Wie Wendy erwachsen wurde
ICH hoffe, du wilst wissen, was aus den anderen Jungen geworden ist. Sie warteten unten, damit Wendy Zeit hätte, alles zu erklären, und als sie bis fünfhundert gezählt hatten, liefen sie hinauf. Sie nahmen die Treppe, weil sie meinten, das mache einen besseren Eindruck. Sie standen in einer Reihe vor Mrs. Darling, den Hut in der Hand, und wünschten, sie hätten keine Piratenkleider an. Sie sagten nichts, aber ihre Augen bettelten: »Bitte, nimm uns.« Sie hätten auch Mr. Darling anschauen sollen, aber den hatten sie glatt übersehen.
Natürlich sagte Mrs. Darling sofort, sie würde sie behalten. Aber Mr. Darling sah merkwürdig niedergeschlagen aus, und sie merkten, daß er überlegte, ob sechs nicht zu viele sind.
»Ich muß zugeben«, sagte er zu Wendy, »du machst keine halben Sachen.« Keine schöne Bemerkung, und die Zwillinge bezogen sie gleich auf sich.
Der erste Zwilling war der stolzere, und er fragte mit rotem Kopf: »Meinen Sie etwa, Sir, daß wir zu viele sind? Dann gehen wir nämlich wieder.«
»Vater!« rief Wendy schockiert, doch Mr. Darling runzelte immer noch die Stirn. Er wußte, daß er sich unmöglich benahm, aber er konnte nicht anders.
»Wir können zu zweit in einem Bett liegen«, sagte Nibs.
»Die Haare schneid ich ihnen selber«, sagte Wendy.
»George!« rief Mrs. Darling; es schmerzte sie, daß sich ihr lieber Mann von so einer unvorteilhaften Seite zeigte.
Da flossen die Tränen, und die Wahrheit kam heraus.
Er wollte sie ja auch gern behalten, sagte er, aber er sei der Meinung, daß sie ihn ebenfalls fragen müßten und ihn nicht behandeln dürften wie eine Null – in seinem eigenen Haus.
»Ich glaube nicht, daß er eine Null ist«, rief Tootles sofort.
»Glaubst du, daß er eine Null ist, Curly?«
»Nein, nein. Glaubst du, daß er eine Null ist, Slightly?«»Eigentlich nicht. Zwilling, was meinst du?«
Es stellte sich heraus, daß keiner glaubte, er sei eine Null, und das machte ihn furchtbar glücklich, und er sagte, er würde Platz für alle im Wohnsalon finden – wenn sie hineinpaßten.
»Wir passen schon, Sir«, versicherten sie ihm.
»Dann immer mir nach!« rief er fröhlich. »Wohl-gemerkt, ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt einen Wohnsalon haben, aber wir tun immer so, und dann haben wir auch einen. Hopsa!«
Er tanzte durch das Haus, und alle riefen: »Hopsa!«
und tanzten hinter ihm her und suchten den Wohnsalon.
Ich weiß nicht, ob sie ihn gefunden haben, jedenfal s fan- den sie irgendwelche Ecken, in die sie hineinpaßten.
Was Peter betrifft, so sah Wendy ihn noch einmal, bevor er fortflog. Er kam nicht extra zum Fenster, sondern flog nur – zufällig-daran vorbei, damit sie ihn rufen konnte, wenn sie wollte. Und das tat sie.
»Hallo, Wendy, leb wohl«, sagte er.
»Oje, willst du fort?«
»Ja.«
»Peter«, sagte sie stockend, »du meinst nicht, daß du meinen Eltern etwas sagen möchtest in einer – sehr delikaten Angelegenheit?«
»Nein.«
»Über mich, Peter!«
»Nein.«
Mrs. Darling kam zum Fenster, denn jetzt paßte sie ganz besonders auf Wendy auf. Sie erzählte Peter, daß sie die Jungen adoptiert hätte und daß sie ihn auch gern aufnehmen würde.
