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|185|Konsumguerilla: Ein Gespräch

Birgit Richard und Diedrich Diederichsen

 

Birgit Richard (BR): Herr Diederichsen, was assoziieren Sie mit dem Titel Konsumguerilla?

 

Diedrich Diederichsen (DD): Also zunächst gibt es eine Idee von Guerillakonsum oder Dissidentenkonsum, die sich darauf bezieht, dass Produkte ganz bestimmte Bedeutungen haben und dass diese Bedeutungen wiederum die herrschenden Verhältnisse stabilisieren. Und dass dann neue Kontraste, Montagen und Umwidmungen dazu führen, quasi subversiv diese stabilen, herrschenden Verhältnisse anzugreifen. Das ist eine Idee, die es lange gab, an die aber heute keiner mehr recht glaubt, weil man erkannt hat, dass die Stabilität der Verhältnisse nicht so direkt von bestimmten Bedeutungskulturen abhängig ist. Mit solchen Praktiken ist man mittlerweile auf der Marktseite gelandet, die genau dasselbe macht. Dort findet man Strategien, die eine scheinbar kritische oder antagonistische Komponente enthalten, aber um direkt eine Bedeutung aufzufrischen und auch unter veränderten Bedingungen zu authentifizieren.

Das Hijacken von Logos und Zeichen funktioniert aber auch aus einem anderen Grunde nicht. Denn letztendlich zeigen die Zeichen eine Gestalt, die kräftiger ist als ihre Negation. Die Negation hat ein kleines unauffälliges Zeichen. Wenn ich vor ein auffälliges Zeichen ein Minus setze – man sieht dies an der berühmten Debatte um das durchgestrichene Hakenkreuz – dann setzt sich doch das auffälligere Zeichen durch. Letztendlich ist das also eine mehr oder weniger an ihre Grenzen gekommene Strategie.

Die zweite Frage ist, welches Verhältnis Gegenkulturen zu Waren haben. Hier muss man darüber sprechen, wie Waren Bedeutung hervorbringen, wobei entscheidend ist, dass Waren etwas versprechen, was sie selbstverständlich nicht halten. Dennoch sorgen sie aber dafür, dass das gegebene Versprechen weiter zirkuliert. Ich denke, das ist der Ansatzpunkt: Das Versprechen der Waren mobilisieren. Das könnte etwa darauf hinauslaufen, die Einhaltung des Versprechens einzuklagen – ob von der Ware oder von der ganzen Welt. |186|Klassisch kritisch wäre, den Versprechenscharakter in einer aggressiven Weise zu decouvrieren oder vielleicht sogar den Inhalt des Versprechens als Ideologie zu beschreiben. In der Pop-Kultur entstanden subversive Momente aber auch dadurch, dass man naiv auf Einhalt der Versprechen bestand, das Attraktive des Warenversprechens ernst nahm und oft auch dessen Zusammenhang mit den Gegenkulturen, denen es entnommen war, betonte.

 

BR: Figuren wie der Prosumer oder der emanzipierte Konsument wären also im Grunde genommen die Konsumenten, die mit und an dem Versprechen arbeiten. Auf der anderen Seite wären sie diejenigen, die versuchen, autonom etwas herzustellen. Kann man das Prinzip der Ware überhaupt unterlaufen?

 

DD: Ich denke eigentlich, dass man dem Prinzip der Ware nicht mit alternativen Waren entgegentreten kann. Man muss auf der Ebene des Prinzips oder eben gegen es agieren. Ich glaube also, dass die human hergestellte oder die besser oder fairer hergestellte beziehungsweise fairer gehandelte Ware nicht die Lösung des Problems ist. Es ist natürlich wünschenswert und schön, wenn die Konsumenten dafür sorgen, dass irgendwie weniger Kinderarbeitsanteile enthalten sind oder dass der Kaffee den Erzeugern einen höheren Preis einbringt, als ihnen Tchibo bewilligt, und so weiter. Das sind aber Nebenaspekte, das berührt den Kern noch nicht.

