Das Handbuch für den perfekten Selbstmord

Japaner glauben, dass es eine richtige Art und Weise gibt, zu leben, zu lieben, eine Frau zum Orgasmus zu bringen, sich den kleinen Finger abzuhacken, die Schuhe auszuziehen, eine Keule zu schwingen, einen Artikel über Mord zu schreiben, zu sterben – und sich selbst umzubringen. Es gibt den rechten Weg, den vollkommenen Weg für einfach alles.

Der Respekt vor diesem Weg ist ein wesentlicher Bestandteil der japanischen Gesellschaft, die Handbücher schätzt und Regeln gerne genau befolgt. In der alten Zeit, bevor Bücher massenhaft gedruckt wurden, schrieb man solche Leitfäden auf Schriftrollen, und die Leute glaubten, kotodama, die Seele oder der Geist der Sprache, wohne in jedem Wort. Wer einen Gedanken ausspricht, haucht ihm Leben ein, und diese Wörter haben spirituelle Macht. Dieser Glaube verlieh dem geschriebenen und gesprochenen Wort eine fast mystische Bedeutung und förderte die Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort mehr als im Westen.

Noch heute sind die Japaner von Handbüchern besessen. Vor einigen Jahren war der Ausdruck manual ningen – »Handbuchmenschen« – modern. Damit waren junge Japaner gemeint, die anscheinend gar nicht mehr selbstständig denken konnten. Der Ausdruck ging in die Umgangssprache ein und wird jetzt für einen Menschen benutzt, der nur Anweisungen befolgen kann und keine eigenen Ideen hat.

Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Handbücher wochenlang auf der Bestsellerliste stehen. Amazon Japan (www.amazon.co.jp) zählte auf seiner Website 9994 Handbücher auf, als ich dieses Kapitel schrieb.

Der absolute Bestseller war ein Handbuch für Streitgespräche mit Koreanern, denen nichts Nettes über Japan einfällt. Koreaner beklagen immer noch, dass die Japaner ihr Land besetzt, seine Einwohner versklavt, Frauen vergewaltigt, Sprache und Kultur verboten, biologische Experimente mit Kriegsgefangenen gemacht und Tausende von Koreanern entführt und nach Japan verschifft haben, wo sie in Fabriken schuften mussten. Und die Stoßrichtung dieses Buches ist klar: Sagt diesen jämmerlichen Koreanern, dass sie aufhören sollen zu übertreiben und den Mund halten sollen.

Das Buch hatte allerdings eine unerwartete Nebenwirkung: Dadurch, dass es um die Vorwürfe der Koreaner ging, wurden die Menschen auf die unrühmliche Vergangenheit der japanisch-koreanischen Beziehungen aufmerksam, ein Thema, das das japanische Kultusministerium in den öffentlichen Schulen nicht behandeln ließ. Nach dem Motto: Wer die Geschichte nicht kennt, braucht sich auch nicht zu entschuldigen.

Auf dem zweiten Platz der Bestsellerliste stand Kabu no zeikin, ein Handbuch für Steuerzahler, die Aktien besitzen oder verkaufen. Den dritten Platz eroberte ein Handbuch für künftige Hausbesitzer. In einem Land, in dem Grundstücke knapp und Mieten hoch sind, träumen die Menschen davon, als Vermieter reich zu werden. Allerdings ist der Mieterschutz in Japan sehr streng. Wahrscheinlich ist dieses Buch deshalb so gefragt.

Platz vier belegte Das Handbuch für den perfekten Selbstmord, das jedes Jahr auf der Liste erscheint. Und der Titel ist wirklich ernst gemeint. Mehr dazu später.

An fünfter Stelle stand Das Handbuch des Superorgasmus durch Fellatio und Cunnilingus – mit über 400 Fotos. Da die Japaner sehr an Sex interessiert und Perfektionisten sind, ist dieses Buch im ganzen Land weit verbreitet. Dass dieses Buch sich so gut verkauft, sagt einiges über die japanische Einstellung zum Sex aus: Sie ist positiv, begeistert, klinisch und ernsthaft. Männer wie Frauen wollen ihre »Technik« verbessern oder mit Hilfe von Lehrbüchern ihr Wissen erweitern.

