Hugh Grant ruft an

 

Aaaaaaaaaaaaaahhhhhh.

Oh Gott. Er ruft an.

»Es klingelt«, sagt der blinde Mann neben mir.

»Das höre ich«, sage ich etwas unbeherrscht. Ich bin schließlich nicht taub.

Oh Gott. ER ruft an. Mich, Hannah Jensen. Die schönste Stimme der Welt wird gleich mit mir sprechen. Nur mit mir.

Es klingelt noch immer. Inzwischen sieht auch das Liebespaar in meine Richtung.

Ich muss handeln. Und nehme ab.

»Hallo?« Oh Gott. Meine Stimme hat sich schrill angehört. Ich räuspere mich und sage eine Oktave tiefer: »Wer ist da?«

Patrick Winczewski sagt »Hier ist Patrick Winczewski« und ich unterdrücke einen kurzen Schrei.

Er fragt, wann es mir morgen passen würde.

»Mir egal«, fiepe ich. »Ich habe immer Zeit.«

Er fragt, wo wir uns am besten treffen könnten.

»Mir egal. Mir ist alles recht.«

Er schlägt das Madison am Hafen vor.

»Gerne, ich komme, auf jeden Fall, ich freu mich.«

Wir legen auf.

Ich lege zitternd das Handy auf den Tisch und atme tief durch.

Übermorgen im Madison. Das überleb ich nicht.

Die Kellnerin kommt.

»Was darf ich Ihnen bringen?«

»Nichts. Ich muss schon wieder los«, sage ich und höre plötzlich, wie aus meinem Mund kommt: »Hugh Grant hat nämlich gerade angerufen.«

Ich verlasse das Café Paris und stehe wie paralysiert auf der Straße. Patrick Winczewski klingt in Wirklichkeit noch viel sympathischer als in der Rolle Hugh Grant. Grundgütiger. Ich hätte nicht gedacht, dass mich eine Stimme mal so durcheinanderbringen würde. Eine einzige Stimme. Ob ich Patrick Winczewski bitte hinter einer Schattenwand interviewen könnte? Ich will mich ausschließlich auf die Stimme konzentrieren. Mit geschlossenen Augen würde ich dahintersitzen, und nachdem wir uns eine Weile anregend unterhalten haben, würde der Kellner (den könnte man ja vorher instruieren) die Schattenwand herunterreißen. Gegen ein bisschen Trinkgeld würde er sicher auch noch »Das ist Ihr Herzblatt« sagen. Ich schlucke. Romantischer kann eine Beziehung ja wohl kaum beginnen. Es gibt nur ein kleines Problemchen, das dieses Happy End auf den letzten Metern noch zunichtemachen könnte: meine Stimme. Nun, Problemchen ist vielleicht etwas untertrieben. Wahrscheinlich müsste man eher von einem ausgewachsenen Problemberg sprechen. Das würde der Wahrheit wohl am nächsten kommen.

 

Tja, wie beschreibe ich meine Stimme am besten? Ich habe eine hohe Stimme. Um genau zu sein: eine sehr hohe Stimme. Es heißt ja, dass Mädchen in der Pubertät genau wie Jungen in den Stimmbruch kommen und mit den Jahren immer reifer klingen. Diese Phase habe ich auf jeden Fall übersprungen. Ich klinge eigentlich immer noch wie ein 14-jähriges Mädchen. Wenn ich ein Junge wäre, hätte ich hervorragend Kastrat werden können: ein Mann, der wie eine Frau klingt und darum Frauenlieder singt. Aber was macht man mit einer Frau, die wie ein Kind klingt? Nun, ich könnte Kinderlieder singen.

Am Telefon werde ich daher grundsätzlich jünger geschätzt, als ich eigentlich bin. Als ich neulich einen Beratungstermin bei der Bank vereinbaren wollte, fragte mich die Bankangestellte in einem fürsorglichen Ton: »Sollte ich das nicht lieber mit deiner Mutter klären?«

Was könnte man noch zu meiner Stimme sagen? Ach ja, nur noch eine Kleinigkeit. Wenn ich aufgeregt bin, schwingt sie sich in ungeahnte Höhen und fängt an zu zittern. Als ich in der Schule ein Referat über »Der politische Liberalismus im Deutschen Reich unter Bismarck« halten musste (ich hatte keine Ahnung!), geriet meine Stimme plötzlich derart ins Stocken, dass ich dachte, mir würde ein Schicksal wie das von Dirk Asmussen aus der Parallelklasse blühen. Der stotterte seit der Einschulung. Aber nein, dieser Kelch ist zum Glück an mir vorübergegangen. Ob ich damit überzeugen kann, dass ich zumindest nicht stottere?

Oh Gott. Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich: Meine Stimme könnte mir nicht im Weg stehen, sondern sie wird es tun. Garantiert. Ich versuche, einen klaren Kopf zu bewahren. Welche Möglichkeiten habe ich übermorgen im Interview mit Patrick Winczewski?

