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Hoch im Orbit über Rochards Welt wurden die Springer munter.
Zwei Kilometer lang, schlank und grau, ließ jeder von ihnen die jetzt eintreffende Streitmacht der Marine wie einen Zwerg erscheinen. Sie gehörten zu den ersten künstlichen Objekten, die das Festival gleich nach seiner Ankunft in die Welt gesetzt hatte. Die meisten Springer trieben »auf der Standspur« tief in der Oort-Wolke umher und lauerten auf Feinde, die sich auf zeitartigen Bahnen weit in der Zukunft des Festivals nähern mochten. Allerdings hatte eine kleine Abordnung das Festival selbst begleitet, als es tief in das innere System eingetaucht war, um zum Bestimmungsort zu gelangen.
Springer träumten nicht, sie hatten überhaupt kaum Empfindungen. Es waren Spezialeinheiten, damit beauftragt, das Festival vor gewissen brutalen Bedrohungen zu schützen. In Fällen von Dienstverweigerung, Zwistigkeiten und allgemeinem Betrug konnte sich das Festival auf die feineren Methoden der Antikörper verlassen. Und bei Angriffen, die tatsächlich die Kausalität verletzten, würde man die Mannschaft des Festivals wecken, die für die Aufrechterhaltung der Realität zuständig war. Aber manchmal ist die beste Verteidigung ein dicker Knüppel und ein böses Lächeln – und dafür waren die Springer da.
Vor vier Tagen hatte man die Ankunft der Streitmacht der Neuen Republik registriert. Die kontinuierliche Beschleunigung der sich nähernden Kriegsschiffe war schlicht nicht zu übersehen. Während die Marine Seiner Majestät in Begriffen von Lidar, Radar und aktiven Sensoren dachte, verfügte das Festival über subtilere Mittel. Man hatte, jeweils örtlich begrenzt, Tiefpunkte in der Entropie des äußeren Systems registriert, Spuren nackter Singularitäten, ein Widerhall des Tunneleffekts, der es den konventionellen Sternenschiffen ermöglichte, von System zu System zu springen. Die Tatsache, dass die sich nähernde Flotte auf alle Signale verzichtete, erzählte eine eigene Geschichte; man musste den Springern gar nicht erst sagen, was sie zu tun hatten.
Die im Orbit kreisende Springer-Division begann zu beschleunigen. Auf diesen Schiffen gab es keine fragilen Lebensformen – nur Supraleiter aus falschem Diamant und Keramik, stählerne Wasserstoffbehälter, die unter Druck standen – sie hätten den inneren Kern eines Gasriesen wie ein Vakuum erscheinen lassen – und High-Energy-Muon-Generatoren als Katalysatoren für die exotischen Fusionsreaktoren, die für den Antrieb dieser Schiffe sorgten. Und natürlich die fraktalen Verzweigungen, die die Fracht der Springerschiffe darstellten: Millionen davon hafteten wie seltsame Kletterpflanzen an den langen Verstrebungen der Schiffe.
Fusionsbrenner, die in Übereinstimmung mit den Newton’schen Gesetzen für Schubkraft sorgten, wären der Admiralität der Neuen Republik wohl recht seltsam vorgekommen; schließlich hatte sie ihrerseits darauf bestanden, dass ihre Flotte nur mit den modernsten Antriebssingularitäten und Raumkrümmungsmaschinerien ausgestattet wurde. Doch im Unterschied zur Admiralität hatten die Springer des Festivals tatsächlich Kampferfahrung. Reaktionsantriebe hatten bei Raumschlachten wichtige Vorteile. Vorteile, die einem gerissenen Verteidiger unfaire Raffinessen in der Vorgehensweise gewährten: zum einen ein vernünftiges Verhältnis von Anschub und Masse, zum anderen einen niedrigen Grad von Sichtbarkeit. Virtuelle Massen von zehn Milliarden Tonnen machten Schiffe mit Singularitätsantrieb ungeheuer schwerfällig. Zwar konnten sie durchaus angemessen beschleunigen, aber nicht schnell die Richtung ändern. Deshalb war es dem Festival möglich, sie aus fast interstellarem Abstand aufzuspüren. Im Gegensatz dazu konnte ein Reaktionsmotor mit Kardanantrieb so schnell die Richtung ändern, dass ein Schiff, das nicht dafür geschaffen war, einem solchen Druck zu widerstehen, daran zerbrochen wäre. Während ein Fusionsbrenner, von achtern gesehen, dazu ausgereicht hätte, Sensoren auf eine Million Kilometer abzufackeln, waren die Emissionen sehr zielgerichtet und der Bug des Schiffes nur als nebulöser heißer Fleck zu orten.
Gedeckt durch die viel größere Infrarotemission des Planeten in ihrem Rücken, sausten die Springer mit Knochen zermalmenden hundert g auf das erste Geschwader der Neuen Republik zu. Da die Springer die Antriebsemissionen des Feindes verfolgten, waren sie in der Lage, ihn von drei Seiten her in die Zange zu nehmen, und erreichten dabei eine Spitzengeschwindigkeit von achthundert Kilometern pro Sekunde. Danach schalteten sie die Brenner ab, trieben lautlos dahin und warteten auf den Moment der größten Annäherung.
In der Kommandozentrale der Lord Vanek herrschte angespannte Stille.
»Geschütz zwei, Abschuss von sechs SEM-20 vorbereiten. Skalieren Sie alle auf eins-null-null Kilotonnen, stellen Sie die beiden ersten auf maximale Strahlung ein, die nächsten drei auf Raumtrümmer entlang der Hauptachse. Geschütz eins, ich will zwei bestückte D4-Torpedos für passiven Start, einminütige Verzögerung der Antriebszündung einprogrammieren.«
Kapitän Mirsky lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Vorhersage?«, murmelte er in Richtung von Kommandeur Vulpis.
»Halten uns bereit, Sir. Ist ein bisschen beunruhigend, dass wir bis jetzt noch nichts gesehen haben, aber ich kann Ihnen volle Manövrierkraft innerhalb von vierzig Sekunden versprechen, sobald wir ein Antriebssignal hereinbekommen.«
»Gut. Radar, gibt’s was Neues?«
»Möchte melden, dass wir nichts Neues empfangen haben, Sir.«
»Da kommt Freude auf.« Sie befanden sich zwei Stunden außerhalb der Planetennähe. Mirsky musste mit sich kämpfen, um seine Ungeduld zu zügeln. Während er mit den Fingern auf die Sessellehne klopfte, saß er da und wartete auf ein Zeichen, irgendeines, das verriet, dass es in diesem leeren Kosmos irgendwo noch weiteres Leben gab. Das verhängnisvolle Läuten eines Lidar-Impulses zum Beispiel, der vom getarnten Schiffsrumpf der Lord Vanek abglitt. Oder das Gekräusel von gravitomagnetischen Wellen. Irgendetwas, das zeigte, dass der Feind da draußen war, zwischen dem Geschwader von Schlachtschiffen und dessen Zielort.
»Irgendwelche Ideen, Kommandeur Vulpis?«
Vulpis’ Augen huschten über die voll bemannten Posten. »Mir wäre weitaus wohler, wenn die versuchen würden, uns zu markieren. Entweder wir haben sie völlig überrumpelt oder…«
»Danke für diesen Beitrag«, sagte Mirsky kaum hörbar. »Marek!«
»Sir!«
»Sie haben ein Gewehr, das geladen ist. Schießen Sie nicht, bis Sie das Weiße in deren Augen sehen.«
»Sir?« Vulpis starrte seinen Kapitän an.
»Sie finden mich in meiner Kabine, falls sich irgendetwas tut«, sagte Mirsky leichthin. »Sie haben das Kommando, bis Kommandeur Murametz oder ich zurückkehren. Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn etwas Neues auftaucht.«
In seiner Privatkabine, direkt unterhalb der Kommandozentrale, ließ sich Mirsky tief seufzend in den Sessel fallen. Gleich darauf betätigte er die Wählscheibe des Telefons. »Zentrale, bitte fragen Sie den Geschwaderführer, ob er kurz Zeit für mich hat. Ja, gut.« Eine Minute später leuchtete das Display des Telefons auf. »Sir!«
»Kapitän.« Geschwaderführer Bauer zeigte die Miene eines viel beschäftigten, sehr erschöpften Managers.
»Ich kann Ihnen einen Bericht über diesen… äh… ärgerlichen Zwischenfall geben, falls Sie jetzt Zeit dafür haben.«
Bauer legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Falls Sie sich kurz fassen können«, erwiderte er müde.
»Kein Problem.« Mirskys Augen funkelten im Gaslicht. »Es war alles die Schuld meines Sicherheitsoffiziers, dieses Idioten. Wenn er’s nicht geschafft hätte, sich selbst umzubringen, hätte ich ihn in Ketten legen lassen.« Er holte tief Luft. »Aber er war’s nicht allein. Im Vertrauen gesagt, würde ich angesichts dieser Situation eigentlich empfehlen, meinem Schiffsoffizier, dem Flottenkommandeur Murametz, einen Verweis zu erteilen, wenn nicht sogar eine offizielle Ermittlung einzuleiten. Nur ist der Feind jetzt so nah, dass…«
»Einzelheiten, Kapitän. Was hat er getan?«
»Leutnant Sauer hat seine Befugnisse weit überschritten, indem er versucht hat, die Spionin von der Erde – ich meine, diese Frau – durch die getürkte Verhandlung eines Kriegsgerichts aus der Reserve zu locken. Irgendwie hat er’s geschafft, Kommandeur Murametz mit ins Boot zu holen. Verdammter Mangel an Urteilsvermögen, wenn Sie mich fragen. Es war nicht seine Angelegenheit, sich auf diplomatisches Gebiet zu begeben und dort ein Chaos anzurichten. Jedenfalls ist er zu weit gegangen, sodass die Frau in Panik geraten ist. Normalerweise wäre es kein Problem, aber irgendwie hat sie es…« Er hustete in die Faust.
