SECHSTES KAPITEL
Freddie Hoffman war Agent für Schauspieler, und seine Sekretärin — Dottie Prentice — war eine Art lebender Reklame dafür, daß das Verhökern körperlicher Vorzüge zu seinem Geschäft gehörte. Vielleicht herrschte dieses Prinzip überall; Eugene Patrick war Investment-Berater, und das Aussehen seiner Sekretärin schien damit übereinzustimmen; es konnte keine sehr erregende Branche sein.
Sie war groß und dünn, mit einer Menge krausen, ausbleichenden tizianroten Haars, das ihr überall vom Kopf abstand. Eine Art kleines Waisenkind Annie, bei dem allmählich das wahre Alter zutage zu treten beginnt. Der dick überpuderte Schnurrbart verlieh ihrer Oberlippe einen permanenten Fünf-Uhr-nachmittags-Schatten, und wenn sie lächelte — was ihr nicht leichtfiel — wäre es einem lieber gewesen, sie hätte es unterlassen. Sie hieß Miss Sims, und sie mochte mich offensichtlich gar nicht. Vermutlich sah ich wie die Sorte von Aktionären aus, die hie und da mit einer Ginflasche voller Zehncentstücke auftauchen in der Hoffnung, sie innerhalb der nächsten vierzehn Tage in ein Vermögen verwandelt zu sehen.
»Leider ist es heute völlig hoffnungslos, Mr. Holman«, sagte sie selbstzufrieden. »Mr. Patrick hat bis fünf Uhr dreißig eine ganze Reihe von Verabredungen.«
»Ist im Augenblick jemand bei ihm?« fragte ich höflich.
»Nun, nein.« Sie rümpfte hörbar die Nase. »Aber seine nächste Verabredung mit einer sehr wichtigen Kundin ist um zwei Uhr fünfzehn, und nun ist es zwei Uhr zwölf und seine Kundin ist immer pünktlich. Wie wäre es, wenn wir eine Verabredung für...« Sie blätterte die Seiten ihres ordentlichen schwarzen Notizbuchs mit der Selbstzufriedenheit einer Bordellmutter durch. »Lassen Sie mich sehen. Heute ist Dienstag. Wie wäre es mit Donnerstag nachmittag um vier Uhr dreißig? Das könnten wir sehr gut einrichten, Mr. Holman.«
»Wie wäre es, wenn ich einfach jetzt in sein Büro ginge, und er könnte, wenn ihm das nicht paßt, nach Ihnen rufen, damit Sie mich hinauswerfen?« schlug ich liebenswürdig vor.
»Wirklich, Mr. Holman!« Sie zitterte vor selbstgerechter Entrüstung. »Ich habe niemals...«
»Das merkt man, Miss Sims«, sagte ich betrübt. »Das merkt man.«
Sie stieß mehrere jungfräuliche Quietscher aus, während ich an ihrem Schreibtisch vorbei in Patricks Büro ging, und dann bekam sie möglicherweise einen Zornanfall. — Ich gab mir nicht die Mühe, es herauszufinden.
Patrick blickte mit einem Ausdruck milder Überraschung im Gesicht von seinem Schreibtisch auf, als ich unangemeldet eintrat, und dann brummte er: »Ach, Sie sind’s, Holman!«
Er trug wieder einen dieser eleganten Seidenanzüge, der im richtigen Maß zerknittert war, und sein Büro machte genau denselben Eindruck, wie ich mit matter Anerkennung feststellte. Es war mit gutem Geschmack eingerichtet, nichts war ins Auge fallend neu, und nichts war geradezu schäbig. Mein Respekt vor dem Burschen hob sich ein wenig. Wenn er ein Gauner war, dann war er ein sehr gewandter Gauner. Ich setzte mich auf einen bequemen, mit Leder bezogenen Polsterstuhl, der aussah, als ob er sein Dasein im Harvard Club begonnen hätte, und zündete mir eine Zigarette an.
Seine kalten grauen Augen betrachteten mich mit offener Feindschaft. »Ich habe in zwei Minuten eine wichtige Verabredung«, sagte er finster. »Also beeilen Sie sich!«
»Die Situation ist kompliziert geworden«, sagte ich. »Ich bin nicht überzeugt, daß ich sie Ihnen innerhalb von zwei Minuten auseinandersetzen kann.«
»Hat es nicht Zeit?« sagte er ungeduldig.
