Es gibt über mich einen alten Witz von Mike Krüger:

»Sitzen zwei Mücken in einer Kneipe. Sagt die eine: Guck mal, am Tresen sitzt Heiner Lauterbach. Sagt die andere: Stich du ihn, ich muss noch fahren.«

Es ist die eine Sache, dass ich schon bessere Witze gehört habe. (Einen zum Beispiel werde ich gleich anfügen. Es ist wirklich nur rein zufällig einer über Mike Krüger.) Das größere Problem an diesem Witz ist allerdings, dass jeder ihn sofort versteht.

In der Tat gibt es da wenig zu beschönigen. In der erste Hälfte meines Lebens habe ich garantiert mehr Zeit in Kneipen verbracht, als in meinem Wohnzimmer. Fast fünfzig Jahre lang war mein Leben dem Alkohol, dem Spiel, den Frauen und dem Vergnügen verschrieben. Und ich habe wohl alles gemacht, wovon ein Arzt dringend abraten würde.

Der österreichische Popstar Falco hat mal gesagt: Wer sich an die 80er Jahre erinnern kann, hat sie nicht gelebt. Wenn ich seinen Spruch adaptieren wollte, müsste ich sagen: Wer sich von 1972 bis 2001 an irgendwas erinnern kann, hat nicht gelebt. Hört sich aber blöd an. Auf Wunsch des Verlags nannte ich die Biografie über diese wunderschöne Zeit bekanntlich: Nichts ausgelassen. Das war das Ganze in etwas kürzer.

Mit meiner Wende habe ich dann im Bekanntenkreis für einige Überraschung gesorgt. Nicht wenige von meinen Freunden und Bekannten hätten ausgeschlossen, dass mir das gelingen würde. Das sagen sie heute noch. Uwe Ochsenknecht zum Beispiel. Er war damals einer der Ersten, die mich im Krankenhaus besucht haben, als ich das erste Mal wegen Vorhofflimmerns in stationärer Behandlung war.

Uwe ist ein guter Kollege, mit dem ich befreundet bin, seit wir 1985 zusammen den Film Männer gedreht haben. Er kennt mich also schon ein ganzes Weilchen.

Nach dem Tod von Bernd Eichinger telefonierte ich mit Til Schweiger. Wir drei waren ja gute Freunde und eine Zeit lang ziemlich heftig unterwegs. Til sagte: »Ganz ehrlich Heiner, wenn mir vor ein paar Jahren einer gesagt hätte, dass Bernd von uns dreien als Erster den Löffel abgibt, ich hätte ihm nicht geglaubt.« Ich weiß, was er eigentlich sagen wollte. Dass es sehr lange danach ausgesehen hatte, als wäre ich derjenige, der sich bald verabschiedete.

Auch sonst hätte wohl niemand gedacht, dass ausgerechnet ich mein Leben derart umkrempeln und eines Tages ein treusorgender, braver Familienvater werden könnte. Und schon gar nicht, dass ich das jetzt über all die Jahre durchhalten würde.

Viele haben mich später gefragt, wie ich das bloß geschafft hätte. Meine 180-Grad-Wende schien in der Tat erklärungsbedürftig. Ja, wie habe ich das geschafft?

Wenn ich das nur wüsste.

Aber ich versuche mich zu erinnern. Ich versuche aufzuzeigen, wie so was möglich ist.

Auf dass meine bescheidenen Ein- und Ansichten zu diesem Thema jemandem nützen mögen.

Aber davor noch der Witz über Mike Krüger.

Gerda Krüger hat einen Sohn. Fritzchen. Und einen Bruder. Mike. Fritzchen ist bekannt dafür, dass er seine freche Klappe nicht halten kann. Muss wohl in der Familie liegen. Eines Tages kündigt Mike seinen Besuch bei Gerda an. Die bittet Fritzchen zu sich:

»Fritzchen, heute kommt der Onkel Mike zu Besuch.«

»Na und?«

Die Mutter druckst herum.

»Also es ist so …«

»Ja?«

»Also der Onkel Mike … der hat eine sehr lange Nase … und ich möchte nicht, dass du auch nur ein Wort darüber verlierst.«

»Geht klar«, sagt Fritzchen und verschwindet in seinem Zimmer.

Gerda sieht ihm nach und hat kein gutes Gefühl.

Mike kommt, Gerda hat Schwitzehändchen vor Aufregung. Fritzchen hat nur Augen für Mikes Nase, aber er sagt nichts.