Bauer nickte. »Ich glaube, ich kann mir den Rest zusammenreimen. Wo ist sie jetzt?«
Mirsky zuckte die Achseln. »Außerhalb des Schiffs, zusammen mit dem Vertragsingenieur. Vermisst. Wahrscheinlich tragen sie Raumanzüge. Keine Ahnung, wo sie jetzt sind oder was, zum Teufel, sie sich dabei gedacht haben. Übrigens wird auch der junge Prokurator vermisst, Sir. Und dort, wo früher eine Kabine war, prangt jetzt ein peinliches Loch in der Schiffshülle.«
Langsam breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Geschwaderführers aus. »Ich glaube, Sie brauchen keine Zeit damit verschwenden, nach denen zu suchen, Kapitän. Falls wir sie finden würden, müssten wir sie ja nur wieder über Bord werfen, nicht wahr? Ich nehme an, der Prokurator hatte bei dieser getürkten Gerichtsverhandlung die Hand im Spiel, stimmt’s?«
»Äh… Ich nehme es an, Sir.«
»Also gut. Dann brauchen wir uns über die Zivilisten wenigstens keinen Kopf mehr zu machen. Und falls sie sich bei unserem Einsatz einen leichten Sonnenbrand holen, macht das auch nichts. Ich bin sicher, Sie veranlassen alles Nötige.«
»Ja, Sir!« Mirsky nickte.
»Das wäre also erledigt«, sagte Bauer forsch. »Und jetzt zur Lage: Wann müssten wir nach Ihrer Berechnung in die Nahverteidigungszone des Feindes eintreten?«
Mirsky überlegte kurz. »Etwa in zwei Stunden, Sir. Vorausgesetzt, unsere Emissionskontrolle hat ausgereicht und der Mangel an Rückstrahlungen bedeutet tatsächlich, dass der Feind nichts von unserer Anwesenheit ahnt.«
»Bin froh, dass Sie diese Einschränkung geltend gemacht haben. Wie sieht Ihr Zeitplan bis zum Einsatz aus?«
»Wir sind jetzt schon einsatzbereit, Sir. Das heißt, es gibt noch ein paar unwesentliche Posten, die erst in etwa einer Stunde so weit sind, aber die Einsatzleitung und die Geschütze sind bereits auf Wachposten und auf die Schlacht eingestellt. Die Geschütze stehen sozusagen Gewehr bei Fuß. Die Messe müsste bald warmes Essen verteilen, aber im Prinzip sind wir von jetzt auf nachher bereit.«
»Sehr gut.« Bauer schwieg kurz, blickte auf seinen Schreibtisch, rieb sich mit dem langen, knochigen Zeigefinger über die Nase und sah wieder auf. »Mir gefällt diese Stille nicht, Kapitän. Das riecht nach einer Falle.«
Voller Angst blickten Martin und Rachel instinktiv nach oben, um die Quelle des Lärms auszumachen.
An Bord eines Raumfahrzeugs bedeutet jedes Außengeräusch Probleme, große Probleme. Die Rettungskapsel trieb mit mehr als solarer Fluchtgeschwindigkeit auf Rochards Welt zu. Schon ein kleines Schrotkorn, das ihnen in die Quere geriet, würde sie mit der Kraft eines Raketengeschosses vernichten können. Während ein Schlachtkreuzer wie die Lord Vanek mit zentimeterdicken Diamantpanzerungen und Schwingmetallen ausgestattet war, die den Aufprall von Raumschutt abdämpfen konnten, war die Hülle des Rettungsbootes so dünn, dass man sie mit einem Federmesser hätte durchbohren können.
»Masken«, japste Rachel. Ein Gewirr aus miteinander verbundenen durchsichtigen Beuteln entrollte sich aus der Konsole vor Martin und fiel ihm in den Schoß. Die Beutel hatten komplizierte Verschlüsse und waren innen mit einer Art Gasbehälter versehen.
Währenddessen griff Rachel hinter ihren Sitz, zog einen Helm heraus und zerrte ihn sich über den Kopf. Sein Rand verschmolz mit ihrem Trikot, an ihrem Hals tropfte Dichtungsmittel herunter. Gleich darauf blinkten innerhalb des Visiers primitive Symbole auf. Als Rachel hörte, wie sich hinter ihrem rechten Ohr die Luftzufuhr einschaltete, atmete sie erleichtert aus. An ihrer Seite war Martin immer noch damit beschäftigt, sich in die durchsichtige Hülle zu zwängen. Sie blickte auf. »Pilot: Oberen Sensor aktivieren, Bild auf mittleren Schirm legen.«
»O Scheiße«, sagte Martin vor sich hin.
Der Schirm zeigte einen nicht näher zu identifizierenden Nebel, der vor dem Hintergrund winziger Sterne hin und her waberte. Während sie das Bild betrachteten, zog sich der Nebel Schwindel erregend schnell zurück, bis sich ein klarer Umriss herauskristallisierte, der sich bewegte.
Rachel wandte sich zu Martin um und starrte ihn an. »Wer es auch sein mag, wir können ihn nicht da draußen lassen«, erwiderte er auf ihre stumme Frage.
»Schließlich sind wir eine Rettungsbake«, stimmte sie grimmig zu. »Pilot, die Sauerstoffreserven neu berechnen. Auf der Grundlage, dass wir fünfzig Prozent mehr verbrauchen werden als vorgesehen. Was heißt das für unsere Überlebenschancen?«
Ein bernsteinfarbenes Raster flackerte über den Schirm. »Jede Menge Spielraum«, bemerkte Martin. »Wie steht’s mit Landnähe? Hm.« Er deutete auf sein Notebook. »Ich glaube, wir können’s schaffen. Das Verhältnis zwischen Masse und Schubkraft wird dadurch nicht sonderlich beeinträchtigt.«
»Glaubst du’s oder weißt du’s?«, fragte sie spitz. »Falls wir halbwegs hinunterkommen und uns dann der Saft ausgeht, könnte es uns diesen kleinen Ausflug echt vermiesen.«
»Ist mir klar. Lass mich mal sehen… Ja. Wir schaffen’s, Rachel. Wer immer dieses Boot entworfen hat, muss wohl angenommen haben, dass du jede Menge Diplomatengepäck dabei haben würdest. Eher schon eine ganze Garderobe.«
»Sag doch nicht so was!« Sie leckte sich über die Lippen. »Frage zwei: Wenn wir ihn an Bord lassen, wie wollen wir dann verhindern, dass er uns in die Quere kommt, falls er es darauf abgesehen hat?«
»Wahrscheinlich musst du deinen weiblichen Charme spielen lassen«, erwiderte Martin mit todernstem Gesicht.
»Ich hätte wissen müssen, dass du mir mit so was kommst.« Erschöpft griff sie nach dem Betäubungsgewehr. »Im Vakuum funktioniert das Ding nicht, weißt du das? Und auf derart begrenztem Raum ist es auch keine gute Idee, die Klebmasse zu benutzen.«
»Apropos begrenzter Raum.« Martin deutete auf das recht primitive Display des Massedetektors. »Wir treiben in zwölf Kilometer Abstand vom Schiff. Ist nicht gut, so nah dran zu sein, wenn die mit dem Gefecht beginnen.«
»Da hast du Recht. Also gut, bin bereit, so weit man das überhaupt sein kann. Hast du Rückmeldung, dass dein Schutzanzug keine Macken hat? Sobald wir die Luke aufstoßen, wirst du dich nämlich nicht mehr groß bewegen können.« Martin nickte und streckte einen Handschuh hoch, der sich wie ein Ballon blähte. Rachel drehte den Regler ihres Sauerstoffgeräts auf und gähnte bewusst, während sie am Kabinendach nach einem Punkt suchte, wo sie ihre Rettungsleine befestigen konnte. »Okay, Pilot, wir starten mit den Aktivitäten außerhalb der Kapsel. Gleich für Druckabfall in der Kabine sorgen.«
In der Kommandozentrale war ein Klingeln zu hören, das Zeichen für einen Alarm.
»Kontakt.« Leutnant Kokesova beugte sich über die Schulter seines Untergebenen und starrte auf die Anzeige auf seiner Konsole. Violette und grüne Lichter blinkten auf. »Wiederhole: Kontakt.«
»Verstanden.« Leutnant Marek schluckte. »Kommunikation: Bitte den Kapitän zur Kommandozentrale schicken, Lage rot.«
»Zu Befehl, Sir.« An der Tür begann ein rotes Lämpchen zu blinken. »Irgendwelche Einzelheiten?«, fragte Marek.
