ELF
Er liebte es, stundenlang auf der kleinen Terrasse hinter seinem Haus in der Sonne zu sitzen und in aller Ruhe sein Frühstück einzunehmen. Die sanften Ausläufer des Westerwalds dufteten herrlich nach Holz und Blüten. Ein Adler kreiste unter dem wolkenlosen Himmel und kreischte schrill. Im angrenzenden Beet taumelte eine Hummel zwischen den Blüten des königsblauen Rittersporns umher und eine Katze schlich durch die Obstbüsche, die er vor einigen Jahren angepflanzt hatte. Ein sanfter Wind strich über die Kronen der Bäume, und als er den Blick auf die Hügel richtete, schien der Wald zu leben. Kaltenbach bestrich sich einen Toast mit selbst gemachter Erdbeermarmelade, die er von Frau Hahne bekommen hatte. Die Gute machte immer Marmelade ein, als ginge es darum, die Welt zu retten. Dennoch wurde ihre Marmelade gern in der Nachbarschaft angenommen, denn sie schmeckte nicht nach Chemie und Farbstoffen, sondern nach Frucht.
Beatrice weilte noch im Land der Träume, und Kaltenbach hatte beschlossen, sie schlafen zu lassen. Später würde er nach Neuwied fahren und Prangenberg einen kurzen Anstandsbesuch abstatten, um ihn über die aktuelle Sachlage zu informieren. Kaltenbach war jetzt schon sicher, dass der Alte wieder toben würde. Er wollte schnelle Geschichten, mit denen er die nächste Ausgabe füllen konnte. Für langatmige Recherche war im hektischen Tagesgeschäft einer Lokalredaktion einfach keine Zeit. Doch darauf konnte Kaltenbach keine Rücksicht nehmen. Hier ging es um mehr, und er war sicher, dass sich andere Zeitungen nach dieser Story die Finger lecken würden, sollte Prangenberg sie nicht haben wollen.
Mit einem sichtlich gut gelaunten ,Gemorje‘ wurde die morgendliche Stille hinter dem Haus jäh unterbrochen, und als Kaltenbach aufblickte und Udo Reuschenbach sah, kam ein unwilliger Laut über seine Lippen.
„Hat sich was mit guten Morgen“, brummte Kaltenbach und deutete auf den freien Stuhl, der eigentlich für Beatrice reserviert war. Er hatte ihr bereits Besteck und einen Teller hingestellt. „Bis eben war der Morgen noch gut, aber jetzt bist du ja da.“
„Oh – du hast uns Frühstück gemacht?“ Udo setzte sich grinsend. „Das ist aber nett.“
„Rühr hier bloß nichts an, sonst schlag ich dir die Hände ab“, grollte Kaltenbach.
Udo Reuschenbach nickte verstehend. „Jetzt kapier ich: Der Herr Reporter hat die Nacht nicht alleine verbracht.“
„Geht dich einen Scheißdreck an.“ Kaltenbach war immer noch sauer auf seinen Freund. Andererseits hatte die verheerende Personalsituation bei der Polizei ihm eine unvergessliche Nacht mit Beatrice beschert. Langsam legte sich die Wut.
„Bernd – wir müssen reden.“ Udo lehnte sich in dem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
„Das tust du doch die ganze Zeit, und das, obwohl es gerade mal sieben Uhr ist.“
„Bist wohl immer noch sauer, weil ich Beatrice nicht schützen konnte?“ Udo machte ein betroffenes Gesicht und nickte nachsichtig. „Ich habe mit Larissa drüber gesprochen, und sie meinte, dass wir reden müssen.“
„Von der Uhrzeit hat sie wohl nichts gesagt“, vermutete Kaltenbach und beobachtete eine dicke Hummel, die in den blauen Blüten des Rittersporns umhertaumelte.
Udo ging nicht auf die spitze Anmerkung ein. „Bernd, es ist so, ich hätte für Beatrice Manderscheid gesorgt, wenn ich auch nur den Ansatz eines …“
„Habe ich hier gerade meinen Namen gehört?“
Nahezu lautlos war Beatrice aufgetaucht. Sie lächelte und wirkte total verschlafen. Die kurzen Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab. Nun trat sie hinter Bernd, schlang die Arme um seinen Oberkörper und küsste ihn. „Hast deinem Freund wohl von mir …“ Sie brach ab und stierte Udo an.