Während des Essens erzählt Mike seine lustigen Geschichten. Aber keiner lacht. Fritzchen schaut nur auf die Nase. Gerda schwitzt.

Der Hauptgang ist vorbei, die Nachspeise kommt. Fritzchen fixiert die Nase. Die Mutter schlingt die Nachspeise runter, zieht Fritzchen aus dem Zimmer, um ihn endlich ins Bett zu bringen. Völlig erleichtert kommt sie an den Tisch zu Mike zurück:

»So, jetzt mach ich uns erst mal ’n Kaffee, was meinst du Mike?«

»Gern. Wo ist denn Fritzchen?«

»Ach, der war so müde. Den hab ich ins Bett gebracht«, sagt Gerda immer noch erleichtert und dankbar, dass Fritzchen endlich im Bett ist. Sie steht auf, um den Kaffee zu machen. Auf dem Weg in die Küche ruft sie Mike über die Schulter: »Was ist Mike, nimmst du auch Zucker und Milch in deine Nase?«

DER GESUNDHEITSMANN

Das ging schon mit diesem Wort los.

»Gesundheit«!?

War das nicht das Wort, das man sagte, wenn einer niesen musste?

Ich muss gestehen: Früher habe ich diesem Wort keinen besonderen Stellenwert beigemessen. In meinem aktiven Wortschatz kam »Gesundheit« in etwa so häufig vor wie das Wort »Dunstabzugshaube«, »Lockenstab« oder »Quadratwurzel« – also so gut wie gar nicht. Junge Menschen machen sich keinen Kopf um Herzklappen, Leberwerte oder Raucherhusten. Wenn man ihnen zur Abschreckung im Schulunterricht eine verteerte Raucherlunge zeigt, passiert bekanntlich Folgendes: Auf diesen Schock müssen sie sich erst einmal eine Kippe anstecken.

So kreisten auch meine allgemeinen Lebensbetrachtungen als junger Mensch eher um Filme, Frauen und alle legal oder illegal erhältlichen Formen von Rauschmitteln – wenn ich mir denn überhaupt sehr planerische Gedanken über meine nächste Zukunft machte. Manchmal gingen die Pläne auch nicht über die Frage hinaus, in welcher Kneipe ich am nächsten Abend Karten spielen oder in welcher Stadt ich in den nächsten Wochen halbwegs pünktlich zum Dreh erscheinen musste. Das meiste ließ ich einfach auf mich zukommen wie der Golfball seinen Schläger – Hauptsache, es gab einen guten Drive.

Meine eigenen körperlichen Befindlichkeiten waren für mich jedenfalls jahrelang kein großes Thema, genau genommen sogar jahrzehntelang nicht. Eher schon war Gesundheit für mich so etwas wie eine Ressource, die man bedenkenlos verbrauchen durfte, wie Luft oder Sonnenlicht. Ein Multimillionär machte sich ja auch keinen Kopf darum, ob sein Kleingeld reichte. Der nahm so lange Geld aus dem Portemonnaie, bis der Beutel leer war. Und dann holte er neues Geld von seinem Bankkonto. So verfuhr ich auch mit meiner Gesundheit. Das Konto schien voll, mein Dispo unerschöpflich.

Wenn früher einer zu mir sagte: »Rauchen ist aber ungesund!«, dachte ich mir als junger Mensch: »Ich weiß schon!« Und dann: »Aber was interessiert mich das?« Menschen, die anstatt Steak nur noch Salate aßen, kamen mir immer ein wenig freudlos vor. Obwohl ich schon als kleiner Junge gerne und viel Salat gegessen habe. Meine Mutter stellte uns Kindern immer eine Schale Grünes auf den Tisch. Aber eben als Beilage, nicht als Hauptgang – und schon gar nicht als einzige Mahlzeit.