»Nein.« Ich lächelte ihm zu. »Was, zum Kuckuck, ist denn los? Ihre Kundin kann fünf Minuten warten. Schließlich handelt es sich dabei nur um Geld. Oder nicht?«
Der dicklippige selbstzufriedene Mund verzog sich nach unten, während er mich eine Sekunde lang anstarrte. »Ich habe Sie vom ersten Augenblick an nicht leiden können, Holman«, sagte er eisig. »Und ich muß gestehen, Sie gewinnen bei näherer Bekanntschaft nicht.«
»Das liegt nur daran, daß es in den letzten Nächten so spät geworden ist«, erklärte ich ihm. »Letzte Nacht zum Beispiel — da wollte mich Jason Wagner engagieren, weil er dachte, ich sei, als seine Sekretärin umgebracht wurde, bei Westerway gewesen, um eine Auftraggeberin zu vertreten, und er wollte den Namen dieser Kundin wissen.«
»Sie haben ihn ihm nicht gesagt?« fragte er ängstlich.
»Nein, aber es war nicht einfach«,sagte ich. »Und dann stieß ich auf eine grandiose Schwarze — eigentlich die ganze Nacht über immer wieder — , die Louise hieß. Louise Westerway, sagte sie und behauptete, sich Sorgen um ihren Bruder zu machen. Später, in ihrem Appartement, tauchte ihr Bruder mit einer Pistole in der Hand auf und nahm das Mädchen mit. Nur behauptete er, er sei nicht ihr Bruder und ihr Name sei nicht Louise Westerway, sondern Louise Patrick.«
Das Telefon klingelte im falschen Augenblick, und er nahm den Hörer ab. »Entschuldigen Sie mich bei ihr für fünf Minuten und bitten Sie sie zu warten«, sagte er kurz.
Er legte auf und sah mich mit ausdruckslosem Gesicht an. »Louise Patrick?«
»Ich fragte mich, ob Sie eine solch großartig aussehende Schwester haben könnten«, sagte ich leichthin. »Ich gebe zu, es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber die Natur treibt gelegentlich seltsame Spiele.«
»Ich habe keine Schwester«, knurrte er. »Ich kenne keine großartig aussehende Schwarze namens Louise Patrick.«
»Man kann ja mal fragen«, sagte ich.
Er tippte mit dem Zeigefinger gereizt auf seine fleischige Nasenspitze und betrachtete mich wieder finster. »Sind Sie deshalb gekommen?« fragte er. »Um herauszufinden, ob ich eine Schwester namens Louise habe?«
»Das war einer der Gründe, Mr. Patrick«, bestätigte ich. »Kannten Sie überhaupt das ermordete Mädchen — Gladys Pearson?«
»Natürlich nicht«, fuhr er mich an. »Woher, zum Teufel, sollte ich sie kennen?«
»Ich kann mir auch keinen einleuchtenden Grund denken«, gab ich zu. »Ich war nur neugierig. Sie war bei Westerway, als sie umgebracht wurde. Es muß irgendeine Beziehung zwischen den beiden gegeben haben, und Westerway muß außerdem mit dieser Louise in irgendeiner Beziehung stehen, die behauptete, sie sei seine Schwester, aber er bestand darauf, sie Louise Patrick zu nennen.« Ich lächelte ihm mit Wärme zu. »Das klingt alles nach einer einzigen großen glücklichen Familie, finden Sie nicht auch?«
»Ich werde eine logische Frage riskieren, Holman«, sagte er brüsk. »Steckt hinter Ihren Fragen irgendein Sinn?«
»Ich glaube ganz bestimmt«, versicherte ich ihm. »Das Paket.«
»Paket? Was für ein Paket?«
»Das weiß ich nicht.« Ich zuckte hilflos die Schultern. »Aber nach dem, wie Westerway geredet hat, scheint er sich darüber mehr Sorgen zu machen als über die Tatsache, daß er wegen Mordes gesucht wird.«
Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Das ist, soweit es mich betrifft, nichts als unverständliches Kauderwelsch, Holman. Ich denke nicht daran, deswegen eine wichtige Kundin noch länger warten zu lassen!«
»Sind Sie wirklich zehn Millionen wert — so wie Fabrielle behauptet?« fragte ich neugierig.