Im Umgang mit den Waren ist der Fehler von ’68 gewesen, zu sagen: »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, denn heute ginge es darum – die Gruppe Bernadette Corporation hat es so formuliert, das kaputt zu machen, was man liebt. Darum ginge es. Nicht das, was einen kaputt macht, sondern das, was man gerne hat. Also ist es keine Art von Verzicht, es ist keine asketische Handlung oder Haltung, sondern da konvergiert eben die Aggression gegen die Ware mit dem Begehren, das man auch nicht leugnen kann. Ware ist die einzig mögliche Weltteilhabe; will man die Welt ändern und mit ihr die Rolle der Ware, geht das auch nur über die Ware.

 

BR: Mich interessiert noch mal das Schnittfeld von warenförmiger Populärkultur und Kunst. Was passiert, wenn Kunstobjekte mit sehr starker Orientierung am Kunstmarkt die Grundanforderung von Kunst erfüllen, Provokation und widerständige Elemente zu liefern? Müssen dann nicht andere Formen von Widerständigkeit gesucht werden, die eben auf den ersten Blick jetzt nicht unbedingt als solche erscheinen?

 

|187|DD: Ich denke, dass am ehesten auf einer abstrakteren Ebene gearbeitet werden sollte; also, dass die Künstlerposition das eigentliche Thema ist. Und dann wäre ja die Frage, wenn man die Ausnahme von der Alltagskommunikation, die die Kunst darstellt, retten will, zu bestimmen, worin denn heute eine Ausnahme bestehen würde und was dem gegenüber die Regel wäre. Ich glaube, da entlang geht die Frage: Was wäre ein Objekt, ein Fetisch, eine Haltung, ein Prozess, ein Versprechen, das anders funktioniert als Ware – so wie es ein bestimmter Idealismus immer der Kunst zugeschrieben hat. Hier liegt, glaube ich, das Hauptproblem: Man hat früher auf partizipatorische Prozesse als Gegenmodelle gesetzt. Derzeit können wir aber beobachten, dass die Konsumkultur und ihre Medien immer stärker durch das Internet und andere digitale Anwendungen so aufgebaut sind, dass nur eine ganz bestimmte neue, scheinbar partizipatorische Konsumkultur entsteht, die oft das aufgreift, was solche Kunst einst gefordert hat. Und darauf sollte die bildende Kunst anders reagieren, als wieder nur noch weitere Arbeiten hervorzubringen, die dann immer noch meinen, nur weil irgendwer irgendwo mitmachen darf, sei das demokratisch. Knöpfchendrücken ist ja noch harmlos gegen die Volks-Modelle in der Kunst wo, wie bei Spencer Tunick, 7.000 Nackte sich irgendwo hinlegen und denken, es diene keiner Ware – also da bin ich doch sehr überrascht.

 

BR: Lassen sich denn trotzdem neben dieser warenförmigen Kunst und der nur scheinbar partizipatorischen Konsumkultur im Netz auch neue Formen von medialer Kunst finden? Ob diese jetzt intentional künstlerisch gemeint sind oder nicht, sei erst mal dahingestellt.

 

DD: Die Netzkunst der neunziger Jahre wollte ja in erster Linie soziale Modelle einbringen, soziale Plastiken entwerfen, sodass im Prinzip alte, nämlich neo-avantgardistische Formen eine mediale Grundlage bekommen. Das ist eigentlich daran gescheitert, dass es dann alle gemacht haben und zwar als Geschäftsmodell, nicht mehr in einem künstlerischen Sinne. Die zweite Strategie war die von Leuten wie www.jodi.org – aufzuklären über die Programmiertheit, was im Grunde altmodernistisch ist: Ob man nun weiß, ob ein Gemälde aus Leinwand und Farbe besteht, wie es dem high modernism wichtig war, oder ob man darauf verweist, dass eine Netzanwendung aus Binärcodes oder Hexadezimalcodes besteht, läuft auf eine ähnliche Geste hinaus. Deshalb finde ich auch, genau wie Olia Lialina, eine Kollegin von mir aus Stuttgart, dass die interessantesten Entwicklungen, die es zur Zeit im Netz gibt, eher unter den Namen digitale Folklore fallen sollten als unter Netzkunst, obwohl |188|so eine Unterscheidung in diesem Falle ähnlich prekär ist wie andere High/Low-Grenzen.