Nummer sechs war The Advanced Cardiac Life Support Provider Manual – ein Handbuch über Herzgesundheit, das von der amerikanischen Herzgesellschaft herausgegeben und ins Japanische übersetzt wurde. Ich vermute, dass viele Leute, die Nummer fünf kauften, auch Nummer sechs erwarben.

An siebter Stelle stand Das Handbuch des Vorspiels. Dass dieses Buch auf Platz sieben stand und nicht auf Platz fünf, verrät wohl, dass die meisten Japaner die Grundlagen des Liebesspiels schon beherrschen.

Nummer acht war ein Buch für Ingenieure, die eine wirklich schwierige Prüfung bestehen wollten. Da ich schon vom Titel Kopfweh bekomme, möchte ich ihn hier gar nicht erst erwähnen, sondern nur darauf hinweisen, dass viele Japaner sich sehr für Technik und technische Berufe interessieren.

Auf dem neunten Platz landete Der gefragte Mann (Wie man Mädchen betört): Ein Handbuch der 40 (Techniken). Was Frauen im tiefsten Herzen wirklich von Männern wollen. Dieses Buch wurde 2003 zum ersten Mal veröffentlicht und ist ein bewährter Bestseller.

Nummer zehn: Das unentbehrliche Handbuch für die Hochschuleignungsprüfung. In Japan bestimmt die Universität, von der man aufgenommen wird, das ganze restliche Leben. Das Abschlussdiplom ist dabei gar nicht so entscheidend, auch wenn ein vorzeitiges Ausscheiden sich natürlich ungünstig im Lebenslauf macht. Aber wer die Aufnahmeprüfung zu einer angesehenen Universität schafft, hat fast schon die wichtigste Schlacht im Kampf um einen guten Arbeitsplatz gewonnen. Deshalb ist diese Prüfung für die meisten Japaner außerordentlich wichtig. Der Umstand, dass dieses Buch auf der Liste nicht weiter oben steht, spiegelt die gesellschaftliche Umstrukturierung und die sinkende Geburtenrate wider, vielleicht auch die allgemeine Verdummung der japanischen Jugendlichen. Würde man den Titel ändern, beispielsweise in Das unentbehrliche Manga-Handbuch für die Hochschuleignungsprüfung, würden die Verkäufe möglicherweise alle Rekorde brechen.

Das waren also die zehn Bestseller vor einigen Jahren. Drei haben mit Sex zu tun, zwei mit Leben und Tod – ziemlich ausgewogen.

In meinem zweiten Jahr bei der Yomiuri bekam ich einen Einblick in die Wirkungsweise dieser Handbücher. Mein Beeper forderte mich auf, Takagi anzurufen, den Gerichtsmediziner der Mordkommission von Urawa.

»He, Jake, willst du etwas echt Gruseliges sehen?«

»Klar.«

»Aber keine Bilder.«

»Okay.«

»Und auch keine Namen.«

»Keine Namen?«

»Es ist ein Jugendlicher. Deshalb keine Namen. Du kennst die Regeln.«

Er gab mir die Anschrift und riet mir, sofort hinzufahren. »Die Kollegen von der Mordkommission sind noch nicht da. Und wenn die dein langnasiges Gaijin-Gesicht dort sehen, sitzen wir beide in der Tinte.«

»Okay, ich hab’s kapiert.«

In Japan bekommt man den Schauplatz eines Verbrechens selten zu sehen. Da der Polizeifunk Anfang der Neunzigerjahre digitalisiert wurde, konnten wir Journalisten ihn nicht mehr abhören. Wenn man keinen Informanten in der Funkzentrale hatte, dauerte es aber meist mehrere Stunden, bis die Polizei die Presse über ein Verbrechen unterrichtete. Und wenn wir dann am Tatort eintrafen, hatte die Polizei das Gebiet bereits weitläufig mit dem üblichen gelben Band abgesperrt.

Ich weiß nicht, warum Takagi, dessen Stimme rau war wie Sandpapier, weil er von morgens bis abends Peace-Zigaretten rauchte, mich anrief. Vielleicht, weil ich so sympathisch war oder weil ich ihm Eintrittskarten für ein Baseballspiel der Yomiuri Giants besorgt hatte – wahrscheinlich eher deshalb.

