Kapitel 15
Sand, Kies und Portland-Zement wurden gemischt und dann mit Wasser zu einer dicken, schweren Masse verarbeitet. „Wir können ihn jetzt ausgießen und glatt streichen“, sagte John.
Sie hatten das Haus ausgeräumt und wollten ganz hinten anfangen. Grandy, ein Cowboy von einer Ranch ganz in der Nähe, hatte früher als Maurer gearbeitet. Er hatte bemerkt, dass sie für die letzten zwei Säcke Zement weder Sand noch Kies hatten, um ihn zu mischen. In einem ausgetrockneten Flussbett fanden sie beides und nach etwas Rechnerei versicherte er Todd, dass der Zement sowohl für das Haus als auch für die Veranda reichen würde.
Zweifelnd blickte Todd auf die zähe, nasse Masse, die jetzt den Boden im hinteren Teil der Hütte bedeckte. Dann schaute er sich um. Er musste sich um den Boden, die Wände und das Dach Gedanken machen. Die Einrichtung und die Dekoration der Wände – das war der Bereich der Frauen. Außer vielleicht das, was in den Topf kam. Maggie kochte das Essen zwar, doch es war immer noch seine Aufgabe, dass auch Fleisch auf den Tisch kam. Gestern hatte er ein paar Hasen in den Fallen gehabt und Maggie hatte sie heute für alle als Sonntagsessen gebraten. Nicht ein Bissen war übrig geblieben und er hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass es so war.
Da sie wusste, dass Ma ihren Mittagsschlaf brauchte, hatte Maggie Mas Matratze in die Scheune geschleppt. Als Ma endlich schlief, hatte Maggie alle Hände voll zu tun. Vorsichtig lief sie mit einem Eimer Wasser um den frischen Zement herum und gab den Männern kühles Wasser zu trinken. Dann wischte sie Todds Gesicht mit einem nassen Lappen ab. Als ob seine Braut die Last auf seinem Herzen spüren könnte, schaute sie ihn immer wieder forschend an. „Es ist die harte Arbeit und die Hitze“, erklärte er.
„Aber eure Anstrengungen führen zu einem großartigen Ergebnis. Ich bin stolz auf dich – auf euch alle – für das, was ihr hier macht.“ Sie wischte ihm noch einmal über das Gesicht und lief dann zur Windmühle, um den Eimer neu zu füllen.
„Da hast du dir wirklich eine tolle Frau ausgesucht.“ Grandys Hände umfassten die Griffe der Schubkarre.
Todd nickte. Ein Mann gab nicht mit Sachen an, die ein anderer nicht hatte. Die Fakten sprachen für sich – ein gutes Essen, frisch gepflügte Felder und eine schöne Frau. In seiner Abwesenheit waren diese Männer alle Zeuge seiner langsam verfallenden Farm gewesen. Ein paar Sachen waren immer noch nicht so, wie Todd sie sich wünschte, aber das zusätzliche Feld für die Mohrenhirse sollte bei der Ernte Profit abwerfen. Sollte – aber vielleicht tat es das auch nicht. Die Gespräche heute nach der Kirche bedrückten ihn sehr.
Als sie mit der Arbeit fertig waren, gab Maggie jedem der Männer eine Papiertüte mit Keksen. Nach den ersten Mahlzeiten an Maggies Tisch hatte Todd sich genauso verrückt verhalten wie diese Männer jetzt. Er und Maggie tauschten einen amüsierten Blick, als die Männer beseelt vom guten Essen fortritten.
Danach verrichteten sie die notwendigen Arbeiten, die auch am Sonntag anfielen. Schließlich prüfte Todd die Ecke der Veranda. „Ist noch nicht getrocknet.“
„Das dachte ich mir schon. Ich habe alles in der Scheune für Ma vorbereitet, sodass sie dort heute Nacht nicht frieren wird.“ In der Dämmerung sah er, wie Maggies Wangen tiefrot leuchteten.
„Und wir schlafen auf dem Heuboden.“
Sie nickte zustimmend. „In Carvers Holler war es üblich, dass jeder Besitzer ein Zeichen in das neu gelegte Fundament einritzte.“
„Die letzte Ecke dort an der Seite ist noch weich genug für ein Zeichen.“ Todd lehnte den bleistiftdicken Zweig ab, den sie ihm reichte. „Es ist deine Tradition – du machst das erste Zeichen.“
„Nein. Als Oberhaupt der Familie ist es dein Recht und deine Verantwortung, der Erste zu sein.“
Was für eine dumme Zeitverschwendung. Den ganzen Tag lang war er auf Knien herumgekrochen. Und jetzt sollte er sich bücken, um die mit so viel Sorgfalt glatt gestrichene Oberfläche wieder zu zerstören? Das war das Letzte, was er wollte. Doch sie stand neben ihm mit leuchtenden, erwartungsvollen Augen. Er wählte sich ein Stück aus und schrieb Maggie und Todd Valmer, 15. März 1893. Nachdem er erst einmal angefangen hatte, machte es ihm sogar Spaß. Als seine Braut sanft lachte, freute er sich, dass er ihr den Gefallen getan hatte. Er fügte noch, Gott segne unser Haus hinzu und gab ihr den Zweig. „Jetzt bist du dran.“
Unter seine Worte malte sie ein Kreuz, ein Kleeblatt, ein Herz und eine Rose. Dazwischen schrieb sie, GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG, FÜRSORGE. Er glaubte, das sei alles, was sie schreiben wollte, und fasste sie an den Schultern, um ihr hochzuhelfen. „Noch eine Sache.“ Sie beugte sich vor, strich etwas glatt und bearbeitete es mit dem Zweig. Danach stellte sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte mit einem Lächeln in sein Ohr: „,Hüte dich vor den Iden des März.‘“ Erstaunt sah Todd in der Dämmerung auf den Boden. Sie hatte die Fünf verändert und daraus eine Drei gemacht. Er hatte ihr Hochzeitsdatum falsch aufgeschrieben.
