»Nachdem mich der Typ oben nicht erwischt hat, komm ich heim und warte. Ich denk natürlich, dass der wiederkommt. Und tatsächlich klingelt es. Und an der Tür steht so ein fetter Typ, der behauptet, er wär von der GEZ, und er will Kohle, weil ich ein nicht angemeldetes Fernsehgerät habe.«

»Von der GEZ?«, wurde Morlov von Birdy unterbrochen. »Was ist denn das für ein blöder Trick.«

»Genau das hab ich auch gedacht. Was für ein blöder Trick.«

Sie saßen beide in Morlovs Toyota. Morlov hatte Birdy gefragt, ob er ihn bei einer Geocaching-Tour begleiten würde. Birdy hatte sofort ja gesagt und das hatte Morlov ein wenig gewundert, wo er sich doch sonst immer über sein Hobby lustig machte und wo sie für das Versteck fast zweihundert Kilometer durch die Gegend fahren mussten.

»Das ist einer von den Jungen, hab ich gedacht, nur die kommen auf so was Blödes …« Morlov brach den Satz ab und verstummte. Sollte er Birdy wirklich erzählen, dass er einen völlig Unschuldigen getötet hatte? Er starrte nach vorne auf die Straße. Die Dämmerung hatte eingesetzt, Morlov schaltete das Scheinwerferlicht ein. Noch zwanzig Kilometer zeigte sein GPS-Gerät an. Sein Ziel war ein Nachtcache von searcher09. Irgendwo hinter der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Es war Zeit, es diesem Anfänger zu zeigen.

»Und was war jetzt mit diesem GEZ-Typ?«, fragte Birdy.

Morlov zuckte die Schultern. »Das war ’ne echt blöde Geschichte. Der war wirklich von der GEZ.«

Birdy starrte ihn stumm an. Er hatte sich aus seiner Rucksacktasche ein Dosenbier geholt. Er wollte einen Schluck daraus trinken, aber Morlovs Satz hatte ihn so überrascht, dass er ihn nur regungslos anglotzte. »Und was hast du mit ihm gemacht?«, fragte Birdy endlich.

»Na, was machst du mit jemand, von dem du denkst, das ist ein Killer, der dich umbringen will?«

Birdy sah ihn immer noch an. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder. »Du hast ’nen GEZ-Fahnder umgebracht.« Er nahm einen schnellen Schluck von seinem Bier. »Na ja«, sagte er dann. »Die Typen können einem auch ganz schön auf die Nerven gehen.«

Wer Birdy das erste Mal sah, würde nie auf die Idee kommen, einen Profikiller vor sich zu haben. Er hatte ein rundliches, gutmütiges Gesicht. Sein braunes Haar war schon sehr dünn, aber Birdy hatte eine große Kunst darin entwickelt, seine wenigen Haare unter Einsatz von reichlich Gel zu einer wahren Lockenpracht zu formen. Nur wer genauer hinsah, entdeckte unter dem kunstvollen Arrangement aus Haarfett und Locken die kahlen Stellen. »Und hast du nicht Angst, dass die Polizei bald bei dir auf der Matte steht?«

»Die waren schon da. Die denken, dass sich Klöpper nach Tschechien abgesetzt hat. Und ich hab dafür gesorgt, dass der fette Klöpper dort noch einmal aufgetaucht ist.«

Einen halben Tag hatte er gebraucht, um sich in ein Abbild des dicken Klöpper zu verwandeln. Er hatte mit einer Latexmaske und einer Perücke gearbeitet und als er sich am Ende im Spiegel betrachtet hatte, war er sich sicher gewesen, dass sein Plan funktionieren würde.

Dann war er nach Tschechien gefahren. In einem billigen Nachtlokal nicht weit von der Grenze hatte er den ganzen Abend am Tresen verbracht. Und hatte sich dabei so auffällig benommen, dass sich die Barfrau dort ganz sicher an ihn erinnern würde. Seine Rechnung hatte er schließlich mit der Kreditkarte gezahlt, die er bei Klöpper gefunden hatte.

Er hatte genug Spuren hinterlassen, um die Polizei glauben zu lassen, dass Klöpper noch lebte und sich in Tschechien herumtrieb.

»Du bist einfach etwas aus der Übung, dann passiert so etwas«, sagte Birdy. »Wenn du so wie ich dauernd Aufträge hast, dann siehst du natürlich sofort, ob so ein Typ dich umlegen will oder nur ’ne harmlose Pfeife ist.«

Morlov ärgerte sich über Birdys Worte. Birdy war ein Angeber, aber dass er ihn behandelte, als wäre Morlov schon lange aus dem Geschäft, traf ihn. Morlov war noch nicht auf dem Abstellgleis. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Birdy von dem Grauen und seinen Aufträgen zu erzählen. Aber dann ließ er es. Der Graue war sein Geheimnis.

Birdy nahm wieder einen Schluck von seinem Bier. »Vor einem Monat, da hatte ich ’ne Idee. Und ich glaube, grad dir könnte das verdammt helfen«, sagte er.

»Was für eine Idee?«

»Wir sollten eine Vereinigung gründen.«

»Wie meinst du das?«

»Einen Killerclub. Wir sollten einen Killerclub gründen.«

Birdy hatte immer solche Ideen. Einige, wie zum Beispiel das Forum für Berufskiller, hatten sich auch als richtig gut erwiesen. Aber die Kollegen, die Morlov kannte, waren Einzelgänger, die würden sich nie für einen Club begeistern können. Und wofür sollte so ein Club gut sein?

»Ich versteh nicht ganz, wozu das nötig ist«, sagte Morlov.

Birdy sah ihn kopfschüttelnd an. »Du bist einfach schon ein bisschen raus aus dem Geschäft. Du weißt einfach nicht, was heute abgeht. Ich sag dir, die spielen uns gegeneinander aus. Weißt du, was es jetzt gibt? Man stellt einen Auftrag in ein geheimes Forum und lässt uns die Gage bieten. Aber du weißt nicht, was die anderen bieten, du siehst nur dein Gebot. Und wer am wenigsten bietet, der bekommt den Zuschlag. Zuerst waren es die Polen, die es für ein Butterbrot gemacht haben. Aber jetzt haben wir auch Afrikaner und Chinesen. Ich sag dir, die Chinesen mischen den Markt auf. Es gibt Gerüchte, dass die nur hundert Euro verlangen. Hundert Euro, dafür kann ich keine anständige Arbeit leisten. So schätzt man unsere Arbeit ein. Als ob das jeder hergelaufene Chinese könnte.«

»Und was würde ein Club daran ändern? Vielleicht ist das der Lauf der Zeit. Man nennt das Globalisierung.«

»Globalisierung«, äffte ihn Birdy nach. »In unserem Job heißt Globalisierung doch nur, dass du immer einen findest, der es billiger macht. So ein Club ist unsere einzige Chance. Wir müssen zusammenhalten, wir deutschen Berufsmörder.«

»Deutsche Berufsmörder?«, fragte Morlov.

»Dieses Amerikanische geht mir schon lange auf die Nerven. Warum nicht das gute deutsche Wort ›Mörder‹? Und in unserem Club sollten auch nur deutsche Kollegen sein. Das würde unseren Auftraggebern sofort klar machen, dass sie gute, deutsche Wertarbeit bekommen. Made in Germany.«

Sie kamen zu einer Kreuzung, Morlov bog auf die A 72. In gut zwanzig Minuten würden sie das Ziel erreichen.