»Wir suchen noch. Ich habe eine eindeutige Fusionsquelle ausgemacht, ist vor etwa zwei-null Sekunden aufgetaucht. Erst dachte ich, es sei eine Störung beim Sensor, aber es sind teuflisch grelle blauverschobene Balmer-Linien[xxix] zu erkennen – die Schwarzkörpertemperatur müsste im Bereich von fünf-null-null M-Grad liegen. Reist mit einem Tempo, das deutlich über der örtlichen stellaren Fluchtgeschwindigkeit liegt.«
»Sehr gut.« Marek, der auf dem Sessel des Oberbefehlshabers saß, versuchte sich zurückzulehnen, schaffte es jedoch nicht, eine derart entspannte Haltung an den Tag zu legen. »Bis wann können wir mit der Auflösung rechnen?«
»Kann jetzt jederzeit so weit sein.« Leutnant Kokesova, der technische Experte, demonstrierte wieder einmal, wie tüchtig er war. »Mal sehen, ob ich ein paar Neutrinos für Sie einpökeln kann.«
Als die Tür aufging, nahm der Wachsoldat daneben Haltung an. Leutnant Marek wirbelte herum und salutierte steif: »Sir!«
»Wie ist die Lage?«
»Melde gehorsamst, dass wir einstweilen ein eingehendes Signal ausmachen konnten, Sir. Wir warten noch auf die Auflösung, aber es handelt sich um ein Signal, das eine Fusion mit Blauverschiebung andeutet. Sieht so aus, als hätten wir deren Heckspiegel, der die Impulse transmittiert, direkt vor der Nase.«
Mirsky nickte. »Sehr gut, Leutnant. Gibt’s sonst noch was?«
»Sonst noch was?« Die Frage verwirrte Marek. »Nichts, es sei denn, es taucht hier noch etwas auf…«
»Kontakt!«, meldete der Offizier, der die Sensoren überwachte, erneut. Er blickte verlegen auf. »Entschuldigen Sie bitte, Sir.«
»Genauere Angaben!« Jetzt war der Kapitän am Zug.
»Zweite Fusionsquelle, etwa zwei M-Kilometer oberhalb und südlich der ersten Quelle. Verfolgt einen Parallelkurs. Hab eine vorläufige Auflösung. Sieht so aus, als zielten die darauf ab, bei etwa eins-null-null K-Klicks an uns vorbeizuziehen, bremsen jetzt bei einer Geschwindigkeit von acht-null-null K.p.S. ab. Zeit, sie abzufangen, liegt bei zwei K-Sekunden.«
»Irgendwelche weiteren Aktivitäten?«, fragte Mirsky.
»Aktivitäten, Sir?«
»Sie wissen schon: ungewöhnliche laterale Beschleunigungen, Funkstörungen, leuchtende rosa Tentakel, was auch immer. Irgendetwas dergleichen?«
»Nein, Sir.«
»Also dann.« Mirsky strich sich gedankenvoll über den Bart. »Irgendetwas stimmt da nicht.«
Die Tür zur Brücke öffnete sich erneut: Leutnant Helsingus trat ein. »Habe ich Ihre Erlaubnis, die Abschusskontrolle zu übernehmen, Sir?«
»Tun Sie’s.« Mirsky winkte ab. »Aber lösen Sie mir zuerst mal ein Rätsel: Wieso können wir, beim Barte des Kaisers, zwei Antriebssignale erkennen, aber sonst nichts?«
»Äh…« Marek hielt wohlweislich den Mund.
»Weil«, sagte Kommandeur Vulpis über Mirskys Schulter hinweg, »die uns in eine Falle locken wollen, Kapitän.«
»Wie sind Sie nur darauf gekommen! Offenbar wollen sie uns zu einem Tänzchen am Abend einladen.« Mirsky grinste böse. »Hm, Sie glauben also, dass die vor der Zündung des Antriebs ein paar Minen gelegt haben?«
»Gut möglich.« Vulpis nickte. »Und in diesem Fall werden diese uns in etwa«, er drückte auf die Tastatur, »zwei-fünf-null Sekunden treffen, Sir. Wir werden zwar nicht sonderlich lange in Reichweite irgendwelcher Dinge sein, mit denen man Minen bestücken kann, aber bei dieser Geschwindigkeit würde uns schon eine Sandwolke grässlich zurichten.«
Mirsky beugte sich vor. »Geschütze, auf automatische Verteidigung umstellen! Kommunikation, bitte Schützenhilfe vom Stab des Geschwaderführers und von der Kamchatka und der Regina anfordern. Und sorgen Sie dafür, dass die nach Minen Ausschau halten.« Er lächelte grimmig. »Ich glaube, es ist an der Zeit herauszufinden, aus welchem Holz die geschnitzt sind. Kommunikation, richten Sie dem Geschwaderführer von mir aus, dass ich um Genehmigung bitte, die Emissionskontrolle zugunsten der Verteidigung zu beenden.«
»Zu Befehl, Sir.«
Die Emissionskontrolle war für ein Schlachtschiff überaus wichtig. Aktivierte Sensoren wie Radar oder Lidar zwangen einen fremden Raumkörper zu einem Echo, das seine Präsenz bestätigte. Allerdings hatte ein Körper, der weit genug entfernt (oder getarnt) war, kein so lautes Echo, dass man es hätte registrieren können.
Wenn man den Ursprungsimpuls in den Raum hinaussandte, gab man dabei aber gleichzeitig die exakte Position des eigenen Schiffes preis. Jeder Gegner, der zufällig außerhalb der Echo-Weite, aber innerhalb des Impuls-Empfangs herumspionierte, würde die Ortung vornehmen können. Während sich das Kampfgeschwader Rochards Welt unter Einsatz von Emissionskontrolle genähert hatte, war es bemüht gewesen, sich heimlich anzuschleichen. Das erste Schiff, das aktiv Strahlungen emittierte, würde seine Präsenz in aller Deutlichkeit ankündigen: Indem es den Gegner »ausleuchtete«, würde es sich selbst zur Zielscheibe machen.
»Sir?«
»Ja, Leutnant Marek?«
»Was, wenn mehr als zwei Schiffe da draußen sind? Ich meine, wir selbst haben ja auch Sonden und eine Raumfähre an Bord. Was, wenn wir’s mit einer größeren Streitmacht zu tun haben und die zwei Schiffe, die wir sehen können, nur Köder sind?«
Kapitän Mirsky grinste verkniffen. »Das ist nicht nur möglich, Leutnant, sondern so gut wie sicher.«
»Minenabfang am ersten Markierungspunkt, vier Minuten.« Vulpis las das Timing von den leuchtenden Digitronen ab, die er vor sich hatte, und blickte gleich darauf zum Sessel des Befehlshabers hinüber. Mirsky nickte.
»Geschütze, Torpedos ausrüsten. Raketen in Bereitschaft halten. Fernsteuerung, Status rot, blau und orange.« Mirsky war gelassen und gesammelt, seine Anwesenheit wirkte sich beruhigend auf die angespannte Mannschaft in der Kommandozentrale aus.
Mit lautem Gebimmel meldete sich das rote Telefon. Mirsky hörte kurz zu und legte dann auf. »Radar, Sie haben die Genehmigung, aktive Strahlung einzusetzen.«
»Aktivieren jetzt, Sir. Eins-null Sekunden für Zündung des Doppler-Impulses, vier schnelle Achterserien, danach auf Störsequenz Alpha. Köder ausschicken, Sir?«
»Köder ausschicken.« Mirsky faltete die Hände im Schoß und sah mit starrem Blick auf den Hauptschirm. Äußerlich wirkte er zwar gelassen, aber er machte sich ernsthafte Sorgen. Bei seinen Befehlen ging er von bestimmten Annahmen über den Gegner aus, die richtig oder falsch sein konnten. Zwangsläufig setzte er damit sein eigenes Leben, das des Schiffes und aller Menschen an Bord aufs Spiel. Er war wenig zuversichtlich, denn aufgrund der verfügbaren Informationen konnte er sich eine wohl begründete Vorstellung vom Gegner machen. Vielleicht hat diese Frau von den Vereinten Nationen doch richtig gelegen, überlegte er trübsinnig und sah sich in der Kommandozentrale um. »Kommandeur Helsingus, bitte derzeitigen Stand melden.«
Der bärtige Artillerieoffizier nickte. »Die ersten vier Serien geladen wie angeordnet, Sir. Zwei Torpedos mit Eigenantrieb auf Fernzündung von meinem Rechner aus programmiert, gefolgt von sechs Raketen, ausgerüstet für passive EMP-Projektion im Radius von eins-null Grad. Laserraster auf punktgenaue Verteidigung programmiert. Ballistische Programme punktgenau geladen und gesichert.«
»Gut. Ruder?«
»Halten stetig am geplanten Annäherungskurs unserer Flotte fest. Abweichungen vom Stab nicht genehmigt.«
»Radar?«
Leutnant Marek stand auf. Er wirkte angespannt und erschöpft; rings um seine Augen hatten sich neue Fältchen gebildet. »Melde gehorsamst, dass die aktive Strahlung noch zurückgehalten wird. Die passive Rückstrahlung zeigt bislang nichts, außer auf der Infrarotspur, aber damit sollte uns eine Ortung in…«, er senkte den Blick, »… in etwa drei Minuten möglich sein. Unser Köder ist von Bord, läuft jetzt zum Markierungspunkt eins.« Das Kriegsschiff schleppte den Köder, eine kleine, nicht mit eigenem Antrieb ausgestattete Drohne, im Abstand von zehn Kilometern hinter sich her. In Kürze würde diese Drohne ein Emissionssignal ausstrahlen, das mit dem des Schiffes identisch war. Durch Interferometer mit den aktiven Sensoren an Bord der Lord Vanek synchronisiert, würde die Drohne dazu beitragen, alle Sensoren des Feindes zu verwirren, wenn sie die genaue Position des Schlachtkreuzers zu bestimmen versuchten.
»Gut.« Mirsky sah auf die Uhr am vorderen Hauptdisplay und danach auf den Rechner, der vor ihm stand. Zeit für die Checkliste. »Am Markierungspunkt eins auf meinen Befehl hin mit der vorgesehenen Strahlung beginnen, jetzt vorbereiten.