»Machen Sie, daß Sie hinauskommen, bevor ich die Geduld verliere und Sie hinauswerfe!« Die Adern standen wie geknotete Stricke an seiner Stirn hervor. »Wer sind Sie überhaupt? Irgendein verdrehter Komödiant?«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte ich.
Auf dem Weg hinaus sah ich die wichtige Kundin, die auf der Kante eines Stuhls thronte und eine elegante Aktentasche fest mit den Händen umklammerte. Sie war eine kleine alte Dame, schwarz gekleidet und mit einer goldumrandeten Brille versehen, die sicherheitshalber mit einer schwarzen Seidenschnur vorn an ihrem Kleid befestigt war. Der Gedanke, sich vorzustellen, irgendwelche Wertpapiere könnten noch vor morgen um zehn Prozent fallen, wenn sie nur genügend pustete, hatte etwas Faszinierendes. Ich ließ Miss Sims ein sonniges Lächeln zukommen, was einen schwach grünlichen Schimmer auf ihre blutlosen Lippen zauberte, bevor ich in eine Welt zurückkehrte, die ebenso verwirrend war wie zuvor, ehe ich das Büro betreten hatte.
Die Sonne schien hell von einem wolkenlos blauen Himmel, als hätte sie von Holmans Sorgen nie etwas gehört. Ich fuhr durch die Stadt zu dem Appartement in Westhollywood. Der altehrwürdige MG stand noch immer auf der anderen Seite der Straße, und so parkte ich meinen Wagen unmittelbar dahinter. Eine gründliche Umschau im Appartement sollte mir eigentlich einen Hinweis darauf geben, ob das dunkelhaarige Mädchen mit der wasserklaren Stimme in Wirklichkeit Louise Westerway oder Louise Patrick — oder von mir aus Mabel Schwartz hieß. Ich war bereits oben auf dem betonierten Treppenabsatz angelangt, als ich mich an die erste goldene Regel für Einbrecher erinnerte: Sich immer erst zu vergewissern, ob niemand zu Hause ist. Also drückte ich auf den Summer und wartete pflichtschuldigst. Dann, etwa zehn Sekunden später, geschah das Unglaubliche. Die Tür öffnete sich, und ein schönes dunkelhaariges Mädchen stand da und blickte mich mit einem entzückenden Willkommenslächeln auf dem Gesicht an.
»Rick!« Wieder schien mich ihre Stimme mit diesem Wasserfallklang aus Chanel, No 5 zu besprühen, aber ich fühlte mich im Augenblick nicht wie eine Silberstatue des Pan, sondern eher wie ein Bleichgesicht, dessen Kopfhaut soeben auf rohe Weise von einem skalphungrigen Sioux abgezogen wurde. Ich konnte nichts tun, als dastehen und die wirklich vorhandene Sioux-City-Sue anstarren, die mich unentwegt anlächelte, als wäre beim letzten Mal, als wir uns gesehen hatten, nicht das geringste passiert.
Sie trug einen schwarzseidenen Cheongsam, der die großzügigen Rundungen ihres Körpers umschloß wie eine Zellophanhülle; zu beiden Seiten des Rocks war ein Schlitz angebracht, der beinahe bis zum oberen Ende ihrer Schenkel reichte. Ihre großen dunklen Augen blickten mit feuchtem Entzücken geradewegs in die meinen und verliehen mir ein Gefühl wie das eines endlich siegreich heimgekehrten Helden, dem seine gerechte Belohnung für all seine heroischen Kämpfe gegen einen bösartigen Gegner gewiß ist. Heroische Taten! Das einzige, was mir die Sache bis jetzt eingebracht hatte, war, von einem tennisspielenden Nichtsnutz namens Michael Westerway zweimal bewußtlos geschlagen worden zu sein.