Todd hielt Maggie die ganze Nacht in seinen Armen. Wenn er doch nur die Zeit anhalten könnte, sodass die Augenblicke, in denen sie in den Zement geschrieben und er das Lachen von ihren Lippen geküsst hatte, nie vergehen würden. Sie war so glücklich gewesen. Aber wie lange noch? Todd fuhr mit der Hand über ihre weichen, üppigen Haare. Erst vorhin hatte er ihren dicken Zopf entflochten, weil er ihre Haare lieber wild und frei mochte – so wie sie auch war. Doch er machte sich Sorgen um ihre Zukunft. Die Gespräche mit den Dorfbewohnern nach der Kirche kamen ihm wieder in den Sinn. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte mehr Arbeit auch eine größere Ernte und damit auch mehr Profit bedeutet. Doch diese Woche war der Preis für Getreide so tief gesunken, dass er überhaupt keinen Profit mehr damit machen würde. Wenn der Preis zwischen heute und den Tagen der Ernte noch weiter fallen würde, dann wären seine Produktionskosten höher als sein Verdienst. Heute hatte er einen Zementboden in ein Haus gegossen, das er sich eigentlich nicht leisten konnte. Die Worte Gott segne unser Haus waren eine Bitte an Gott gewesen, dass dieses Haus auch weiterhin ihnen gehören durfte. Aber die Bank hatte jedes Recht, ihr Haus zu verkaufen und die Farm, weil er sie mit Schulden überhäuft hatte.
Irgendwann vor Sonnenaufgang wachte Maggie auf. Sanft strich sie ihm eine Locke aus der Stirn und murmelte: „Du machst dir große Sorgen.“
Einen Moment lang überlegte er, ob er es abstreiten sollte. Obwohl Maggie von den Schulden und ihrer schwierigen finanziellen Lage wusste, sehnte er sich danach, sie vor der bevorstehenden Katastrophe zu schützen. Aber seine Frau verdiente es, die ganze Wahrheit zu kennen. Und sie sollte es von ihm erfahren. „Das stimmt.“
Sie zitterte.
„Hier.“ Todd zog die
Decke höher und legte die Arme um sie, als könnte er dadurch ihre
Welt zusammenhalten und alles Schreckliche abwehren. Aber Gott
musste eingreifen, denn sie beide konnten diese Situation nicht
alleine bewältigen. „Vor ein paar Jahren konnte man Weizen für $
2,24 je Scheffel verkaufen. Letztes Jahr habe ich noch
$ 1,09 dafür bekommen. Es reichte gerade, um die Raten für den
Kredit zu bezahlen und meine Ausgaben zu decken, aber nicht für
mehr.“
Sie legte den Kopf in den Nacken und lächelte. „Du hattest außergewöhnlich hohe Ausgaben durch deine Pferde – Hammer hatte sich im Stacheldraht verletzt und die Wölfe haben Nut und Feder angegriffen.“
„Glaubst du, dass ich das nicht berücksichtigt habe? Trotz dieser unvorhersehbaren Ausgaben wird es noch schlimmer werden. Gestern in der Kirche habe ich gehört, dass der Preis für Weizen jetzt bei achtundsiebzig Cents liegt. Achtundsiebzig lächerliche Cents!“
„Aber die Ernte ist diesmal größer – das hast du selbst gesagt. Und mit der zusätzlichen Hirse sollte es doch mehr als genug sein. Besonders, da wir so wenig zusätzliches Essen brauchen. Der Garten wird gut gedeihen. Die Farm ist völlig autark, was das Essen betrifft. Und dann gibt es da immer noch die Käufer für meine Rosenprodukte.“
Sie glaubte offenbar immer noch, dass sie es schaffen würden. Doch sie brauchten schon ein Wunder, um überhaupt zu überleben. Mehr als die Hälfte der Farmer, die nach Westen kamen, mussten wieder aufgeben. Er hatte einfach nur nie damit gerechnet, dass er einer von ihnen sein würde. „Du hast es verdient, die ganze Wahrheit zu kennen.“
Sie kuschelte sich an ihn und murmelte: „Wir werden es schaffen. Ich glaube an Gott und an dich.“
Todd wartete, bis sie wieder eingeschlafen war, dann stand er auf und ging im Dunkeln an die Arbeit. Er konnte Gott nicht bitten, seine Farm zu segnen, wenn er nicht sein Äußerstes gab – und noch mehr. Maggie glaubte an sie beide, und er wollte sie auf keinen Fall enttäuschen.