Das sind vier-null g. Konstant halten, bis wir auf sechs-null K.p.S. gehen. Danach voll dämpfen und zurückfahren, Kurs drei-sechs-null auf null mal null des gegenwärtigen Navigationskurses. Kommunikation: Alle Teile des ersten Kampfgeschwaders benachrichtigen. Geschütze: Darauf einstellen, beim Zeitpunkt null plus fünf Sekunden auf meinen Befehl hin Torpedos eins und zwei abzuwerfen. Kommunikation: Dem ersten Kampfgeschwader Abwurf von Torpedos signalisieren. Bitte bestätigen.«
»Zu Befehl, Sir. Eins und zwei«, Helsingus legte einen Messingschalter um, »sind bestückt für Abwurf in plus fünf Sekunden.«
»Gut.«
»Zeit bis zum Abfang von Mine, falls solche vorhanden, noch zwei Minuten, Sir.«
»Danke, Navigation zwei. Ich kann die Uhr von hier aus sehen.« Mirsky knirschte mit den Zähnen. »Ruder: Stand melden.«
»Programm gesichert. Hauptantrieb bereit für Zündung in fünf-null Sekunden, Sir.«
»Radar: neuester Stand.«
»Wir müssten die in etwa zwei Minuten haben, Sir. Keine Emissionen…« Leutnant Marek schwieg plötzlich. »Was ist das denn?«
»Kontakt, Sir!«, meldete Radar zwei. »Lidar registriert erstes Läuten. Warten auf…«
Ein Alarm schrillte los. »Irgendetwas ist gerade auf uns zugeschwirrt, Sir«, sagte Marek.
Alle bis auf die Radartechniker starrten Mirsky an. Als er Helsingus’ Blick auffing, nickte er. »Ziel Beta verfolgen.«
»Zu Befehl, Sir. Geschütze zwei, Ziel Beta verfolgen.« Fast unmerklich ging ein Ruck durch den Schlachtkreuzer, als das Startgewinde der Hauptachse zwanzig Tonnen einer komplizierten Maschinerie aus Schwermetall und Treibstoff vom Bug des Schiffes losschickte. Ein zweiter Ruck zeigte den Start des zweiten Torpedos an. Nicht auf eigene Beschleunigung programmiert und derzeit nicht aktiv, aber mit eigener elektronischer Fracht ausgestattet, würden die beiden Torpedos hinter der Lord Vanek zurückbleiben und abwarten, während das Schlachtschiff mit der Beschleunigung begann.
»Noch drei-null Sekunden«, meldete Navigation zwei.
»Bitte über den Kontakt berichten zu dürfen, Sir«, sagte Marek.
»Berichten Sie, Navigator.«
»Wir konnten einen Blick auf die Impulsreihe des Kontaktes werfen, und sie sieht… ähm… recht seltsam aus. Irgendwie allzu auffällig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die haben gute Arbeit darin geleistet, ihre Kennungssignatur zu tarnen.«
»Noch eins-null Sekunden.«
»Alle Posten zu Plan zwei übergehen«, sagte Kapitän Mirsky. »Navigation: Geben Sie die Informationen über den Kontakt an die Kamchatka und die Ekaterina weiter. Und holen Sie aus denen alles heraus, was die wissen.«
Er griff nach dem Telefon, um den Kapitänen seines Geschwaders die Änderung des ursprünglichen Plans anzukündigen.
»Zu Befehl, Sir. Plan zwei. Zündung beginnt in fünf…, zwei, eins, JETZT.« In der Kommandozentrale war keine Veränderung zu bemerken, kein Schlingern, keine Erschütterung oder das bleischwere Gefühl in den Gliedern, das mit plötzlicher Beschleunigung einherging, doch im Schiffsbauch wand sich das Schwarze Loch in plötzlicher Qual. Die Lord Vanek sauste mit voller Kampfstärke und höchster Beschleunigung vorwärts, machte hundertsechzig Kilometer pro Sekunde – das waren mehr als vierzig g.
Ein weiterer Alarm schrillte los. »Vollständiger Scan läuft«, meldete die Navigation. Laserstrahlen von zwanzig Gigawatt verbreiteten sich in alle Richtungen, so gnadenlos grell, dass sie im Umkreis von mehreren Kilometern Stahl zum Schmelzen gebracht hätten. Im Schiffsbauch leuchteten heiß gelaufene Wärmeaustauschregler rot auf, und sofort schoss Wasser nach, löste den trägen Hochdruckdampf auf und sorgte dafür, dass er achtern abziehen konnte. So kurz vor der Schlacht wäre das Versagen der riesigen, hochempfindlichen Regler einem Selbstmord gleich gekommen.
»Start zum Ziel Beta beginnt«, meldeten die Geschütze. Diesmal ließen ein heftiger Schlag und ein mahlendes Geräusch das Schiff tatsächlich erbeben. Die Ursache waren die beiden Raketen, die Helsingus schon geladen hatte, als sie noch Plan Alpha verfolgt hatten. Während die Raketen vor dem Schiff hersausten, konzentrierte sich ein Zehntel des gesamten Ausstoßes ihrer Lasermasse auf ihr Leitwerk und versorgte die Reaktionsmasse mit Energie.
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Gefahr am größten war. Mirsky tat sein Bestes, auch weiterhin Zuversicht auszustrahlen, um seiner Mannschaft ein sicheres Gefühl zu geben. Wie hatte der Geschwaderführer es ausgedrückt, als sie im Besprechungszimmer seines Stabs ein Gespräch unter vier Augen geführt hatten? Falls die schlau sind, schicken sie gerade so viele Aktiva hinaus, dass wir selbst unsere Position preisgeben. Und dann nutzen sie alles, was sie im Orbit zur Verfügung haben, und lassen einen wahren Schneesturm von Minen auf uns niedergehen. Die wissen, wo wir hin wollen, die kennen unseren Weg. Damit ist das Problem, uns zu orten, für sie schon halb gelöst. Und wenn wir selbst mit der Aktivierung unserer Strahlung beginnen, haben sie im Handumdrehen die ganze Lösung. Dann ist die Frage nur noch, wie schwer sie uns unter Beschuss nehmen und womit wir fertig werden können.
Der Angriff auf einen Fixpunkt – in diesem Fall auf die Verteidigungsposten des Gegners im nahen Umkreis des Zielplaneten – galt bei Raumschlachten von jeher als schwierigste Aufgabe. Die Verteidiger hatten dabei die Möglichkeit, ihre Streitkräfte rings um den Fixpunkt zusammenzuziehen und in kürzester Zeit Abwehrraketen und Laserwaffen gegen jeden einzusetzen, der sich dem Fixpunkt zu nähern versuchte. Und falls die angreifende Macht tatsächlich in Erfahrung bringen wollte, was sie da attackierte, würde sie zwangsläufig grell leuchtende Wegweiser einsetzen müssen, die die Verteidiger ihrerseits als Zielscheiben hernehmen konnten.
Sekunden später atmete Mirsky erleichtert auf: »Melde, dass sich am Markierungspunkt nichts tut. Wir befinden uns inzwischen innerhalb ihrer Reichweite, aber die haben offenbar kein Minenfeld gelegt.« Wären hier Minen umhergetrieben, hätten sie die Bremskurve des Schiffes, das sie bei Höchstgeschwindigkeit abwarf, nicht mit vollzogen, sondern wären schon weit im Vorfeld eingeschlagen.
»Das ist gut«, murmelte Mirsky und konzentrierte den Blick auf zwei rote Punkte, die auf dem Hauptschirm zu sehen waren. Sie bremsten immer noch ab, und zwar beunruhigend heftig. Es sah fast so aus, als wollte der Gegner den Schlagabtausch bei Nullgeschwindigkeit austragen. Die beiden Raketen der Lord Vanek schienen im Schneckentempo auf die Punkte loszukriechen – obwohl sie in Wirklichkeit mit wilden tausend g dahinrasten und bereits mehr als tausend K.p.S. machten. Gleich darauf wurden sie langsamer und sparten ihre Energie, da ihre Reaktionsmasse nur noch für das letzte Manöver ausreichte, das stattfinden würde, sobald sie noch zehn Sekunden vom Feind entfernt waren. Im Vorfeld der Lord Vanek sausten derweil die purpurrot funkelnden Kreuze – sie standen für die antriebslosen Torpedos – auf den Gegner zu.
Eine Minute später meldete Geschütz zwei: »Habe Rakete eins verloren, Sir. Ich kann sie zwar anpeilen, aber sie reagiert nicht.«
»Seltsam…« Mit gerunzelter Stirn warf Mirsky einen Blick auf die Unheil verkündende Uhr. Der Schlachtkreuzer schlich sich jetzt mit vierzig K.p.S. an den Feind heran, während dieser mit weit mehr als zweihundert K.p.S. auf sie zukam. Zwar bremste er ab, aber gleichzeitig verminderte sich ihre eigene Schubkraft. Wenn das so weiterging, würden sich ihre Pfade in etwa fünfhundert Sekunden kreuzen. Schon zweihundert Sekunden früher würden sie so nahe dran sein, dass sie Geschosse abfeuern konnten. Diese Schüsse aus der Ferne würden zwar kaum wirklichen Schaden anrichten, aber den Gegner zu irgendeiner Reaktion zwingen. Allerdings war zu bedenken, dass ihre erste Rakete ihr Ziel um mehr als fünfzigtausend Kilometer verfehlt hatte…
»Melde gehorsamst, dass ich jetzt auch Rakete zwei verloren habe, Sir.«
»Das ergibt keinen Sinn«, murmelte Helsingus und blickte auf die grafische Darstellung: Ein Hagel von Geschossen – sechs Raketen, sämtlich von der Kamchatka abgefeuert – näherte sich dem feindlichen Ziel. Da sie aus beträchtlichem Abstand losgeschickt worden waren, bestanden kaum Chancen, dass sie irgendeinen Schaden anrichten würden, aber…
»Sir, wir haben ein Problem auf Deck eins«, meldete die Abwehr. »Sieht so aus, als… Melde gehorsamst Trümmereinschlag, Sir. Meine Lidars haben zwar ein paar Augäpfel eingebüßt, aber die innere Schiffshülle ist unversehrt.«
»Offenbar haben die ein Problem mit Haarschuppen«, witzelte Mirsky, »aber deren Abwehr funktioniert. Torpedos?«
»Sind noch nicht so weit, Sir«, erwiderte Helsingus. »Die machen nur noch fünf-null-null K.p.S. Werden erst in… äh… acht-null Sekunden zünden können.«
Die Torpedos, die viel schneller als das Schlachtschiff, von dem sie gestartet waren, auf den Feind zusteuerten, hatten dennoch »kurze Beine«, wie man so sagte: Im Unterschied zu Raketen besaßen sie zwar ihr eigenes Kraftwerk, Radar sowie Rechner zur genauen Ansteuerung ihres Ziels, was sie zu wertvollen Kampfinstrumenten machte, aber sie machten längst nicht so schnelle Fahrt, und ihr Beschleunigungsvermögen war beschränkt.