»Ich habe in den letzten zwei Stunden alle zehn Minuten versucht, Sie anzurufen, Rick«, sagte sie atemlos. »Ich war halb verrückt vor Sorge. Ich dachte, als Sie nicht antworteten, Mike hätte Sie vielleicht heute nacht ernsthaft verletzt und man habe Sie in ein Krankenhaus oder irgend so etwas Gräßliches bringen müssen. Ich bin so froh, daß es Ihnen gutgeht!«
»Ich bin okay«, murmelte ich. »Nur bekomme ich jedesmal dieses schreckliche Brummen in meinem Kopf, wenn ich Sie sehe, Louise Wie-immer-Sie-heißen.« Ich ging an ihr vorbei ins Appartement und ließ mich vorsichtig auf einer Couch nieder, denn ich fühlte mich im Augenblick ziemlich zerbrechlich, und ich hegte die Befürchtung, bei irgendeinem plötzlichen Ruck könnte glattweg ein Glied abbrechen.
Das quälende Geräusch raschelnder Seide näherte sich, nachdem sie die Tür geschlossen hatte und hinter mir her ins Wohnzimmer eilte.
»Sind Sie wirklich okay, Rick?« In ihrer Stimme lag nichts als Besorgnis. »Sie sehen plötzlich so erschöpft aus.« Sie ließ sich neben mir auf der Couch nieder, einen prächtigen Teil ihres sonnengebräunten Schenkels entblößend, als der Schlitz an ihrem Cheongsam auseinanderfiel. »Möchten Sie etwas zu trinken?«
»Später«, sagte ich. »Jetzt möchte ich erst ein paar Fragen beantwortet haben.«
»Fragen?« Sie rümpfte einen Augenblick die kleine gerade Nase, und dann leuchteten ihre Augen wieder. »Oh, Sie meinen wegen dem, was heute nacht passiert ist?«
»Sie sind meiner ersten Frage ausgewichen!« knurrte ich vorwurfsvoll. »Wie heißen Sie in Wirklichkeit?«
»Louise Westerway, Rick, das wissen Sie doch.« Sie blickte mich zweifelnd an. »Fühlen Sie sich wirklich gut?«
»Ihr Bruder schien heute nacht nicht zu glauben, daß er eine Schwester hat. Er nannte Sie Louise Patrick!«
»Ich weiß.« Sie kicherte hilflos. »War das nicht verrückt?«
»Ich habe heute morgen im Telefonbuch nachgesehen«, sagte ich scharf. »Sie stehen nicht darin.«
»Nun, das hier ist die Heimat der Wölfe, Herzchen.« Sie lächelte müde. »Ein Mädchen, das allein lebt, muß die elementarsten Vorsichtsmaßnahmen treffen, wie zum Beispiel eine nicht im Telefonbuch aufgeführte Nummer besitzen.«
Mit ihr zu reden, soviel wurde mir hilflos klar, glich dem Versuch, eine Portion Eisschokolade mit der Hand greifen zu wollen. »Okay.« Ich biß resolut die Zähne zusammen. »Erzählen Sie mir, was sich heute nacht noch ereignet hat.«
»Nun, nachdem Mike Sie niedergeschlagen hatte...« sie schauderte heftig. »Das war gräßlich von ihm! Ich sagte es ihm auch, aber er hörte nicht einmal darauf, weil er so wütend war. Danach zwang er mich, auf die Straße zu gehen und in seinen Wagen zu steigen, und dann fuhren wir zu Ihrem Haus. Ich sagte ihm fortwährend, er sei dumm und Sie wüßten nicht mehr über das alte Paket als ich, und Sie hätten ihm nur erzählt, es befände sich in Ihrem Kühlschrank, weil Sie ihn hinhalten wollten. Aber er wollte nicht hören. Als wir nun zu Ihrem Haus kamen und er sein altes Paket nicht in Ihrem Kühlschrank fand, begann er so was wie Amok zu laufen und überall nachzusehen. Leider hat er eine fürchterliche Schweinerei hinterlassen, Rick—«
»Ich weiß.« Ich fletschte die Zähne. »Ich habe darin geschlafen.«
