DAS MANIFEST
Spät am Abend kam der alte Barchini, der Papierhändler, ins Pfarrhaus. Da er zwei Kästen Buchstaben und eine kleine Druckpresse mit Fußantrieb aus dem Jahre 1870 besaß, schrieb er über den Eingang seines Geschäftes:
«Buchdruckerei». Er dürfte an diesem Abend sehr wichtige Dinge zu erzählen gehabt haben, da er ziemlich lange in der Schreibstube Don Camillos verblieb.
Als dann Barchini ging, beeilte sich Don Camillo, dem Christus vom Hauptaltar sein Herz auszuschütten.
«Wichtige Neuigkeiten», rief Don Camillo aus. «Morgen wird der Feind ein Manifest herausgeben. Barchini druckt es und hat mir einen Abzug gebracht.»
Don Camillo zog aus der Tasche ein frisch bedrucktes Papier und las laut vor:
Erste und letzte Warnung!
Noch gestern abend fand sich eine verbrecherische anonime Hant, die auf unsere Wandzeitung eine beleidigende Attacke geschrieben hat. Diese Hant des betreffenden Lumpens soll sich fest auf ihren Beinen halten. Sie benützt die Dunkelheit um eine Herausforderung und Aktion zu unternehmen, so daß der Betreffende diese Sache schwer bereuen wird, wenn er nicht aufhört, bevor es zu spät wird. Jede Gedult hat eine Grenze.
Der Sektionssekretär
Giuseppe (Peppone) Bottazzi
Don Camillo lachte sich halbtot
«Wie kommt es Dir vor? Ist es nicht ein Meisterwerk? Denk Dir nur, wie die Leute morgen lachen werden, wenn sie dieses Manifest sehen werden.
Peppone gibt Manifeste heraus! Ist das nicht zum Platzen?»
Christus antwortete nicht, und das wunderte Don Camillo sehr. «Hast Du nicht gehört: welch ein Stil? Willst Du, daß ich es Dir noch einmal vorlese?»
«Ich habe schon verstanden», antwortete Christus. «Jeder drückt sich so aus, wie er kann. Man kann kaum verlangen, daß jemand, der über die dritte Klasse Volksschule nicht hinausgekommen ist, für die Feinheiten des Stils viel übrig haben soll.»
«Herr!» rief Don Camillo und breitete die Arme aus. «Feinheiten nennst Du ein derartiges Stottern?»
«Don Camillo, das billigste, was man in einer Polemik machen kann, ist, sich an die vom Gegner begangenen grammatischen und syntaktischen Fehler zu klammern. Was in einer Polemik von Bedeutung ist, sind die Argumente.
Sag mir lieber, daß in diesem Manifest der häßliche Ton der Drohung verwerflich ist.»
Don Camillo steckte das Papier wieder in die Tasche. «Das versteht sich von selbst», murmelte er. «Wirklich verwerflich ist der drohende Ton des Manifestes. Andererseits, was willst Du schon von diesem Menschenschlag?
Sie kennen nur die Gewalt.»
«Und doch», bemerkte Christus, «trotz seiner Maßlosigkeit scheint dieser Peppone nicht gerade ein schlimmer Mensch zu sein.»
Don Camillo zuckte mit den Achseln.
«Es ist wie mit einem guten Wein in einem morschen Faß. Wenn jemand in gewisse Kreise kommt, gewisse ketzerische Ideen annimmt und sich mit gewissen Leuten abgibt, wird er verdorben.»
Aber Christus schien nicht überzeugt. «Ich sage dir, im Fall Peppones darf man nicht auf das Äußere achten sondern muß nach dem Wesen fragen. Man muß schauen, ob Peppone auf Antrieb einer natürlichen Schlechtigkeit oder unter der Wirkung einer Herausforderung handelt. Mit wem hat er es übrigens?» Don Camillo breitete die Arme aus. Wer hätte das wissen können?
«Es würde genügen, zu wissen, welcher Art die Herausforderung war», beharrte Christus. «Er spricht von einer Beleidigung, die jemand gestern abend auf seine Wandzeitung schrieb. Als du gestern abend zur Trafik gingst, bist du nicht zufällig an der Wandzeitung vorbeigegangen? Versuche dich zu erinnern!»
«Tatsächlich, jetzt erinnere ich mich», gab Don Camillo offenherzig zu.
«Gut. Bist du nicht zufällig ein Weilchen stehengeblieben, um dir die Tafel ein bißchen anzusehen?»
«Anschauen? Ja, schon. Gelesen habe ich aber nicht. Hab' ich etwas Schlechtes gemacht?»
«Nicht einmal im Traum, Don Camillo! Man muß immer wissen, was unsere Herde sagt, schreibt und – womöglich – denkt. Ich habe dich nur gefragt, weil ich wissen möchte, ob du irgendeine sonderbare Schrift auf der Wandzeitung bemerkt hast, als du dort stehen bliebst.»