In jedem Fall gibt es eine Differenz zum klassischen Projekt. Was man aber auch bedenken muss, ist natürlich, dass die Akteure, welche an solchen Dingen beteiligt sind, wie es oft bei populären Kunstformen vorkommt, nicht so richtig wissen, was sie tun. Und damit ergibt sich auch wieder dieses merkwürdige Phänomen, dass dann die Kunst kommt und beschützen, präparieren oder konservieren will. Es gibt eben eine – ich nenne es mal ruhig so – spektakuläre Form von Partizipationskonsum, der im Grunde genommen die Beteiligten komplett entmündigt oder sie an Konsumprozesse anschließt. Es gibt so einen Irrsinn, der quasi parallel dazu besteht. Man könnte sich beispielsweise jemanden vorstellen, der komplett von Amazon-Verweisen und ihrer Struktur sozialisiert ist. Dann ist es zwar sehr schwer, über Amazon hinauszukommen und es besteht die Gefahr, in irren Wissenswelten zu verschwinden; es kann aber auch sein, dass darüber dieses irrsinnige Zeug, das in dessen Kopf nach einer neuen, lateralen Logik sich sedimentiert, ganz tolle Ergebnisse zeitigt. Beides, also asozialer Wahnsinn durch virtuelle Partizipation und dessen reale, intellektuelle und soziale Konsequenzen sind aber natürlich mit der Tatsache verbunden, dass da vor allem eine Konsumkultur aufgebaut wird. Das finde ich durchaus interessant, aber es sind unmündige, oktroyierte Logiken einerseits und eine emanzipative andererseits, die eng miteinander verwoben sind.

Im Bezug zur Frage also, was die Kunst tut oder was die Kunst tun kann, denke ich, dass vieles darauf hinausläuft, dass dem körperlich vereinzelten, im globalen Datennetzwerk vergesellschafteten Subjekt wieder eine räumliche Dimension zur Seite zu stellen ist. In diesem Kontext spielt man bereits Computerspiele, in denen man sich im Raum bewegt, mit Tennisschlägern den Schlag führt, im größeren Stil auch mit GPS-Geräten, Geländespiele wie Gotcha und so weiter. Dies aber eben kombiniert mit Netzstrukturen und körperlich anwesenden Personen. Das ist eine Entwicklung, die bevorsteht.

 

BR: Für alle Online-Netzwerke gilt, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem ich aus dem Netz heraus in den materiellen Raum gehen und Leute face-to-face treffen möchte. Die Funktion von Bildern in Medien verändert sich auch entscheidend: Sie werden zunächst einfach als fluider Kommunikationsschmierstoff produziert. Bei ihnen ist die Ästhetik erst einmal nicht wichtig, was man ihnen vielleicht auch ansieht.

 

|189|DD: Ein Problem ist dabei, dass bei einer solchen visuell geführten Kommunikation, bei der Bilder lebende Personen ersetzen, nicht nur die Bilder, sondern auch das andere Material oft dazu tendieren, sehr, sehr konventionelle Bilder und sehr, sehr konventionelle Umgangsformen zu reaktivieren und zu bezeichnen. Das ist ja auffällig, dass dort, wo man eine Komponente eines vertrauten Zusammenhangs technisch neu organisiert, dass dann in besonderem Maße auf Konventionelles zurückgegriffen wird, eben auf Erlerntes.

 

BR: Bei der HDR-Fotografie1 zum Beispiel…

 

DD: Das ist wahnsinnig konventionell. Aber nicht, weil die Leute so konventionell sind oder weil sie Spießer sind, sondern weil es mit der Situation zu tun hat. Denn wenn die Stabilität fehlt, greift man auf irgendetwas Altes zurück, das sich dann verfestigt.

 

BR: An welchem Punkt aber werden denn nun die konventionellen Formen durch die neue mediale Struktur durchbrochen?

 

DD: Das wäre in der Tat eine Frage an die Forschung zur digitalen Kultur. Im öffentlichen Zusammenhang entwickelt sich dann möglicherweise eine Form von Lebendigkeit auf der einen Seite, und auf der anderen Seite ein Narzissmus, bei dem die Lebendigkeit keine so entscheidende Rolle spielt, sondern bei dem es eher darum geht, sich statuarisch und unangreifbar zu machen.