„So sieht man sich also wieder“, murmelte sie unterkühlt.
„Frau Manderscheid, mir waren wirklich die Hände gebunden“, beteuerte Udo, dem die Situation sichtlich unangenehm war. Dann setzte er zum Gegenschlag an. „Aber wie ich sehe, habt ihr das Problem ja zu aller Zufriedenheit lösen können.“
Kaltenbach warf seinen angebissenen Toast auf den Teller. „Leute, bitte: So habe ich mir ein erholsames Frühstück nun wirklich nicht vorgestellt.“
„Bernd, kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?“ Udo war bereits aufgestanden. Sein rundes Gesicht hatte eine tiefrote Färbung angenommen.
Kaltenbach zuckte die Schultern, warf Beatrice einen entschuldigenden Blick zu und folgte Udo ins Haus. Während es draußen schon recht warm war, umfing sie hier eine angenehme Kühle.
„Was soll die Show?“, fragte Kaltenbach angefressen. „Du bist Bulle und kannst bestimmt freundlicher sein. Du behandelst Beatrice wie eine Kriminelle.“
„Das müssen wir ihr noch beweisen.“ Udo sank auf die Eckbank in der Küche und stützte die Ellenbogen auf die Wachstuch-Tischdecke.
Kaltenbach setzte sich verkehrt herum auf den Küchenstuhl und musterte den Freund mit ernster Miene. „Was soll der Quatsch, Udo?“
„Ich hatte heute morgen um sechs Uhr einen Anruf von den Kollegen, die gestern mit der Befragung ihrer Nachbarn beauftragt waren.“
„Und?“
„Es gab keine Einbruchspuren, weder an der Hausnoch an ihrer Wohnungstür. Das würde bedeuten, dass der Mörder einen Schlüssel gehabt haben muss, um sich Zutritt zu Beatrice Manderscheids Wohnung zu verschaffen.“
Kaltenbach nickte schweigend.
„Wir haben alle befragt: Im Haus hat keiner einen Schlüssel. Einen Hausmeisterdienst oder so etwas gibt es ebenfalls nicht. Familie hat sie keine – die Eltern leben in Norddeutschland und genießen dort ihren wohlverdienten Ruhestand. Das war‘s auch schon mit Angehörigen. So, und nun kommst du, Bernd.“
„Sie scheint eine ziemlich einsame Frau zu sein“, murmelte Bernd, der anfangs einen anderen Eindruck von Beatrice bekommen hatte. Ihm hatte sie sich als lebenslustige alleinstehende Frau im besten Alter präsentiert.
„Mag sein. Aber jetzt frage ich dich – wie kommt man in die Wohnung, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, wenn nicht mit einem Schlüssel?“
„Warum fragen Sie mich nicht einfach, Kommissar?“ Beatrice lehnte plötzlich mit verschränkten Armen im Küchenrahmen und musterte Udo feindselig.
Udos Kopf ruckte hoch. Sein Gesicht wurde auf der Stelle wieder rot. „Sie belauschen unser Gespräch“, stellte er schließlich fest.
„Nein, ich bin ins Haus gekommen, um mir Milch zu holen – ich trinke meinen Kaffee nämlich mit Milch.“ Sie bedachte Kaltenbach mit einem Blick, den er nicht recht zu deuten wusste.
„Im Kühlschrank“, sagte dieser, nur, um überhaupt etwas zu sagen.
Beatrice ging zum Kühlschrank. „Ich habe nur zwei Schlüssel“, sagte sie währenddessen, ohne sich umzublicken. „Einen trage ich immer bei mir.“
„Und der andere?“, schoss es aus Udo heraus.
„Befindet sich im Safe.“ Sie griff nach dem Tetrapack im Türfach des Kühlschranks und drehte sich im Zeitlupentempo zu den Männern um. Ihre Miene wirkte verschlossen, und Kaltenbach vermisste in diesem Moment die Herzlichkeit, die er so an ihr liebte.
„In welchem Safe?“ Udo trommelte nervös auf der Tischplatte herum.