»Dann, nach etwa einer halben Stunde, gab er auf und zerrte mich wieder in seinen Wagen zurück. Inzwischen hatte er sich ein wenig beruhigt, jedenfalls soweit, daß er mir zuhörte, als ich ihm von dem Gorilla erzählte, der mich gestern am frühen Abend überfallen hatte, und daß dies der Grund gewesen sei, weshalb ich Sie gebeten hatte, mit mir zurückzufahren, um nachzusehen, ob das Appartement sicher sei. Dann sagte er, das alles ergäbe keinen Sinn: Wenn Sie es nicht hätten und er es nicht hätte, wer es denn dann, zum Teufel, hätte?« Sie legte den Kopf zur Seite und sah mich an, als sei ich ein Quizexperte. »Was, glauben Sie, soll das bedeuten, Rick?«
»Ich glaube, es bedeutet, daß er genauso verrückt ist wie Sie«, brummte ich. »Erzählen Sie vollends zu Ende. Ja?«
»Nun, er fuhr, wie mir schien, stundenlang ziellos in der Gegend herum. Lange Zeit sprach er überhaupt nicht mit mir, und dann plötzlich sagte er, er glaube, er sei einem Irrtum erlegen, als er in das Appartement gekommen sei und Sie dort vorgefunden habe. >Ich dachte, du seist zur Opposition übergelaufen, Baby<, sagte er. >Ich glaube, da habe ich mich geirrt.< Dann fuhr er hierher zurück und setzte mich vor dem Haus ab. Ich fragte ihn, was er nun tun wolle und erinnerte ihn daran, daß die Polizei glaubte, er habe Gladys ermordet, und ob er da nicht etwas unternehmen wolle. Und der verrückte Idiot grinste bloß und sagte, zuerst müsse er das Paket finden, denn der, der es habe, sei auch der Mörder Gladys’. Es müsse derjenige sein, dem sie es in ihrer Dummheit zuerst anvertraut habe.
Ich fragte ihn, was das Paket denn enthielte; er lachte und sagte, wenn ich das wüßte, käme ich wahrscheinlich auf ehrgeizige Gedanken, und er habe ohnehin schon ausreichend Konkurrenz. Dann schob er mich aus dem Wagen und fuhr davon.« Sie zuckte ausdrucksvoll die Schultern. »Inzwischen war es etwa halb fünf Uhr morgens geworden, und ich war völlig fertig. Also legte ich mich ins Bett und schlief sofort ein. Ich wachte gegen elf Uhr auf und versuchte ab da, Sie anzurufen. Und das ist, glaube ich, alles.«
»Hat er Sie deshalb >Louise Patrick< genannt, weil er dachte, Sie seien zu seinen Gegnern übergelaufen?« fragte ich sie.
»He!« Sie warf mir einen ehrfurchtsvollen Blick zu, als ob sich soeben Genius persönlich unmittelbar vor ihren Augen enthüllt hätte. »Daran habe ich gar nicht gedacht, Rick. Himmel — das bedeutet, daß Patrick zu Mikes Gegnern gehört! Nicht?«
»Es klingt so«, bestätigte ich.
»Jetzt haben wir wirklich was herausgekriegt.« Sie schäumte einen Augenblick vor Begeisterung über, dann kam ein verblüffter Ausdruck in ihre Augen. »Wer ist Patrick?«
»Darüber muß ich nachdenken«, sagte ich ausweichend. »Wollen Sie nicht, während ich überlege, den Drink holen, von dem Sie vorhin sprachen?«
»Gern«, sagte sie. »Nach wie vor Rye — . Okay?«
»Sehr gut«, sagte ich. »Auf Eis.«
Sie stand von der Couch auf und verschwand mit dem aufreizenden Geraschel von Seide in der Küche. Im dem Augenblick, da sie außer Sicht war, ging ich zu dem Schreibtisch in der einen Ecke des Zimmers und zog eine Schublade auf. Dort lagen ein paar alte Umschläge, die an »Louise Westerway« adressiert waren. Dann war da ein Brief von einer Agentur, in dem stand, ihr letzter Werbesong für die Weichkäsegesellschaft sei ein großer Erfolg gewesen, und sie wollten, daß sie, Louise, noch weiter für sie arbeite. Die Details waren etwas vage, aber der Bursche von der Agentur, der den Brief geschrieben hatte, schwärmte davon, daß nun ohne Zweifel der Name Louise Westerway ein Begriff geworden sei, und er hoffe, daß sich in nächster Zeit Großes ereigne.