„Du hast die Möbel schon wieder eingeräumt!“ Todd freute sich, dass er früh aufgestanden war. Maggies Begeisterung war es wert. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, umarmte ihn und flüsterte: „Nächsten Montag bin ich dran.“
„Nächsten Montag?“
Sie strahlte ihn an und nickte. „Ich muss mir etwas ganz Besonderes ausdenken, um mit dir mithalten zu können.“
„Von was redest du denn da?“ Ma sprach seine Frage aus – und Todd war froh darüber. Die Worte seiner Frau machten für ihn überhaupt keinen Sinn.
Mit gerunzelter Stirn fragte Maggie: „Deutsche geben sich keine Liebesbeweise? Immer am Montag?“
„Hab noch nie davon gehört. Auch nicht bei den Holländern, den Spaniern oder den Engländern.“ Todd beobachtete, wie sich Maggies Ausdruck von erstaunt über traurig bis hin zu entschlossen veränderte.
„Dann ist es eine Tradition aus Carvers Holler und wir werden sie hier weiterführen. Es ist unsere Pflicht, unsere Traditionen zu erhalten, deshalb will ich es dir erklären. Sonntag ist der Tag des Herrn. Montag ist für den Mann und die Frau. Jede Woche ist einer der beiden an der Reihe, den anderen mit einer Kleinigkeit zu überraschen. Todd ist mir dabei zuvorgekommen und war damit der Erste. Schau nur, wie schön er das Haus für uns hergerichtet hat. War es nicht nett von ihm, so früh aufzustehen, damit jetzt schon alles fertig ist? Damit hat er die Tradition aufgenommen, obwohl er gar nichts davon wusste. Nächsten Montag bin ich dran.“
Ma schaute sich um und verkündete: „Wir brauchen Vorhänge. Lila, würde ich sagen.“
„Ein Liebeszeichen ist eine Überraschung. Und das kann irgendwann am Montag kommen – es muss nicht morgens sein. Die Vorhänge sind bis dahin sicher schon fertig und aufgehängt. Ich habe ein ganz besonderes Stück Stoff dafür zur Seite gelegt. Es hat die gleiche Farbe wie Todds Augen.“
„Das müsste gehen.“ Ma musterte das Fenster. „Das Ding braucht Farbe.“
„Wie du gesagt hast, Todd. Ich kümmere mich um die Dinge im Haus, während du dich um die Tiere kümmerst. Ma, wenn es um Pferde geht, ist Todd allen anderen überlegen. Noch nie habe ich einen Mann mit einem so großen Talent gesehen wie Todd. Mit Eva ist er schon fast von Anfang an gut klargekommen und obwohl Adam so stur ist wie ein Esel, hört er schon auf Todds Befehle zum Anhalten. In Carvers Holler gab es keinen Mann, der das jemals geschafft hat.“
Die vielen Komplimente und Maggies fröhliche Stimme machten Todd argwöhnisch. Ma und Arletta äußerten solche Schmeicheleien immer nur, um ihren Willen zu bekommen. Deshalb erwartete Todd, dass auch Maggie etwas von ihm wollte. „Ein Pferd zum Stehen zu bringen ist doch gar nichts!“
„Unsinn! Es ist der allerwichtigste Befehl, wenn man ein Pferd ausbildet. Diesem Befehl muss es immer und überall gehorchen. Sie können nichts anstellen, wenn sie bei deinem Befehl still stehen bleiben.“
„Maggie hat recht, mein Sohn.“
Die Spannung wich aus Todds Schultern. Offensichtlich ging es Ma besser. Sie hatte Maggie bei der Farbe der Vorhänge zugestimmt und auch jetzt schien sie mit ihr einer Meinung zu sein. Hoffentlich würde das Leben jetzt genauso glatt weiterlaufen wie die Räder des Rollstuhls über den Boden.
Nach dem Frühstück las Todd aus Sprüche 8 vor und entschied dann: „Heute wird der Gemüsegarten fertig. Hast du mit Hope Stauffer über das Pflanzen gesprochen?“
„Hope hat der wunderschönen Frau mit dem Baby im Arm gesagt, dass diese Woche die beste Zeit dafür ist.“
Ma bekräftigte: „Das war das süßeste kleine Mädchen, das ich je gesehen habe.“
„Sydney“, erklärte Todd. „Das ist die Frau von Tim Creighton. Sie heißt Sydney. Das Baby heißt Rose. Während wir am Gemüsegarten arbeiten, können wir auch gleich die Erde für die Rosen vorbereiten.“
„Oh! Vielen Dank!“
„Es muss noch so viel getan werden. Ein Rosenbeet ist das Letzte, an das du deine Zeit verschwenden solltest.“ Ma zupfte an ihrer Serviette. „Heute ist Waschtag.“
„Montags?“ Maggies Stimme klang erstaunt. „Freitag ist Waschtag und samstags wird gebügelt, damit am Tag des Herrn alles frisch und sauber ist.“
„Niemand macht das so.“ Ma zitierte: „Montags waschen, dienstags bügeln ...“
Todd verließ das Haus und ging in die Scheune. Erst mistete er die Ställe aus, dann hob er das riesige Pferdegeschirr von der Halterung und legte es Eva um den Hals. Am liebsten hätte er sich selbst das Pferdegeschirr umgeschnallt, wenn er dadurch seine Sorgen hätte loswerden können.