„Noch in der Firma.“ Beatrices Stimme war nichts als ein Hauch.
„In Rudolfs Firma?“, hakte Kaltenbach nach. „Im Safe der Firma Manderscheid, die du nach dem Tod deines Mannes verkauft hast?“
Beatrice nickte. „Ich muss ihn schlichtweg dort vergessen haben, als ich aus dem Unternehmen ausgestiegen bin.“
„Siehst du.“ Kaltenbach grinste seinen Freund zufrieden an. „Da hast du deine Spur. Besorg dir ’nen richterlichen Durchsuchungsbeschluss und lass die Bude auf den Kopf stellen.“ Dann wandte er sich an Beatrice. „Hast du ’nen Verdacht, wer Zugang zum Safe hat und in der Lage wäre, bei dir aufzukreuzen?“
Beatrice dachte angestrengt nach und ließ sich nun auch auf die Eckbank sinken. „Wahrscheinlich nur der neue Inhaber, oder die Sekretärin. Aber wie gesagt, ich kenne von denen kaum noch jemanden. Und beide haben keinen Grund, um …“
„Dann werde ich den Grund vielleicht herausfinden.“ Kaltenbach hoffte, dass sie nicht an die große Glocke hing, dass sie ihn als Fahrer bei Manderscheid unterbringen wollte.
„Dabei hast du nur eines vergessen“, murmelte Udo. Als alle Blicke auf ihm lagen, fügte er hinzu: „Wenn ich das gestern richtig verstanden habe, hat die Firma ihren Sitz in Enkirch an der Mosel. Und da ist mein zweitbester Freund, Hauptkommissar Caspari im Spiel.“ Er machte eine säuerliche Miene.
„Na bitte“, strahlte Kaltenbach unbeeindruckt. „Dann ist es doch ein willkommener Anlass, mal ein Versöhnungsbierchen zu trinken.“
„Deinen Humor möchte ich haben“, seufzte Udo. „Ich muss dir nicht erklären, was für ein selbstverliebter Mensch er ist. Der Typ hat eine Profilneurose, die einfach nur wehtut. Und mit ihm soll ich kooperieren?“
„Es wird dir nichts anderes übrig bleiben“, befürchtete Kaltenbach und nickte. „Aber sieh es mal positiv: Solange du einen Mordfall in Kastellaun aufklärst, arbeitet er dir zu, nicht andersherum. Also … so schlecht finde ich die Ausgangssituation gar nicht.“
Udo erhob sich und zuckte die Schultern. „Ich halt dich auf dem Laufenden“, sagte er im Hinausgehen. An der Tür angekommen, wandte er sich noch einmal zu Beatrice um. „Und Sie halten sich bitte zur Verfügung.“
„Meine Handynummer haben Sie“, antwortete Beatrice ungewohnt unterkühlt, dann war sie wieder mit Kaltenbach alleine. Den Morgen hatte Udo ihnen jedenfalls gründlich verdorben.
Neuwied, Friedrichstraße, 9.35 Uhr
„Was soll das heißen – du lässt dich bei Manderscheid Baustoffe einschleusen?“ Winzige Schweißperlen glänzten auf Prangenbergs Stirn. Als der Glockenklang der Marktkirche durch das offen stehende Bürofenster des Chefredakteurs drang, sprang er wie von der Tarantel gestochen auf und knallte das Fenster zu.
„Ich werde mich dort als Fahrer verdingen und Augen und Ohren offenhalten.“ Kaltenbach setzte sich unaufgefordert und musterte seinen cholerischen Chef.
„Wie muss ich mir das vorstellen? Arbeitest du da dann undercover, so wie dieser Günter Wallraff?“
„Die Arbeitsbedingungen der Kieskutscher sind mir relativ egal. Ich will einfach wissen, was die Kipper von Manderscheid auf dem Flughafengelände zu suchen haben.“
„Na was wohl?“, bellte Prangenberg und ließ die Hand auf die Schreibtischplatte niedersausen. Die Kaffeetasse neben der Tastatur vollführte einen Hüpfer.
Kaltenbach tat ihm den Gefallen nicht, zusammenzuzucken. Er betrachtete seinen Chef mit einem süffisanten Grinsen.