Ich schloß die Schublade und kehrte zur Couch zurück. Es gab also ausreichend Beweise, die bestätigten, daß sie wirklich Louise Westerway war, fand ich. Auch die Art und Weise, wie sie das Leben ihres Bruders während der letzten vier Jahre geschildert hatte, war überzeugend gewesen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt nicht genau gewußt, wieviel ich von Mike Westerway wußte, es hätte ihr also schwerfallen müssen zu schwindeln. Sie war also eine großartige Verrückte, die ihren untauglichen Bruder zwar nicht eben bewunderte, sich aber irgendwie für ihn verantwortlich fühlte, wenn er in größeren Schwierigkeiten steckte. Es klang ein wenig nach Schmiere, aber selbst die Schmiere hat gelegentlich ihre Parallelen im realen Leben.
Sie kehrte mit den Gläsern zurück, reichte mir das eine und ließ sich dann neben mir auf der Couch nieder, wobei sie ihren Schenkel fest der ganzen Länge nach gegen den meinen preßte, was, wie ich verdrossen vermutete, nichts als eine kameradschaftliche Geste war.
»Ist Ihnen jetzt eingefallen, wer Patrick ist, Rick?« fragte sie interessiert.
Ich nahm bedächtig einen großen Schluck Rye, schluckte sachte und spürte, wie er auf selbstlose Weise Wärme und Wohlbehagen in meinem Inneren verbreitete.
»Klar, mir ist eingefallen, wer Patrick ist, Süße«, sagte ich gelassen. »Er ist der Bursche, der viermal so große Männer wie Mike zu verschlucken und sie noch vor dem Frühstück auszuspucken pflegt. Das haben Sie mir gesagt, als Sie gestern abend zum erstenmal in meinem Haus waren. Erinnern Sie sich?«
Sie ließ mir ein leicht glasiges Lächeln zukommen. »Das habe ich gesagt, Rick?«
»Sie sagten außerdem, Sie seien sicher, daß ich und mein geheimnisvoller Partner von Fabrielle Frye und Patrick engagiert worden seien, um Mike zu ermorden«, fügte ich hinzu. »Meine Beweisführung ist meistens lausig, aber mein Erinnerungsvermögen ist ausgezeichnet — sozusagen unübertrefflich. Wenn Sie etwas aus der Zeit hören wollen, als ich vier Jahre, fünf Monate und dreieinhalb Tage alt war und meine Mutter mich fallen ließ, weil...«
»Ich glaube nicht«, sagte Louise vorsichtig. »Ich weiß nicht.« Sie schüttelte belustigt den Kopf. »Ich glaube, seit gestern nacht hat sich alles so schnell entwickelt, daß ich die nächstliegenden Dinge vergesse! Natürlich, Mike hat mir erzählt, daß Eugene Patrick der Mann sei, der Fabrielle Frye gleich nach ihrer Scheidung von ihm, Mike, heiraten wolle. Wie konnte ich etwas Derartiges vergessen?«
»Ich glaube nicht, daß Sie etwas Derartiges vergessen haben, Süße«, knurrte ich. »Sie haben nur vergessen, daß Sie mir bereits von Patrick erzählt hatten.«
»Oh!« Sie blies eine Haarsträhne aus ihren Augen. »Beweist das irgend etwas, Rick?«
»Daß Sie eine miserable Lügnerin sind«, sagte ich, »vielleicht auch eine gute Schauspielerin? Wenn ich es mir recht überlege, so war, wenn Sie mich zu Mikes Gunsten aushorchen wollten, das klügste, was Sie tun konnten, die naive, leicht verrückte kleine Schwester zu spielen, die sich für ihren Bruder einsetzt. Stimmt’s?«
Ihre Augen hatten noch immer die dunkelsamtene Farbe des Nachthimmels, aber es glitzerten keine Sterne mehr darin. »Die ganze Unterhaltung langweilt mich plötzlich entsetzlich, Rick Holman«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich glaube, ich kann Sie nicht mehr leiden. Ich möchte, daß Sie jetzt gehen.«
»Okay.« Ich trank mein Glas leer und stand auf. »Ich gebe Ihnen noch einen letzten guten Rat, Süße. .Wenn Sie in diese Affäre — worum immer es sich handeln mag — verwickelt sind, so geht das bei weitem über Ihre Kräfte. Vielleicht fällt der nächste Gorilla, der daherkommt, nicht auf die Sache mit dem Staubsauger herein; vielleicht glaubt er, die Information befände sich in Ihrem Kopf und fängt an, mit einem stumpfen Messer nachzugraben.«
»Leben Sie wohl, Mr. Holman«, sagte sie tonlos. »Ich kann nicht behaupten, daß es ein Vergnügen war, Sie kennenzulernen, aber es hätte eins sein können.«
»Ich habe dasselbe Gefühl, Süße«, sagte ich ehrlich und ging auf die Tür zu.