Doch der Tag verlief anders als geplant. Bis zu dem Rosenbeet kamen sie erst gar nicht, aber es war Maggies eigene Schuld. Nach der Kirche hatte sie schamlos zugegeben, dass sie eine Händlerin war und ihre Ware mitgebracht hatte. Es waren also gar nicht ihre Schätze, wie sie sie immer nannte, sondern Handelswaren. Und für den richtigen Preis würde sie alles tauschen oder verkaufen. Das war jedenfalls heute schon einige Male passiert. Immer wieder unterbrach sie das Pflanzen, um mit seltsamen Leuten in der Scheune zu verschwinden und Geschäfte abzuschließen. Es war gut, dass Todd so früh heute Morgen alle ihre Möbel zurück ins Haus gebracht hatte, sonst würde sie die vielleicht auch noch verkaufen. Wenn das so weiterging, dann müsste ungefähr die Hälfte ihres Gerümpels nächste Woche verschwunden sein.
Bevor sie sich an diesem Abend Maggies leckerem Hasenauflauf zuwandten, bat Todd Gott um Regen. Die ganze harte Arbeit und ein wundersamer Anstieg bei den Getreidepreisen wären umsonst, wenn das Getreide mangels Regen vertrocknen würde.
Am nächsten Morgen sprach Maggie das Tischgebet und dankte Gott für den Tau auf dem Boden. Diese Frau war ein unbelehrbarer Optimist, wenn sie glaubte, dass Tau ausreichen würde. Doch Todd sagte nichts dazu. Glaube so groß wie ein Senfkorn – so viel brauchte man laut der Bibel für ein Wunder. Es machte keinen Sinn, diesen unschuldigen Wunsch zu zerstören, wenn er vielleicht Berge versetzen könnte.
Aber wenn Maggie auch in diesem Bereich naiv sein mochte, dann war das bei ihren Geschäftsabschlüssen ganz anders. Ob Leute einfach nur für einen Besuch oder für einen Tauschhandel vorbeikamen, war Maggie egal. Für sie war jeder Besuch eine Geschäftsmöglichkeit. Wenn sie fragte, was die Leute brauchten, dann antworteten sie sogar. Todd glaubte allerdings, dass es nur aus Höflichkeit war und weil sie nicht zugeben wollten, dass sie sich bestimmte Dinge einfach nicht leisten konnten. Seit Maggie wusste, wie es um ihre eigenen Finanzen stand, hatte sie ihn um nichts mehr gebeten. Sie schloss stattdessen Geschäfte mit seinen Nachbarn ab und sagte deutlich, was sie wollte und brauchte. Dadurch bekam sie Sachen, für deren Beschaffung eigentlich er zuständig gewesen wäre.
Seine Frau könnte genauso gut seine Hosen tragen.
Als Jakob und Hope Stauffer am späten Nachmittag kamen, brauchte Maggie nicht lange, um herauszufinden, an welchen ihrer Waren sie interessiert waren. Wenigstens verwies sie Jakob an ihn, als es darum ging, dass Adam und die Stute der Stauffers gemeinsame Zeit auf der Pferdekoppel verbringen sollten. Jakob tauschte seine zweite Milchkuh bei Maggie gegen verschiedenes Werkzeug. Maggie würde das Kalb der Milchkuh an die Stauffers zurückgeben, wenn es Zeit war, es zu mästen. Dafür würden Todd und sie aber die Hälfte des Fleischs bekommen. Jakob runzelte die Stirn. „Das ist nicht fair. Dann schulden wir euch immer noch etwas.“
„Quatsch! Immer ohne Milch und Butter zu kochen ist ganz schön schwer.“ Maggie strahlte sie an. „Ich werde von heute an viel bessere Laune haben, deshalb schuldet euch Todd vielleicht sogar seinen Verstand.“
Mit zusammengebissenen Zähnen lachte Todd aus Höflichkeit mit. Er hatte es bisher nicht geschafft, eines der grundlegenden Dinge zu beschaffen – eine Milchkuh. Doch der Tauschhandel seiner Frau hatte ihnen gerade eine Kuh beschert und zusätzlich noch für Fleisch auf dem Tisch gesorgt. Es war eine Sache, wenn sie ihr Essen im Gemüsegarten anpflanzte. Aber eine ganz andere Sache war es, wenn sie durch Maggies Handelei wie Bettler dastanden.
„Ich fahre mit euch zurück und hole die Kuh und ihr Kalb.“
Seine Frau schaute ihn stirnrunzelnd an. „Todd Valmer, damit machst du alles kaputt.“
Maggie hakte sich bei Hope unter. „Wir laden die Stauffers zum Abendessen ein. Jakob kann nach Hause fahren und seine Schwester, ihren Mann Phineas und die kleine Emmy-Lou holen, während Hope und ich zusammen kochen.“
„Ich glaube nicht, dass wir überhaupt noch eine störrische Kuh brauchen. Meine Frau gibt hier genug Befehle, um –“
„Hört nicht auf ihn“, unterbrach ihn Maggie, völlig beschämt von dem, was er da gerade gesagt hatte. Sicher hatte er es nicht so gemeint, wie es geklungen hatte.