»Ich hab schon im Kopf, wer alles dazu gehört«, sagte Birdy. »Wenn wir über zehn sind, und das können wir schaffen, dann sind wir so viele, dass wir unseren Auftraggebern unsere Bedingungen diktieren können.«

»Den anderen wird das nicht gefallen, den Kollegen aus Russland zum Beispiel.«

»Die müssen sich dann halt in Russland Arbeit suchen. Da gibt es doch mehr als genug. Was wollen die überhaupt hier in Deutschland? Wer einen Mord in Deutschland will, der soll auch einem deutschen Mörder die Arbeit geben.«

Morlov ging Birdys Gerede von »deutschen Mördern« allmählich auf die Nerven. Warum konnte er nicht »Killer« sagen, wie jeder andere normale Killer auch. Er wollte das Thema wechseln. »Eigentlich wollte ich dich heut fragen, ob du weißt, wer mich da um die Ecke bringen wollte. Ich mein, der GEZ-Typ war ein Irrtum, aber die Schüsse oben am Felsen, die waren echt. Ich bin mir sicher, dass Panzer dahintersteckt. Ich habe mit ihm geredet, und er hat natürlich alles abgestritten, deswegen habe ich gedacht, vielleicht weißt du etwas.«

»Natürlich war es Panzer«, sagte Birdy. »Mich hat er ja auch gefragt.«

»Was heißt, dich hat er auch gefragt?«

»Es heißt das, was es heißt. Dass er mich gefragt hat, ob ich den Auftrag übernehme, dich zu beseitigen.«

Morlov war sprachlos.

»Ich hab natürlich abgelehnt«, sagte Birdy.

»Weil du mich nicht töten wolltest?«

»Nein. Weil Panzer viel zu wenig zahlen wollte. Ich habe es satt, zu solchen Dumpingpreisen zu arbeiten, habe ich ihm gesagt. Aber anscheinend hat er doch jemanden gefunden.« Birdy knallte mit der flachen Hand auf die Armatur. »Ich wette, Panzer hat sich einen Araber oder Russen geholt«, knurrte er. »Nur die machen es zu solchen Preisen. Siehst du, genau davon rede ich die ganze Zeit. Und genau das ist der Grund, weshalb wir unseren Club brauchen.«

»Warum hast du mich eigentlich nicht angerufen? Warum hast du mir nicht gesagt, dass Panzer jemand auf mich ansetzen will?«

Birdy blickte ihn an, als wäre ihm diese Idee völlig neu. Er überlegte. »Ja, warum habe ich dich eigentlich nicht angerufen. Ich wollte noch, ich weiß noch, dass ich dich anrufen wollte, aber dann habe ich einen Anruf von Apollo13 bekommen. Es ging um unseren Club, er schlug vor, dass wir uns ›German Killers Reloaded‹ nennen, und das hat mich so aufgeregt, dass ich ganz vergessen habe, dich anzurufen.«

Morlov starrte nach vorne auf die Straße. Einen Moment hatte er die Vision, wie er Birdys Kopf mit seiner Hand gegen die Autofensterscheibe knallte, so heftig, dass das Blut aus der gebrochenen Nase spritzte.

»Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse«, sagte Birdy. »Ich meine, jeder kann mal was vergessen.«

Morlov warf ihm einen kurzen Blick zu. Birdy sah ihn offen an. Er meinte es tatsächlich so, wie er es gesagt hatte. Jeder konnte mal etwas vergessen. Und wenn es sich darum handelte, dass man den Auftrag angeboten bekam, einen Kollegen umzubringen.

Birdy machte eine neue Bierdose auf und nahm einen Schluck. Er trank zu viel, vielleicht lag es auch daran. Vielleicht begann Birdy langsam abzudriften. Birdy starrte auf das Etikett seiner Dose. »Mörderliga«, sagte er. »Mörderliga würde mir gefallen. Ich meine, als Name für unseren Club. Hab ich irgendwo gelesen. In so ’nem Heft. Deutsche Mörderliga. Wir würden uns als Fanclub tarnen. Von irgendwas. Ich meine, dann würde Panzer nicht mehr so ein lächerliches Geld zahlen können, dann ginge es echt an sein Portemonnaie. Dann wäre es vorbei mit irgendwelchen Russen und Chinesen, die man für ein paar Euro anheuern kann.«

 

Eine halbe Stunde später ging Morlov auf einem kleinen Feldweg in Richtung eines leerstehenden, ehemaligen Wachtturms. Seine Taschenlampe leuchtete ihm den Weg, hinter ihm schnaufte Birdy. Der Weg war eng und Morlov musste immer wieder den Pfützen auf dem nassen Untergrund ausweichen.

»Das versaut einem die ganzen Schuhe«, schimpfte Birdy hinter ihm.

Sie hatten das Auto am Anfang des kleinen Feldwegs geparkt. Der Himmel war bedeckt, es war jetzt fast dunkel und außer den Autoscheinwerfern, die von der nahe gelegenen Autobahn zu ihnen flackerten, gab es keinen Lichtschein.

Das Display von Morlovs GPS-Gerät zeigte noch hundert Meter an, aber das brauchte er jetzt nicht, der nächste Hinweis musste in dem alten verfallenen Gebäude vor ihnen sein, dessen Schatten sich vor dem dahinterliegenden Wald abzeichnete. Sonst gab es hier nichts, wo man etwas verstecken könnte, nur dieser glitschige Feldweg und daneben Äcker und Wald.

Morlov musste an Birdys Worte denken. »Jeder kann mal etwas vergessen.« Panzer wollte Birdy den Auftrag geben, ihn umzubringen, und Birdy rief ihn nicht an, vergaß das einfach. Er sollte ihn kaltmachen, Wut stieg in Morlov hoch. Er hatte geglaubt, dass Birdy ein Freund sei. Aber das war ein Irrtum gewesen. Birdy war kein Freund, genauso wenig wie Panzer. Der Einzige, mit dem eine Freundschaft möglich gewesen wäre, war tot. Den einzigen Freund, den er gehabt hatte, hatte er umgebracht.

»Wie lange dauert es denn noch?«, fragte Birdy.

»Wir sind gleich da«, sagte Morlov.

»Wonach suchen wir überhaupt?«

»In dem Gebäude da vorne sind irgendwelche Zeichen an den Wänden. Der ganze Cache dreht sich um das Thema ›Agentenfilme‹. Um den Platz hier zu finden, musste ich lauter Zitate aus James-Bond-Filmen erraten. Das war manchmal gar nicht so einfach, ich musste mir zwei Filme aus ’ner Videothek ausleihen, ich glaube auch, dass wir die Ersten sind, die überhaupt so weit gekommen sind.«

»James-Bond-Filme«, keuchte Birdy hinter ihm. »Ist das bescheuert.«

Morlov sagte nichts mehr. Als sie vor dem ehemaligen Wachtturm ankamen, blieb er stehen. Birdy stellte sich neben ihn und Morlov richtete seine Taschenlampe auf das verfallene Gebäude.

In Geocacher-Kreisen nannte man solche Orte Lost Places. Meist handelte es sich dabei um alte Gebäude oder aufgegebene Industrieanlagen. Manche dieser Orte hatten eine ganz besondere Atmopshäre. Man fühlte sich wie in einer Geisterstadt und glaubte, noch die Aura derer zu spüren, die einst hier gewohnt hatten.

Aber dieser Lost Place wirkte auf Morlov nur schäbig und trostlos. Hier hatten vor der Grenzöffnung Posten Wache geschoben, aber seit mehr als zwanzig Jahren war nichts mehr an dem Gebäude ausgebessert worden und als Morlov und Birdy durch den kleinen Eingang ins Innere traten, wirkte alles so trostlos und still, als würden sogar die Ratten diesen Ort meiden.