»Melde gehorsamst, dass ich anscheinend etwas geortet habe, Sir«, meldete Radar zwei. »Etwa eins-null-null Millisekunden, nachdem Rakete zwei ausgefallen ist, hat der Detektor drei einen Neutrino-Impuls aufgefangen. Unmöglich festzustellen, ob er vom feindlichen Zielobjekt oder von unserer eigenen Rakete kam, aber er wirkte recht energetisch. Äh… Kein Zeichen von anderer Strahlung.«
»Äußerst merkwürdig«, murmelte Mirsky leise vor sich hin. Und das war mehr als untertrieben. »Wie steht’s mit unserer Reichweite?«
»Torpedo ist in sechs-null Sekunden so weit. Geschosse in eins-fünf-null Sekunden. Feindberührung in vier-null-null Sekunden. Dichtester Berührungspunkt bei zwei-null K-Kilometern, Geschwindigkeit bei zwei-sechs-null K.p.S., vorausgesetzt, wir verzichten auf Manöver. Abstand zum Zielobjekt ist bei mir derzeit mit eins-null-fünf K-Kilometern angegeben.«
»Ha!« Mirsky nickte. »Meine Herren, es mag Ihnen widersinnig erscheinen, aber mir macht diese Entwicklung der Dinge zu schaffen. Helsingus, richten Sie Ihre beiden Torpedos sofort auf das unbekannte Objekt eins aus.«
»Aber die werden nicht die nötige Reichweite haben…«
Mirsky hob warnend die Hand. »Tun Sie’s einfach. Ruder: Option drei-zwei. An alle Schiffe weitergeben.« Erneut griff er nach der Direktverbindung zum Gefechtsstand des Geschwaderführers, um sich mit seinem Flaggoffizier zu beraten.
»Zu Befehl, Sir.« Das Display, das sich auf Rochards Welt konzentrierte, veränderte sich: Die orangefarbene Linie, die den Kurs der Lord Vanek darstellte und bis jetzt geradewegs zum Planeten geführt hatte, begann sich zu krümmen und in einem Bogen vom Planeten weg zu deuten. Auch die roten Linien, die den Kurs der zwei gegnerischen Raumschiffe anzeigten, wiesen jetzt Krümmungen auf: Sie veränderten den Kurs, um die Lord Vanek und ihre fünf Schwesterschiffe abzufangen. In der Zwischenzeit hatten sich die zwölf blauen Punkte – sie symbolisierten die Torpedos, die das Geschwader vor fast zwei Minuten abgeworfen hatte – im äußeren Feld verteilt.
Kein Raumschiffkapitän geriet gern in allzu große Nähe scharfer Torpedos. Im Unterschied zu Raketen – die im Wesentlichen nur aus einer Röhre voller Reaktionsmasse bestanden und hinten mit einem Laserspiegel und vorne mit einem Sprengkopf ausgerüstet waren – besaß ein Torpedo sein eigenes Kraftwerk und stellte eine unglaublich hinterhältige Nuklearrakete dar. Eigentlich war ein Torpedo ja kaum mehr als eine langsam zündende Atombombe, aber diese Bombe zog einen schrecklichen Schweif radioaktiver Emissionen hinter sich her, der kaum zu kontrollieren war. Darüber hinaus verfügte er über den effektivsten Raketenantrieb auf Treibstoffbasis, den man sich vorstellen konnte, auch wenn er weniger komplex war als ein Fusionsreaktor oder ein Raumkrümmungsgenerator. Bevor sich neuere Technologien durchgesetzt hatten, war er von den Raumpionieren des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts für die ersten bemannten interplanetarischen Missionen eingesetzt worden.
»Beide Fische schwimmen, Sir. Unsere machen neun-sechs beziehungsweise eins-eins-zwei g; durchschnittliche Geschwindigkeit des Geschwaders liegt derzeit bei neun-acht. In eins-null-null Sekunden müssten sie ausbrennen und auf Selbstversorgung umstellen und sich in etwa eins-fünf-null Sekunden mit den unbekannten feindlichen Objekten eins und zwei kreuzen, sofern sie auf dem gegenwärtigen Kurs bleiben. Wenn’s so weit ist, müssten wir die Flugbahn der Torpedos eigentlich immer noch unter Kontrolle haben. Also haben wir auch die letzte Stufe, den Angriff aufs Zielobjekt, im Griff.«
»Gut«, erwiderte Mirsky kurz angebunden. Durchaus möglich, dass die feindlichen Schiffe, die auf reziprokem Kurs zur Lord Vanek unterwegs waren, es schaffen würden, den Schlachtkreuzer ins Sperrfeuer zu nehmen. Allerdings würden die Torpedos ihnen hübsch dazwischenfunken, ihnen die klare Sicht auf die Lord Vanek nehmen und sie gleichzeitig bedrohen. Und genau darauf setzte Mirsky.
Ihm war aufgefallen, dass etwas an den beiden feindlichen Schiffen überaus seltsam war. Sie folgten keiner erkennbaren taktischen Doktrin, sondern beschleunigten geradewegs und schickten dabei Lidar-Impulse aus. Blindlings, geradezu automatisch steuerten sie ihr Ziel an. Es gab keine Anzeichen für irgendwelche hinterhältigen Manöver. Wie besoffene Blödmänner, die sich in einer Bar an einem Computerspiel ergötzen, hatten sie ihre Impulse munter durch die Gegend schwirren lassen. Damit hatten sie jeden Vorteil, den die Tarnung bot, preisgegeben. Wer diese Vögel lenkt, muss entweder ein Idiot sein oder aber…
»Radar«, sagte Mirsky leise, »Laserteppich vor den Bug und nach unten legen. Ist da irgendwas?«
»Ich schau nach.« Marek schluckte schwer, weil er sofort wusste, wonach der Kapitän Ausschau hielt. Falls die beiden Schiffe Jagdhunde waren, darauf aus, die Beute aus dem Versteck zu scheuchen, würde irgendetwas still und leise von vorn auf sie zukommen. Keine bei Höchstgeschwindigkeit abgeworfenen Minen, sondern etwas anderes, vielleicht noch Schlimmeres, zum Beispiel eine Staffel scharfer Torpedos. »Hm, soll ich auch einen optischen Scan durchführen, Sir?«
»Verrät denen eh nichts Neues«, knurrte Mirsky. »Die wissen ja, wo wir sind.«
»Nichts gefunden, was Masse hat, Sir«, meldete Radar eins. »Nichts innerhalb der zwei Lichtsekunden vor uns und unter uns. Es sind nur ein paar organische Raumtrümmer aufgetaucht. Bei Markierungspunkt eins sind wir durch eine dünne Wolke gestoßen und haben uns ein paar Kratzer an der Nase geholt. Gibt aber keine Anzeichen für Eskorten oder Waffen.«
»Alles klar da vorn«, meldete Leutnant Marek.
»Nun ja, halten Sie weiter Ausschau.« Mirsky blickte auf seine Hände, die eng miteinander verschlungen in seinem Schoß ruhten. Alte Hände. Auf dem Handrücken traten die Venen deutlich hervor, und die feinen Härchen an den Handgelenken wurden schon grau. Wie bin ich da nur hineingeraten?, fragte er sich im Stillen.
»Anruf für Sie«, meldete sein Rechner.
»Ach, verdammt.« Als er auf die Bildtaste drückte, erkannte er den Geschwaderführer Bauer. »Hab zu tun«, erklärte er kurz angebunden. »Torpedolauf. Kann’s warten?«
»Ich glaube nicht. Hier geht etwas sehr Seltsames vor sich. Was glauben Sie, warum beschießen die uns nicht?«
»Weil sie es bereits getan haben, nur sind die Geschosse hier noch nicht angekommen«, erwiderte Mirsky mit zusammengebissenen Zähnen.
Während sich stillschweigendes Einverständnis auf seinem Gesicht abzeichnete, starrte Bauer seinen Flaggkapitän einen Augenblick an. Gleich darauf nickte er. »Bringen Sie uns sofort aus dieser Hölle heraus, Kapitän. Ich werde das übrige Geschwader anweisen, Ihnen zu folgen. Legen Sie einfach so viel Abstand wie möglich zwischen die und uns.«
»Noch acht-null Sekunden bis zur größten Annäherung der Torpedos, Sir«, meldete Radar zwei. »Kein Anzeichen dafür, dass Wolf eins oder zwei die Fischchen bemerkt hat. Obwohl sie durchaus in Reichweite der Sensoren sind, falls die was Ähnliches wie unsere G-90 benutzen.«
»Verstanden.« Mirsky schwieg kurz. Etwas nagte an ihm, das unangenehme Gefühl, etwas übersehen zu haben. Ja, es war der Neutrino-Implus. Neutrinos bedeuteten eine starke nukleare Kraft. Warum feuerten sie dann nicht? »Geschütze, zwölf SEM-20 laden für Einsatz vom Heck aus bei größter Annäherung. Nehmen wir mal an, sie kommen von hinten.« Er wandte den Blick wieder dem Bildschirm zu, aber der Geschwaderführer hatte nicht gewartet und aufgelegt.