Hopes Lachen erfüllte die Luft. „Erst gestern hat Jakob mir gesagt, dass ich nicht mehr ,gut im Futter‘ bin! Das haben wir nun davon, dass wir Farmer geheiratet haben – sie reden über uns wie über ihr Vieh.“
Es dauerte nicht lange, bis alle von der Stauffer-Farm zusammen mit der Kuh und dem Kalb zurückkamen. Hope zeigte Maggie, wie man Brötchen in einem Schmortopf neben dem offenen Feuer backte. Maggie bereitete Kaffee und einen Bohnen-Mais-Eintopf auf dem Feuer zu. Als das vor sich hin kochte, redeten und kicherten sie zusammen in der Hütte, während sie das Fleisch panierten und brieten. Beine, Brust und Keulen türmten sich auf Maggies größter Servierplatte. Begeistert sah sich Maggie um. Sie hatte sich ein gutes Essen ausgedacht und nun hatten sie zum ersten Mal eine ganze Familie beim Abendessen zu Gast.
„Schau mal!“ Todd brachte noch eine Platte für den ausziehbaren Klapptisch. „Jetzt können wir alle zusammen essen.“
„Warum sollten wir das auch nicht tun?“, fragte Maggie, als sie ihm half, die Platte einzulegen.
„Der Tisch wäre zu voll.“
Hope stellte sich neben Maggie und flüsterte: „Bei den deutschen Farmern essen die Männer in der Erntezeit zuerst, wenn es zu viele Leute am Tisch sind. Danach bekommen die Frauen.“
Diesen Gedanken fand Maggie schrecklich. Zu Hause in Carvers Holler räumte ein Mann den Platz für eine Frau. Die Männer würden niemals so etwas Unhöfliches tun und zuerst essen. Sie murmelte: „So wie die deutschen Männer essen? Da ist es ja ein Wunder, dass die Frauen überhaupt noch genug Kraft haben, den Tisch zu decken und zu kochen!“
Emmy-Lou stellte die Blumen, die sie mitgebracht hatte, in ein Einmachglas voller Wasser, und Annie legte ihren kleinen Sohn in Mas Arme, damit sie den Tisch decken konnte. Todd ließ die Tür offen und stellte noch einen Stuhl quer über die Türschwelle, sodass sie alle zusammen am Tisch sitzen konnten. Mit freudestrahlenden Augen verkündete Maggie: „Ich habe richtig Angst, die Augen beim Tischgebet zu schließen, denn wenn ich sie wieder aufmache, ist bestimmt alles und jeder verschwunden!“
„Nicht alle“, sagte Ma, „aber der größte Teil des Essens würde sicher fehlen.“
Ma? Ma hatte einen Sinn für Humor? Maggie versuchte, sie nicht erstaunt anzustarren. Sobald das Gebet gesprochen war, kam Leben in die Tischgesellschaft.
Emmy-Lou, die auf dem Schoß ihrer Mutter saß, atmete genüsslich und tief den leckeren Duft ein. „Kann ich einen Flügel haben?“
„Hier. Du bekommst ein Bein.“ Hope legte das Fleisch auf ihren Teller und gab ihn dann weiter.
Ma entschied: „Du kannst mir einen Flügel geben.“
„Ein Bein ist viel leichter zu essen.“ Maggie stach in ein saftiges Stück. „Bitte schön.“
„Ich habe gesagt, dass ich einen Flügel nehme.“
„Das Bein ist handlicher für dich, Ma.“ Todd griff nach der vollen Platte.
Emmy-Lou kicherte. „Das ist witzig. Beine, die handlich sind.“
Alle fingen an zu essen und auch Ma schien es wirklich zu schmecken. „Das schmeckt genau so wie mein Rezept.“
„Sehr lecker“, bestätigte Jakob und lud sich ein drittes Stück Fleisch auf den Teller.
Mit ihrem Baby Johnny im Arm beugte Annie sich vor und nahm einen Bissen, den Phineas ihr hinhielt. „Mmm.“ Der Haufen abgenagter Knochen auf Phineas Teller zeigte deutlich, dass er seiner Frau zustimmte.
Todd sah nicht mehr so sauer aus und blinzelte ihr sogar zu! Das war das erste Mal, dass sie so viele Gäste hatten, und Todd beteiligte sich rege an der Unterhaltung. Er holte sogar die Kaffeekanne! Zusammen arbeiten – das konnten sie gut, sei es bei der Arbeit oder in der Freizeit.
„Das ist lecker.“ Emmy-Lous Gesicht leuchtete. „Wer bekommt die Hähnchenmägen?“
„Es gibt keine“, Maggie schob ihrem Mann die Marmelade hin.
„Hope!“, neckte Phineas. „Hast du sie heimlich gegessen?“
„Natürlich hat sie das nicht. Der Arzt hat gesagt, dass sie besser viel Leber essen soll.“ Jakobs Brust wurde vor Stolz noch breiter. „Für das Baby.“
Hope wurde rot. „Jakob, jetzt hast du das Huhn aus dem Sack gelassen!“
„Es ist nicht das Huhn. Es ist die Katze“, korrigierte Ma.