Morlovs Taschenlampe strich über schmutzige Wände und nackten Beton. Die Wände waren verschmiert, der Boden war schmutzig, die Metalltüren verrostet und kleine Eingänge führten zu dem, was früher mal eine Toilette und eine Küche gewesen war. Es roch muffig und abgestanden.

Morlov ging näher zu einer verrosteten Eisenleiter, die nach oben in den ersten Stock führte. Die Leiter war kaputt, es fehlten zwei Stufen, aber oben verlief eine Stahlstange quer über das Loch, an der man sich hochziehen konnte. Der Hinweis für den Final sei ein Code im ersten Stock, hatte searcher09 geschrieben.

»Mein Gott«, sagte Birdy hinter ihm. »Was ist das für ein beschissener Ort.«

Etwas war anders.

»Als mir Panzer erzählt hast, du würdest wirklich in der Gegend herumrennen, um an solchen beschissenen Orten nach irgendwelchen beschissenen Verstecken zu suchen, habe ich gedacht, er nimmt mich auf den Arm. Und als du mich gefragt hast, ob ich mit dir auf so ’ne Tour gehe, habe ich gedacht, so blöd kannst du gar nicht sein, dass du es mir so einfach machst.«

Morlov drehte sich um. Jetzt sah er, was anders war. Birdy hatte eine Pistole in der Hand, sie war direkt auf Morlovs Herz gerichtet.

»Panzer wollte, dass wir es zu dritt oder zu viert machen, er hat richtig Schiss vor dir. Aber ich habe ihm gesagt, wozu, dann hätte ich ja auch das Geld teilen müssen. Und Panzer wird diesmal richtig viel löhnen.«

Du quatschst zu viel, dachte Morlov. Er brauchte nur eine Zehntelsekunde. Eine Zehntelsekunde Ablenkung. Morlov schleuderte seine Taschenlampe auf Birdys Gesicht und Birdy feuerte sofort, aber Morlov hatte sich wie eine Katze an die Stahlstange gehängt, hatte einen weiten Schwung nach hinten gemacht, so dass der Schuss ihn nur am Arm streifte, ein kurzer, heftiger Schmerz. Mithilfe des Schwungs schleuderte Morlov sich mit den Beinen voran nach oben durch das Loch. Seine Füße kamen auf dem Boden auf und Morlov zog seinen Kopf durch die Öffnung und stieß sich mit den Armen von der Stange ab, so dass er seinen Körper möglichst weit weg von dem Loch drückte. Sofort drehte er sich, so dass er auf dem Bauch lag, ging in die Hocke und tastete den Boden ab. Er erspürte eine schwere Metallplatte, die wohl früher mal die Öffnung im Boden versperrt hatte, und schob sie mit einem Ruck über das Loch, durch das er sich hochgezogen hatte.

Er hörte einen Schuss, ein Krachen, als das Geschoss auf die Metallplatte traf, aber sie war zu massiv, als dass die Kugel sie durchdringen könnte.

Hier oben war Morlov in Sicherheit und saß doch in der Falle.

Er hörte unter sich Birdys Fluchen, dann Schritte. Morlov besah sich die Wunde am Oberarm. Er holte sein Messer aus der Jackentasche, schnitt ein Stück Stoff aus seinem Shirt und drückte es darauf.

Ein Streifschuss, die Wunde schmerzte und behinderte ihn, war aber nicht gefährlich.

Morlov holte sein Handy aus der Jackentasche, schaltete es ein und benutzte es als Taschenlampe. Der Raum war genauso trostlos wie der untere. Der Boden bestand aus verrostetem Stahl, außer der Metallplatte, die Morlov auf die Öffnung im Boden geschoben hatte, gab es keine Gegenstände oder Möbel hier.

An jeder Wand gab es zwei winzige rechteckige Ausgucke. Unmöglich, durch diese Löcher nach innen zu kommen. Birdy hatte keine Chance, ihn hier zu überraschen. Der einzige Zugang war die Öffnung am Boden, die Morlov mit der Metallplatte bedeckt hatte und die er die ganze Zeit im Auge behielt. Würde Birdy versuchen, die Platte von unten wegzuschieben, würde er das sofort merken und konnte reagieren.

Die Wände waren voller Schmierereien. Sicher waren darunter die Hinweise zu dem Cache von searcher09, aber der Cache war jetzt nicht wichtig, wichtig war, Birdy kaltzumachen.

Die einzige Waffe, die Morlov dabei hatte, war ein langes Messer. Sein Fahrtenmesser, das er überallhin mitnahm. Außerdem hatte er wie bei jeder Geocaching-Tour ein etwa fünf Meter langes Seil eingesteckt. An eine Pistole hatte er nicht gedacht. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass Birdy auf ihn angesetzt war.

Jetzt ärgerte er sich über seine Naivität. Wo er doch so überrascht gewesen war, dass Birdy ihn bei einer Geocaching-Tour begleiten wollte. Wo doch Birdy immer nur Spott für sein Hobby gehabt hatte. Jetzt begriff er, wie leicht er es Birdy gemacht hatte. Hier draußen gab es keine Zeugen, sicher hatte auch niemand den Schuss gehört, den Birdy gegen die Metallplatte gefeuert hatte.

Morlov versuchte sich vorzustellen, was er jetzt machen würde in der Haut von Birdy.

Plötzlich hörte er dessen Stimme von unten. »Mann, Simon, schieb die Platte da weg und lass mich hochkommen.«

Morlov konnte es nicht fassen, hielt ihn Birdy für einen völligen Idioten?

»Du musst das auch mal von meiner Seite aus sehen. Panzer hat mir diesmal richtig gutes Geld geboten. Ich versuch, meinen Job immer ganz sachlich zu sehen. Keine Gefühle, verstehst du. Aber bei dir hätt ich ’ne Ausnahme machen sollen, das seh ich jetzt ein. Ich schlag dir vor, wir vergessen die Sache ganz einfach und tun so, als hätte es die letzten zehn Minuten nicht gegeben. Du kommst runter und dann können wir ja auch deinen Catch suchen.«

Es heißt Cache, nicht Catch. Fast hätte Morlov nach unten gebrüllt, dass Birdy die Klappe halten solle. Aber es war besser, jetzt den toten Mann zu spielen und zu warten.

»Weißt du was, mir ist grade ’ne Superidee gekommen. Wir zeigen diesem Panzer mal, was ’ne Harke ist. Wir tun so, als hätte ich dich wirklich abgeknallt und du kriegst ’nen Anteil von meiner Gage. Sagen wir fünfundzwanzig Prozent. Ach was, sagen wir dreißig Prozent, ich will da wirklich nicht kleinlich sein. Mit dem Geld kannst du dann untertauchen. Dir ein schönes Leben auf irgendeiner Insel machen. Da kannst du dann den ganzen Tag nach irgendwelchen Catches suchen. Na, was sagst du dazu?«

Schweigen. Morlov leuchtete mit seinem Handy die Metalldecke des kleinen Raums ab. Dann sah er die Öffnung, die nach oben auf das Dach führte. Eine Leiter wie unten gab es nicht, aber es würde kein Problem sein, sich durch die Öffnung nach oben zu ziehen. Morlov stand auf und stellte sich unter die schwarze Öffnung. Dann hörte er wieder Birdys Stimme.

»Also gut, ich gebe dir vierzig Prozent. Vierzig Prozent, hörst du? Aber das ist mein letztes Angebot. Und dafür musst du mir auch diese Dokumente geben, darauf ist Panzer ganz scharf. Dann muss ich auch nicht dein Haus durchsuchen und es in die Luft sprengen. Also, was sagst du, ist das ein Angebot?«

Morlov stand jetzt unter der Öffnung. Wenn er die Finger nach oben streckte, konnte er die Decke beinahe berühren. Mit einem Sprung würde er mit seinen Händen den Rand der Öffnung erreichen und sich dann hochziehen.