»Rick?« In ihrer Stimme lag ein unsicher schwankender Unterton, der mich bewog, stehenzubleiben und mich umzudrehen.
Sie lächelte mich mit zitternden Lippen an. »Louise Westerway — Louise Patrick — Louise Westerway«, sagte sie. »Das ist die Geschichte meines jungen Lebens. Ich glaube, da ist eine psychische Blockierung, die jedesmal einsetzt, wenn ich mich an den Patrickschen Teil meines Lebens erinnern soll. Wie Sie sagten: Ich bin eine miserable Lügnerin.«
»Sie waren mit Eugene Patrick verheiratet?« Ich starrte sie an.
»Für acht Monate, drei Wochen und vier Tage«, sagte sie. »Es war keine angenehme Erfahrung, Rick.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
»Soll ich uns noch etwas zu trinken holen, bevor ich meine Seele entblöße?«
»Klar«, sagte ich. Ich nahm die leeren Gläser vom Kaffeetischchen vor der Couch und trug sie in die Küche.
Ich war eben damit beschäftigt, Rye über die Eiswürfel zu gießen, als ich das Seidengeraschel hinter mir hörte. »Was ist, trauen Sie Ihrem Hauspersonal nicht?« fragte ich, ohne mich umzudrehen.
»Ich habe eben meine Absicht geändert, Rick«, sagte die schöne wasserklare Stimme. »Man könnte vermutlich sagen, ich bin das unbeständigste Mädchen, das Sie je kennengelernt haben.«
»Vermutlich«, sagte ich zerstreut. »In welcher Beziehung haben Sie dieses Mal Ihre Absicht geändert, Süße?«
»In Beziehung auf Sie«, sagte sie mit unvermittelt arktischer Kälte, und gleich darauf fiel der verdammte Himmel auf meinen Kopf.
Ich kam zu mir, besessen von einem endgültigen Haß gegen den Namen Westerway. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden war ich bereits dreimal k.o. geschlagen worden, und jedesmal hatte einer dieser verdammten Westerways dahintergesteckt; die ersten beiden Male dieser tennisspielende Nichtsnutz Mike und diesmal seine Werbesongs singende Schwester Louise. Der Stolz eines Mannes kann nur bis zu einem gewissen Grad strapaziert werden, dachte ich fieberhaft, während ich mich mühsam aufraffte, und sein Kopf ebenfalls — wie ich gequält feststellte, als die Küche für einen Augenblick zu schwanken begann. Wenn ich je einen der beiden zwischen die Finger kriegen sollte, so würde ich — würde ich... Damit war ich bei der Küchentür angelangt, und da war sie. Sie trug einen leichten Mantel, und neben ihr stand ein hübscher kleiner Reisekoffer — aber sie ging nirgendwo mehr hin.
Sie lag auf ihren Knien und lehnte gegen die Wand neben der Wohnungstür, sie mit einem Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht, das ich nur im Profil sehen konnte, anstarrend. Plötzlich hörte ich auf, den Namen Westerway zu hassen — zumindest den Namen Louise Westerway — und es dauerte etwa zehn quälende Sekunden, bis ich mich aufraffen konnte, um nachzusehen, ob nicht da, wo das samtschwarze Auge gewesen war, ein häßliches, schwarzes gähnendes Loch sei.
Es war da.