1. Ich könnte das ganze Gespräch über schweigen. Ich wäre dann sozusagen die geheimnisvolle Schöne, die ihn nur durch einen regelmäßigen Augenaufschlag und ein leichtes, erotisches Öffnen der Lippen betören würde.

Erfolgschance: keine. Ich habe den dummen Verdacht, dass Patrick Winczewski eher jemanden mag, der spricht.

2. Ich könnte permanent eine Oktave tiefer sprechen. Aber ob man das durchhält? Und wenn ja, wie komme ich aus der Nummer wieder raus? Na ja, wenn sich tatsächlich eine Beziehung entwickelt, könnte ich ja nach und nach immer etwas höher sprechen und mich so sukzessive meiner Originaltonhöhe nähern. Wenn ich dann vor dem Altar in meiner echten Tonlage »Ja, ich will« quieke, wird Patrick das Ganze ja wohl kaum noch abblasen.

Erfolgschance: keine. Einfach nicht praktikabel.

3. Ich könnte versuchen, bis übermorgen heiser zu werden. Pia hatte mal zwei Wochen lang eine Kehlkopfentzündung und klang plötzlich beneidenswert wie Tina Turner.

Erfolgschance: keine. Es ist draußen warm, und ich wüsste schlichtweg nicht, wie ich mich erkälten könnte.

4. Ich könnte mir eine neue Stimme besorgen.

Erfolgschance: keine. Denn dieser Plan ist schon vor ein paar Jahren gescheitert.

 

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Als ich im dritten Semester an der Uni war, fand ich am Schwarzen Brett einen Aushang von einem kleinen Radiosender aus Hamburg. Neue Moderatoren wurden gesucht! Ich sah meine Karriere zwar eher beim Fernsehen (genauer gesagt VOR der Kamera!), aber mein Gott, so ein bisschen Radio konnte nicht schaden, dachte ich. Voraussetzung für ein Vorstellungsgespräch war ein Test bei einer Stimmtrainerin. Diese sollte einen Beleg ausstellen, dass die Stimme grundsätzlich fürs Radio geeignet ist. Sie sollte einem also bescheinigen, dass man eine Stimme hat und nicht stumm ist, dachte ich. Von einem Freund (Praktikant beim Radio, also vom Fach!) hatte ich nämlich mal gehört, dass die Technik beim Radio inzwischen so weit ist, dass jeder Sprecher ein eigenes Sprecherprofil hat. Das heißt, dass man nur ein paar Knöpfe am Mischpult drehen muss und so aus jeder Stimme im Handumdrehen eine warme, tiefe Radiostimme machen kann. Beziehungsweise die Stimme, die man eben gerne haben möchte. Es war also gewissermaßen ein Wunschkonzert der Stimmen. Ich stand vor dem Schwarzen Brett und wusste schon genau, welche Stimme ich wollte: eine Mischung aus Bonnie Tyler (rauchig!) und Marilyn Monroe (die Tonlage, in der sie »Happy Birthday, Mister President« gesungen hat).

Noch am selben Tag vereinbarte ich einen Termin für diesen komischen Sprachtest. Es war zwar überflüssig, aber bitte, im bürokratischen Deutschland müssen eben bestimmte Formalitäten eingehalten werden.

»Können wir das bitte schnell hinter uns bringen?«, fragte ich und gab Sonja Döblin-Paulick den Zettel, auf dem ich ihre Unterschrift benötigte. Sonja Döblin-Paulick war laut Türschild »Ausgebildete Stimmtrainerin« und für diesen Zirkus, den wir veranstalten mussten, verantwortlich.

»Na, na, junge Dame. So schnell geht das nicht. Sprechen Sie mal ein wenig, damit ich mir ein Bild von Ihrer Stimme machen kann.« Sie schloss die Augen und ich plapperte munter drauflos. Je schneller wir damit durch waren, desto schneller konnte meine Karriere beginnen.

Sonja Döblin-Paulick sah mich beunruhigend lange an, als ich fertig war. Und nach einer halben Ewigkeit sagte sie: »Ihre Stimme gehört nicht zu Ihnen.«

»Doch, das tut sie«, sagte ich fröhlich.

»Nein, sie ist viel zu hoch. Versuchen Sie mal, richtig tief zu sprechen. Sagen Sie mal was.«

»Ich versuche jetzt, richtig tief zu sprechen«, brummte ich gefühlte drei Oktaven tiefer und musste kichern. »Hört sich komisch an, oder?«

»Nein«, sagte Frau Döblin-Paulick. »Das klingt schön.«

»Und wenn ich normal spreche?«

»Nun, ehrlich gesagt: Das klingt komisch.«

Sonja Döblin-Paulick sah nicht so aus, als ob sie Witze machen würde. Das war ihr voller Ernst! Sie bemerkte meinen entsetzten Gesichtsausdruck und versuchte zu retten, was zu retten war. Denn zum Glück gab es Entwarnung, von Sonja Döblin-Paulick höchstpersönlich. Mit nur wenigen Übungen würde es kein Problem sein, dass ich wieder zu meiner echten Stimme zurückfinde, sagte sie. »Das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht hinbekommen würden«, sagte Frau Döblin-Paulick und strich mir mütterlich über die Schulter.