»Das finde ich jetzt ein wenig blöd, dass du so sauer da oben rumsitzt. Findest du nicht, dass du etwas nachtragend bist? Ich meine, jeder macht mal einen Fehler, aber man muss da nicht dauernd drauf rumreiten. Ich habe mich doch schon entschuldigt«, kam es von unten. »Ich habe da noch eine Superidee. Wenn sich die Lage etwas beruhigt hat und du zurück von deiner Insel kommst oder wo du sonsthin gehst, dann kannst du auch zweiter Vorsitzender von unserem Club werden. Na, was sagst du dazu? Eigentlich sollte das ja Blumenwiese werden, aber ich denke, du wärst der Richtige dafür. Ich erster Vorsitzender und du der zweite. Komm schon, dafür kann man doch unsere kleine Auseinandersetzung vergessen.«

Wollte ihn Birdy mit seinem blöden Gerede nur ablenken oder meinte er das tatsächlich ernst? Wahrscheinlich wollte er nur Zeit gewinnen und überlegte fieberhaft einen Plan, wie er ihn killen könnte. Aber nicht mit Morlov.

»Mann, Simon, du und ich, wir sind doch Freunde. Ja, richtige Freunde und da kann man auch mal ’ne Entschuldigung annehmen von einem Freund.«

Das mit der Freundschaft hätte Birdy nicht sagen sollen, Morlov wurde auf einmal wütend. »Halt die Klappe da unten«, schrie er.

Einen Moment war es still, dann redete Birdy weiter. »Ich verstehe ja, dass du etwas aufgebracht bist, aber lass uns einfach mal ganz in Ruhe über die Sache reden.«

Morlov hatte genug. Er musste diesem Kerl das Maul stopfen, egal wie. Er sprang hoch, bekam mit seinen Händen den Rand der Öffnung zu fassen und zog sich langsam nach oben. Als er sich durch das Loch gezwängt hatte, stand er auf. Sogar von hier war Birdy zu hören.

»Ich wette, du hättest in meiner Situation genauso gehandelt. Jeder hätte in dieser Situation so gehandelt. Übrigens ist diese ganze Sache ein gutes Argument dafür, dass wir unbedingt einen Club brauchen. Wenn wir so einen Verein hätten, dann würde das nicht passieren, weil jeder genau wüsste, welche Aufträge gerade am laufen sind …«

Über eine kleine Eisentreppe kam Morlov ganz nach oben, auf das Dach des Wachtturms. Das Dach war an den Rändern mit einem halben Meter hohen Eisenzaun gesichert. Morlov zerrte an dem Gitter. Es war fest. Daran konnte er sein Seil befestigen und sich dann nach unten abseilen. Birdy redete immer noch, doch hier oben wurden seine Worte zu einem leisen Hintergrundrauschen.

Morlov knotete das Seil um den Eisenzaun, warf das Ende über das Gitter und kletterte nach unten. Zwei Meter vor dem Boden sprang er. Ein leichtes Schmatzen war zu hören, als er im nassen Gras aufkam. Morlov spürte wieder den Schmerz in seinem Arm. Er befand sich jetzt an der Gebäudemauer, die dem Eingang direkt gegenüberlag. Mit dem Rücken an der Wand bewegte er sich langsam weiter, bis er den Eingang im Blick hatte. Wieder war Birdys Stimme zu hören.

»Ich bin doch dein Freund. Komm, lass uns einfach die alten Geschichten vergessen und wir gehen erst mal einen trinken.«

Weiter kam er nicht. Morlov hatte sich von hinten auf ihn gestürzt und hielt ihm sein Messer an die Kehle.

»Da bist du ja«, sagte Birdy. »Mann, du machst das wirklich gut, dieses lautlose Anschleichen. Also, was sagst du jetzt zu meinem Vorschlag. Vierzig Prozent kriegst du von meiner Gage, das ist doch ein Wahnsinnsangebot.«

Das waren Birdys letzte Worte. Morlov schnitt ihm die Kehle durch.

»Warum kannst du nicht einfach die Klappe halten«, sagte er.

Die Bar war fast leer, es war kurz vor zwei Uhr und die Frau hinter der Theke hockte in einer Ecke und spielte mit ihrem Handy. Morlov saß allein am Tresen vor einem Bier. Er hatte vor dem Schlafengehen noch einen Abstecher hierher gemacht.

Eine billige Absteige in der Nähe von Nürnberg. Nur eine Handvoll Gäste. An Tischen in der Nähe Morlovs saßen zwei Nutten, die gelangweilt vor sich hin glotzten. Vor einer halben Stunde hatte es eine bei Morlov versucht, doch der hatte nur den Kopf geschüttelt. Seitdem ließ man ihn in Ruhe.

Morlov hatte seine Jacke an, so sah man die Wunde am Arm nicht. Er hatte sie mit einem Verband versorgt, die Blutung hatte aufgehört, wenn nicht eine Entzündung dazukam, dann würde er nach ein paar Tagen nichts mehr von der Verletzung merken. Und dass seine Hosen und Schuhe verdreckt waren, störte hier niemand.

Aus den Lautsprechern klang gedämpfte Musik. »Die vier Jahreszeiten« von Vivaldi. Ausgerechnet hier ließ man Vivaldi laufen.

Morlov saß am Tresen und starrte vor sich hin. Er trank von dem Bier. Die Kopfschmerzen waren wieder da. Als hätte er kleine Männchen im Kopf, die mit einem Hammer gegen die Innenwand seines Schädels klopften.

Es hatte einige Zeit gebraucht, Birdys Leiche in ein sicheres Versteck zu bringen. Eine verdammte Arbeit war das gewesen. Erst hatte er die Leiche zu seinem Auto tragen müssen. Dann war er fast hundertfünfzig Kilometer über die Autobahn nach Hause gefahren. Er hatte den Wagen in seiner Garage geparkt und die Leiche in seinen Keller gebracht. Fein säuberlich hatte er sie in einzelne Teile zerlegt. Nur so hatte er den toten Birdy in seinem großen Kühlfach unterbringen können. Den Kopf hatte Morlov in einer Kühltasche im Kofferraum seines Toyota deponiert. Damit hatte er noch etwas vor. Eine Überraschung für searcher09.

Plötzlich hörte Morlov ein Räuspern. Er wandte den Kopf nach links und sah den Grauen neben sich sitzen. Einen Augenblick war er zu überrascht, um etwas zu sagen.

Der Graue sah ihn an. Ein müder, wissender Blick. »Ist verdammt kalt hier«, sagte der Graue. Er rieb sich die Hände. Die Finger sahen aus, als wäre alles Blut daraus entwichen. »Es war gar nicht einfach, dich zu finden.«

Morlov hatte noch immer nichts gesagt. Es war das erste Mal, dass der Graue woanders aufgetaucht war als in der Nähe des Felsens, wohin Morlov jeden Morgen joggte, oder bei ihm im Haus.

»Du fragst dich sicher, woher ich weiß, dass du hier bist.«

Morlov sah einen Moment zu der Bedienung. Sie war vielleicht Mitte vierzig, sie sah verlebt aus und die Schminke in ihrem Gesicht konnte die tiefen Ringe unter den Augen nur notdürftig kaschieren.

Warum kam sie nicht und fragte den Grauen, was er trinken wollte, dachte Morlov. Doch die Frau war so sehr in ihr Handyspiel vertieft, dass sie nichts von ihrer Umgebung zu bemerken schien.