»Schicken Sie mich dann in die Schule?« fragte er schlau.
»Ja.«
»Und später ins Büro?«
»Vermutlich.«
»Und bald wäre ich ein Mann?«
»Sehr bald.«
»Ich wil nicht in die Schule und ernste Sachen lernen«, sagte er zornig. »Ich will kein Mann sein. Stellen Sie sich vor, ich wache auf und habe einen Bart.«
»Peter«, sagte Wendy, »ein Bart wäre wundervoll!«
Und Mrs. Darling streckte die Arme nach ihm aus, aber er stieß sie zurück.
»Hände weg, meine Dame. Keiner soll einen Mann aus mir machen.«
»Aber wo willst du leben?«
»Mit Tink in dem Haus, das wir für Wendy gebaut haben. Die Feen müssen es hoch in die Bäume tragen, wo sie nachts schlafen.«
»Ach herrlich!« rief Wendy so sehnsuchtsvoll, daß Mrs. Darling sie schnell festhielt.
»Ich dachte, alle Feen sind tot«, sagte Mrs. Darling.
»Es gibt immer eine Menge junge«, erklärte Wendy, »weil, verstehst du, wenn ein Baby zum erstenmal lacht, wird eine Fee geboren, und weil es immer neue Babys gibt, gibt es immer neue Feen. Sie wohnen in Nestern oben in den Bäumen, die lilafarbenen sind Jungen, und die weißen sind Mädchen, und die blauen sind die kleinen Dummen, die nicht wissen, was sie sind.«
»Ich werde so viel Spaß haben«, sagte Peter und schielte zu Wendy hinüber.
»Es wird ziemlich einsam sein, wenn du abends am Feuer sitzt«, sagte sie.
»Ich habe Tink.«
»Tink kommt mit der Arbeit nicht zurecht, sie tut nicht den zwanzigsten Teil von dem, was nötig ist.«
»Gemeiner Quatsch!« rief Tink aus irgendeiner Ecke.
»Das macht nichts«, sagte Peter.
»Doch, Peter, natürlich macht das was.«
»Na schön, dann komm mit.«
»Darf ich, Mami?«
»O nein. Jetzt hab ich dich endlich wieder. Nun will ich dich auch behalten.«
»Aber er braucht so sehr eine Mutter.«
»Du auch, mein Liebes.«
»O ja, na klar«, sagte Peter, als hätte er bloß aus Höf-lichkeit gefragt, aber Mrs. Darling sah, wie sein Mund zuckte, und sie machte ihm ein großzügiges Angebot: Ihre Tochter dürfte einmal im Jahr für den Frühjahrsputz zu ihm kommen. Wendy wäre eine dauerhafte Regelung lieber gewesen, und bis zum nächsten Jahr war es noch so lange hin, aber Peter war glücklich und zufrieden mit dieser Zusage. Er hatte kein Zeitgefühl, und sein Kopf war so voll von Abenteuern, daß alles, was ich dir bisher erzählt habe, nur ein winziger Bruchteil davon ist. Wendy wußte das wohl, denn ihre letzten Worte waren ziemlich traurig: »Du vergißt mich doch nicht, Peter, bis ich wieder zu dir darf?«
Natürlich versprach er das.
Und dann flog er fort. Er nahm den Kuß von Mrs.
Darling mit. Peter erwischte ihn ganz leicht, den Kuß, den keiner sonst bekommen konnte. Komisch. Aber er schien ihm zu gefallen.
Natürlich gingen alle Jungen zur Schule, und die meisten kamen in die dritte Klasse, nur Slightly kam in die vierte und dann in die fünfte. Die höchste war die erste.
Noch ehe sie eine Woche in die Schule gegangen waren, merkten sie, wie blöd es von ihnen gewesen war, die Insel zu verlassen. Aber jetzt war es zu spät, und bald waren sie ganz normale Schüler wie du und ich oder Jenkins junior. Nachts band Nana ihre Füße am Bettpfosten fest, so daß sie nicht wegfliegen konnten, und tagsüber hatten sie ihren Spaß daran, so zu tun, als fielen sie aus dem Bus.