Auf jeden Fall traf ich genau 15 Minuten nach unserem Telefonat am Schauplatz des Verbrechens ein. Es war ein typisches vierstöckiges, unscheinbares Gebäude mit Eigentumswohnungen. Auf den Balkonen hingen Kleider zum Trocknen. Takagi begrüßte mich flüchtig und führte mich in den dritten Stock. Wir gingen über den Flur, und er öffnete dann die entsprechende Wohnungstür.

Es roch irgendwie leicht salzig und nach etwas, das ich nur als Mischung aus Hotdogs und verbrannten Schokokeksen beschreiben kann. Im Wohnzimmer standen Kartons, als wäre jemand gerade am Ein- oder Ausziehen.

Takagi führte mich ins Schlafzimmer, das eindeutig das Zimmer eines Jugendlichen war. An den Wänden hingen Poster von japanischen Teenageridolen mit schlechten Zähnen. In einer Ecke waren Mangas gestapelt, und auf dem Fußboden befanden sich Fertignudelpackungen. Der Junge lag mit dem Gesicht zur Wand oben auf einem Etagenbett. Sein nackter Rücken war uns zugewandt.

Ich weiß eigentlich nicht, warum, aber ich wollte den Jungen gerade an der Schulter berühren, als Takagi mich stoppte.

»Achtung, Jake-san. Fast hättest du dich auch umgebracht. Du kannst doch Japanisch lesen, also mach die Augen auf, du Idiot.«

Er legte einen Arm um meine Schulter und schob mich näher an den Jungen heran. Aus der Nähe sah ich auf dem Rücken des Toten ein Stück Papier, auf dem in kleiner Schrift stand: »Bitte nicht anfassen, Stromschlaggefahr.« Als ich mich über ihn beugte, sah ich Drähte, die auf seiner Brust und an seinen Brustwarzen klebten. Sie liefen die Wand entlang und endeten in einer Steckdose.

Ich war sprachlos. Takagi lachte. »Du musst vorsichtiger sein, Jake-san.«

»Was ist passiert?«

Takagi nahm ein Buch vom Schreibtisch neben dem Bett – Das Handbuch für den perfekten Selbstmord. »Er hat den Teil über den Tod durch Stromschlag gelesen und die Anweisungen genau befolgt. Hier, ich halte es, und du liest. Aber nicht anfassen.«

Dem Buch zufolge ist dieser Tod nahezu schmerzlos. Man spürt nur einen kurzen Schmerz, wenn der erste Schock einsetzt, dann hört man sofort zu atmen auf, das Herz steht still, und man ist innerhalb von Sekunden tot. Ein sauberer Tod. Der Körper wird kaum verletzt, sodass ein Begräbnis im offenen Sarg möglich ist. Der Autor wies darauf hin, dass sich nur sehr wenige Menschen auf diese Weise das Leben nehmen. Aber sie sei billig, schmerzlos und schnell und verdiene eine Neubewertung.

»Darüber solltest du schreiben«, meinte Takagi. »Wir werden den Selbstmord des Jungen nicht öffentlich bekannt machen, aber ich finde, man sollte etwas über dieses Buch schreiben. Eltern sollten davon wissen, damit sie, wenn sie es im Zimmer ihres Kindes entdecken, etwas unternehmen können. Es hilft ja nicht nur beim Selbstmord, es ermutigt geradezu dazu.«

»Warum hat er sich umgebracht?«

»Seine Familie ist eben erst von Osaka zugezogen. Vielleicht hat sich jemand über seinen Akzent lustig gemacht oder er wollte nicht umziehen. Wer weiß, er hat keinen Brief hinterlassen – nur die Warnung auf seinem Rücken.«

»Das ist erstaunlich überlegt.«

»Es ist eine verdammte Schande. Aber diese Warnung ist tatsächlich sehr überlegt – und höflich. Er hat sogar ›bitte‹ geschrieben. Und er hat kein Chaos angerichtet. Ich habe schon viele Selbstmörder im Teenageralter gesehen und manche denken überhaupt nicht an ihre Familie.«

Ich schrieb den Artikel noch am selben Tag, obwohl ich auch Bedenken hatte, denn womöglich war das sogar Werbung für das Buch. Dennoch fand ich es wichtig, dass noch mehr Menschen von diesem gefährlichen Werk erfuhren.