Don Camillo schüttelte den Kopf.
«Ich kann Dir versichern, daß ich auf der Tafel nichts Besonderes sah, als ich dort stehenblieb.»
Christus dachte eine Weile schweigend nach.
«Und als du weggingst, Don Camillo, hast du dann etwas Besonderes auf der Tafel geschrieben gesehen?»
Don Camillo sammelte sich. «Also», sagte er endlich, «wenn ich gut nachdenke: es scheint mir, ich habe, als ich weiterging, auf einem Blatt etwas mit Rotstift gekritzelt gesehen. Mit Verlaub: ich glaube, daß im Pfarrhof Leute auf mich warten.» Don Camillo verbeugte sich rasch und versuchte, in die Sakristei zu verschwinden. Christi Stimme hielt ihn aber fest.
«Don Camillo!»
Don Camillo ging ganz langsam zurück und blieb verlegen vor dem Altar stehen.
«Und weiter?» fragte Christus streng.
«Und weiter, ja», murmelte Don Camillo. «Es ist mir etwas entschlüpft ...
Ich glaube, ich schrieb: ‹Peppone, der Esel› ... Wenn Du in der Wandzeitung dieses Rundschreiben seiner Partei gelesen hättest, so hättest Du auch ...»
«Don Camillo! Du weiß nicht, was du selbst tust, und willst wissen, was deines Gottes Sohn getan hätte!»
«Vergib mir! Ich habe etwas Schlimmes getan, ich sehe es ein. Andererseits macht jetzt Peppone auch etwas Schlimmes, indem er drohende Manifeste herausgibt, und so sind wir quitt.»
«Nichts quitt!» rief Christus empört aus. «Gestern abend hast du ihn Esel genannt, und morgen wird ihn das ganze Land auch Esel nennen. Stell dir nur vor: von allen Seiten werden Menschen herbeiströmen, um seine Manifeste anzuschauen, und alle werden über die Schnitzer des großen Peppone kichern, obwohl sie ansonsten eine tolle Angst vor ihm haben. Und das alles wird deine Schuld sein. Kommt dir das sehr schön vor?»
Don Camillo schöpfte Mut.
«Richtig, aber im Sinne der allgemeinen politischen Lage ...»
«Die allgemeine politische Lage interessiert mich nicht!» unterbrach ihn Christus. «Im Sinne der christlichen Barmherzigkeit ist eine große Schweinerei geschehen, wenn man den Leuten Anlaß gibt, sich über einen Menschen lustig zu machen, nur weil dieser Mensch über die dritte Klasse Volksschule nicht hinausgekommen ist. Und du bist schuld, Don Camillo!»
«Herr», seufzte Don Camillo. «Sag mir, was ich jetzt tun soll?»
«Habe ich vielleicht ‹Esel Peppone› geschrieben? Wer sündigt, soll auch büßen. Tue, was du kannst, Don Camillo!»
Don Camillo suchte Zuflucht im Pfarrhof und fing an, in seiner Bude hin-und herzugehen. Es kam ihm vor, als ob er hörte, wie Leute über Peppones Manifest lachten.
«Idioten!» rief er wütend aus.
Er wandte sich der kleinen Statue der Madonna zu.
«Mutter Gottes», betete er, «hilf mir!»
«Die Sache gehört in die strenge Zuständigkeit meines Sohnes», flüsterte die kleine Madonna. «Ich kann mich nicht einmischen.»
«Lege dein Wort für mich ein!»
«Ich werde es versuchen.» Da trat plötzlich Peppone ein.
«Hören Sie», sagte Peppone. «Das Folgende hat mit Politik nichts zu tun. Es handelt sich um einen Christen, der in Verlegenheit den Priester um Rat bittet.
Kann ich sicher sein ...»
«Ich kenne meine Pflichten. Wen hast du erschlagen?»
«Ich erschlage nicht, Don Camillo», erwiderte Peppone. «Wenn schon, dann laß ich zünftige Ohrfeigen regnen, wenn mich jemand zu sehr am Haar zupft.»
«Wie geht es deinem Libero Camillo Lenin?» erkundigte sich Don Camillo mit schlauer Miene. Und da erinnerte sich Peppone des blitzartigen Faustschlages, der ihn vor der Taufe seines Kindes getroffen hatte, und zuckte mit den Achseln. «Wir wissen, wie das schon ist», murmelte er. «Die Ohrfeigen kommen und die Ohrfeigen gehen. Sie zirkulieren. Jedenfalls ist das eine andere Frage. Kurzum, es geschehen dunkle Dinge hierzulande. Eine schwarze Teufelsseele, ein Judas Ischariot, ein Giftzahn schleicht herum und immer, wenn wir auf unserer Parteitafel etwas mit meiner Unterschrift des Parteisekretärs aushängen, schreibt dieser Lump darunter: ‹Esel Peppone›!»