Hope sah verwirrt aus. „Im Essen war weder Huhn noch Katze. Es ist Pfeifschweinchen. Habt ihr denn nicht die vielen Beine bemerkt und dass es gar keine Flügel gab?“
„Geht es dir gut?“, fragte Maggie ihre neue Freundin, völlig überwältigt von der freudigen Nachricht über das Baby. Ma verschluckte sich und Maggie klopfte ihr auf den Rücken, während sie weiter mit Hope redete. „Du siehst so gut –“
„Pfeifschwein?“ Todd ließ entsetzt den abgenagten Knochen auf seinen Teller fallen, auf dem sich schon ein ganzer Haufen türmte. Seine Stimme klang etwas seltsam. „Was ist das denn?“
„Mein Papa nannte sie immer Waldmurmler.“ Maggie hielt Ma ein Wasserglas an die Lippen.
„Normalerweise nennt man sie wohl Murmeltiere“, fügte Jakob hinzu und nahm sich noch ein Brötchen. „Kann man gut essen.“
Da Maggie Ma mit einbeziehen wollte, auch wenn diese das Fleisch für Huhn gehalten hatte, sagte sie: „Da es so schmeckt wie in deinem Rezept, Ma, könnten wir sie doch mal –“
Ma fing an zu stöhnen. „Murmeltier! Ich fühle mich nicht gut. Ich muss mich hinlegen.“
„Ihr Bauch ist so voll, weil sie so viel gegessen hat“, sagte Emmy-Lou. „Das mache ich auch manchmal.“
Phineas lachte leise hinter vorgehaltener Serviette.
Todd wiederholte entgeistert: „Murmeltier.“
„Es gibt nicht viele, die das so saftig und zart zubereiten können.“ Hope wischte ihrer Tochter die Finger ab. „Deine Braut kann wirklich gut kochen.“
„Das kann sie.“ Todds zustimmende Worte klangen nicht ganz ehrlich.
„Maggie“, Annie legte Phineas das Baby in den Arm. „Ich helfe dir dabei, Mrs Crewel ins Bett zu bringen. Sie sieht plötzlich gar nicht gut aus.“
Da alle wussten, wie schwach Ma noch war, machten sich die Gäste bald wieder auf den Weg nach Hause. Das war auch gut so, denn Ma musste sich übergeben. Maggie zog Ma um und legte sie ins Bett. Die meisten Männer können mit Übelkeit und Erbrechen nicht umgehen, deshalb glaubte sie, Todd hätte sich für eine Weile in die Scheune zurückgezogen. Nachdem sie das Geschirr gewaschen und eingeräumt, den Tisch gewischt und etwas Rosencreme auf ihre Hände geschmiert hatte, ging Maggie nach draußen, um frische Luft zu schnappen.
Ihr Mann saß an die Hüttenwand gelehnt auf dem Boden. „An dem Abend, als wir in Carvers Holler ankamen, hat es einer deiner Onkel schon gesagt, aber ich habe ihn nicht verstanden.“
Maggie bückte sich und fragte besorgt: „Was? Was ist los?“
„Er sagte, du könntest alles kochen und es würde immer gut schmecken.“
Erleichtert ließ sie sich neben ihn sinken. „Du brauchst mir nicht zu danken, Todd.“
„Dir danken? Dir danken?“, brüllte er. „Du hast unseren Gästen Murmeltier vorgesetzt!“
Sie seufzte tief. „So, wie du zugeschlagen hast, habe ich mir gleich gedacht, dass es dein Lieblingsessen ist. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, dass wir nicht genug haben. Ich habe noch zwei weitere in Salzwasser eingelegt.“ Sie kuschelte sich an ihn und fügte hinzu: „Es hat Spaß gemacht, mit Hope zu kochen. Wir haben ein paar Rezepte ausgetauscht.“
Am nächsten Morgen stocherte Todd in seiner Schüssel und warf Maggie einen argwöhnischen Blick zu. „Ist das Maisgrütze?“
„Ja. Da wir jetzt eine Milchkuh haben, können wir bereits morgen Butter essen.“
„Hmm.“ Die Grütze erschien ihm sicher genug. Sie schmeckte auch ganz gut – aber das hatte das Murmeltier auch. Maggie hatte seinen Gästen Ungeziefer vorgesetzt. Gott segne Jakob und Phineas, das waren wirklich gute Freunde! Sie hatten nichts Verletzendes zu Maggie gesagt und auch das Essen nicht gleich wieder ausgespuckt, als sie he-rausfanden, was es war.
Todd hatte erst gedacht, es wäre ein Witz. Doch Hope Stauffers Wesen war so ehrlich, dass sie dabei niemals mitgemacht hätte. Sie hatte sogar zusammen mit seiner Frau gekocht, sodass wirklich alle davon gegessen hatten. Die ganze Nacht war er von Albträumen geplagt worden, was seine Frau wohl als Nächstes kochen würde.
„Ich habe extra für Ma Pflaumenbrot gebacken.“
Normalerweise hätte Todd gelacht. Ma hasste Pflaumenbrot genauso sehr wie er – aber jetzt war nicht die richtige Zeit, darüber zu reden. Gestern Abend konnte er nicht die richtigen Worte finden, um Maggie ihren Fehltritt zu erklären. Aber er musste es ihr sagen.