Zunächst sollte ich mir mit beiden Händen auf die Brust klopfen und dabei ein tiefes »Ommmm« von mir geben. »Das bringt schon wahnsinnig viel«, sagte Frau Döblin-Paulick und nickte mir aufmunternd zu. »Wenn Sie vor jedem Satz, den Sie sagen, einfach kurz klopfen und das ›ommmmm‹ sagen, dann bleiben Sie ganz automatisch in der Tonlage. Los, versuchen Sie mal.«

Ich trommelte brav auf meine Brust, sagte »ommmmmm« und ging dann von »ommmmm« sofort in den Satz »Spreche ich jetzt etwa anders?« Leider hatte ich schon beim Wort »jetzt« meine Originaltonhöhe erreicht.

Kein Problem, sagte Frau Döblin-Paulick und zeigte auf den Boden. »Wenn man liegt, hat man automatisch eine tiefere Stimme, weil das Zwerchfell sich entspannen kann. Dann können Sie gar nicht mehr so rumquieken«, sagte sie und lachte nervös. »Ich meine natürlich, dann sprechen Sie nicht mehr so hoch.«

Ich legte mich auf den Boden und tatsächlich: Meine Stimme klang tiefer. Erstaunlich weich. »Aber das ist im wahren Leben nicht so praktikabel«, sagte ich und sah zu Frau Döblin-Paulick hoch, die über mir stand und von unten gesehen wahnsinnig große Brüste hatte. War mir im Stehen gar nicht so aufgefallen. Ich dachte gerade darüber nach, ob meine Brüste wohl auch größer wirken, wenn man sie von unten betrachtet, da gab Frau Döblin-Paulick mir ein Zeichen, dass ich wieder aufstehen durfte. Sie hatte anscheinend noch einen anderen Kniff parat.

»Ich erkläre Ihnen jetzt einen Trick, mit dem es ganz sicher funktioniert.« Sie senkte verschwörerisch die Stimme. »Bevor Sie sprechen, stellen Sie sich einfach immer jemanden vor, der eine tiefe Stimme hat. Dann versetzen Sie sich genau in seine Lage und – schon haben Sie auch diese Stimme. Los, ausprobieren.«

Okay, wer hat eine tiefe Stimme? Ich musste sofort an Susanne Daubner von der »Tagesschau« denken. Ich schloss die Augen, stellte mir vor, Susanne Daubner zu sein, und sagte: »Guten Abend, meine Damen und Herren, klingt meine Stimme so besser?«

Frau Döblin-Paulick klatschte begeistert. »Jaja,« rief sie. »So klingt es hervorragend. Ich wusste doch, dass es funktioniert.« Ich konnte ihre Freude nicht ganz teilen. Schließlich war auch dieser Tipp nicht so ganz praktikabel. Oder sollte ich jetzt tatsächlich jeden Satz fortan mit »Guten Abend, meine Damen und Herren« einleiten, nur damit ich mein Unterbewusstsein und meine Stimmbänder davon überzeugen konnte, Susanne Daubner zu sein?

»Guten Abend, meine Damen und Herren, ich hätte gerne zwei Brötchen und ein Croissant.«

»Guten Abend, meine Damen und Herren, wollen wir ins Kino gehen, Pia?«

»Guten Abend, meine Damen und Herren, klar komm ich am Wochenende nach Hause, Mama.«

Trotzdem bedankte ich mich brav für das Training und versuchte »auf Wiedersehen« so tief wie möglich zu sagen (obwohl mir schon zu dem Zeitpunkt klar war, dass das Radio wohl doch nichts für mich war).

Frau Döblin-Paulick stand glückselig in der Tür und winkte mir noch lange nach.

Zu Hause probierte ich alle »Tricks« noch einmal aus. Ich muss sagen: Am besten funktionierte es, wenn ich die Übungen kombinierte, wenn ich mir auf dem Boden liegend vorstellte, Susanne Daubner zu sein, und mir dabei auf die Brust klopfte.

 

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Das Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken. Pia!

»Und? Schon aufgeregt? Morgen ist es doch so weit, oder?«

»Ja, aber eigentlich sehe ich dem total gelassen entgegen. Ich werde mich während des Interviews einfach auf den Boden legen, dann entspannt sich mein Zwerchfell, musst du wissen.« Ich lache nervös. »Ach Pia, in Wirklichkeit bin ich vollkommen runter mit den Nerven. Wahrscheinlich werde ich kein Wort rausbekommen. Und das ist auch gut so!«

»Ach komm, mach dir doch keinen Stress. Ich meine, dieser Mensch ist Synchronsprecher. Synchronsprecher! Nichts für ungut, aber einen Adonis würde ich wirklich nicht erwarten. Da kannst du doch ganz selbstbewusst auftreten. Willst du eigentlich immer noch nichts über ihn recherchieren? Vielleicht findet man im Netz ja doch noch ein paar spannende Infos.«

»Nein, ich will nichts wissen. Ich will mich ganz auf die Stimme einlassen. Das reicht. Bis morgen, ich werde berichten.«

 

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Morgen kommt schneller, als mir lieb ist. Genauer gesagt kommt der Tag der Tage nach einer schlaflosen Nacht (meine Nachbarn über mir haben in den Geburtstag reingefeiert und hören anscheinend für ihr Leben gerne Techno), einem Frühstück, bei dem ich nichts runterbekommen habe, und der Feststellung, dass mein Volumen-Haarschaum leer ist. Ich habe also Augenringe, einen knurrenden Magen und platte Haare.