Abgesehen von Selbstmord, Sex oder Reichtum gibt es noch viele Bereiche, in denen Handbücher für Japaner wichtig sind. Auch als junger Polizeireporter hatte ich ja als Erstes das Handbuch Ein Tag im Leben eines Polizeireporters bekommen. Auch wenn das Buch spannend ist, möchte ich Ihnen das japanische Justizsystem lieber auf meine Art erklären.

Die japanische Polizei ist in Form einer Pyramide aufgebaut. Ganz oben steht der Nationale Rat für öffentliche Sicherheit, der seine Weisungen vom Kabinett des Premierministers empfängt. Dem Rat untergeordnet ist die Nationale Polizeibehörde (NPA).

Die NPA ist eine politische und administrative Behörde, die keine eigenen Ermittlungen durchführt, aber bisweilen Ermittlungen über Präfekturgrenzen hinweg koordiniert. Sie erlässt allgemeine Richtlinien für alle Polizeiorganisationen in Japan. Viele, die an die Spitze der NPA aufsteigen, haben zwar ein Examen abgelegt, besitzen aber wenig oder keine Erfahrung in der echten Polizeiarbeit.

Unter der NPA stehen die 47 Polizeibehörden der Präfekturen, die Verbrechen in ihrer Region aufklären. Den höchsten Status genießt die Polizeibehörde der Hauptstadt Tokio (TMPD), die ein wenig dem FBI ähnelt, weil sie oft Fälle übernimmt, die eher nationalen als
lokalen Charakter haben.

Die oberste Polizeibehörde einer Präfektur befehligt kleinere Polizeireviere und Außenstellen in der Umgebung, koban genannt. Die NPA macht ihre eigenen Leute zu hohen Verwaltungsbeamten in lokalen Polizeirevieren und sorgt auf diese Weise dafür, dass die NPA ihre Macht behält und keiner jemals so einen Job bekommt, der sich vor Ort und in der Polizeiarbeit auskennt und wirklich fähig wäre, eine große Polizeibehörde zu leiten. Die lokale Polizei erledigt die eigentliche Arbeit einschließlich der Ermittlungen und der Verkehrsüberwachung.

Jedes Polizeirevier besteht in der Regel aus folgenden Abteilungen: Gewaltverbrechen, Betrug, Wirtschaftskriminalität, Verkehr, Jugendstraftaten, Verbrechensverhütung und Sitte. Hinzu kommt ein Dezernat für das organisierte Verbrechen. Drogen, Kreditkartenbetrug und Menschenhandel zählen in manchen Präfekturen zum organisierten Verbrechen, aber die Grenzen sind hier nicht eindeutig abgesteckt.

In den meisten großen Fällen übernehmen Beamte aus den Hauptquartieren die Ermittlungen, und ihre Kollegen in den örtlichen Revieren arbeiten ihnen zu. Sie übernehmen die Laufarbeit, fahren die Limousine des Leiters des Morddezernats, besorgen das Mittagessen für ihre Vorgesetzten und sind ansonsten den Launen des honbu (Hauptquartiers) ausgesetzt. Wenn die TMPD mit anderen Präfekturen zusammenarbeitet, ist sie eine Art honbu und erwartet von allen anderen, die Rolle der untergeordneten Reviere zu spielen.

Auch unter Polizeireportern gibt es eine Hierarchie. In Tokio sind die Reporter des TMPD-Presseclubs für die Polizeihauptquartiere und ihre Verlautbarungen zuständig. Die Distriktreporter übernehmen bestimmte Viertel von Tokio.

Ein Jungreporter sollte sich mit einfachen Polizisten anfreunden und interessante Fälle aufreißen, bevor das Hauptquartier sie übernimmt. Wer wirklich gut ist, stößt schon ganz unten in der Hierarchie auf einen Knüller. Das bedeutet meist, von einer Verhaftung zu erfahren, ehe sie offiziell verkündet wird.

Die Polizei veröffentlicht regelmäßig kurze Presseerklärungen, und von einem Reporter wird dann erwartet, dass er die bestehenden Lücken füllt, indem er telefonisch Fragen stellt oder den Tatort aufsucht.

Jeder große Fall wird im Voraus angekündigt, und zusätzlich zu der mageren Presseerklärung gibt es mündliche Erläuterungen im Presseclub, der sich im Hauptquartier einer Präfektur befindet. Auch manche größere Polizeireviere haben einen Raum für die Presse.

Natürlich haben nicht alle Reporter Zugang zu diesen Presseclubs.