»Zu Befehl, Sir, Vögel sind scharf gemacht.« Helsingus wirkte fröhlich, als er mit Hebeln und Wählscheiben herumhantierte, ja, fast vergnügt. Mirsky konnte sich nicht erinnern, den sauertöpfischen Artilleristen je so erlebt zu haben, seit dessen Hund verschwunden war. »Bereit in minus eins-null Sekunden.«
»Ruder.« Mirsky überlegte kurz. »Auf Ausweichmanöver vorbereiten, damit beginnen, sobald ich den Befehl erteile.«
Auf dem Schreibtisch des Radars schrillte ein Alarm los. »Bitte, berichten zu dürfen«, begann der Dienst habende Maat mit käseweißem Gesicht. »Ich habe die Prince Vaclav verloren.«
Alle im Raum hoben bestürzt die Köpfe. »Was meinen Sie mit verloren?«, schnappte Vulpis und überging damit die Hackordnung der Befehlshierarchie. »Man verliert einen Schlachtkreuzer doch nicht so einfach…«
»Sie antwortet nicht mehr, Sir. Hat außerdem aufgehört zu beschleunigen. Ich kann sie auf der grafischen Darstellung erkennen, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr…« Der Mann am Radar schwieg kurz. »Ich empfange auch kein Identifikationssignal von ihr, Sir. Und sie reflektiert viel zu viel Energie. Irgendetwas muss die vordere Verkleidung der Emissionskontrolle abgerissen haben.«
»Ruder, Plan zum Ausweichen durchführen«, schnappte Mirsky in der plötzlich folgenden Stille.
»Zu Befehl, Sir, wird sofort veranlasst.« Leutnant Vulpis begann wie wahnsinnig auf Tasten zu drücken.
Ein grundsätzliches Problem bestand bei Raumschlachten darin, dass die Dinge, sobald sie erst einmal schief liefen, sich häufig mit Schwindel erregender Geschwindigkeit verselbstständigten und negativ entwickelten. Was noch schlimmer war: Meistens konnte ein Schiff, das so tief in der Feuerzone des Feindes steckte, die Katastrophe erst dann erkennen, wenn an Flucht nicht mehr zu denken war. Mirsky hatte diese Situation wiederholt mit Bauer und den anderen Flottenkapitänen durchgespielt. Daraus war der Plan zum Ausweichen entstanden, ein lausiger Plan. Das Einzige, was für ihn sprach, war die Tatsache, dass alle Alternativen noch schlechter waren. Irgendetwas hatte gerade über neunzigtausend Kilometer hinweg die Finger ausgestreckt und einen Schlachtkreuzer mit Guerillataktik aus dem Verborgenen heraus angegriffen. Das kam nicht völlig unerwartet; schließlich waren sie hier, um zu kämpfen. Aber sie hatten keine Raketen gesehen, nur ihre eigenen, den Emissionsschutt, der auf sie zu trieb, und das feine Einsickern von organischen »Schuppen«, die von den gegnerischen Schiffen stammten. Und im aktiven Modus konnten die Lidar-Impulse der Lord Vanek eine Rakete fast innerhalb einer Lichtsekunde über dreihunderttausend Kilometer hinweg orten. Wenn der Feind über irgendeine Strahlenwaffe verfügte, die ein riesiges Schiff der Marine aus solcher Entfernung zu vernichten vermochte, musste sie ein Vielfaches ihrer eigenen Kapazitäten besitzen. Sie waren verdammt nah dran am Feind, viel zu nah. Jetzt konnten sie nur noch seitlich ausweichen und auf einen »Notausstieg« aus der Situation hoffen, indem sie eine Richtung einschlugen, die vom Feind weg führte, und zwar ehe er es merkte.
»Torpedos kreuzen deren Bahn in vier-null Sekunden«, meldete Radar zwei. »Wölfe eins und zwei verfolgen immer noch denselben Kurs, Beschleunigung auf ein g vermindert.«
»Na ja, gut zu wissen, Mr Helsingus. Bitte einen herzlichen Empfang für alles vorbereiten, was unsere Feinde uns hinterherschicken. Ich weiß zwar nicht, was genau sie auf die Prince Vaclav abgeworfen haben, schlage aber vor, dass wir ihnen keine Zeit lassen, es uns vorzuführen. Wenn Sie mich jetzt bitte für eine Minute entschuldigen würden, meine Herren, ich muss ein persönliches Gespräch führen.« Mirsky streifte sich den Kopfhörer über und schaltete den Ton zum Mithören aus. »Kommunikation, verbinden Sie mich mit dem Geschwaderführer.« Es klickte in seinem Kopfhörer. »Sir?«
»Haben Sie mit dem Ausweichmanöver begonnen?«
»Ja, Sir. Die Prince Vaclav…«
Das Kreischen des Druckabfallalarms drang ihm wie ein Messer in die Ohren. »Alle sofort Schutzanzüge anlegen, verdammt!«, brüllte Mirsky und zerrte den Kopfhörer herunter. Offiziere und Mannschaft rannten zu dem Schrank mit den Notausrüstungen im hinteren Teil der Kabine hinüber, legten die Schutzkleidung an und stolperten zurück auf ihre Posten, während ihre Stellvertreter dem Beispiel folgten. Genau wie alle wesentlichen Nervenzentren des Schiffes wurde die Kommandozentrale bereits mit dem Sauerstoffvorrat für Notsituationen versorgt, aber Mirsky war kein Mann, der Risiken einging. In einem Nahkampfgefecht von Schiff zu Schiff würden Schutzanzüge zwar wenig nützen, aber Druckabfall war eine weitere Bedrohung, eine Bedrohung ganz anderer Art, die man an Bord eines Sternenschiffes fast ebenso fürchtete wie Feuer oder Verstrahlung. »Schadenkontrolle, melden Sie sich«, grunzte er. Als ein Obermaat vorbeikam und ihm einen Schutzanzug hinstreckte, stand er auf und legte ihn langsam an, wobei er den Statusmelder nochmals gründlich überprüfte.
»Melde gehorsamst, dass wir großen Druckabfall auf dem A-Deck verzeichnen, Sir, kritische Dekompression, wir verlieren immer noch Sauerstoff. Ah, melde gehorsamst, dass im Quadranten drei der Lidar-Emission offenbar ein Schaden aufgetreten ist.«
»Sorgen Sie dafür, dass alle Schutzanzüge tragen. Geschütze, Radar, wo stehen wir jetzt?«
»Torpedoeinschlag in eins-fünf Sekunden. Unbekanntes Zielobjekt hält Kurs, müsste in eins-zwei Sekunden für zwei-null Sekunden in unsere Feuerzone geraten, danach zurückfallen.«
Helsingus nickte. »Alle Rohre geladen«, meldete er.
»Schadenkontrolle: Überprüfen Sie die Versorgungssysteme, finden Sie heraus, was, zum Teufel, da los ist.«
»Habens schon, Sir. Hab hier irgendeine Verseuchung. Die Quelle liegt innerhalb des Versorgungssystems eins: seltsame organische Moleküle, niedrige Konzentration. Hab außerdem… äh… Ausbrüche von Feuer lokalisiert, vor allem auf dem A-Deck. Wir haben den Schaden im Lidarraster geortet, liegt da, wo die Raumtrümmer eingeschlagen haben. Hm… Sechzehn Besatzungsmitglieder werden vermisst. Zone zwei des A-Decks liegt offen im Vakuum. Die Vermissten haben sich zuletzt alle dort aufgehalten.«
»Noch fünf Sekunden bis zur Zündung der letzten Torpedostufe.«
»Jetzt wollen wir die mal ein bisschen verwirren«, sagte Helsingus. »Laser auf volle Kraft.«
»Zu Befehl, Sir, volle multispektrale Aufblendung läuft.«
Helsingus beugte sich zur Seite und murmelte irgendetwas in sein Kopfmikro, worauf Radar eins etwas erwiderte. Gleichzeitig betätigten beide verschiedene Schalter. Die entscheidende Kontrolle über die riesigen Laserraster rund um das Kriegsschiff überließ Radar eins jetzt Helsingus und seinen beiden Assistenten, die sofort damit anfingen, neue Instruktionen einzugeben.
Die Lord Vanek bewegte sich im rechten Winkel zu den zwei feindlichen Schiffen und beschleunigte mithilfe gekrümmter Raumzeit so, dass sie sich von den beiden stillen Verfolgern entfernte. Währenddessen sausten die beiden durch Salzwasser-Fission angetriebenen Torpedos, die im Hintergrund nur noch als grelle Funken auszumachen waren, wie zwei nukleare Feuerwerkskörper auf die feindlichen Kriegsschiffe zu. Und jetzt begann das dichte Mosaik von Konsolen, mit denen der zylindrische Rumpf der Lord Vanek übersät war, intensives reines Laserlicht auszuschicken. Tausend verschiedene Farben tauchten auf und bildeten ein einziges strahlendes Diadem aus Licht. Megawatt, dann Gigawatt von Energie strömten aus, sodass die Schiffshülle wie eine zielgerichtete Magnesiumflamme zu leuchten begann. Dieses Leuchten, das immer stärker wurde, konzentrierte sich auf zwei wohl kontrollierte Strahlen, die so intensiv waren, dass sie im Umkreis von tausend Kilometern wie ein Schweißbrenner durch Stahlplatten schneiden konnten.