Aber irgendwie macht mir das gar nichts aus. Im Gegenteil: Ich fühle mich sogar richtig gut dabei. Ich meine, Patrick Winczewski wird wahrscheinlich wirklich nicht so gut aussehen. Und ich muss sagen: Diese Tatsache macht mich schon jetzt glücklich. Wir werden eine Beziehung führen, bei der es nur um innere Werte geht. Wenn wir ausgehen, werde ich nicht mehr Stunden vor dem Spiegel stehen müssen (die Zeit, die wir dadurch sparen, werden wir für tiefgründige Gespräche nutzen). Ich werde nicht mehr auf Kalorien achten und das Beste: Ich kann endlich zu meiner Mütze im Bett stehen. All meine Freundinnen werden furchtbar neidisch sein, wenn ich mich so richtig gehen lassen kann. »Patrick liebt mich so, wie ich bin«, werde ich säuseln. »Und ich liebe ihn.«

Auch die Klamottenfrage war heute Morgen dementsprechend entspannt. Ich habe gar nicht darauf geachtet, was ich im Halbschlaf aus dem Schrank gefischt habe. Ich habe mir einfach etwas angezogen, ohne nachzudenken. Ist das nicht eine wunderbare Befreiung?

 

Ich bin mit der S-Bahn am Hafen angekommen. Noch ein paar hundert Meter, dann bin ich an unserem Treffpunkt angelangt, dem Madison. Ich schlängle mich durch die Straßen, vorbei an ein paar Cafés. Alle sitzen heute draußen und zeigen stolz ihre Sonnenbrillen. Sobald in Hamburg auch nur im Ansatz die Sonne scheint, geht nämlich ein kollektives erleichtertes Raunen durch das Volk und alle verlagern das Leben sofort nach draußen und spielen Italien.

Wahrscheinlich werden auch im Restaurant vom Madison alle Leute draußen sitzen, inklusive »The Voice« Patrick Winczewski.

Erst wollte ich mit ihm ein Erkennungsmerkmal vereinbaren, doch mir ist etwas viel Besseres eingefallen. Ich werde mit geschlossenen Augen an den Tischen vorbeigehen und nur auf die Stimmen achten. (Eigentlich wollte ich mir die Augen verbinden, aber Pia meinte, dass ich nicht sofort wie eine Irre rüberkommen sollte.) Und dann werde ich im munteren Stimmengewirr plötzlich hören: »Herr Ober, würden Sie mir noch einen Kaffee bringen? Mit dem Essen warte ich, denn es kommt noch jemand.« Ich werde die Stimme der Stimmen erkennen und abrupt innehalten. Ich werde langsam die Augen öffnen (das ist gewissermaßen der »Das-ist-Ihr-Herzblatt«- Moment) und zwischen den vielen Leuten werde ich einen Mann entdecken. Einen ganz normalen Mann. Einen, dem man auf der Straße nie hinterhersehen würde. Einen, dessen Gesicht man sofort wieder vergisst, sobald man es gesehen hat. Einen, den man wahrscheinlich nie beachten und unter normalen Umständen nie kennenlernen würde.

Ich werde mir den Weg durch die vielen besetzten Tische bahnen, dann direkt vor ihm stehen und mein neues, tiefsinniges Leben, befreit von allen Oberflächlichkeiten dieser Welt, mit einem »Hallo« (möglichst à la Daubner) beginnen.

So langsam schlackern mir doch die Beine. Ich biege um die Ecke und sehe in etwa 50 Metern das Madison. Ob ich diese Strecke mit geschlossenen Augen gehen kann, ohne vom Weg abzukommen? Moment mal. Da sitzt ja gar keiner. Doch, aus der Ferne sehe ich einen Mann an einem der Tische sitzen. Das muss er sein! Der Rest der Terrasse: leer. Das darf doch nicht wahr sein. Erst gestern das leere Café Paris und heute das leere Madison. Gibt die Polizei etwa durch ein Megafon durch, wenn ich im Anmarsch bin, sodass sich alle schnell verstecken können? Meinen Plan mit den geschlossenen Augen und dem Sich-treiben-Lassen und dem Herzblatt kann ich jetzt wohl ad acta legen. Ich gehe schnurstracks zum Restaurant und bleibe abrupt stehen. Aber nicht etwa, weil ich seine Stimme gehört habe, sondern weil ich ihn gesehen habe: Patrick Winczewski sieht gut aus. Verdammt gut sogar. Er hat dunkle Haare und blaue Augen (super Kombi!), ist teuer angezogen (so etwas erkenne ich sofort!) und hat einen sehr, sehr schönen Mund. Das darf nicht wahr sein. Der ist doch Synchronsprecher!