Prangenberg sprach gefährlich leise. Wenn er so sprach, stand der Vulkan kurz vor dem Ausbruch.
„Sie werden Baumaterialien transportieren, denn das ist Manderscheids Kerngeschäft.“
„Damit hätte ich auch gar keine Probleme. Warum der Fahrer mich aber, koste es was es wolle, abhängen wollte … dafür muss es einen plausiblen Grund geben. Und je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich, dass der was zu verbergen hatte.“
„Moment, Moment“, rief Prangenberg und erhob sich noch einmal. „Ich erinnere mich an eine alte Geschichte. Da wurde doch vor ein paar Jahren eine neue Landebahn gebaut, oder eine vorhandene Bahn verlängert. Irgend so etwas war da, es ging darum, dass der Hahn mit dem steigenden Aufkommen von Frachtflügen zurechtkommen sollte, deshalb hat das Land noch einmal investiert.“
„Ein Fass ohne Boden“, kommentierte Kaltenbach kopfschüttelnd.
„Dabei wurden irgendwelche neumodischen Materialien verwendet, die von einigen Fachleuten als gesundheitsschädlich eingestuft worden sind. Irgendwann verstummte die Meute allerdings…“
„Wahrscheinlich hat man Schweigegeld bezahlt.“
„Du guckst zu viele Krimis“, stellte Prangenberg fest und schüttelte den massigen Schädel. „Aber hak doch da mal nach.“
„Werd ich tun.“ Kaltenbach erhob sich. Prangenberg hatte sein Vorhaben also abgenickt, ohne es in Worte zu fassen.
„Noch was, Kaltenbach!“, rief er seinem Reporter hinterher.
„Was denn?“ Kaltenbach wollte keine unnötige Zeit verlieren.
„Wenn ich rauskriege, dass du bei Manderscheid einen persönlichen Rachefeldzug gegen den Fahrer führst, der dich bedrängt hat, kannst du für immer auf dem Bock eines Kippers dein Geld verdienen, verstanden?“
„Du guckst zu viele Actionfilme“, konterte Kaltenbach mit einem Grinsen, dann war er draußen.
Koblenz-Altstadt, 10.45 Uhr
Sabine Wellershoff schaute erstaunt von ihrem Monitor auf, als Kaltenbach plötzlich in ihrem Büro stand. Sie wirkte übernächtigt, das konnte sie auch mit Make-up nicht überdecken.
„Wie kommst du denn hier rein?“
„Ich freu mich auch dich zu sehen“, erwiderte er und setzte sich vor den Schreibtisch. Dann grinste er jungenhaft. „Die Tür stand offen, und ich dachte, ich überrasch dich einfach mal, nachdem wir uns gestern nicht gesehen haben.“
„Das ist schön.“ Sabine stand auf, umrundete ihren Schreibtisch und strich ihm zärtlich über die rechte Schulter. Heute trug sie eine Jeans, dazu ein modisches Shirt mit einem tiefen Ausschnitt. Prompt ertappte sich Kaltenbach, ihr auf das Dekolleté zu starren.
„Gefällt dir, was du siehst?“, fragte sie kokett, als sie seinen Blick bemerkte. Doch sie war ihm nicht böse und lehnte sich auf die Schreibtischkante.
„Es hat mir schon immer gefallen“, bemerkte Kaltenbach peinlich berührt. „So, und nun mal geschäftlich: Ich muss unbedingt wissen, was du damals für Manderscheid gemacht hast, Sabine.“
„So“, sagte sie und schürzte die Lippen. „Musst du das?“
„Es wäre zumindest sehr hilfreich“, übte sich Kaltenbach darin, kleinere Brötchen zu backen. „Solange da draußen ein Mörder rumläuft, wäre es schön, wenn du mit offenen Karten spielen könntest.“
„Moment“, rief Sabine und schob sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. „Was habe ich mit dem Mörder zu tun?“
Kaltenbach holte tief Luft und berichtete der alten Freundin ausführlich, was sich gestern zugetragen hatte. Sabine Wellershoff hörte aufmerksam zu und machte sich einige Notizen, während sie gebannt an Kaltenbachs Lippen hing.