Aber allmählich hörten sie auf, in ihren Betten an den Fesseln zu zerren, und sie merkten, daß es weh tat, wenn sie aus dem Bus purzelten. Und bald konnten sie nicht einmal mehr hinter ihren Hüten herfliegen. »Mangel an Übung« nannten sie das, aber in Wirklichkeit war es etwas anderes: Sie glaubten nicht mehr daran.
Michael bewahrte sich den Glauben länger als die anderen, obwohl sie sich über ihn lustig machten. Deshalb war er dabei, als Peter am Ende des Jahres kam, um Wendy zu holen.
Sie hatte sich auf spannende Gespräche über alte Zeiten gefreut, aber neue Abenteuer hatten die alten aus seinem Kopf verdrängt.
»Wer ist Käptn Hook?« fragte er interessiert, als sie von seinem Erzfeind sprach.
»Weißt du nicht mehr«, fragte sie erstaunt, »wie du ihn umgebracht und uns allen das Leben gerettet hast?«
»Ich vergesse sie, sobald ich sie umgebracht habe«, erwiderte er unbekümmert.
Als sie sagte, sie hoffe, daß Tinker Bell sich freuen würde, sie wiederzusehen, fragte er: »Wer ist Tinker Bell?«
»Aber Peter!« sagte sie schockiert. Doch auch als sie es ihm erklärte, konnte er sich nicht erinnern.
»Es gibt so viele davon«, sagte er. »Ich nehme an, sie ist tot.«
Ich nehme an, er hatte recht, denn Feen leben nicht lange, aber sie sind so klein, daß ihnen ihre kurze Zeit nicht besonders kurz vorkommt.
Es schmerzte Wendy auch, daß ihm das letzte Jahr wie ein Tag vorkam; sie hatte das Gefühl, eine Ewigkeit auf ihn gewartet zu haben. Aber er war genauso faszinierend wie früher, und sie erlebten ein herrliches Frühjahr in dem kleinen Haus in den Bäumen.
Im nächsten Jahr kam er nicht.
»Vielleicht ist er krank«, sagte Michael.
»Du weißt doch, er wird niemals krank.«
Michael kam ganz nah und flüsterte, und seine Stimme bebte: »Vielleicht gibt es ihn gar nicht, Wendy!«
Da hätte sie fast geweint – wenn Michael nicht schon geweint hätte.
Peter kam im nächsten Frühjahr, und das Merkwürdige war, daß er überhaupt nicht wußte, daß er ein Jahr ausgelassen hatte.
Es war das letzte Mal, daß Wendy, das Mädchen Wendy, ihn sah. Eine Weile noch versuchte sie um seinetwillen, nicht daran zu denken, daß sie größer wurde, und sie hatte richtig das Gefühl, sie würde ihn betrügen, als sie in der Schule einen Preis für gute Leistungen bekam. Aber die Jahre gingen dahin, ohne daß der treulose Knabe sich blicken ließ, und als sie sich wieder trafen, war Wendy eine verheiratete Frau, und Peter war für sie nicht mehr als das bißchen Staub, das sich in der Spielzeugkiste angesammelt hatte. Wendy war erwachsen. Du mußt sie nicht bedauern. Sie gehörte zu denen, die gern erwachsen werden. Schließlich wurde sie einen Tag früher erwachsen als andere Mädchen.
Alle Jungen waren nun erwachsen und verloren.
Darum lohnt es kaum, etwas über sie zu sagen. Die Zwillinge und Nibs und Curly gehen jeden Tag ins Büro, und jeder trägt eine Aktentasche und einen Schirm.
Michael ist Lokomotivführer. Slightly hat eine Dame aus dem Adel geheiratet und führt den Titel eines Lords.