»Herr Winczewski?«, frage ich. (Alle guten Vorsätze, möglichst tief und verrucht zu klingen, bleiben gute Vorsätze.)

»Frau Jensen? Ja, hallo. Setzen Sie sich doch.«

Setzen Sie sich doch. Mit der richtigen Stimme wird auch so ein einfacher Satz zum Erlebnis. Ob er das bitte noch mal sagen könnte? Oder irgendetwas anderes? Gott, er wird gleich noch eine Menge sagen, weil wir uns ja unterhalten. Ganz vergessen. Vielleicht könnten wir ja auch eine Szene nachspielen aus einem HughGrant-Film. Vielleicht die aus »Notting Hill«, in der Julia Roberts fragt: »Darf ich noch etwas länger bei dir bleiben?« und Hugh Grant antwortet: »Bleib für immer.« Ob ich ihn jetzt gleich frage? Nein, das kann ich ja später immer noch machen. Durchatmen. Ruhig bleiben. Ich versuche, ihm gelassen in die Augen zu sehen. Der sieht aber auch gut aus! Vielleicht hätte ich doch ein wenig recherchieren sollen, dann wäre ich jetzt nicht so geschockt.

Ich muss erst einmal alleine sein und einen klaren Kopf bekommen.

»Würden Sie mich kurz entschuldigen? Ich bin gleich wieder da.« Ich finde immer, dass es irgendwie souverän wirkt, wenn man sich zu Beginn eines Treffens diskret auf die Toilette verzieht. Wahrscheinlich denkt Patrick Winczewski, ich will mir mit ein paar gekonnten Handgriffen den Eyeliner nachziehen oder so etwas (ich glaube, das macht die Frau von Welt in solch einer Situation). Hah, wenn der wüsste, dass ich nur heimlich Pia anrufen will. Ich verschwinde erhobenen Hauptes im Inneren des Restaurants und frage mich zu den Toiletten durch. Dort tippe ich mit zitternden Fingern sofort Pias Nummer auf meinem Handy. Gott sei Dank, sie geht ran.

»Pia, bist du zufällig gerade im Internet?«, flüstere ich. Pias Eltern haben vor zwei Wochen einen Internetanschluss bekommen und weil Pia diese Tatsache als achtes Weltwunder bezeichnet, ist sie Tag und Nacht im Internet, wenn sie zu Hause ist. »Ich benötige das Internet gar nicht«, hat sie erst neulich erzählt. »Ich surfe nur die ganze Zeit herum, weil ich es nicht glauben kann, dass so etwas bei meinen Eltern möglich ist.«

Bitte, bitte, lass es auch jetzt der Fall sein.

»Ja, warum?« Danke, ich schicke ein Stoßgebet an die Toilettendecke!

»Okay, guck mal bitte schnell nach, ob Patrick Winczewski einen Eintrag bei Wikipedia hat. Ich muss schnellstens wissen, was er sonst so macht außer Synchronsprechen.«

Ich höre, wie Pia auf die Tastatur einhackt. Sie hat den Ernst der Lage wohl an meinem Tonfall erkannt.

»Ich hab was: Er ist selbst Schauspieler und Filmregisseur. »Tatort« und Serien und Spielfilme. Mannomann, was für ein Kaliber. Und außerdem, hallo, hallo, sieht er verdammt gut aus. Wow, sieht er in echt auch so aus?«

»Ja«, druckse ich. Genau das ist ja das Problem. »Danke, Pia, du bist ein Schatz, ich melde mich später.«

Ich lasse das Telefon in meine Tasche plumpsen und sehe ratlos an mir herunter. Himmel, wenn ich das Altpapier wegbringe, mache ich mir mehr Gedanken um mein Outfit. Aber das konnte ja keiner ahnen, dass der nicht nur eine fantastische Stimme hat, sondern auch noch so aussieht. Ob ich mit der Kellnerin einen Klamottentausch machen könnte? Die hatte einen verdammt schönen schwarzen Bleistiftrock an und eine weiße Bluse dazu. Wirkt klassisch und edel. Und nicht so ... nichtssagend wie meine Montur. Na ja, dann muss ich mich eben auf meine Primärtugend besinnen und durch eine zauberhafte Stimme überzeugen. Oh Gott.

»Danke, dass Sie gewartet haben«, sage ich und setze mich. Hoffentlich sieht er nicht, dass meine Beine zittern. Ich lächle tapfer.

»Werden Sie eigentlich oft auf Ihre Stimme angesprochen?«, frage ich.

»Nie.« Was redet er da?

»Wie meinen Sie das: Nie?«

»Na ja, ich habe eine ziemlich unscheinbare Stimme, finde ich«, sagt er und lächelt. »Die erkennt man eigentlich kaum wieder.« Ist er wahnsinnig? Er hat eine atemberaubende Stimme. Ich habe Pia bestimmt geschlagene 100 Mal vorgemacht, wie seine Stimme am Telefon klang, als wir uns für heute verabredet haben. Außerdem hört er sich viel toller an als Hugh Grant! Ich finde, er hat ein Recht darauf, das zu wissen.