„So“, sagte sie schließlich. „Und diese Beatrice Manderscheid lebt nun auf deinem Bauernhof und hat meine Stelle eingenommen?“
„Sabine – bitte“, fuhr Kaltenbach genervt auf. „Das ist fast zwanzig Jahre her. Und sie ist nicht meine Partnerin oder gar meine Freundin, wenn dich das beruhigt.“
„Aber du hast mit ihr gevögelt.“
„Mein Gott, bist du vulgär“, entrüstete sich Kaltenbach.
„Das habe ich von dir gelernt.“ Nun musste sie lächeln. „Also gut, ich gebe es zu: Das tut schon weh, und ich hatte mir schon fast ein wenig Hoffnung darauf gemacht, dass wir wieder zusammenkommen.“
„Wir sind gute Freunde“, brummte Kaltenbach. „Und dabei sollten wir es auch lassen.“
„Wie du meinst“, erwiderte sie schnippisch.
Manchmal verstand er Sabines Stimmungsschwankungen einfach nicht, und er erinnerte sich daran, dass ihn das schon früher verwirrt hatte.
„Aber dass du ausgerechnet die Witwe eines meiner Mandanten in die Kiste schleppst…“ Sie war offenbar wirklich entrüstet.
„Es hat sich halt ergeben, und ich möchte nicht mit dir über mein Liebesleben philosophieren.“
„Liebesleben?“ Sabine lachte auf. „Du lebst deine Triebe aus, nicht mehr und nicht weniger.“
„Sabine, bitte!“ Kaltenbach hatte keine Lust auf eine Grundsatzdiskussion. Er sprang auf und wanderte ruhelos durch das lichtdurchflutete Büro. Am Fenster blieb er stehen und blickte hinunter auf die Altstadt. Ein bunt gekleideter Reiseführer bugsierte eine Truppe Japaner durch die engen Gassen. Er sprach englisch zu ihnen, die Touristen fotografierten die historischen Fassaden der umliegenden Häuser, dann zog der Pulk weiter. Wahrscheinlich hatten sie heute noch die Loreley und Schloss Neuschwanstein auf dem Plan.
„Ich bin hergekommen, weil ich mir erhoffe, von dir einen wichtigen Hinweis zu bekommen. Du musst mir ein paar Dinge erklären, um der Polizei den richtigen Wink zu geben. Udo ist schon jetzt überfordert, zudem muss er sich mit einem Hauptkommissar Caspari auseinandersetzen, der zum Lachen in den Keller geht und…“
„Moment“, ging Sabine dazwischen. „Sagtest du, dass Caspari die Ermittlungen leitet?“
„Ja.“
„Er ist ein Arschloch.“
„Oh, ich sehe, du kennst ihn“, freute sich Bernd. Er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war.
„Allerdings kenne ich ihn. Er hat mich damals befragt, nachdem man Rudolf Manderscheid im Bach gefunden hat.“
„Hat er dein Büro durchsuchen lassen?“
„Und meine Privatwohnung in Ehrenbreitstein auch“, nickte sie.
„Du hast von den alten Aufzeichnungen gesprochen“, erinnerte Kaltenbach sie. „Die Gutachten, in denen bestätigt wird, dass sich im Wasser des Ahringsbaches krebserregende Stoffe befinden. Wo sind die Papiere?“
„Beschlagnahmt“, murmelte Sabine. „Caspari hat sie mitgenommen. Was dann aus den Aufzeichnungen wurde, weiß ich nicht. Gegen die Polizeibehörden komme ich auch nicht an, Bernd. Aber ich war sicher, dass die Gutachten etwas in Gang setzen würden, nachdem sie ausgewertet sind. Und da habe ich mich nicht getäuscht.“
„Ich kapier das gerade nicht ganz.“ Kaltenbach massierte sich den Nasenrücken.