Und der Richter da mit der Perücke, der zur Eisentür
herauskommt, das war einmal Tootles. Der Mann mit dem Bart, der seinen Kindern keine Geschichten erzählt, weil er keine weiß, ist einmal John gewesen.
Wendy heiratete in Weiß mit einer rosa Schleppe. Es ist seltsam, daß Peter nicht in der Kirche auftauchte und die Sache verhinderte.
Die Jahre vergingen, und Wendy hatte eine Tochter.Sie hieß Jane, und sie hatte einen merkwürdig fragen-den Blick, und zwar vom ersten Moment an, als wollte sie immerzu etwas wissen. Als sie alt genug war, wirklich Fragen zu stellen, drehten sie sich meist um Peter Pan.
Sie konnte nicht genug von ihm hören, und Wendy erzählte ihr alles, was sie noch wußte – in demselben Kinderzimmer, in dem der berühmte Flug begonnen hatte. Es war jetzt Janes Kinderzimmer, denn ihr Vater hatte das Haus von Wendys Vater gekauft, der keine Lust mehr hatte, Treppen zu steigen. Mrs. Darling war schon tot.
Jetzt gab es nur noch zwei Betten im Kinderzimmer, das von Jane und das ihres Kindermädchens; eine Hundehütte gab es nicht, denn Nana war auch gestorben.
Am Ende war es immer schwieriger mit ihr geworden, weil sie steif und fest behauptete, daß keiner außer ihr mit Kindern umgehen könnte.
Einmal die Woche hatte Janes Kindermädchen ihren freien Abend, dann brachte Wendy Jane ins Bett. Das war die Zeit für Geschichten, und Jane hatte sich dafür etwas ausgedacht: Sie zog ihrer Mutter und sich selber die Decke über den Kopf, und in dieser schrecklichen Dunkelheit flüsterte sie: »Was sehen wir jetzt?«
»Ich glaube nicht, daß ich heute abend etwas sehe«, sagt Wendy, denn sie hat das Gefühl, daß Nana, wenn sie jetzt hier wäre, gegen die Geschichte protestieren würde.
»Doch, doch«, sagt Jane, »du siehst dich selbst, als du noch ein kleines Mädchen warst.«
»Das ist lange her, mein Schatz. Oje, die Zeit vergeht wie im Flug.«
»Im Flug?« fragt das schlaue Kind. »Wie du geflogen bist als kleines Mädchen?«
»Wie ich geflogen bin! Weißt du, Jane, manchmal frage ich mich, ob ich jemals richtig geflogen bin.«
»Doch, doch.«
»Die gute alte Zeit, als ich noch fliegen konnte!«
»Warum kannst du jetzt nicht mehr fliegen, Mama?«
»Weil ich erwachsen bin, Liebes. Wenn man erwachsen wird, vergißt man, wie das geht.«
»Wieso vergißt man das?«
»Weil man nicht mehr froh und unschuldig und herzlos ist.
Nur die Frohen und Unschuldigen und Herzlosen können fliegen.«
»Was ist das: die Frohen und Unschuldigen und Herzlosen? Dann will ich auch froh und unschuldig und herzlos sein.«
Oder Wendy gibt viel eicht zu, daß sie doch etwas sieht.
»Ich glaube«, sagt sie, »daß es hier im Zimmer ist.«
»Ja, ja, genau«, sagt Jane, »weiter!«
Jetzt sind sie bei dem großen Abenteuer jener Nacht, als Peter hereingeflogen kam und seinen Schatten suchte.
»Der dumme Kerl«, sagt Wendy, »will ihn mit Seife ankleben! Das ging natürlich nicht, und da hat er geweint, und da wurde ich wach und habe ihm den Schatten angenäht.«
»Du hast was ausgelassen«, sagt Jane, die inzwischen die Geschichte besser kennt als ihre Mutter. »Als er weinend auf dem Boden saß, was hast du da gesagt?«
»Ich habe mich im Bett aufgerichtet und gesagt: ›Junge, warum weinst du denn?‹«
»Ja, genau«, sagt Jane und atmet tief durch.