Früher habe ich mir, wenn ich irgendwo auf einer Sonnenliege lag und einen Long Drink bestellt habe, immer einen langen Strohhalm ins Glas stecken lassen, damit ich beim Trinken nicht aus versehen einen Sit-up gemacht habe. Wenn mich Männer gefragt haben, wie viel Gewicht ich heben kann, habe ich geantwortet: »Seh’ ich aus wie ’n Gabelstapler?« Am lustigsten aber fand ich immer die Menschen, die freiwillig um den See vor meiner Haustür joggten, am besten noch in professioneller Fitnesskleidung oder mit diesen Nordic-Walking-Stöcken in der Hand, die eine Weile so in Mode waren. Ich meine: Da kann die Menschheit nun auf so viele Jahre Zivilisationsgeschichte zurückblicken. Die Menschen haben das Rad erfunden, Motoren und bequeme Autositze und sie haben außerdem gelernt, sich halbwegs modisch einzukleiden. Warum sollte ich meine Füße in bunte Turnschuhe stecken und meine Beine mit einer strumpfhosenartigen Leggins bekleiden, in der ich nicht einmal meinen engsten Freunden unter die Augen treten würde? Warum sollte ich den Fortschritt nicht nur Fortschritt sein lassen, sondern ihn auch noch um Jahrtausende zurückdrehen und mich freiwillig und auf den eigenen zwei Beinen um diesen See bewegen, den die Natur nun schon so malerisch und bequemerweise ja direkt vor meiner Haustür platziert hatte, zudem mit Holzbänken ausgestattet, die zum hinsetzen und verweilen einluden? Und wo sollte das enden? Wollte ich dann mit achtzig mit Rollerblades an den zittrigen Füßen und Riesenprotektoren an den Gelenken zum Schrecken der lokalen Landbevölkerung werden?

Wenn ich einmal auf die andere Seite des Starnberger Sees wollte – zum Beispiel, um mich noch einmal zu vergewissern, dass meine Uferseite tatsächlich die schönere war –, dann nahm ich halt ein Motorboot. Das war auch viel kommoder. Außerdem hatte man beim Steuern eine Hand frei, um die Zigarette zu halten. Beim Joggen war das mit dem Rauchen eher schwierig. Ich habe jedenfalls noch nie einen Jogger gesehen, der es in halbwegs überzeugender Eleganz geschafft hätte, beim Laufen eine Kippe in der Hand zu halten.

Heute bin ich selbst einer von denen, die ihre Gesundheit nicht nur ernst nehmen, sondern auch einiges tun dafür. Ich meine damit nicht nur Apotheken-Rundschau lesen, Vitamintabletten schlucken oder sich einen Termin beim Arzt geben lassen. Das kann jeder. Ich mache fünf Mal in der Woche Sport, ich achte auf mein Gewicht, ich habe das Gefühl, ich nehme an manchen Tagen mehr biologisch angebautes Grünzeug zu mir als ein ausgewachsener Koala-Bär und von Nikotin und anderen Drogen lasse ich die Finger. Ich bin heute mit meinen sechzig Jahren leistungsfähiger und fitter, als ich es mit vierzig war.

Eine Freundin von meiner Frau hat einmal gesagt, die Viktoria hätte das schon recht geschickt angestellt. »Du hast dir einen älteren Mann gesucht, der schon ein bisschen Geld und Erfahrung hatte«, meinte sie zu ihr und lachte, nachdem sie mir eine Weile beim Rudern in meinem eigenen kleinen Fitnessstudio zugesehen hatte. »Und dann hast du dir deinen Mann einfach wieder zehn Jahre jünger hintrainiert!«

Dass ich jetzt so fit und gesund bin, und zwar nun schon seit gut zehn Jahren, kommt mir heute so normal vor wie die Tatsache, dass auf Freitag Samstag folgt. Aber manchmal muss selbst ich noch ein wenig schmunzeln, wenn ich an mein früheres Leben zurückdenke. Es ist natürlich schon ein gewaltiger Kontrast, wenn man mein jetziges Leben damit vergleicht, wie ich früher meine Tage und vor allem meine Nächte gestaltet habe. Hätte zum Beispiel Mutter Theresa eine ähnlich große Wende in ihrem Leben hinlegen wollen, sie hätte umgekehrt schon bei den Hells Angels eintreten müssen, um einen vergleichbaren Kontrast zu erzeugen.

Manch ein Taxifahrer, der mich noch von früher kennt und mich damals oft in die Stadt gefahren hat, ist heute noch erstaunt, wenn er auf die Frage: »Wo soll’s denn hingehen?«, die Antwort erhält: »Ins Fitness-Studio.« Und nicht: »In die nächste Kneipe« (oder Schlimmeres.)