Gleichzeitig liefen die Torpedos zu höchster Schubkraft auf und pendelten ständig hin und her, während sie die letzten dreitausend Kilometer zu den sich nähernden Schiffen des Feindes überbrückten. Die Torpedos waren zehnmal schneller als die Interkontinentalraketen jener Epoche, die der allgemeinen Verbreitung der Raumfahrt vorausgegangen war. Dass sie pendelten und Ausweichmanöver durchführten, zielte darauf ab, den gezielten Laserstrahlen des Feindes, mit denen zu rechnen war, möglichst zu entgehen. Dabei stützten sie sich auf passive Sensoren und ausgefeilte Algorithmen, um die erwarteten Störungen und Gegenmaßnahmen des Feindes zu konterkarieren. Sie brauchten kaum dreißig Sekunden, um den Abstand zu überwinden, und stießen auf so gut wie keine Abwehr.
Von der Kommandozentrale der Lord Vanek aus betrachtet, war der Einsatz undramatisch. Einer der Punkte, die die Verfolger markierten, verschwand ganz einfach. An die Stelle des feindlichen Schiffes traten Trümmersplitter und heiße Gase, angestrahlt von einem glühenden Punkt, der viel heller war als jede herkömmliche Kernexplosion. Da die Schiffshülle weit aufgerissen war und die Antriebsverkleidung beschädigt, verteilte sich die Antimaterie in der Brühe aus Metall und Wasserstoff und löste dort ein Chaos merkwürdiger subnuklearer Reaktionen aus. Aber nur einer der elf Torpedos hatte direkt ins Ziel getroffen.
»Melde gehorsamst, dass ich weitere Neutrino-Impulse registriert habe«, sagte Radar. »Und zwar nicht von dem Objekt, das wir getroffen haben…«
Mirsky starrte auf den Hauptschirm. »Schadenkontrolle: Was ist mit dem A-Deck? – Ruder: Machen alle anderen das Ausweichmanöver mit?«
»Das A-Deck ist zum Vakuum hin immer noch offen, Sir. Ich habe eine Kontrollmannschaft hingeschickt, aber sie hat sich bislang nicht gemeldet. In der vierten Recyclinganlage verzeichnen wir Druckabfall, aber wir haben kein Zeichen von einem Außenleck. Ah… Bei den Lasern registriere ich einen größeren Energieabfall, irgendwo verlieren wir Megawatt.«
»Hab all unsere Schiffe vor einer Minute über das Ausweichmanöver informiert, Sir. Bis jetzt haben…« Vulpis fluchte. »Die Kamchatka ist verschwunden, Sir!«
»Wohin, verdammt noch mal?« Mirsky beugte sich vor.
»Schon wieder ist ein Identifikationssignal verschwunden«, rief Radar. »Das von der…« Der Mann schwieg kurz, während sich seine Augen vor Bestürzung weiteten. »Von der Kamchatka«, fuhr er fort. Auf dem Hauptschirm vorn an der Brücke verlängerten sich die Vektoren des kaiserlichen Schlachtschiffes bis zu dreihundert K.p.S. und krochen weiter hoch. Der Zielplanet war in der Mitte zu sehen, unendlich weit, außerhalb jeder Reichweite.
Mirsky sah zu Ilja, seinem Ersten Offizier, der seinen Blick besorgt erwiderte.
»Bei allem Respekt, Sir, die kämpfen nicht auf irgendeine Weise, die uns vertraut ist…«
Rot blinkende Lämpchen. Schrille Sirenen. Irgendwelche Befehle, die jemand von der Schadenkontrolle in ein Megafon brüllt. »Status!«, schrie Mirsky. »Was geht hier vor, verdammt noch mal?«
»Verlieren Druck auf Abschnitt eins des B-Decks, Sir! Überhaupt keine Anzeigen im Abschnitt drei, zieht sich durch vom A- bis zum D-Deck. Große Energieschwankungen, Verteiler vierzehn in der Kabine D neun-fünf brennt. Ah, eine Kabine liegt offen im Vakuum, eine weitere, B vier-fünf, brennt. Komme zur Schadenkontrolle auf dem B-Deck überhaupt nicht durch. Und auf dem C-Deck ist die Hölle los…«
»Alles oberhalb des F-Decks versiegeln«, ordnete Mirsky mit kreidebleichem Gesicht an. »Und zwar sofort! – Geschütze: Köder zwei und drei zum Start vorbereiten…«
Aber er kam zu spät, um sein Schiff noch zu retten. Denn der Schwarm von bakteriengroßen Replikatoren, der eingebettet in eine Hülle aus künstlichen Diamanten mit sechshundert K.p.S. ins A-Deck eingedrungen war und sich durch fünf Schiffsdecks gefressen hatte, erreichte schließlich auch die technischen Räume. Dort fraß er weiter und brütete neues Unheil aus…
Wassilys Stimme schwankte vor Nervosität und Angst, was unter anderen Umständen komisch gewirkt hätte. »Ich verhafte Sie wegen Sabotage, Landesverrat, unbefugter Nutzung verbotener Technologien sowie Begünstigung und Beherbergung von Feinden der Neuen Republik! Geben Sie sofort auf, wenn Sie die Sache nicht noch schlimmer machen wollen!«
»Halt den Mund und greif nach der Sitzlehne, falls du nicht zu Fuß nach Hause möchtest. – Martin, wenn’s dir nichts ausmacht, hilf ihm doch bitte hinunter… Richtig so. Ich muss die Luke schließen…«
Rachel blickte sich angewidert nach dem Neuankömmling um. Dabei war die Aussicht an sich so wunderschön: überall Sterne. Und ein erdähnlicher Planet, der sich riesig vor ihnen wölbte – wie eine in Marmor gehauene Vision in Blau und Weiß. Und dieses blöde Kind quakte ihr die Ohren voll! Inzwischen hielt sie sich mit beiden Händen an der Unterseite der Luke fest und bemühte sich, alles im Griff zu behalten. Als sie den Kopf hinausgestreckt und gesehen hatte, wer sich an der Kurzwellenantenne festhielt, hätte sie sich am liebsten wieder nach innen verzogen und die Düsen gezündet, um den unwillkommenen Gast abzuschütteln. In einem Anflug blinder Wut hatte sie so laut mit den Zähnen geknirscht, dass Martin voller Panik gefragt hatte, ob ihr Raumanzug undicht geworden sei. Aber der rote Nebel des Zorns hatte sich bald wieder gelichtet. Sie hatte die Hand ausgestreckt, Wassilys Arm gepackt und es irgendwie geschafft, ihn in seinem aufgeblasenen Raumanzug durch die Luke ins Innere zu hieven.
»Ich komm runter«, erklärte sie jetzt. Während sie mit den Schenkeln die Sitzlehne umklammerte, löste sie den Haken der Luke, zog sie so weit wie möglich herunter und versperrte sie. Die Kabine unten war mehr als voll gestopft. Wassily hatte offenbar keinen Schimmer, wie er sich am besten aus dem Weg halten sollte, und Martin war damit beschäftigt, sich in die Beinschalen seines Sitzes zu winden, um Platz zu machen. Rachel zerrte an der Rettungsleine, ließ sich hinunterfallen, bis sie auf dem Sitz ihres Sessels stand, griff nach der Luke und zog sie ganz zu. Dann spürte sie, wie auf allen vier Seiten ein Dutzend kleiner Schließhaken mit solidem Klicken einrastete. »Okay. Autopilot: Luke versiegeln und danach Druck in der Kabine wiederherstellen. Martin, nicht da drüben – das ist die Toilette, die mach besser nicht auf. Ja, das ist der Schrank, den du suchst.« Aus den Deckendüsen zischte Luft in die Kabine; weißer Dunst bildete wirbelnde Nebelbänke, die zum Hauptfenster hinübertrieben. »Wunderbar. – Und du hörst jetzt zu: Wir sind hier nicht auf einem Schiff der Marine. Wenn du die Klappe hältst, nehmen wir dich mit nach unten. Falls du mir aber weiter erzählst, dass ich verhaftet bin, gehst du mir möglicherweise so auf den Geist, dass ich dich über Bord werfe.«
»Ähm…«
Die Augen des jungen Prokurators weiteten sich, als nach und nach die Luft aus seinem Raumanzug wich. Derweil kramte Martin stöhnend in einem der Vorratsschränke hinter den Sitzen. »Hast du das hier gemeint?« Er streckte Rachel eine zusammengerollte Hängematte hin. Sie wälzte sich in ihrem Sitz herum, befestigte ein Ende der Matte an der hinteren Wand und sorgte dafür, dass sich das andere Ende in Martins Richtung entrollte. Er ließ sich aus der Nische treiben, wobei er gerade noch verhindern konnte, dass er dem Schiffbrüchigen auf den Kopf trat, und machte das andere Ende fest.
»Du da, raus aus diesem Anzug und in die Hängematte! Wie du vielleicht bemerkt hast, haben wir hier nicht viel Platz.« Als Rachel ihren Helm löste, glitt gleichzeitig der Raumanzug von ihr ab und trieb weg. Sie schnappte ihn sich und verstaute ihn hinter ihrem Sitz, unter der Hängematte. »Du kannst deinen Raumanzug jetzt ablegen.«
Während Martin sich halbwegs aus seinem Anzug schälte – nur seine Beine und der Unterkörper steckten noch in der von Sauerstoff entleerten Plastikhülle –, trieb Wassily aus seiner Nische heraus und kämpfte mit dem schlaffen Helm. Martin lenkte ihn zur Hängematte und schaffte es, Wassilys Kopf zu befreien, ehe er erstickte. »Sie sind…« Wassily brach ab. »Äh… Ich danke Ihnen.«
»Komm bloß nicht auf die Idee, uns entführen zu wollen«, warnte Rachel ihn grimmig. »Der Autopilot ist auf meine Stimme geeicht. Und keiner von uns möchte unbedingt das Risiko eingehen, ein Wiedersehen mit deinen Freunden zu feiern.«
»Äh…« Wassily holte tief Luft. »Hm, das heißt also…« Er blickte sich hektisch um. »Werden wir sterben?«
»Nicht, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe«, erklärte Rachel mit Nachdruck.