»Soll ich Ihnen was sagen?« Ich senke verschwörerisch die Stimme. »Ich finde Ihre Stimme viel besser als die von Hugh Grant. Aber bitte sagen Sie ihm das nicht.« Ich zwinkere ihm zu, jetzt teilen wir beide ein Geheimnis, so etwas verbindet ja. Aber oh Gott, habe ich gerade gesagt, er soll Hugh Grant nichts davon erzählen? Als wenn den das interessieren würde. Ich stelle mir vor, wie Patrick Winczewski heute Abend Hugh Grant anruft.

»Hugh, hör zu. Ich darf es dir eigentlich nicht sagen, aber ich finde, du solltest wissen, was Hannah Jensen über dich sagt. Sie findet, dass ich eine bessere Stimme habe als du.«

»Waaaaas? Das hat Hannah Jensen gesagt? Das ist ja wirklich die Höhe. Danke, dass du mich informiert hast. Ich werde noch lange dran zu knabbern haben.«

Ich lache nervös.

»Hugh sagt auch immer, dass er meine Stimme besser findet«, sagt Patrick Winczewski. Aha! Aha! »Aber er sagt das nur, weil er so unglaublich charmant ist und gerne Komplimente macht.«

Patrick Winczewski lacht und sieht mich an. Welche Augen!

So charmant wie Sie kann er gar nicht sein, will ich gerade sagen, doch ich beiße mir auf die Zunge.

»Wenn Sie eine Frau kennenlernen – worauf achten Sie zuerst?« Ich versuche, einen intelligenten Gesichtsausdruck aufzusetzen, und lächle weise.

»Das kann ich gar nicht so genau sagen, es ist einfach ein ...« – er beugt sich vor und streicht mir um den Kopf – »... Gesamteindruck.«

Aaaaaaaaaah. Im ersten Moment dachte ich, er wollte mir eine Biene aus dem Haar fischen, als er sich vorbeugte. Er wollte mir nur um den Kopf streichen! Hugh! Also, ich meine Patrick! Ich bin sprachlos und Patrick Winczewski lächelt mich immer noch an.

»Was meinen Sie mit Gesamteindruck?«, frage ich blöde, um die Stille zu überbrücken.

»Na ja, eine Frau tritt nicht auf, sondern sie kommt herein. Es ist irgendwie eine Aura, die den Ausschlag gibt.«

Ob ich eine Aura habe??? Bitte, bitte, bitte, bitte!

»Und die Stimme ist gar nicht so wichtig?«, frage ich hoffnungsvoll. Doch leider bin ich gerade so euphorisch, dass meine Stimme ein klitzeklein wenig höher ist als ohnehin schon. Vielleicht hat sie sich sogar ein wenig überschlagen.

»Doch, wenn ich eine Stimme nicht mag, gibt es schon einen Graben, der erst einmal überwunden werden muss.« Er lacht.

»Eine Stimme kann alles zunichtemachen?«, frage ich bedrückt.

»Ja«, sagt er langsam und blickt furchtbar ernst drein. »Eine Stimme kann alles zunichtemachen.« Er versucht, ernst zu bleiben, und muss dann doch lachen. Ich schmelze dahin. Nächster Vorstoß. Bitte, lieber Stimmgott, lass mich jetzt einmal tief klingen. Nur bei dieser einen Frage.

»Können Sie sagen, wie eine Frauenstimme sein muss, die Ihnen gefällt?«

»Mmh, schwierig. Ich habe den Ton im Kopf«, sagt er und schweigt. Wahrscheinlich summt er ihn jetzt innerlich.

»Ja und?«, frage ich ungeduldig. »Sagen Sie schon: Was hören Sie?« »Ich kann ihn ganz schlecht mit Worten beschreiben, aber auf jeden Fall ist es eine Altstimme.«

»Altstimme«, wiederhole ich monoton. »Kein Sopran?« (Man kann es ja mal versuchen.)

»Nee, kein Sopran.« Er schüttelt den Kopf.

Oje.

Aber halt, nicht aufgeben. Ich habe noch ein Ass im Ärmel: mein astreines Hochdeutsch. Vielleicht kann ich damit ein paar Pluspunkte sammeln.

»Wie finden Sie Dialekte?« Hihi, ich kann Dialekte ziemlich gut nachmachen, ich könnte ja ein paar Kostproben geben und die so richtig schön ins Lächerliche ziehen. Ich freue mich schon, wie Patrick und ich gleich gemeinsam über Bayrisch oder Sächsisch ablästern werden.

»Dialekte find ich super«, sagt Patrick Winczewski und strahlt. »Alles wird immer einheitlicher, ich mag es, wenn die Regionalität bewahrt wird und man gleich hört, woher jemand kommt. Das hat auch etwas mit Tradition zu tun.«

Oh Gott.

»Aber Sächsisch finden Sie doch furchtbar, oder?«, entfährt es mir.

