebrannt war. Charly hatte ein langes Gesicht gemacht und wollte sie erst zum bleiben überreden, hatte aber eingesehen, dass es für alle so das Beste wäre.
Ihr war schon mehr als einmal aufgefallen, dass er sich in ihrer Gegenwart anders als früher verhielt. Es war nicht mehr rein freundschaftlich, sondern mehr wie ein schüchternes werben. Und sie hatte ganz bestimmt nicht vor, den Platz ihrer Schwester einzunehmen.
Als sie an dem katastrophalen Abend, als sie Josh verlassen hatte, mit Annika gesprochen hatte, war das Thema eigene Wohnung wieder aufgerollt worden. Ann war oft bei Cass und Charly Zuhause gewesen und hatte mittlerweile auch seine Blicke bemerkt.
"Meine Cousine trifft sich zur Zeit mit einem Makler. Soll ich sie mal Fragen, ob sie für dich was in die Wege leiten kann?" Und nun war sie hier. In einer hübschen, kleinen Wohnung mitten in der Stadt. Den Weg zu ihrer Arbeit könnte sie praktisch zu Fuß zurück legen und Annika wohnte fast nebenan.
Den Umzug hatte sie von einer Firma fahren lassen und letzten Freitag hatte sie mit ihren Freundinnen den Umzug gefeiert. Zu diesem Zeitpunkt standen noch nicht sehr viele Möbel in der Wohnung, einfach aus dem Grund, weil sie noch keine Zeit zum einkaufen gehabt hatte. Jetzt sah das schon anders aus. Überall standen elegante, weiße Landhausmöbel. Im Wohnzimmer war noch alles abgedeckt oder eingepackt, da sie hier mit der Wandgestaltung noch nicht so weit war.
Gerade als Cass damit beginnen wollte, eine der Wände im Wohnzimmer zu streichen, wurde sie von einem nervenden Dauerklingeln gestört. Vielleicht war auch nur wieder der Klingelknopf stecken geblieben. Das war seit ihrem Einzug schon zwei mal passiert. Einmal als Annika mit einer Pizza vorbei gekommen war und das zweite Mal, als die Mädels den Weiberabend in Cassandras neue Wohnung verlegt hatten.
"Meine Güte. Ich komme ja schon." Als sie die Tür öffnete, traute sie ihren Augen nicht.
"Was zum Teufel willst du hier?"

Er sabberte.
Oh Mann. Das war zu viel für ihn.
Sie stand nur mit einem dünnen Hemdchen und kurzen Shorts bekleidet vor ihm. Kein BH! Unter seinem Blick richteten sich ihre Brustwarzen zu kleinen, festen Kügelchen auf.
"Du bringst mich um", raunte er. Er wollte gerade auf sie zugehen und in seine Arme schließen, als sie ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
"Verpiss dich!" Völlig verdutzt stand er vor ihrer Tür und wartete. Als sie nach ein paar Minuten immer noch nicht die Tür geöffnet hatte, klopfte er an.
"Komm schon, Schatz. Lass mich rein." Aus der Wohnung kam kein Geräusch.
"Ich kann ewig hier stehen bleiben. Aber ich weiß nicht, ob das deinen neuen Nachbarn gefallen wird." Wütend riss sie die Tür auf. Zu seinem Leidwesen hatte sie sich einen Bademantel übergeworfen.
"Kannst du nicht einfach verschwinden und mich in Ruhe lassen?" Als sie die Tür wieder zuschlagen wollte, stellte er seinen Fuß in den Weg.
"Kannst du mir nicht ein paar Minuten deiner Zeit opfern? Danach lass ich dich in Ruhe, wenn es dann immer noch dein Wunsch sein sollte." Sie überlegte kurz und entfernte sich dann von der Tür. Josh sah seine Gelegenheit gekommen und betrat die Wohnung.
Überall standen neue Möbel, Kartons und Einkaufstüten. Er folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie wohl gerade über dem Streichen war.
"Hübsche Wohnung." Cass verschränkte die Arme vor der Brust, sah ihn missmutig an und fragte zornig: "Was willst du? Mir wieder irgendwelche Ehemänner und Kinder anhängen? Oder hältst du schon mal Ausschau, was du klauen könntest?" Joshs Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Strich.
"Es ist eine bewiesene Tatsache, dass du einen Mann und ein Kind hast. Und wenn du nicht auch etwas für mich empfinden würdest, dann wärst du nicht ausgezogen und hättest deine Familie verlassen." Stolz auf seine Argumentation sah er sie forschend an. Ihre Augen verrieten nichts. Dann ging sie zu einem Karton und holte ein Album heraus. Als sie es ihm zuwarf, fing er es ohne Probleme auf.
"Das Foto, dass du geklaut hast, zeigt meine Schwester. Meine
Zwillingsschwester
." Josh blätterte durch das Album und entdeckte immer wieder Fotos, auf denen zwei Cassandras abgebildet waren.
"Aber warum hast du bei Charly und dem Baby gewohnt?" Cassandra sah ihn grimmig an.
"Das Baby heißt Charlott. Meine Schwester ist vor ein paar Monaten bei einem Autounfall ums Leben gekommen und ein paar Tage davor ist meine Wohnung abgebrannt. Ich musste bei Charly und Carmen einziehen und nach Carmens Tod hab ich mich um Charlott gekümmert, weil Charly in ein großes, tiefes Loch gefallen ist."
Plötzlich hörte er ein leises Miauen.
Nein! Sie hat doch hoffentlich keine Katze!
Er hasste diese Viecher. Und das nicht nur, weil er ein Wolf war.
"Und warum bist du jetzt plötzlich ausgezogen?" Cass wich seinem Blick aus. Wenn es nicht die Affäre mit ihm war, was war es dann?
"Ich hatte es schon eher vor, aber ich hänge so sehr an Charlott. Außerdem war der Weg zur Arbeit früher viel länger als jetzt von hier aus." Konnte sie ihn nicht ansehen, weil sie log? Oder ertrug sie seinen Anblick nicht? Es konnte doch nicht einfach so vorbei sein. Das würde er nicht zulassen.
"Sieh mich an und sag mir, dass du mich nicht liebst." Cass sah ihn grimmig an, nicht voller Liebe und Begehren.
"Liebe hat etwas mit Vertrauen zu tun. Geh jetzt bitte." Als Josh etwas erwidern wollte, schrie sie wütend: "Verschwinde! Sofort!" Von ihrem Geschrei angelockt, kam plötzlich eine schwarze Katze angelaufen. Diese legte die Ohren an, fauchte und krallte sich anschließend auch noch in sein Hosenbein.
Dieses kleine Biest.

Noch bevor er reagieren konnte, nahm Cass die Katze in den Arm und drehte Josh den Rücken zu. Resigniert und auch etwas frustriert stieß er Luft aus. Im Moment kämpfte er auf verlorenem Posten. Sie etwas aufgewühlt, aber in ein paar Tagen würde sie sich wieder etwas beruhigt haben und noch einmal über alles nachdenken. Mit dieser kleinen Hoffnung im Kopf drehte er sich um und verließ er ihre Wohnung.