Kapitel 6

 

Rebecca war vollkommen verschwitzt und fühlte sich gerädert, als der Wecker sie aus dem Schlaf riss. 5.50 Uhr zeigte das Display an. Noch zehn Minuten, um wach zu werden. Aber was nützten die, wenn man sich fühlte, als hätte man gar nicht geschlafen. Also quälte sie sich aus dem Bett, nahm frische Wäsche aus dem Koffer, den sie am Vortag versäumt hatte auszuräumen, und duschte kalt. Sie entwirrte ihre blonden Locken und streifte die weiße Dienstbluse über. Die spannte ein wenig über der Brust, ansonsten passte sie. Rebecca hatte gerade das Fenster weit geöffnet und genoss die kühle Morgenluft, als es klopfte. Überrascht sah sie zur Uhr. Nein, zu spät dran war sie nicht. Neugierig ging sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Ihre Knie begannen zu zittern. Vor ihr stand Signor Gregorio.

 

»Buongiorno, Signorina!«

Er lachte sie mit strahlend weißen Zähnen an. In der einen Hand hielt er einen Cappuccino, in der anderen eine Brioche. »Soweit ich gehört habe, wird in Deutschland großen Wert auf ein Frühstück gelegt«, sagte er. Als sie nicht reagierte, fragte er: »Willst du mich nicht hereinbitten?«

»Si, certo! Natürlich!«, stammelte sie und öffnete die Tür. »Ich bin nur überrascht, Sie ... äh ... dich hier zu sehen.«

»Warum? Weil ich den Zimmerservice einmal selbst übernehme? Ich bin in diesem Hotel aufgewachsen. Ich kenne jeden Handgriff, der hier getätigt wird.«

Er reichte ihr den Becher und stellte den Teller mit der Brioche auf dem Tisch ab. Der Cappuccino duftete herrlich. Genau das Richtige, nach einer durchwachten Nacht.

 

Gregorio starrte auf ihre Beine. Der Rock lag noch auf dem Bett. Erst jetzt wurde sich Rebecca ihrer Blöße bewusst. Schnell setzte sie sich an den kleinen Tisch.

»Capisco, ich verstehe! Sie besuchen jeden Morgen ein anderes der Zimmermädchen, noch bevor dieses mit dem Ankleiden fertig sein kann«, kombinierte sie gereizt und biss in die Brioche. Sie schmeckte köstlich: warm und süß und ofenfrisch. Genießerisch schloss sie die Augen.

»Die sind fantastisch!«, gab sie zu. Gregorio lachte. »Selbstverständlich sind sie das! Du befindest dich in einem der exklusivsten Hotels Venedigs. Hast du gedacht, wir servieren Brot vom Vortag?«

Sie nahm einen Schluck aus dem Becher und war sicher, noch nie einen wohlschmeckenderen Kaffee genossen zu haben. Sie hätte sich im Paradies wähnen können, mit all den Köstlichkeiten, Gregorio mit eingeschlossen. Doch dann fiel ihr die gestrige Begegnung wieder ein: Gregorios Hand in Emilias Bluse.

Rebecca straffte die Schultern. »Also, wenn ich den Worten deines Vaters Glauben schenken darf, dann gehört es nicht zu deinen Hauptbetätigungsfeldern, die Gäste zu bedienen.« Sie sah, wie sich seine Stirn in Falten legte, und freute sich. »Und ich gebe zu, auch für mich sah es so aus, als würde dein Interesse mehr darin liegen, dich vom weiblichen Personal beglücken zu lassen.«

Er schnaubte verächtlich.

»Ach ja, mein Vater. Ich konnte ja nicht ahnen, dass unsere neueste Servicekraft Freude daran empfindet, andere Paare zu beobachten«, konterte er. Rebeccas Wangen färbten sich feuerrot. Schnell senkte sie den Kopf und widmete sich ihrem Cappuccino. Er sollte nicht sehen, wie peinlich ihr der Vorfall war.

 

»Eigentlich wollte ich dir nur alles Gute für deinen ersten Arbeitstag wünschen«, sagte er. Als Rebecca überrascht zu ihm aufsah, blickten seine smaragdgrünen Augen so unschuldig auf sie herab, dass sie beinahe geneigt war, ihm das Gesagte abzukaufen.

»Emilia wird mich einarbeiten«, sagte Rebecca. »Und wenn sie herausfindet, dass du hier warst, wird mein erster Arbeitstag kein glückliches Ende nehmen, fürchte ich.«

Er lachte laut auf. »Ich liebe es, wenn sich die Frauen um mich streiten.«

Und diesmal glaubte sie ihm aufs Wort. Wütend warf sie die Serviette auf den leeren Teller.

»Sie können jetzt abräumen, Herr Oberkellner!«, schnaubte sie. »Und dann würde ich mich gern fertig anziehen. Soweit ich weiß, stand es nicht in meinem Vertrag, dass ich hier ohne Rock arbeiten muss«, fügte sie hinzu.

Er grinste. »Ich werde darüber nachdenken und es bei meinem Herrn Vater anregen.« Damit nahm er das leere Geschirr und verließ ihren Raum.