»Ich beobachte dich«, sagte der Graue. »Ich weiß immer, wo du bist, glaub mir das.« Er ließ ein heiseres Lachen hören, das unvermittelt in einen Husten überging. Ein krächzender Husten, der gar nicht mehr aufhören wollte. Morlov sah zu, wie der Graue würgte. Endlich beruhigte er sich.

»Willst du etwas trinken?«, fragte Morlov.

Doch der Graue wehrte ab. »Nein, nichts zu trinken.«

Die Bedienung hatte kurz aufgeschaut, hatte Morlov gemustert, und sich dann wieder ihrem Handy zugewandt.

»Wie konntest du glauben, dass so einer wie Birdy dein Freund ist?«, fragte der Graue.

Morlov starrte stumm auf den Tresen vor sich. Auch er spürte auf einmal die Kälte, es war, als ob sich die warme Luft von der Umgebung des Grauen zurückzog und nichts hinterließ als eine frostige Leere.

»Dasselbe wie bei Panzer, der würde dich am liebsten von heute auf morgen verschwinden lassen, der hat nur Angst. Du kannst niemandem trauen, du hast keine Freunde, Simon, glaub mir, du hast keine Freunde.«

Die Worte hallten in Morlovs Bewusstsein nach. Er sah auf die Uhr über dem Tresen. Es war jetzt kurz vor halb drei. Die Bedienung in der Ecke rührte sich nicht. Morlov sah sich um. Die wenigen Gäste in der Bar waren wie hinter einem Vorhang verschwunden. Als gäbe es nur ihn und den Grauen, als wären sie hier abgeschottet von der Welt. Die Kälte kroch ihm unter die Jacke.

Der Graue lehnte sich zurück. Morlov starrte ihn an. Er wirkte älter als sonst, die Haare unter dem Hut noch verfilzter, die Furchen in seinen Gesicht tiefer, und das Grau der Haut noch stärker in dem diffusen Licht der Bar.

»Wer bist du eigentlich?«, fragte Morlov plötzlich. Einen Augenblick war er erschrocken über sich selbst, dass er diese Frage gestellt hatte. Aber es war an der Zeit, diese Frage zu stellen.

Der Graue antwortete nicht gleich. »Weißt du es immer noch nicht?«

Morlov schüttelte den Kopf. Der Graue ließ ein Lachen hören.

»Ein Freund«, sagte er dann. »Ich bin ein guter Freund.« Dann sah er Morlov lange an. »Du musst mir einfach vertrauen«, sagte der Graue.

Morlov blickte ihn erwartungsvoll an. Er wünschte sich, dass der Graue noch weitersprach, aber der blieb stumm.

Morlov überlegte, ob er noch ein Bier trinken sollte. Er genoss dieses wohlige Gefühl, dass ihm alles egal war.

Auf einmal spürte er einen leichten Luftzug. Morlov wollte sich dem Grauen zuwenden, aber der war weg.

Skamper stand mit Dora am Fuß des Glatzensteins, wo er und Viktor abgestürzt waren. Jetzt, am Vormittag um elf Uhr, wirkte die Umgebung ganz anders als in der Nacht, als Skamper mit Arabella und Viktor hier gewesen war.

Skamper hatte sich gewundert, dass Dora sofort bereit gewesen war, mit ihm herzukommen. »Ich bin froh, dass du Zeit hattest«, sagte er.

Es ging ein leichter, böiger Wind. Nach den schönen Tagen Anfang April war es noch einmal kalt geworden. Dora hatte einen dicken, schwarzen Anorak mit einem Fellkragen an.

Dora sah Skamper kurz an. »Wo ist jetzt genau die Stelle, wo ihr abgestürzt seid?«

Skamper ging ein paar Schritte nach vorne und sah nach oben. Er zeigte auf eine Stelle in der Nähe des Vorsprungs, von dem aus er und Viktor abegestürzt waren. »Bis dort auf den Vorsprung haben wir uns abgeseilt. Und dort war dieser Arm.«

Dora stellte sich neben ihn und blickte zu der Stelle, auf die Skampers ausgestreckter Arm deutete. Im Felsen gab es eine kleine Spalte, aber sonst war nichts zu sehen.

»Vielleicht eine optische Täuschung, es war schließlich Nacht.«

Skamper schüttelte den Kopf.»Nein, aber dass da heute nichts mehr zu sehen ist, war mir klar.« Er überlegte kurz, ob er hochklettern sollte, um sich das Ganze genauer anzusehen, aber ohne Kletterausrüstung war das sinnlos. Wenn es überhaupt Hinweise dafür gegeben hatte, dass man bei ihrem Unfall nachgeholfen hatte, dann waren sie sicher nicht mehr zu finden.

Die ganze Geschichte kam Skamper jetzt bei Licht besehen mehr und mehr absurd vor.

»Warum wolltest du eigentlich, dass ich dabei bin, wenn du dir das noch einmal anschaust?«, fragte Dora.

»Es hätte ja wieder irgendwelche Verbotsschilder geben können. Und da wollte ich den Schutz der Polizei.« Skampers Stimme klang ironisch. Dora sah ihn einen Moment fragend an, doch er blickte immer noch angestrengt auf die Felswand vor sich.

»Ich habe in der Zeitung von deinem Vortrag gelesen«, sagte Dora.

»Schade, dass du nicht da warst.«

»Ich hatte keine Zeit«, antwortete sie ausweichend.

»Ich hätte mich gefreut.«

Sie blickte ihn überrascht an. »Ich habe auch gelesen, dass du wieder eine Suche vorbereitest.«

»Das ist eher ein Wunsch. Im Augenblick muss ich ja noch hier bleiben wegen des Testaments.« Skamper starrte immer noch nach oben zu der Stelle, wo sie in der Nacht einen Arm gesehen hatten. »Wie läuft es so mit dir und Alfred?«, fragte er.

»Gut.«

Hinter ihnen hörten sie das Keuchen eines Mannes. Skamper drehte sich um und sah einen Jogger, der an ihnen vorbeilief. Er blickte ihm nach, wie er in dem Forstweg verschwand, der zu der Straße führte.

»Wir können nicht immer so weitermachen«, sagte Skamper plötzlich. »Irgendwann müssen wir reden.« Er sah sie das erste Mal während ihres Gesprächs an. Sie wich seinem Blick aus.

Skamper blickte wieder nach oben zu dem Felsen, er wartete, dass Dora etwas sagte, aber sie blieb stumm.

Auf einmal fühlte Skamper sich müde. Er wusste, dass er ungerecht war. Es war sein Schweigen, das ihre Ehe zerstört hatte. Er musste endlich anfangen zu reden.

»Gehen wir«, sagte Dora leise.

»Wie funktioniert das überhaupt, dieses Geocaching?«

Jasmin saß auf dem Rücksitz von Skampers Ford Kombi und hatte sich nach vorne gebeugt. Arabella und sie hatten sich vor der Fahrt gestritten, wer vorne neben Skamper sitzen sollte. Schließlich hatte ein Münzwurf für Arabella entschieden.

Die drei befanden sich auf der Autobahn nach Bayreuth, kurz vor Trockau. In etwa zwanzig Minuten würden sie Bayreuth erreichen, das Ziel ihres kleinen Ausflugs.