Ma sah immer noch etwas schwach aus. Nach dem Frühstück bat sie ihn, sie zurück ins Bett zu legen. Dabei flüsterte sie ihm zu: „Wir wechseln uns mit dem Fragen immer ab. Mein neues Motto ist: ‚Erst fragen, dann essen.‘“
„Wie wäre es mit: ‚Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß‘?“
„Das ist beim Essen anders“, schoss Ma zurück.
Maggies Schatten fiel über das Bett. „Gibt es ein Problem?“
Todd verzog nur das Gesicht, aber Ma fing sofort an: „Was ist nur in dich gefahren? Wie konntest du nur so etwas Ekelhaftes wie Igel kochen?“
„Das habe ich gar nicht. Es gibt keine Igel in Amerika. Allerdings gibt es hier Stachelschweine. Das habe ich noch nie gekocht, aber ich habe schon gehört, dass es sehr gut schmecken soll. Vielleicht kann ich irgendwo eins besorgen. Oder vielleicht sogar ein Gürteltier.“
Sofort wehrte Todd entschieden ab. „Der Panzer von Gürteltieren ist zu schwer zu entfernen, und Stachelschweine haben schreckliche Stacheln.“
„Keine Arbeit ist mir zu schwer für meine Familie“, sagte Maggie mit einer beschwichtigenden Handbewegung. „Mach dir über die Arbeit keine Gedanken. Ein Tier ist genauso leicht zuzubereiten wie jedes andere.“
„Aber“, hustete Ma, „nicht alle sind auch leicht zu essen.“
„Ma.“ Sanft streichelte Maggie ihr über die Wange. „Ich schneide das Fleisch wirklich gerne für dich klein. Ich bin sogar stolz auf deinen guten Appetit.“
„Ich habe meinen Appetit plötzlich verloren.“
„Wir haben noch ein paar Tage Zeit, um dich wieder auf den Damm zu bringen. Hast du schon vergessen – am Sonntag sind wir bei Pfarrer Bradle und seiner Frau eingeladen!“
„Bis zum Sonntagnachmittag werde ich halb verhungert sein.“ Ma warf Maggie einen finsteren Blick zu. „Mrs Bradle kocht wenigstens richtiges Essen. Aber du hast gestern Abend Schande über uns alle gebracht.“
„Schande!“ Maggie sah genauso überrascht und verletzt aus, wie sie sich anhörte. „Du hast selbst gesagt, dass das Essen gut schmeckt – sogar genauso gut wie dein eigenes Rezept!“
„Leute essen keine Nagetiere.“ Todd versuchte gleichzeitig beruhigend und bestimmt zu klingen.
„Eichhörnchen! Eichhörnchen kann man gut essen und das sind auch Nagetiere. Gott gibt uns im Überfluss – Beutelratten, Biber, Froschbeine ... Warum sollte man so gutes Fleisch nicht essen?“
„All das will ich auf keinen Fall essen“, verkündete Ma entschlossen.
„Warum hast du dann ein Rezept dafür? Wir danken Gott für unser täglich Brot –“
Todd stürzte sich auf diese Worte wie auf einen Rettungsring. „Brot hört sich gut an!“
Ma verteidigte sich heftig: „Ich dachte, wir würden Huhn essen. Es hat genauso geschmeckt.“
„Warum regst du dich dann so auf? Wenn du den Unterschied nicht schmeckst, ist es doch in Ordnung! Unsere Nachbarn wussten jedenfalls, was sie essen.“
„Es geht um gute Manieren. So etwas kocht man einfach nicht“, erklärte Todd.
„Ach was!“ Maggies Verwirrung wurde zur Frustration. Aufgebracht rief sie aus: „Hope hat mir beim Kochen erzählt, dass Annie und sie erst vor Kurzem einen Murmeltierauflauf gemacht haben.“
„Minderbemitteltes, weißes Pack!“, murmelte Ma verächtlich.
„Ruhe!“ Todd griff nach Maggies Arm, um sie zu stützen, als sie, abgestoßen von Mas hässlichen Worten nach hinten taumelte. „Du musst Ma entschuldigen. Es geht ihr immer noch nicht gut. Sie hat zu scharfe Worte gebraucht.“
Langsam befreite Maggie ihren Arm aus seinem Griff. Ihre Stimme zitterte: „Meinst du die Art, wie sie mein Essen schlechtmacht? Oder wie sie die Würde unserer Nachbarn angreift? Oder die Art, wie sie mich ständig erniedrigt? Welche von all diesen scharfen Worten soll ich denn entschuldigen?
Und du, mein Mann: Du glaubst, dass allein ihre guten Manieren meine Freundin dazu gebracht haben, mit mir zusammen zu kochen und mit uns gemeinsam mit gutem Appetit zu essen?“ Der Schmerz in Maggies Stimme war nicht zu überhören. „Du hast mir vorgeworfen, ich hätte keine Manieren – oder nur schlechte.“
„Dreh mir nicht die Worte im Mund herum!“
„Das muss sie gar nicht“, schaltete sich Ma ein. „Sie hat deinen Mund schon gefüllt mit –“
„Ma! Das reicht!“ Todds Worte waren scharf und laut.