„Die Gutachten haben dokumentiert, dass die krebserregenden Stoffe tatsächlich vom Hahn kamen. Irgendetwas mit einem bestimmten Baumaterial stand da drinnen.“ Nun blickte sie Kaltenbach mit betroffener Miene an. „Ich bin auch kein Fachmann und kenne mich mit den Bezeichnungen dieser Materialien nicht aus. Nur so viel: Ein Kollege von dir hat die Kiste an die große Glocke gehängt und eine Story daraus gemacht, mit der er sich wohl eine goldene Nase verdient hat. Der Trierische Volksfreund und die Rhein-Zeitung haben damals mehrfach groß über den Umweltskandal berichtet. Sag mal, ist das wirklich an dir vorübergegangen?“
„Nein, ich erinnere mich“, murmelte Kaltenbach zerknirscht. Es musste die Zeit gewesen sein, als er in Berlin gearbeitet hatte.
„Auf Druck der Medien und der Öffentlichkeit wurde am Hahn ein großes Regenauffangbecken errichtet, das verhindern sollte, dass belastetes Abwasser in den Bach gelangt, der Enkirch als Trinkwasserversorgung dient.“
„Aber?“
„Nichts aber. Die Sache war offiziell damit erledigt.“ Sabine kehrte die Handflächen nach oben.
„Ist sie eben nicht“, widersprach Kaltenbach und schüttelte den Kopf. „Du steckst in der Geschichte tiefer drin, als dir lieb ist, fürchte ich. Auch mir wurde das zweifelhafte Vergnügen einer Drohung zuteil. Irgendjemandem scheint es nicht zu passen, dass man in der alten Geschichte herumschnüffelt.“
„Was meinst du?“
Bernd Kaltenbach berichtete ihr von der Verfolgungsaktion am ersten Abend und dem Drohanruf.
„Dabei fällt mir ein, dass Udo sich um die Anrufrückverfolgung kümmern wollte“, murmelte Kaltenbach und zückte sein Handy. „Der Drohanruf wurde von einem dieser Prepaid-Handys abgesetzt – ich muss dir nicht erklären, dass es schier unmöglich ist, da den aktuellen Besitzer herauszufinden.“ Er griff zum Handy und wählte Udos Nummer.
„Was hast du jetzt schon wieder angestellt?“, fragte Udo am anderen Ende der Leitung.
Kaltenbach ging nicht auf den versteckten Vorwurf des Freundes ein. „Hast du inzwischen herausgefunden, wer zuletzt im Besitz des Handys war?“
„Die Prepaid-Karte wurde vor einem knappen Jahr von einem gewissen Magnus Voss, wohnhaft in Linz, gekauft. Hast du was zu schreiben?“
Kaltenbach ließ sich von Sabine einen Stift und ein Stück Papier geben und schrieb den Namen und die Adresse mit, die Udo ihm nannte. „Wann klopfst du ihm auf den Busch?“, fragte er anschließend.
„Das fragst du nicht im Ernst.“
„Bist du der Bulle, oder ich?“
„Pass mal auf Bernd, du weißt, wie unser Laden funktioniert: Wenn du dich bedroht fühlst, kannst du gerne bei den Kollegen vom Streifeneinsatzdienst eine Anzeige gegen Unbekannt stellen. Dann werden wir die Ermittlungen aufnehmen, und alles nimmt seinen Lauf.“
„Vergiss es. Da kann ich auch selber die Hände in den Schoß legen und nichts tun. Ich kümmer mich darum, mach dir bloß keinen Stress.“ Bevor Udo antworten konnte, hatte Kaltenbach den roten Knopf gedrückt. Mit säuerlicher Miene ließ er das Handy in der Tasche verschwinden.
„Und?“, fragte Sabine nun. Sie lächelte. „Soll ich dir helfen?“
Kaltenbach erhob sich und schüttelte den Kopf. „Nee, lass mal. Ich habe immer noch keine Kohle für einen Privatschnüffler, und bevor es wieder zu kompliziert wird, mach ich mich lieber vom Acker.“
Kaltenbach stand auf und machte Anstalten zu gehen. Im Augenwinkel sah er noch, wie Sabine mit vor Wut funkelnden Augen einen ihrer sündhaft teuren Schuhe auszog. Er beeilte sich, das Büro zu verlassen und zog eilig die Tür hinter sich zu. Gerade im rechten Moment, denn kaum dass er im Vorzimmer stand, knallte der Schuh gegen das Türblatt.
„Weiber“, brummte Kaltenbach noch, dann stand er auf dem Florinsmarkt. Er musste jetzt erst einmal seine Gedanken ordnen, bevor er weitermachte.