 

BR: Diese Selbstdarstellung sieht man bei den YouTube-Egoclips in ihrer ganzen Bandbreite, natürlich medial überformt. Dennoch fassen selbst Wissenschaftler diese Bilder als »aus dem Leben gegriffen« und »authentisch« auf. Dabei wird ignoriert, dass gerade hier vorgegebene Formen die Selbstdarstellung dominieren. Dies auch bei MySpace, wo sich ein deutlicher Wandel von einer Musik- zu einer Selbstdarstellungsplattform vollzieht.

 

DD: Alle Aktivitäten, die rund um diese Seite platziert sind, klassifizieren das Leben mit den Handlungsmöglichkeiten nicht primär als High oder Low. Das ist eine positive Veränderung, dass die Möglichkeiten und somit die Mittel für alle gleich sind. Das finde ich schon bemerkenswert. Weiterhin ist das Neue an MySpace, dass es keine Unterscheidung Mainstream-/Underground-Darstellung |190|mehr gibt. Diese Trennlinie ist getilgt. Alles, was noch zu sehen ist, findet dort statt und es gibt auch niemanden, der sagt, bei MySpace machen wir nicht mit. Jede noch so futuristische, extreme, avantgardistische Geschichte läuft dort auch. Was ich ja bemerkenswert finde, ist, dass dort die Szene und vollkommen ahnungslose Leute zugleich sind. Und was man in der Szene miteinander verhandelt, das bleibt wie immer in der Szene.

Wenn man von elektronisch oder digital orientierten Räumen spricht, dann suggerieren diese aber auch eine Nachbarschaftsmöglichkeit, die es nicht wirklich gibt. Also Dinge, die da täglich nebeneinander leben oder in der Wahrscheinlichkeit nebeneinander liegen, sind so nicht tatsächlich nebeneinander. Es führt oft kein Weg von einem zum anderen. Die Welten, die sich in der Wirklichkeit nicht begegnen, begegnen sich auch auf YouTube nicht, höchstens kann man sagen, dass den Ethnologen des Alltags die Arbeit erleichtert wird. Bildungs- und Klassendifferenzen bleiben natürlich erhalten. Aber ganz so banal ist es natürlich auch nicht.

 

BR: Es gibt auch die Möglichkeit, dass man durch die Netzstruktur Dinge entdeckt, die man vorher niemals gehört oder gesehen hätte, oder?

 

DD: Das hätte man natürlich auch als blinder Mainstream-Konsument in einem traditionellen Schallplattenladen alter Schule machen können – hat es aber nicht getan. In einem realen Schallplattenladen sind aber die ganzen Einschüchterungsstrukturen kultureller Machtverhältnisse viel stärker als im Netz. Dahinter, so die Annahme, stehen irgendwelche Leute, die sich offensichtlich auskennen, da gehöre ich nicht dazu, also frage ich auch nicht.

Die Frage ist, wie die Verdichtung zu einem sozialen Phänomen organisiert ist im Netz und damit nach den Effekten, die ich im Alltagsleben erzielt habe, als ich mir 1965 lange Haare habe wachsen lassen oder 1976 einen Stachelkopf, und ob das damit vergleichbar ist. Es gibt ja nicht sehr viele Dinge, von denen man sagen kann, das hätte es ohne das Internet nicht gegeben. Man kann sagen, diese Gruppe ist tatsächlich über MySpace bekannt geworden, aber das ist dann nicht so, dass die irgendwie ganz anders klingen.

 

BR: Man kann also feststellen, dass das Netz im Web 2.0 Modus keine neuen Sounds hervor bringt. Die Veränderungen finden auf anderer Ebene statt, in der Archivierung und neuen Sortierung und Verwaltung von Musik und Musikvideos in einer Datenbank. Keine Soundguerilla, aber neue Ästhetiken im Kontext von Sound.

 
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High Dynamic Range (HDR)-Fotos zeichnen sich durch ein hohes Kontrastverhältnis aus, das mittels mehrerer Aufnahmen und Software hergestellt wird.