»Um Himmels willen. Sächsisch ist toll. Vor allem so ein Leipziger Sächsisch, das klingt einfach wunderbar.«

Oh Gott. Ich dachte immer, dass mein gestochenes Hochdeutsch mein letzter Trumpf sein würde. Mir hat im Urlaub auf Ibiza mal jemand gesagt, ich würde wie eine Hannoveranerin klingen. (Da sprechen die ja bekanntlich das reinste Hochdeutsch.) Von diesem Kompliment habe ich noch Jahre danach gezehrt.

Ob ich jetzt einfach mal spontan bin und den Rest des Gesprächs sächsele? Ich könnte ja so tun, als ob ich aus Leipzig (!) komme und mich nur nicht getraut habe, sächsisch zu sprechen. Aber wenn er Dialekte mag, kennt er sich bestimmt auch gut damit aus und bemerkt sofort, dass es nicht echt ist. Dann könnte ich erwidern, dass meine Eltern mich in meiner Kindheit gezwungen haben, immer hochdeutsch zu sprechen, und ich mich immer noch nicht davon erholt habe, dass sie mich von diesem wunderbaren Dialekt ferngehalten haben. Deswegen habe ich auch den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen und .... Ich höre plötzlich eine innere Stimme. »Die Zeugin verstrickte sich in der Befragung zunehmend in Widersprüche und wird deswegen zu einer jahrelangen Gefängnisstrafe verurteilt. Einzelzelle.« Stopp. Zurück zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben.

»Was macht denn eine Traumfrau für Sie aus?«, frage ich und nicke ihm aufmunternd zu. Dieses Nicken ist übrigens mein neuester Trick. In dem Buch von Thorsten Havener habe ich gelesen, dass es für jemanden schwierig ist, eine Frage mit »Nein« zu beantworten, wenn man als Fragesteller immerzu nickt. (Seitdem frage ich jede Verkäuferin: »Dieses Teil hier können Sie doch reduzieren, oder?« und nicke dabei heftig. Verkäuferinnen scheinen allerdings von dem Trick zu wissen und werden darin geschult, meinem Nicken auf unerklärliche Weise zu widerstehen.)

Trotzdem glaube ich, dass man jemanden am besten von etwas überzeugen kann, wenn man selbst davon überzeugt ist. Nun, ich bin eigentlich nicht sonderlich davon überzeugt, eine Traumfrau zu sein, aber ich könnte ja zur Abwechslung zumindest mal so tun, als ob.

Ich nicke wild mit dem Kopf und ziehe hoffnungsvoll die Augenbrauen hoch.

»Eine Traumfrau ...«, sagt Patrick Winczewski langsam und ich beschleunige die Nickfrequenz. »Eine Traumfrau ist eine große Projektion. Es ist besser, wenn man erwartungsfrei bleibt.«

Mir ist schwindlig. Vielleicht vom Nicken, aber vielleicht auch von dem, was ich gerade gehört habe.

»Eine Projektion?«, frage ich mehr oder weniger geistreich nach.

»Wissen Sie, Frauen suchen zeit ihres Lebens den alles erlösenden Mann. Den gibt es nur leider nicht. Ideale gibt es nur im Film.«

Eigentlich möchte ich protestieren, aber ich bin so fasziniert von seiner Stimme und seinen Augen und seinem Lächeln, dass ich einfach schweige. Und wegdämmere.

»Der Mensch sucht immer nach dem Sensationellen, dabei liegt das Glück oftmals so nah«, sagt Patrick Winczewski.

Ja, genau, direkt vor mir sitzt es, denke ich und schweige. Er soll meine Stimme lieber nicht mehr so oft hören. Am Ende unseres Gesprächs werde ich einfach »Bis bald« in einem tiefen Altton brummen. Vielleicht denkt er dann, dass das eigentlich meine wahre Stimme ist und dass er sich die ganze Zeit verhört hat.

»Manche rennen dem Glück hinterher, und das Glück kommt gar nicht dazu, hinterherzukommen. Wissen Sie, was ich meine?«

Jaja, er hat irgendwas von Glück erzählt. Wahrscheinlich hat er gerade gesagt, was es für ein Glück ist, dass wir uns kennengelernt haben.

»Genau«, hauche ich. »Das sehe ich genauso.«

»Ich glaube, dass viele Menschen den falschen Traum träumen. So etwas lähmt.«

Diese Stimme! Äh, was hat er gesagt?

»Bitte?«, frage ich.

»Ich glaube, dass viele Menschen den falschen Traum träumen.«

Traum? Habe ich gerade falschen Traum gehört?

»Und wie findet man den richtigen Traum?«, frage ich.

»Keine Ahnung.« Patrick Winczewski zuckt mit den Schultern und wirft lachend den Kopf in den Nacken.