«Ist das alles?» rief Don Camillo aus. «Es kommt mir nicht tragisch vor.»
«Ich möchte sehen, ob Sie auch dann so denken würden, wenn Sie durch zwölf Wochen immer wieder auf der Kirchentafel ‹Esel Don Camillo›
geschrieben sähen?»
Don Camillo antwortete, dies sei ein schlechter Vergleich. Die Kirchentafel und die Parteitafel seien zwei verschiedene Dinge. Einen Priester Gottes Esel zu nennen, sei doch etwas anderes, als diesen Namen dem Chef einer Partei der Ungläubigen zu geben.
«Weißt du vielleicht, wer es war?» fragte er schließlich.
«Es ist besser, ich weiß es nicht», antwortete Peppone düster. «Wenn ich es wüßte, würde dieser Barabbas mit zwei nicht blauen, sondern schwarzen Augen, so schwarz wie seine Seele, herumlaufen. Schon zwölfmal macht er mir diesen Streich, dieser Gauner, und ich bin sicher, daß es immer derselbe ist, und ich möchte ihn jetzt warnen, daß meine Geduld am Ende ist. So kann er sich danach richten, denn jetzt weiß er: wenn ich ihn erwische, geschieht das Erdbeben von Messina. Deswegen lasse ich Manifeste drucken und klebe sie an allen Ecken auf, damit er und seine Bande gewarnt sind.»
Don Camillo zuckte mit den Achseln.
«Bin ich vielleicht eine Druckerei?» sagte er. «Was habe ich damit zu tun?
Geh zum Buchdrucker.»
«Schon gemacht», erklärte Peppone finster. «Da ich aber nicht will, daß mich Leute Esel nennen, sollten Sie den Abzug ein bißchen anschauen, bevor Barchini das Manifest in Druck gibt.»
«Barchini ist kein Lump. Wenn Fehler vorhanden waren, hätte er es dir gesagt.»
«Was noch!» höhnte Peppone. «Er ist ein Klerikaler ... Ich wollte sagen ein Reaktionär, schwarz wie seine Seele, und wenn er auch sähe, daß ich Herz mit
‹c› schreibe, würde er kein Wort sagen, nur um mich bloßzustellen.»
«Du hast aber deine Leute», erwiderte Don Camillo.
«Ich kann mir ja meine Manifeste nicht von meinen Untergebenen ausbessern lassen! Und dann ... Alle zusammen bringen sie vielleicht ein halbes Alphabet zustande!»
«Laß anschau'n», sagte Don Camillo. Peppone legte ihm den Abzug vor.
Don Camillo durchlas langsam die Zeilen.
«Kommt es dir nicht vor, daß der Ton etwas zu stark ist?»
«Stark!» schrie Peppone. «Er ist eine verfluchte Kanaille, ein solcher Lump, ein solch dreckiger Agent provocateur, daß man zwei Wörterbücher brauchte, um ihm zu sagen, was er verdient!»
Don Camillo nahm den Bleistift und besserte den Abzug sorgfältig aus.
«So, und jetzt schreibe selbst darüber mit Tinte die Korrektur», sagte er, nachdem er fertig war.
Peppone betrachtete traurig das von Bleistiftschrift bedeckte Blatt.
«Wenn ich nur bedenke, daß mir dieser Gauner Barchini gesagt hat, es sei alles in Ordnung ... Was schulde ich Ihnen, Hochwürden?»
«Nichts. Schau lieber, daß du dein Maul hältst. Ich lege keinen Wert darauf, daß man erfährt, ich arbeite für die kommunistische Parteipropaganda.»
«Ich werde Ihnen ein paar Eier schicken.»
Peppone ging. Don Camillo betrat die Kirche, um vor dem Schlafengehen noch einmal zu beten und Christus zu grüßen. «Danke, daß Du ihn zu mir geschickt hast.»
«Es ist das geringste, was ich für dich tun konnte», antwortete Christus lächelnd. «Wie war es denn?»
«Nicht gerade angenehm, aber alles in Ordnung. Er ahnt nicht einmal, daß ich es gestern abend war.»
«Ganz im Gegenteil, er weiß es ganz genau», erwiderte Christus. »Er weiß sehr gut, daß du es gewesen bist. Alle zwölfmal. Er hat dich sogar einige Male gesehen. Don Camillo, halte dich fest und überlege dir immer siebenmal, bevor du wieder ‹Esel Peppone› schreibst.»
«Wenn ich ausgehe, werde ich immer den Rotstift zu Hause lassen», versprach feierlich Don Camillo.
«Amen», sagte Christus lächelnd.