Bevor Skamper etwas sagen konnte, antwortete Arabella: »Irgendwelche Typen verstecken irgendwas irgendwo und irgendwelche anderen Typen finden das dann und nehmen es mit nach Hause.«

»Das ist nicht ganz richtig«, sagte Skamper. »Man nimmt nichts mit nach Hause. Man trägt sich in ein Logbuch ein, das im Versteck liegt, oder tauscht das, was im Versteck liegt, gegen etwas, das den gleichen Wert haben soll. Und dann hinterlässt man im Internet eine Nachricht, dass man das Versteck gefunden hat.«

Jasmin überlegte. »Man rennt also in der Gegend herum und sucht etwas. Man weiß aber nicht, was es ist. Und wenn man es gefunden hat, darf man es nicht mal behalten, sondern nur was in ein Logbuch schreiben.«

»Es geht ja gar nicht darum, dass man wirklich etwas findet. Es geht um den Spaß an der Sache. Man ist draußen in der Natur, in der frischen Luft. Und bei den meisten Verstecken muss man auch noch Rätsel lösen, zum Beispiel, wie man den Weg zum sechsten Planeten findet. Und wenn man dieses Rätsel gelöst hat, dann kommt noch ein Rätsel und schließlich ist man ganz begeistert, wenn man endlich das Versteck gefunden hat.«

»Klingt wirklich sehr aufregend. Und was passiert bei einer Geocaching-Messe?«

»Keine Ahnung«, sagte Skamper. »Ich war noch nie auf so was.«

»Gibt’s da auch was zu essen?«, fragte Arabella. »Ich hab ’nen irrsinnigen Hunger.«

»Ich habe irgendwas von Bratwürsten gelesen«, sagte Skamper.

»Wahrscheinlich«, sagte Jasmin, »muss man die Bratwürste suchen, und wenn man sie gefunden hat, darf man sie nicht essen, nur etwas in ein Logbuch schreiben und die Bratwürste vielleicht tauschen, gegen Leberkäse oder Weißwürste.« Sie lehnte sich zurück. »Warum fahren wir da überhaupt hin?«, fragte sie.

Arabella drehte sich zu ihr um. »Wir fahren im Auftrag der Detektei Arabella-Investigations. Die Leute denken vielleicht, wir sind ganz normale Leute, die zugegeben verdammt gut aussehen, aber in Wirklichkeit sind wir Detektive auf der Jagd nach einem Serienkiller.«

»Niemand weiß, ob wir es hier mit einem Serienkiller zu tun haben«, sagte Skamper.

»Na, wenn jemand Leichenteile versteckt, wenn das kein Serienkiller ist, dann weiß ich nicht.«

»Warum bist du eigentlich so scharf drauf, einem Serienkiller zu begegnen?«, fragte Jasmin von hinten.

»Na, weil ich noch nie einem begegnet bin, und das als Detektivin. Und das ist eines der hundert Dinge, die ich unbedingt tun will, bevor ich vierzig werde.«

»Da wärst du sicher enttäuscht, wenn du einem Serienkiller in echt begegnest«, sagte Jasmin. »Ich wette, das sind ganz normale Leute wie du und ich. An denen ist gar nichts Besonderes.«

»Die haben eben nur ein außergewöhnliches Hobby«, sagte Skamper.

»Genau«, sagte Jasmin. »Die sehen so aus wie Paul zum Beispiel.«

»Paul ist nicht der Typ für einen Serienkiller«, sagte Arabella.

»Ich könnte ja noch damit anfangen«, sagte Skamper. »Eines der hundert Dinge, die ich tun will, bevor ich fünfzig werde.«

»Für dich ist es schon zu spät«, sagte Arabella. »Wenn du über vierzig bist, hast du als Mann ungefähr die gleichen Chancen, noch ein Serienkiller zu werden, wie eine Dreißigjährige die Chance hat, noch einen interessanten Mann zu finden.«

»Zum Beispiel einen Serienkiller«, sagte Jasmin.

»Die Chance, mit über dreißig noch einen Serienkiller zu kriegen, geht beinahe gegen Null«, sagte Arabella.

Skamper sah stumm nach vorne. Sie hatten die Autobahnausfahrt erreicht. Skamper folgte dem Schild, das nach Bayreuth zeigte. Er war froh, dass sie bald da waren. Als über vierzigjähriger Mann war er solche Gespräche mit Jasmin und Arabella einfach nicht mehr gewohnt.

»Ich habe auf jeden Fall ’nen ziemlichen Hunger«, sagte Arabella.

»Wir sind gleich da«, sagte Skamper. »Und dort gibt es bestimmt was zu essen.«

 

Seit zwei Stunden waren sie jetzt auf der Messe. Sie waren einmal durch die Hallen mit allen ihren Ständen gelaufen. Hier gab es alles, was der ambitionierte Geocacher bei seiner Suche brauchte. Die neuesten GPS-Geräte, Wanderkarten und Outdoorausrüstung. An vielen Ständen stellten Geocache-Blogger ihre Internetpräsenz vor und es gab einen Computerraum, wo man interessante Webseiten zum Thema präsentierte.

Arabella und Jasmin hatte das Ganze schnell gelangweilt. Sie hatten Skamper in einen Nebenraum gezerrt, wo man ein kleines Café aufgebaut hatte. Jeder der drei trank einen lauwarmen Cappuccino und Arabella aß ein riesiges Geocacher-Sandwich. Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatte, ging es ihr besser.

»Ehrlich gesagt, ist mir immer noch nicht klar, was wir hier eigentlich suchen«, sagte Jasmin.

»Ich wollte mich hier einfach ein wenig umhören«, sagte Skamper. »Nachforschen, was es mit diesen Gerüchten auf sich hat.«

»Aber was kann hinter der ganzen Sache stecken?«

»Vielleicht steckt dahinter einfach nur ein Verrückter, jemand, der völlig durchgedreht ist.«

»Und du meinst, dieser Verrückter ist hier, hier auf dieser Messe?«

»Wer weiß?«, sagte Skamper.

»Natürlich muss er hier sein«, sagte Arabella. »Der lässt sich das doch nicht entgehen.« Sie blickte sich um. Man sah ihr die Aufregung an. Jeder hier konnte der verrückte Geocaching-Killer sein. Vielleicht der Kerl dort mit der Hornbrille und der Stirnglatze, der sie schon die ganze Zeit anstarrte.

»Das Problem ist, dass es so wenig Greifbares gibt, wonach wir suchen können«, sagte Skamper.

»Und was ist mit diesen Gerüchten, worum geht es da überhaupt?«

»Im Internet ist immer wieder von einem ganz besonderen Travel Bug die Rede. Er soll in einer Kiste stecken und mit einem Zahlenschloss gesichert sein. Und darin soll ein abgetrennter Kopf sein. Oder was davon noch übrig ist.«

»Was ist denn ein Travel Bug?«, fragte Jasmin.

»Ein Travel Bug ist ein Schatz, den man von einem Fundort zum nächsten transportiert. Einer findet ihn und versteckt ihn woanders. Und im Internet kann man dann seine Reise verfolgen.«

»Und woher weißt du das alles?«, fragte Jasmin.

»Dazu braucht es nur ein bisschen Recherche im Internet. Außerdem habe ich alles nachgelesen, was Viktor herausgefunden hat.«

Arabella trank ihren Cappuccino aus. »So«, sagte sie. »Die Detektei Arabella-Investigations ist bereit. Wir können loslegen.«

»Ich schlage vor, dass wir uns trennen«, sagte Jasmin. »Jeder von uns zieht los und schaut, was er über die Sache herausfinden kann. Und in zwei Stunden treffen wir uns wieder.«

 

Skamper fragte sich, ob der Besuch dieser Messe wirklich so eine gute Idee gewesen war. Jetzt, am Nachmittag war es nicht mehr so voll. Skamper sah auf die Leute, die sich an ihm in den engen Gassen vorbeidrängten. An ihnen war nichts Besonderes. Skamper musste einen Moment an Arabella denken, die hoffte, hier einem Serienkiller zu begegnen.