»Und dann ist er mit uns allen ins Niemalsland geflogen zu den Feen und den Piraten und den Rothäuten und zur Nixenlagune und zum Haus unter der Erde und zu dem kleinen Haus.«
»Genau! Was mochtest du am allerliebsten?«
»Ich glaube, das Haus unter der Erde.«
»Ja, ich auch. Was waren die letzten Worte, die Peter zu dir gesagt hat?«
»Die letzten Worte waren: ›Warte nur immer auf mich, dann hörst du mich eines Nachts krähen.‹«
»Genau.«
»Ach, er hat mich doch vergessen.« Wendy sagte das mit einem Lächeln. So erwachsen war sie.
»Wie hat sich sein Krähen angehört?« fragte Jane eines Abends.
»Ungefähr so«, sagte Wendy und versuchte, es nach-zuahmen.
»Nein, nein«, sagte Jane feierlich, »es ging so.« Und sie konnte es viel besser als ihre Mutter.
Das erschreckte Wendy ein bißchen. »Liebling, woher weißt du das?«
»Das hör ich oft im Schlaf«, sagte Jane.
»O ja, viele Mädchen hören das im Schlaf, aber ich war die einzige, die es hörte, wenn ich wach war.«
»Toll!« sagte Jane.
Und dann, eines Nachts, kam die Tragödie. Es war Frühling, die Gutenachtgeschichte war erzählt, und Jane schlief in ihrem Bett. Wendy saß auf dem Fußboden, sehr nahe beim Kamin, damit sie Licht fürs Strümpfe-stopfen hatte, denn ein anderes Licht brannte nicht, und während sie da saß und stopfte, hörte sie ein Krähen.
Dann flog das Fenster auf wie damals, und Peter fiel auf den Boden.
Er hatte sich überhaupt nicht verändert, und Wendy sah sofort, daß er noch all seine ersten Zähne hatte.
Er war ein kleiner Junge, und sie war erwachsen. Sie hockte am Kamin und wagte nicht, sich zu bewegen, hilflos und mit schlechtem Gewissen, eine richtig große Frau.
»Hallo, Wendy«, sagte er und merkte gar nicht, wie groß sie geworden war, denn vor allem war er mit sich selbst beschäftigt, und in dem Dämmerlicht konnte man ihr weißes Kleid auch für das Nachthemd halten, in dem er sie zuerst gesehen hatte.
»Hallo, Peter«, erwiderte sie schwach und machte sich so klein wie möglich. Etwas in ihr rief: »Ich will keine Frau sein!«
»Hal o, wo ist John?« fragte er, denn plötzlich vermißte er das dritte Bett.
»John ist jetzt nicht hier«, sagte sie verlegen.
»Schläft Michael?« fragte er mit einem flüchtigen Blick auf Jane.
»Ja«, antwortete sie und hatte das Gefühl, daß sie Jane und Peter anlog.
»Das ist nicht Michael«, sagte sie rasch.
Peter guckte. »Hallo, ist das ein Neuer?«
»Ja.«
»Junge oder Mädchen?«
»Mädchen.«
Jetzt würde er sicher begreifen, aber nein, nicht im geringsten.
»Peter«, sagte sie stockend, »willst du, daß ich mit dir fortfliege?«
»Natürlich, deshalb bin ich ja gekommen.« Und er fügte etwas streng hinzu: »Hast du den Frühjahrsputz vergessen?«
Sie wußte, daß es sinnlos war, ihm zu sagen, daß er schon so manchen Frühjahrsputz vergessen hatte.
»Ich kann nicht mitkommen«, sagte sie entschuldigend, »ich weiß nicht mehr, wie man fliegt.«
»Das bring ich dir schnell wieder bei.«
»Nein, Peter, heb dir den Feenstaub für jemand anderes auf.«
Sie hatte sich erhoben, und da kriegte er Angst und zuckte zusammen. »Was ist los?« rief er.