Nicht im Reporterhandbuch steht, wie man mit Polizisten umgehen muss, obwohl das wahrscheinlich ganz entscheidend ist. Irgendwann einmal habe ich jemanden sagen hören, dass ein Polizeireporter eine »männliche Geisha« sei. Das beschreibt ziemlich gut, was Reporter tun müssen, um eine Story zu bekommen – zumindest einige von uns. Manchen Leuten muss man eine Menge Honig ums Maul schmieren, und oft ist eine lange Vorbereitung nötig. Ich ziehe es vor, Informationen selbst zu sammeln und mit Polizisten zu handeln, anstatt um Krümel zu betteln. Aber das ist eben mein persönlicher Stil. Natürlich war ich genauso eine männliche Geisha wie die meisten meiner Kollegen, auch wenn es mir manchmal vielleicht gelang, eine bessere Ausgangsposition einzunehmen.

Das folgende Memo überreichte uns ein ehemaliger Vorgesetzter. Es macht deutlich, wie viel Überredungskunst und Schmeichelei von einem Polizeireporter verlangt wird. Der Autor ist meiner Meinung nach ein hervorragender Journalist, der sich wirklich anstrengt, um eine Story zu ergattern, und der sich nicht auf das Wohlwollen der Polizisten verlässt, denen er einen Gefallen getan hat. Wie dem auch sei, der Mann ist auch als Einschleimer unübertroffen.

Memo für Polizeireporter:

Es ist traurig, dass ich für euch Nieten ein Abc des Polizeijournalismus schreiben muss. Ich habe vor etwa zehn Jahren zuletzt auf diesem Gebiet gearbeitet, doch eines kann ich euch versichern: Das TMPD-Clubteam kann große Pläne schmieden, aber keine Schlacht gewinnen. Betrachtet dies nicht als Rat eures Chefs, sondern als Rat eines älteren Kollegen: Der Job ist härter, als ihr glaubt. Wenn ihr nur Dienst nach Vorschrift macht oder euch auf den Namen Yomiuri
beruft, dann werden euch höchstens ein oder zwei von zehn Polizisten einen Tipp geben.

Wenn ihr abends planlos Polizisten zu Hause aufsucht, werden sie euch gar nichts verraten. Denn jeder kann sich die Anschrift eines Polizisten von seinem sempai (einem älteren Kollegen) besorgen, dorthin fahren, ein paar Stunden warten, bis er nach Hause kommt, sich einschleimen und ihm hin und wieder Eintrittskarten für ein Baseballspiel der Giants zukommen lassen. Wenn das schon alles wäre, hätten selbst ganz unerfahrene Reporter schon Erfolg.

Natürlich findet jeder Polizeireporter die Bereiche besonders wichtig, für die er zuständig ist. Und selbstverständlich ist es wichtig, herauszufinden, welcher Beamte ein lohnendes Ziel wäre. Doch entscheidend ist die Frage, wie man aus ihm einen Informanten machen kann. Wie kann man sich von den anderen Reportern unterscheiden? Denkt mal darüber nach.

Seid ihr im Kontakt mit dem Polizisten, den ihr im Auge habt? Habt ihr ihn nach seinem Geburtstag gefragt, seinem Geburtsort, seiner Herkunft, den Geburtstagen seiner Frau und seiner Kinder, seinem Hochzeitstag? Wisst ihr, wann seine Kinder eingeschult werden, ob sie einen Job haben, welche Feiertage oder besonderen Ereignisse in der Familie anstehen? Gratuliert ihr dann entsprechend oder bringt ihm, besser noch, ein Geschenk?

Schenkt ihr dem Polizisten Kleinigkeiten, wenn ihr ihn abends besucht? Eintrittskarten für ein Spiel der Yomiuri Giants sind da nicht besonders beeindruckend. Denn er wird denken: »Ach ja, er ist Reporter bei der Yomiuri. Dann bekommt er sie wahrscheinlich kostenlos.« Geht lieber zu Daimaru im Tokioter Bahnhof oder in ein ähnliches Geschäft und kauft Speisen oder Getränke aus der Region, in der ihr geboren wurdet. Dann erzählt ihr eurem Polizeifreund: »Das habe ich mir extra von zu Hause schicken lassen« oder »Das habe ich von einer Reise für Sie mitgebracht«. Solche Lügen wirken gut, aber es kommt auch auf das richtige Timing an. Wenn ihr ihm an einem kalten Tag eine warme Fleischpastete oder eine heiße, süße Adzukibohnenpastete bringt, wunderbar. Wenn der Mann nicht nach Hause kommt, dann gebt ihr das Essen eben seiner Frau oder Freundin und sagt: »Hier, es schmeckt nicht, wenn es kalt wird.« So bringt ihr sie wenigstens dazu, die Haustür zu öffnen, und das ist immer ein wichtiger erster Schritt.