Doch Skamper kam mehr und mehr zu der Überzeugung, dass die Fahrt hierher ergebnislos bleiben würde. Er lief jetzt seit einer Stunde durch die Messehalle und hatte bisher nichts Nennenswertes herausgefunden.

Ein paar Geocacher an verschiedenen Ständen hatte er gezielt angesprochen. Doch sobald Skamper konkreter wurde, blockten die Leute ab. Als hätten sie Angst. Vielleicht war das aber nur seine Einbildung und die Leute wussten wirklich nichts.

Skamper war schon ein paar Meter weiter, als er den kleinen Stand bemerkte. Eingezwängt zwischen den Werbetafeln eines großen Outdoorausrüsters und einem zweiten großen Stand, der GPS-Geräte anpries, saß eine Frau auf einem kleinen Stuhl hinter einem Tisch, auf dem ein Stapel Bücher lag. Ein großes Schild neben dem Bücherstapel wies darauf hin, dass es hier Kaffee und Kuchen für zwei Euro gab.

Skamper war stehen geblieben. Die blonde, etwas pummelige Frau mit dicken Zöpfen sah ihn an. Als hätte sie auf ihn gewartet. Aber es war nicht die Frau, die Skampers Aufmerksamkeit fesselte. Neben der Frau saß ein schlanker, kurzhaariger Mann in einem schwarzen Rollkragenpullover. Skampers Blick traf auf den des Mannes und für einen Augenblick war es, als ob ein Erkennen in Skamper aufblitzte. Sein Körper schüttete Hormone aus, reagierte mit Abwehr auf den drahtigen, durchtrainierten Fremden. Der Mann starrte Skamper an.

Es brauchte einen Moment der Anstrengung, damit Skamper den Blick von dem seinen lösen konnte. Als müsste er einen Zauber brechen.

Hinter der Frau war eine Wand aus Sperrholz, auf der große Plakate aufgeklebt waren. Sie zeigten den Umschlag eines Buches: »Das Kochbuch für Geocacher«.

Skamper ging die paar Schritte bis zu dem Stand und blieb dann stehen. Die Frau hinter dem kleinen Tischchen lächelte und zeigte eine Reihe blendend weißer Zähne. Der Mann neben ihr verzog keine Miene und sah stumm vor sich hin, doch Skamper wusste, dass er ihn aus den Augenwinkeln belauerte. Skamper nahm eines der Bücher in die Hand.

Er blätterte in dem Kochbuch, doch er nahm nicht wirklich wahr, was er überflog. Er legte das Buch wieder zurück.

»Wollen Sie vielleicht von unserem Kuchen probieren? Und einen Kaffee dazu trinken?«

Die Blonde sah ihn mit einem einladenden Lächeln an. Skamper war einen Moment unschlüssig. Vielleicht konnte er ja hier etwas erfahren, das ihm weiterhalf. »Warum nicht.«

Die Frau stand sofort auf, schenkte eine Tasse mit Kaffee aus einer Thermoskanne voll und stellte ihn zusammen mit einem Teller Apfelkuchen vor ihn hin.

»Ein Kochbuch nur für Geocacher. Das ist ja eine originelle Idee«, sagte Skamper.

Sie strahlte ihn an. »Wollen Sie eins kaufen? Kostet nur neunzehn Euro neunzig.«

Skamper wehrte ab. »Ich bin kein so großer Koch. Ich esse lieber, was andere gekocht haben. Aber ich seh schon auf den ersten Blick, dass die Rezepte ganz ausgezeichnet schmecken, die Sie da in Ihrem Kochbuch beschreiben.«

Sie lächelte geschmeichelt. Skamper hatte das Gefühl, wie ein Idiot zu reden. Manchmal dachte er, dass er zu lange auf Schatzsuche in Dschungeln und Wüsten gewesen war und einfachen Small Talk verlernt hatte.

»Machen Sie denn viel Geocaching?«, fragte Skamper.

»Ich bin jedes Wochenende unterwegs. Allein oder mit Freundinnen.«

Skamper nahm noch einmal eines der Bücher in die Hand und blätterte darin. »Und das Buch haben Sie selbst verlegt?«

Die Frau nickte stolz. »Oh ja, ich habe alles selbst gemacht. Vom Schreiben über das Drucken bis zum Einband.« Sie streckte ihre Hand aus. »Veronika Lederer ist mein Name.«

Skamper schüttelte ihre Hand. »Paul Skamper.«

»Und, haben Sie schon mal nach einem Cache gesucht?«, fragte Lederer.

»Nur einmal, ich bin eher ein Muggel, wie man so schön sagt.«

»Sie werden begeistert sein. Man kann aufregende Sachen dabei erleben.« Lederer strahlte ihn an. Wahrscheinlich war Skamper der Erste, der sich heute an ihren Stand verirrt und sich für ihr Buch interessiert hatte.

»Aufregende Sachen, das ist genau das, was ich suche.« Skamper lehnte sich etwas vor. »Ich hab gehört, es gibt auch richtig gefährliche Sachen. Extreme Geocaching soll sich das Ganze nennen.«

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Sie haben also auch davon gehört. Von diesen gefährlichen Sachen?«

»Ja, hab ich.«

»Dann brauch ich Ihnen ja nichts zu erzählen.« Sie nickte zweimal. »Dann wissen Sie ja über alles Bescheid.«

»Na ja«, sagte Skamper. »So richtig Bescheid weiß ich nicht. Ich hab eher so Sachen gehört. Aber ich wette, Sie als Fachfrau können mir alles genau erzählen.«

Lederer beugte sich vor, sah sich um, ob ihnen jemand zuhören könnte. »Wir sprechen jetzt von diesen speziellen Verstecken.«

Skamper nickte.

»Was Genaues weiß ich auch nicht. Aber es soll Verstecke geben, wenn man die sucht, kann es wirklich gefährlich werden.«

»Haben Sie denn mal nach so einem Versteck gesucht?«

»Ich, aber nein. Aber wenn Sie wirklich etwas wissen wollen über Extreme Geocaching, dann müssen Sie meinen Bekannten fragen, Herrn Morlov.«

Der schwarz gekleidete Mann hatte die ganze Zeit während Skampers Unterhaltung regungslos auf seinem Stuhl gesessen. Er sah jetzt auf und wieder trafen sich ihre Blicke. Mit einer fließenden, geschmeidigen Bewegung erhob er sich. Skamper musste an seine Einzelkämpferausbildung beim Bund denken. Dort hatte er einen Ausbilder gehabt, der sich ähnlich bewegte wie dieser Morlov. Wenn es darauf ankam, würde sich dieser Morlov zu verteidigen wissen.

Morlovs Züge verrieten nicht, was er dachte. Auf Skamper wirkte er wie ein Mann, der immer beherrscht und kontrolliert handelte. Nur in den Augen loderte etwas.

»Simon«, sagte Veronika Lederer, »Der freundliche Herr interessiert sich für Extreme Geocaching

»Guten Tag«, sagte Morlov. Er hatte eine dunkle, melodische Stimme, Skamper nickte ihm zu.

Der schwarzgekleidete Mann sah ihn stumm an. Er war ein paar Zentimeter größer als Skamper. Schlank, sehnig, mit einem durchdringenden Blick.

»Sie sind dann wohl der Experte für die gefährlichen Sachen«, sagte Skamper.

Morlov antwortete nicht gleich. »Ich weiß ein paar Dinge, das ist alles. Sie suchen nach einem Abenteuer?«, fragte er.