»Ich mache das Licht an«, sagte sie, »dann kannst du es selber sehen.«
Ich glaube, es war fast das einzige Mal in seinem Leben, daß Peter Angst bekam. »Laß das Licht aus«, rief er.
Sie fuhr dem armen Jungen durchs Haar. Sie war kein kleines Mädchen mehr, dem das Herz brach, sie war eine erwachsene Frau, die zu al dem lächeln konnte – aber Tränen standen doch in ihren Augen.
Dann machte sie das Licht an, und Peter sah, was er nicht sehen wollte. Er schrie vor Schmerz, und als die große schöne Gestalt sich vorbeugte, um ihn auf den Arm zu heben, wich er schnell aus.
»Was ist los?« rief er noch einmal.
Sie mußte es ihm sagen.
»Ich bin alt, Peter. Ich bin über zwanzig. Ich bin schon lange erwachsen.«
»Das wolltest du nicht, du hast es versprochen!«
»Ich kann nichts dafür. Ich bin eine verheiratete Frau, Peter.«
»Nein, bist du nicht.«
»Doch, und das kleine Mädchen im Bett ist mein Kind.«
»Nein, ist es nicht.«
Aber es stimmte wohl doch. Mit gezücktem Dolch ging er auf das schlafende Kind zu. Natürlich hat er nicht zugestoßen. Statt dessen setzte er sich auf den Boden und schluchzte, und Wendy wußte nicht, wie sie ihn trösten sollte, obwohl sie das einmal so gut gekonnt hatte. Jetzt war sie bloß eine Frau, und sie lief aus dem Zimmer und versuchte nachzudenken.
Peter heulte weiter, und bald wurde Jane wach. Sie richtete sich im Bett auf und war sofort interessiert.
»Junge«, sagte sie, »warum weinst du denn?«
Peter stand auf und machte eine Verbeugung, und sie verneigte sich im Bett.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo«, sagte Jane.
»Ich heiße Peter Pan«, sagte er.
»Ja, ich weiß.«
»Ich will meine Mutter holen und mit ihr ins Niemalsland.«
»Ja, ich weiß«, sagte Jane, »ich habe dich erwartet.«
Als Wendy wiederkam, saß Peter auf dem Bettpfosten und krähte majestätisch, und Jane flog in ihrem Nachthemd durchs Zimmer.
»Sie ist meine Mutter«, erklärte Peter, und Jane landete und stand neben ihm.
»Er braucht eine Mutter so sehr«, sagte sie.
»Ja, ich weiß«, sagte Wendy ziemlich hilflos, »keiner weiß das so gut wie ich.«
»Leb wohl«, sagte Peter zu Wendy und erhob sich in die Luft, und die herzlose Jane tat es ihm nach.
Wendy stürzte zum Fenster.
»Nein, nein«, rief sie.
»Es ist doch Zeit für den Frühjahrsputz«, sagte Jane.
»Ich muß ihm immer beim Frühjahrsputz helfen.«
»Wenn ich nur mitfliegen könnte«, seufzte Wendy.
»Aber du kannst nicht fliegen«, sagte Jane.
Natürlich ließ Wendy sie am Ende doch wegfliegen.
Da steht sie am Fenster und schaut ihnen nach, bis sie so klein wie Sterne sind.
Wenn du Wendy genau anguckst, siehst du vielleicht, daß ihre Haare weiß werden, denn all das geschah vor langer Zeit. Jane ist jetzt eine gewöhnliche Erwachsene.
Sie hat eine Tochter namens Margaret, und immer wenn es Zeit ist für den Frühjahrsputz, kommt Peter (außer wenn er es vergißt) und holt Margaret und fliegt mit ihr ins Niemalsland, wo sie ihm Geschichten von Peter Pan erzählt, die er mit großem Interesse anhört. Wenn Margaret erwachsen ist, wird sie eine Tochter haben, und die wird wieder Peters Mutter sein, und so geht das immer weiter, solange Kinder froh und unschuldig und herzlos sind.