»Aber die feindlichen Schiffe… Die müssen doch…«
»Das ist das Festival. Hast du irgendeine Vorstellung davon, was das Festival ist?«, fragte Martin.
»Falls Sie irgendetwas darüber wissen, hätten Sie’s dem Admiralstab mitteilen sollen. Warum haben Sie denen nichts gesagt? Warum…«
»Wir haben es denen gesagt, nur haben sie nicht zugehört«, bemerkte Rachel.
Wassily bemühte sich sichtbar um Verständnis. Letztendlich war es allerdings leichter, das Thema zu wechseln, als das Undenkbare zu denken. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Na ja«, Rachel pfiff lautlos durch die Zähne, »ich persönlich würde mit diesem Rettungsboot ja gern irgendwo in der Nähe von, sagen wir mal, Nowyj Petrograd landen, die Hochzeitssuite im Hotel Krone mieten, die Badewanne mit Champagner füllen und mich hineinlegen, während mich Martin mit Kaviar auf Schwarzbrot verwöhnt. Allerdings hängt das, was wir als Nächstes tun, wohl wirklich vom Festival ab, nicht wahr? Wenn Martin Recht mit dem hat, was er darüber erzählt…«
»Glaub’s mir«, warf Martin mit Nachdruck ein.
»… wird die Streitmacht der Marine stillschweigend und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Das hat man davon, wenn man glaubt, alle hielten sich an dieselben Spielregeln. Wir werden einfach hindurchtreiben und unseren Motor erst direkt vor der Landung zünden. Und in der Zwischenzeit schreien wir so laut wir können: Wir sind neutral! Das Festival ist nicht das, wofür es deine Führer halten, Junge. Es stellt eine Bedrohung für die Neue Republik dar – das haben sie durchaus richtig verstanden. Aber sie begreifen nicht, welcher Art diese Bedrohung ist oder wie sie damit umgehen sollen. Wenn man das Festival beschießt, wird es nur auf ähnliche Weise reagieren, und darin ist es eindeutig besser als eure Jungs.«
»Aber unsere Marine ist gut!«, wandte Wassily ein. »Die beste Marine innerhalb von zwanzig Lichtjahren! Was würdet ihr Anarchisten denn unternehmen? Ihr habt ja noch nicht einmal eine starke Regierung, ganz zu schweigen von einer Flotte!«
Rachel kicherte. Kurz darauf fiel Martin in das Gelächter ein, das sich in dem begrenzten Raum nach und nach zu einer ohrenbetäubenden Lachsalve steigerte.
»Warum lachen Sie mich aus?«, fragte Wassily empört.
»Hör zu.« Martin kauerte sich so in seinen Sitz, dass er dem Jungen direkt in die Augen sehen konnte. »Du bist mit all diesen Glaubenssätzen aufgewachsen, mit der Theorie einer starken Regierung, einer herrschenden Klasse von Gottes Gnaden, einer strengen Verwaltung, welche die nackten Hintern des städtischen Proletariats mit Peitschenhieben züchtigen muss und so weiter. Aber ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass das System der Vereinten Nationen ebenfalls funktioniert, und zwar schon fast doppelt so lange wie eure Neue Republik? Es gibt mehr als eine Methode, einen Zirkus zu dirigieren, wie auch das Festival meiner Meinung nach beweist. Und starre Hierarchien wie die, mit der du groß geworden bist, sind miserabel, wenn man mit Veränderungen fertig werden muss. Das System der Vereinten Nationen hat – zumindest nach der Singularität und der Akzeptanz einer nicht-staatlichen planetaren Verwaltungsform…« Er schnaubte.
»Früher einmal haben die Anarchisten der Randgruppen angenommen, die Vereinten Nationen seien so etwas wie eine quasi-faschistische Weltregierung. Das war im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert, als starke Regierungen in Mode waren, weil die ganze Weltbevölkerung angesichts der sich abzeichnenden Singularität unter einem Zukunftsschock litt. Aber nachdem das ausgestanden war… Nun, es sind ja nicht viele lebensfähige Regierungen übrig geblieben. Und je starrer solche Regierungen waren, desto weniger konnten sie mit den Folgen dessen fertig werden, dass sie über Nacht neun Zehntel ihrer Bevölkerung eingebüßt hatten. Oh, und dann waren da natürlich noch die Füllhörner. Ist bestimmt nicht angenehm, eine staatliche Zentralbank zu leiten und eines Morgens beim Aufwachen festzustellen, dass neunzig Prozent der Steuerzahler verschwunden sind und die übrigen Geld für überflüssig halten.«
»Aber die Vereinten Nationen bilden doch eine Regierung…«
»Nein, tun sie nicht«, entgegnete Martin. »Sie sind eine Schwatzbude. Haben als Organisation angefangen, die Verträge aushandelte. Verwandelten sich später in eine Bürokratie, danach in eine Treuhandagentur für zwischenstaatlichen Handel aller Art und für Standardvereinbarungen. Nach der Singularität wurden die Vereinten Nationen von der Einsatztruppe der Internet-Technologen übernommen. Sie bilden nicht die Regierung der Erde, sondern stellen lediglich das einzige Überbleibsel irdischer Regierungen dar, das dein Volk irgendwie begreifen kann. Diese kleine Gruppe sorgt fürs Allgemeinwohl, für das, was jeder gutheißen muss. Für weltweite Impfprogramme, für Handelsvereinbarungen mit Regierungen außerhalb unseres eigenen Sonnensystems, für Versicherungen, die bei großen Katastrophen als letzter Rettungsanker greifen – solche Dinge. Worauf ich hinaus will: Meistens tun die Vereinten Nationen eigentlich gar nichts. Sie treiben keine Außenpolitik. Sie sind nur eine Schimäre, über die sich eure Politiker ereifern können. Hin und wieder nutzt der eine oder andere die Vereinten Nationen als Fassade, wenn es um die eigene Glaubwürdigkeit geht. Aber wenn man den Sicherheitsrat zu einer einstimmigen Entscheidung bewegen will, ist das schlimmer, als einen Sack Flöhe zu hüten.«
»Aber Sie sind doch…« Wassily führte den Satz nicht zu Ende, sondern sah Rachel nur an.
»Ich habe dem Admiral gesagt, dass das Festival nicht von menschlicher Art ist«, bemerkte sie erschöpft. »Er hat mir gedankt und mit dem Angriffsplan einfach weitergemacht. Deshalb werden sie alle bald sterben. Deine Leute sind nicht flexibel genug. Selbst der Versuch, bei diesem Angriff eine kleine – und schrecklich illegale – Verletzung der Kausalität herbeizuführen, war nicht sonderlich originell.« Sie rümpfte die Nase. »Sie dachten, sie würden damit eine Woche vor dem Festival auftauchen. Mithilfe dieser lächerlichen Zeitschleife. Angeblich, um Minen und Schläfern auszuweichen. Als ob das Eschaton das nicht merken würde. Und als ob das Festival nur irgendein Haufen Primitiver wäre, der mit Atombomben herumfuchtelt.«
Ein rotes Lämpchen blinkte auf der Konsole vor ihr auf. »Oh, sieh mal«, sagte Martin.
»Jetzt fängt’s an. Gurtet euch lieber fest. Wir sind viel näher dran, als uns gut tut.«
»Ich verstehe nicht… Was ist los?«, fragte Wassily.
Martin griff nach oben, um einen Satz kleiner Linsen im Kabinendach auszurichten, und blickte gleich darauf über die Schulter nach unten. »Kannst du gut mit Worten umgehen, Junge?«
»Nein, warum?«
Martin deutete auf den Schirm. »Achsen-Schiffe. Oder Antikörper. Nicht empfindungsfähige, ferngesteuerte Objekte, bewaffnet mit… ähm… besser, man weiß es nicht. Mit Dingen, die andere verschlingen und ihre Form verändern können. Widerliche, hungrige kleine Nanomaschinen. Mit anderen Worten: gefräßiger Abschaum.«
»Oh.« Wassily sah aus, als wäre ihm übel. »Sie meinen, dass die…«
»… zur Begrüßung der Flotte herauskommen und sie beschnüffeln werden, wie’s aussieht. Leider muss ich davon ausgehen, dass Geschwaderführer Bauer eines nicht begriffen hat: Wenn er sie nicht freundlich empfängt, wird die Flotte mit Mann und Maus sterben. Bauer hält das immer noch für eine Schlacht, die mit Raketen und Geschützen ausgetragen wird. Falls sie sich wirklich zu Gesprächen entschließen… Nun ja, das Festival frisst Informationen. Wir sind hier völlig sicher, solange wir das Festival unterhalten können und es nicht beschießen. Glücklicherweise versteht es keinen Spaß; es findet Humor zwar faszinierend, aber kapiert ihn nicht so recht. Solange wir das Festival unterhalten, wird es uns nicht fressen. Vielleicht gelingt es uns sogar, zu einer alles lenkenden Intelligenz vorzudringen, die dafür sorgen kann, dass die Springer uns vom Haken und sicher landen lassen.« Er griff in den Beutel mit Gerätschaften, den er aus dem Schrank hinter den Sitzen gekramt hatte. »Bereit für die Übertragung, Rachel? Hier, Junge, streif das über. Die Show beginnt.«
Vor Wassilys Kopf trieb eine rote Nase durch die Luft. Es kam ihm so vor, als wollte sie sich über ihn lustig machen.