Ich möchte am liebsten sagen: »Wollen wir den richtigen Traum nicht gemeinsam suchen?«, lass es aber lieber. Dann hört er meine Stimme wieder. Fragen im Allgemeinen sind sowieso ganz schlecht. Dabei geht die Stimme am Ende immer so unschön nach oben. Ich muss das Ganze ja auch nicht überstrapazieren. Aber seine Stimme? Außerordentlich schön. Er darf gerne Fragen stellen. Ach, wenn ich ehrlich bin, darf er eigentlich alles sagen, was er will. Hauptsache: Er spricht. Ob ich ihn bitte, dass er mir die Speisekarte vorliest? Die ist so schön dick und dann kann ich erst einmal eine Weile schweigen.

Nein, da muss ich jetzt wohl durch. Es geht in die nächste Fragerunde.

»Was würden Sie gerne einmal machen?« Diese Frage hatte ich vorbereitet, als ich noch nichts von ihm wusste. Ich war mir sicher, dass er »Ich würde selbst auch gerne schauspielern« oder so etwas in der Art antworten würde. Da konnte ich ja nicht ahnen, dass er eigentlich schon alles erreicht hat im Leben. Ob ich die Frage wieder zurückziehen kann? Aber wie macht man das? Ich laufe rot an. Doch Patrick Winczewski lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Ich würde gern eine Tour durch Chile machen.«

»Chile? Und wie wollen Sie da rumreisen?«

»Keine Ahnung, das wird sich zeigen. Ich handle da ganz intuitiv.« Er lächelt.

»Sind Sie ein intuitiver Mensch?«

»Ja, sehr. Ich kann mich gut auf die Intuition verlassen.«

Beneidenswert, denke ich. Ich liege in den meisten Fällen daneben, um das mal vorsichtig auszudrücken.

»Wissen Sie«, sagt Patrick Winczewski und sieht mich lange an. »Am Anfang des Weges, also des Lebens, beherrscht man die Intuition, dann vergisst man, wie es geht, und irgendwann später lernt man es wieder.«

Ich schmelze dahin. Ich meine, dieser Mensch könnte mir auch aus einem Telefonbuch vorlesen und ich wäre begeistert. Und nun sagt er auch noch so wunderbare Dinge! Das ist der Gipfel der Zumutbarkeit.

Ich bin sprachlos. Und so langsam kommen mir Zweifel. Warum habe ich in der letzten Stunde vor allem darüber nachgedacht, wie ich am besten nichts sagen kann. Ich befürchte, dass diese kleine, aber feine Tatsache eine Beziehung zu Patrick Winczewski undenkbar macht. Ich würde wahrscheinlich auch nach Jahren noch gerührt sein, wenn er fragt: »Gibst du mir mal die Butter?« oder wenn er sagt: »Ich bring dann mal den Müll runter.« Jedes Mal würde ich andächtig schweigen und in Gebärdensprache zurückkommunizieren. (Ob das schwer zu lernen ist?) Und dann gibt er auch noch scheinbar nebensächlich Lebensweisheiten von sich.

Sorry, ich steige aus. Ich habe keine Altstimme und komme noch nicht einmal aus Leipzig. Das hätte die Sache vielleicht noch retten können.

Ich bedanke mich für das tolle Gespräch und versuche, zumindest das »Haben Sie einen schönen Tag in Hamburg« so tief wie möglich zu sagen. Halt, noch eine Frage. Ich habe ohnehin schon kapituliert, da kann man ruhig mit offenen Karten spielen.

»Darf ich Sie noch kurz etwas fragen? Wie finden Sie eigentlich meine Stimme? Ich meine, auf wie alt würden Sie mich schätzen?« Wehe, wenn er jetzt achtzehn sagt.

»Ende zwanzig, Anfang dreißig?«, fragt Patrick Winczewski.

»EHRLICH?«, rufe ich erleichtert und strahle, wie ich befürchte, über das ganze Gesicht.

»Ja, klar. Warum fragen Sie?«

»Ich, äh, also manchmal, da werde ich für jünger gehalten wegen meiner Stimme, also, äh, kommt nicht oft vor, natürlich nicht, aber eben ganz selten schon.«

Ich versuche, so souverän wie eine Anfang-dreißig-Jährige zu klingen. Anfang dreißig, juchuh! Ich strahle.

»Da freut sich aber jemand«, sagt Patrick Winczewski und lacht.

»Ja, diese Aussage wird mein Leben verändern.«

Ich lache nervös und hoffe, dass er das für einen Scherz hält. (Natürlich ist es kein Scherz, ich werde mich ja jetzt mit einem ganz neuen Selbstbewusstsein durchs Leben sprechen!)

»Das ist aber leicht, Sie glücklich zu machen.« Er lacht.

»Würden Sie es noch einmal sagen?«, frage ich vorsichtig. »Dass ich eine ältere Stimme habe?« Er runzelt die Stirn.

»Nein, nein, war nur ein kleiner Scherz«, schiebe ich schnell hinerher.

Wir lachen und verabschieden uns.

Ich winke ihm zu und rufe fröhlich (in Originaltonhöhe!): »Haben Sie noch einen schönen Tag in Hamburg!«

Pah, Susanne Daubner kann mich mal. Ich werde ab sofort zu meiner Stimme stehen. Ich klinge schließlich wie Anfang dreißig. Da habe ich so etwas nicht mehr nötig!

 

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