Es ist gar nicht so lange her, dass ich ein seltsames Schreiben aus dem Briefkasten fischte. Es war ein Brief von der Bunten, adressiert an mich persönlich. Da es sich also nicht um die übliche Korrespondenz zwischen dem Burda Verlag und meinem Management zu handeln schien, machte ich den Brief auf und las die Betreffzeile, und daraufhin den ganzen Brief: Es ging darum, dass ich nominiert worden war für einen Preis.

Nun stand ich allerdings nicht zur Wahl zum »The Sexiest Man Alive« – was meiner Meinung nach, trotz aller Bescheidenheit, auch ein angemessener Preis gewesen wäre und sich als Trophäe auf unserem Kaminsims besonders hübsch gemacht hätte. Es ging auch nicht um einen Film, den ich in letzter Zeit gedreht hatte. Genauso wenig sollte ich zum »Pünktlichsten Schauspieler des Jahres« gekürt werden, oder, was mich noch weniger verwundert hätte, zum »Größten Partykönig der Neunziger Jahre«. Nein, tatsächlich informierte man mich, dass ich in die engere Auswahl gekommen war zum »Gesundheitsmann des Jahres«. Ausgerechnet ich. Gesundheitsmann! Das fand ich schon ganz witzig.

Mich amüsierte das sogar so sehr, dass ich sofort meine Frau anrief. Viktoria beschloss spontan: »Die Wahl gewinnst du!« Viktoria ist allerdings immer davon überzeugt, dass ich gewinne und alle Aufträge bekomme, sie ist eine wunderbare Optimistin; ich könnte auch eine Einladung zu einem lokalen Häkelwettbewerb erhalten und sie sähe mich bereits mit dem Pokal in der Hand auf dem Siegerpodest triumphierend eine selbstgefertigte Mütze hochhalten.

Was soll ich sagen? Viktoria sollte wie immer recht behalten. Ich gewann die Wahl. Dabei hatte die deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. neben mir unter anderem den Ex-Handballnationalspieler Heiner Brand, den Olympiasieger und Weltrekordhalter im Skispringen, Sven Hannawald, den Moderator Markus Lanz, den 26-jährigen Profiboxer Marco Huck und den Schriftsteller Frank Schätzing nominiert. Ich schätze, da war jeder Einzelne fitter als ich. Vielleicht sogar Markus Lanz, Deutschlands neuer Lieblings-Schwiegersohn, Talk-Master, Koch-Talker und Wetten dass?-Moderator. Der ist im Auftrag einer Fernsehproduktion immerhin schon einmal bis zum Südpol gepilgert. Gut, ich treibe fünf Mal die Woche für 90 Minuten Sport und gehe regelmäßig auf den Golfplatz. Bei diesem »missratenen Spaziergang«, wie Mark Twain eine Runde Golf mal genannt hat, geht man immerhin so an die zehn Kilometer. Ich muss aber zugeben, dass es im Vergleich zur Strecke München-Südpol wohl eher eine Kurzstrecke ist. Wie auch immer: Ich verwies sie alle auf die Plätze.

Natürlich fand ich, dass die Wahl nicht nur auf einen besonders sympathischen Kandidaten gefallen war, sie zeugte auch von so etwas wie Intelligenz. Denn wie so oft im Leben kam es doch auf die Entwicklung an. Das galt für Börsenkurse genauso wie für Gesundheitsfragen. Und meine Entwicklung, um im Bild zu bleiben, war die von einem maroden Ein-Mann-Betrieb hin zu einem solventen Dax-Unternehmen.

Nicht viele Wochen danach war ich übrigens selbst bei Markus Lanz in der Talkshow eingeladen. Angesprochen auf meine Wahl hat er mich in der Sendung allerdings nicht. Wenn er sich insgeheim ein wenig gewundert hat, dass man mich für den Gesünderen von uns beiden hielt, dann hat er es sich zumindest nicht anmerken lassen.

NIE ZU SPÄT

Ich wette gerne. Ich hab ja mal mit einem Kumpel gewettet, dass ich einen Oscar kriege. Das war kurz bevor mein Sohn Oscar auf die Welt kam. Vor Kurzem hätte ich auch gerne mein Geld darauf gesetzt, dass Deutschland sowohl Europa- als auch Weltmeister im Fußball wird. Während ich die Oscar-Wette natürlich gewonnen hatte, hätte ich die zweite leider verloren. Gott sei Dank hat die Wette niemand angenommen. Vielleicht weil der Zeitraum für eine Sportwette zu langfristig war – zum Glück, ich hätte sicher viel gesetzt und daher kräftig verloren. Und dieser Verlust wäre meiner wachsamen Frau ganz sicher nicht entgangen.