Fragt ihr die Polizisten, ob sie mit euch etwas essen oder trinken wollen? Bietet ihr ihnen an, mit euch in einer gemieteten Limousine zu fahren? Das ist eine wunderbare Gelegenheit, sie bei Regen oder Schnee von zu Hause zum Bahnhof oder umgekehrt zu bringen.

Besucht ihr die Polizisten am Morgen und bringt ihnen Exemplare der Yomiuri, wenn sie die Zeitung nicht abonniert haben? Selbst wenn ihr nur 100 Yen ausgebt, um dem Burschen eine Tasse Kaffee oder einen Sportdrink zu spendieren, unterscheidet ihr euch schon dadurch von den vielen anderen.

Wenn einer eurer Polizeifreunde krank ist, nehmt ihr euch dann die Zeit, ihn nachmittags zu besuchen? Wenn ihr ihn nur abends besucht, befindet ihr euch auf dem Niveau eines Jungreporters von Yamagata-TV. Wenn die Frau oder die Kinder des Mannes erkältet sind, dann kauft ihnen eine Arznei oder Orangensaft.

Wenn ihr Nachtschicht habt, dann gebt eurem Polizeikumpel Bescheid: »Ich bin die ganze Nacht im Büro, also ruf mich an, wenn etwas Interessantes passiert!« Und wenn euer Freund Nachtschicht hat, dann bringt ihm einen kleinen Imbiss vorbei und plaudert eine Weile mit ihm. Anstatt zu klagen, dass ihr keine Informationen von der Polizei erhaltet, wenn sie einen neuen Fall bearbeitet, müsst ihr euch mit den Pressesprechern anfreunden, damit ihr die Ersten seid, die davon hören.

Wenn ihr euch nur darüber beschwert, dass die Polizisten die Fernsehjournalisten bevorzugen, dann ändert sich nichts. Dieses Gejammer hört ihr von allen unerfahrenen und unengagierten Reportern und damit könnt ihr zehn Jahre lang Polizeireporter sein, ohne die Fernsehleute ein einziges Mal auszustechen. Wenn ihr den Geburtstag eures Polizeifreundes nicht kennt, dann fragt im Büro, bei älteren Kollegen oder an anderer Stelle nach.

Nutzt ihr die Vereine, die Leute aus eurer Präfektur gegründet haben, zum Beispiel die Vereinigung der in Saitama Geborenen? Selbst wenn ihr aus Tokio stammt, solltet ihr euch der Vereinigung jener Präfektur anschließen, in der ihr als Reporter begonnen habt. Nutzt die Verbindungen, die ihr während eurer Zeit in einem Regionalbüro mit Polizisten geknüpft habt, um Tokioter Polizisten kennenzulernen, die zur gleichen Zeit wie eure Informanten die Polizeiakademie besucht haben.

Die allerbeste Kontaktpflege besteht darin, eure Familie und ihre Familie zusammenzubringen. Wer Zeit miteinander verbringt, bleibt auch in Kontakt.

Habt ihr jemals mit eurer Frau und euren Kindern samstags einen spontanen Kurzbesuch bei eurem Freund gemacht?

Bringt ihn dazu, euch seine jüngeren Kollegen vorzustellen. Wenn ihr einen Polizisten kennt, der bald pensioniert wird, dann freundet euch ohne Zögern mit ihm an und bittet ihn darum, euch seinen jüngeren Kollegen vorzustellen.

Wenn Sie glauben, dass dieses ganze System sehr polizeifreundliche, voreingenommene Reporter hervorbringt, dann haben Sie recht. Die japanische Polizei ist sehr geschickt darin, die Presse zu manipulieren, und wir waren durchaus bereit, uns manipulieren zu lassen, um einen Knüller zu landen.