„Nein, das stimmt nicht. Es war genau richtig.“ Maggies Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln. Ihre Haut war normalerweise schon sehr hell, aber jetzt war sie kreidebleich. Ihre Augen erschienen dadurch noch dunkler und Tränen schimmerten darin. „Eine Frau muss wissen, wo sie steht. Und ich bin gerade sehr deutlich auf meinen Platz verwiesen worden.“
„Dein Platz ist an meiner Seite, als meine Frau.“ Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie verschränkte ihre Arme. Jetzt konnte er sich nur noch neben sie stellen und ihr den Arm um die Schultern legen. „Das ist alles nur ein Missverständnis. Unsere Lebensweisen sind so unterschiedlich. Du bist doch eine Händlerin. Du weißt, dass man immer zu einer Übereinkunft kommen kann.“
„Da liegst du falsch. Ich handle nicht, wenn ich nicht respektiert werde.“ Maggie wandte sich von ihm ab, lockerte Mas Schnürsenkel ganz vorsichtig und zog ihr dann die Schuhe aus. Danach rollte sie ein Handtuch zusammen und stopfte es neben Mas Hüfte und Oberschenkel, damit das schwache Bein nicht zur Seite rollen und ihr Schmerzen bereiten konnte. Anschließend deckte sie Ma mit dem Quilt zu und stellte die Glocke so hin, dass Ma sie erreichen und sich jederzeit bemerkbar machen konnte. Wortlos ließ sie das Frühstücksgeschirr ins Spülwasser gleiten.
„Gestern hast du aus Sprüche 9 vorgelesen. ‚Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und ihren Tisch bereitet.‘ Genau das habe ich getan.“ Maggie verließ die Hütte und schloss leise die Tür hinter sich.
„Sie kann sich nicht einfach immer irgendeinen Vers aussuchen, der ihr gerade passt. Im gleichen Kapitel heißt es: ‚Frau Torheit ist ein unbändiges Weib, verführerisch, und weiß nichts von Scham.‘ Ach, was für eine Schande dieses Mädchen für uns ist!“
Todd sah seine Mutter lange an und sein Herz wurde noch schwerer – wenn das überhaupt möglich war. „Margaret ist intelligent und ist dem Wort Gottes gefolgt. Sie war nicht unbändig. Die Schande liegt nicht auf ihr. Meine Frau verdient Respekt, keine Beleidigung. Du wirst das in Zukunft unterlassen!“
„Auf keinen Fall werde ich je wieder Igel essen!“
„Murmeltier, Ma. Und wenn meine Frau es kocht, werden wir es essen!“ So. Das war geklärt – oder jedenfalls ein kleiner Teil davon. Jetzt musste er sich nur noch um Margaret kümmern.
„Du liest mir doch trotzdem aus der Bibel vor.“ Ma schien den Tränen nahe. „So, wie es dein Vater immer getan hat. Ja? Das wird sich nicht auch noch ändern, oder?“
Er dachte einen Moment lang nach. Wenn sie so aufgebracht war, brauchte Maggie immer ein bisschen Zeit für sich. Das schuldete er ihr und in der Bibel würde er vielleicht sogar einen Rat finden. Er nahm das schwarze, in Leder gebundene Buch von der Kommode. „‚Hass erregt Hader; aber Liebe deckt alle Übertretungen zu.‘“ Er dachte ein paar Sekunden über diesen Vers nach und hoffte, dass es seine Mutter auch tat. Dann fuhr er fort. Der letzte Vers traf ihn besonders. „‚Die Lippen der Gerechten lehren heilsame Dinge; aber der Gottlosen Mund ist Falschheit.‘“
„Siehst du! Es ist unsere Pflicht, ihr beizubringen, was akzeptabel und richtig ist.“ Ma kuschelte sich zufrieden in ihre Decken.
„Akzeptabel nach welchem Maßstab? Alle anderen mochten Maggies Essen. Du sprichst von Schande – aber die Schande war unsere Undankbarkeit und deine Verachtung. Es war falsch von mir, Maggie zu bitten, dir zu vergeben, weil du immer noch schwach bist. Dein Körper ist krank, aber dein Verstand ist klar. Und deine Zunge ist scharf wie ein Schwert.“
Ma schnaubte. „Wer hat hier eine scharfe Zunge? Den ganzen Tag kommandiert sie mich herum, zerrt und zieht und redet auf mich ein, so wie man eine Brezel verdreht – das macht sie mit mir. Erst so herum, dann anders herum.“
Voller Zorn umklammerte er das Fußende ihres Bettes. „Es ist alles nur zu deinem Besten. Maggie kümmert sich um dich und sorgt für dich und du beschwerst dich nur. Du hast Schande über mich und dich gebracht, indem du sie beschimpft und erniedrigt hast. Von jetzt an dulde ich keinen Hass mehr in diesem Haus und auch keinen Streit.“ Er holte tief Luft, dann sagte er langsam und deutlich: „So etwas wird nicht mehr passieren.“
Todd ging nach draußen, fest entschlossen, die Sache mit Maggie in Ordnung zu bringen. Aber sie war nicht im Garten. Er ging in die Scheune. Etwas fiel ihm von oben auf den Kopf und dann wurde alles schwarz.