»So könnte man es sagen.«

Morlov musterte Skamper. »So eine Suche bedeutet auch immer Gefahr. Nicht so, wie Sie denken. Es kann sein, dass Sie die Suche verändert. Auf eine erschreckende Art und Weise verändert. Sind Sie denn dafür bereit?«

Skamper zögerte einen Moment. Die Situation erinnerte ihn an etwas. Er musste an das Gespräch mit dem Bettler in der Nürnberger Fußgängerzone denken. War der schwarz gekleidete Mann vor ihm dieser Bettler? Es war unmöglich zu sagen, dazu hätte er damals dessen Augen sehen müssen. »Ich denke schon.«

»Jetzt mach unserem Neuling nicht solche Angst, Simon. Er könnte ja glauben, dass es wirklich um etwas Gefährliches geht. Wollen Sie sich nicht setzen?« Lederer hatte einen Klappstuhl von der hinteren Wand geholt und stellte ihn neben den von Morlov. Skamper ging um den kleinen Tisch herum, auf dem die Bücher von Lederer ausgestellt waren, und setzte sich. Dann nahm er einen Schluck von seinem Kaffee. Er hatte ihn bisher nicht angerührt.

»Ich mach noch mal Kaffee«, sagte Veronika Lederer. »Du willst doch sicher auch noch eine Tasse.« Sie hatte sich an Morlov gewandt, wartete aber dessen Antwort nicht ab und verschwand mit einer Thermoskanne.

Einen Moment schwiegen Morlov und Skamper. Dann begann Morlov zu reden. »Bei einer Schatzsuche, wie ich sie meine, kommt es vor allem auf Vertrauen an. Derjenige, der den Schatz versteckt und dem Schatzsucher ein unvergessliches Erlebnis bereiten möchte, will sichergehen, dass sich auch der Richtige auf die Suche macht. Dass es nicht Zufall war, dass es nicht Glück war, sondern dass der Sucher derjenige war, der bestimmt war für dieses Abenteuer. Dass er dieses Vertrauen verdient hat.«

Skamper spürte ein Kribbeln auf der Haut. Morlov hatte die ganze Zeit ins Leere geblickt, als würden sich seine Worte gar nicht an Skamper richten. Jetzt sah er Skamper an. »Verdienen Sie denn dieses Vertrauen?«

Für einen kurzen Augenblick hatte Skamper den dringenden Wunsch aufzustehen, wegzugehen, nach Hause zu fahren und alles, was er seit Viktors Auftauchen erlebt hatte, zu vergessen. Aber dieser Wunsch war im nächsten Moment verflogen und Skamper sah es als eine kleine, irritierende Reaktion seines Körpers, die auf die schlechte Luft in der Halle zurückzuführen war.

»Ich möchte auf jeden Fall versuchen, das Vertrauen nicht zu enttäuschen.« Skamper hatte fast feierlich gesprochen, ihm kam auf einmal die Idee, dass er hier nur eine Rolle spielte, die Rolle in einem Spiel, dessen Regeln ein anderer bestimmte.

Morlovs Blick ruhte noch immer auf Skamper. »Sie denken vielleicht, Sie suchen irgendein Versteck, wertlose Dinge in einem Plastikbehälter, aber wenn Sie ernsthaft suchen, werden Sie verstehen, dass es nicht nur um ein Versteck geht. Bei der Schatzsuche, von der ich rede, suchen Sie eine Erfahrung. Eine Erfahrung, die Sie nicht vergessen, die Sie ändert, die Ihnen Wissen schenkt und Wahrheit. Die Wahrheit über sich selbst und Ihre größten Ängste. Sie suchen Erkenntnis.«

In diesem Moment kam Veronika Lederer mit der Thermoskanne zurück. Sie stellte zwei Tassen auf den kleinen Tisch und füllte sie. »So, jetzt haben wir alle drei Kaffee.« Sie sah auf Skampers Teller. »Sie haben ja noch gar nichts von dem Kuchen gegessen. Sie müssen wenigstens davon probieren, sonst bin ich beleidigt.« Sie kicherte. Das fröhliche Geplapper wischte die eigenartige Spannung zwischen den Männern einfach weg.

Skamper probierte ein Stück von dem Kuchen. »Der ist wirklich ausgezeichnet.«

Sie lachte wieder. »Sie sind ein Schmeichler.« Sie wandte sich an Morlov. »Du musst ihm sagen, wo du deine Caches veröffentlichst.«

Morlov sagte nichts.

»Es gibt Verstecke von ihm, die hat noch niemand gefunden. Aber es ist ungeheuer aufregend, danach zu suchen. Sie wissen ja, der Weg ist das Ziel.«

»Ich würde sehr gerne nach einem von diesen Verstecken suchen.«

Morlov sah Skamper prüfend an. Dann holte er eine Geldbörse aus seiner Hosentasche, nahm eine Visitenkarte heraus und reichte sie Skamper. Der blickte kurz darauf. »Simon Morlov« stand da in feinen, ziselierten Buchstaben. Darunter eine Internetadresse. Skamper steckte die Visitenkarte in seine Hosentasche.

»Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihrer Suche«, sagte Morlov.

 

Skamper fand Arabella und Jasmin in dem kleinen Café, in dem sie zwei Stunden zuvor Cappuccino getrunken hatten. Bei ihnen saß ein älterer Herr. Sein weißes Haar war ungekämmt und stand wirr vom Kopf ab. Er trug einen grauen, schon abgetragenen Anzug und auf seiner Nase eine Hornbrille.

»Da bist du ja endlich«, sagte Jasmin.

Als der Alte Skamper bemerkte, stand er von seinem Stuhl auf und kam auf ihn zu.

Skamper staunte über die Schnelligkeit, mit der sich der Mann erhoben hatte.

»Das ist Paul Skamper, mein Mitarbeiter und der Kompagnon unserer Detektei«, sagte Arabella. Skamper blickte irritiert zu Arabella. Der Mann streckte ihm seine Hand entgegen.

»Berthold Markoven. Ich freue mich.«

Skamper schüttelte seine Hand.

»Wir sind hier zufällig ins Gespräch gekommen«, sagte Arabella. »Stell dir vor, Herr Markoven ist auch wegen dieser Leichenteile-Gerüchte hier.«

Skamper setzte sich auf einen Stuhl neben Jasmin. Auch Markoven nahm wieder Platz.

»Herr Markoven ist ein Kommissar im Ruhestand. Er hat schon drei Serienmörder festgenommen.«

Der Alte hob abwehrend die Hände. »Ob man da in jedem Fall von Serienmördern sprechen kann, ist ein bisschen fraglich.«

»Auf jeden Fall weiß Herr Markoven Dinge über Geocaching, die uns bei unserem Fall weiterhelfen können«, sagte Arabella. »Er möchte morgen bei uns vorbeischauen.«

Skamper nickte. »Warum nicht.«

»Ich würde Ihnen schon gerne jetzt etwas mehr erzählen«, sagte Markoven. »Aber ich habe noch einen Termin und muss gehen. Ich freue mich schon auf unser Gespräch. Noch viel Spaß wünsche ich Ihnen.« Er stand auf, nickte allen am Tisch Sitzenden zu und ging dann zu dem Ausgang, der in die Messehalle führte.

»Wie seid ihr denn auf den gekommen?«, fragte Skamper.

»Er saß am Nebentisch und hat gehört, wie wir uns über Serienkiller unterhalten haben. Und da hat er uns erzählt, dass er schon mit echten Serienkillern zu tun hatte.« Arabella beugte sich vor. »Er hat nicht genau gesagt, dass er was weiß, aber so wie er geredet hat, hat er ganz heiße Informationen.«

Skamper war da eher skeptisch. Aber nach dem Gespräch morgen würde man schlauer sein.

»Hast du denn etwas herausgefunden?«, fragte Jasmin.

»Ich habe zumindest einen sehr interessanten Typen kennengelernt.«