In Großbritannien kann man eigentlich auf alles wetten. Aber auch in Deutschland sind die Buchmacher mittlerweile so weit, sich hin und wieder auf verrückte Sachen einzulassen. Einer meiner ersten Gedanken nach meinem Sieg zum Gesundheitsmann war: Mist, darauf hättest du wetten sollen. Was für eine Quote ich wohl erhalten hätte. Ich stellte mir vor, wie ich damals an einem meiner üblichen Samstage irgendwann in den 1990ern um elf Uhr morgens ein Wettbüro betreten hätte. Hinter mir lagen vermutlich ein Besuch der Münchner Edel-Disko P1 und irgendeiner Frühkneipe, die erst um Mitternacht aufmachte und die letzten Gäste gegen zehn aus dem Haus kehrte. Aufgedunsen, mit rot geränderten Augen und selbst wie eine Kneipe riechend, hätte ich torkelnd das Wettbüro betreten. Kippe im Mund, rechts ’ne Bottle Wodka und links eine nicht mehr taufrische Blondine im Arm. Ich hätte einen Tausender auf den Tresen geknallt und gelallt: »Ich mach mit dir Wettfuzzie ’ne Wette, hicks. Ich wette, dass ich in spätestens zehn Jahren zum Gesundheitsmann gewählt werde, hicks. Was krieg ich für ’ne Quote, Wettfuzzie?« Der Buchmacher hätte den Schein so schnell vom Tisch gewischt, dass ich es gar nicht mitbekommen hätte und gesagt: »Such dir ’ne Quote aus.« Im Ernst, das Wettbüro hätte mir garantiert eine so irre Quote angeboten, dass ich heute Multimillionär wäre.

Ich persönlich hätte natürlich damals keinen Penny auf mich gesetzt. Auch meine Freunde hätten ausnahmslos dagegen gewettet und ich hätte es ihnen nicht verübelt. Was für eine Auszahlung sie wohl erhalten hätten für die Prognose, dass ich in fünfzehn Jahren dem heutigen Treiben auf Erden eher von einer Wolke denn von einem Fitnessstudio aus zugucken würde? Der Erlös hätte vermutlich nicht einmal für eine anständige Krawatte zu meiner Beerdigung gereicht.

Ich sage das hier alles mit einem Augenzwinkern, und das soll auch so bleiben. Ich will mich weder als großer Moralapostel aufspielen noch mich als einen Helden feiern, weil ich es geschafft habe, mein Leben umzukrempeln. Aber ich weiß, dass es ganz viele Menschen gibt – nicht zuletzt in meinem früheren Freundeskreis – die ein bisschen Moral und auch den einen oder anderen Apostel gut gebrauchen könnten. Und das ist der einzige Grund, warum ich das hier noch einmal so offen sage: Wenn ich damals das Ruder nicht noch in letzter Sekunde herumgerissen hätte, hätte sich die Krawatten-Frage in der Tat gestellt. Und das wäre schade gewesen. Für mich zumindest. Dann hätte es nämlich so viel anderes auch nicht gegeben, was mich heute glücklich macht. Meine kleine Familie zum Beispiel. Oder die Filme, die ich drehe. Oder meine Freunde. Mein Klavier. Und vieles mehr.

Wenn ich eines mit diesem Buch gerne vermitteln möchte, dann das: Es ist eigentlich nie zu spät, die Notbremse zu ziehen. Es ist immer noch Platz für ein zweites Leben.

Es ist erstaunlich, was alles möglich ist, und wie viel der Körper und das ganze Leben bereit ist, noch einmal zu verzeihen. Man muss dafür kein großer Held sein. Ich war weder prädestiniert dazu, Alkoholiker zu werden, noch habe ich über magische Fähigkeiten verfügt, die es mir erlaubt haben, meinem Leben eine positive Wende zu geben. Also nochmals: Auch wenn man sich nicht im Entferntesten vorstellen kann, dass da noch was zu kitten ist, wenn man körperlich, geistig und seelisch am vermeintlichen Ende ist, wenn der Willen schon gebrochen scheint – es ist nie zu spät.

Es gab ein paar Umstände in meinem Leben, die dazu geführt haben, dass ich in bestimmte Kreise geraten bin und dass ich angefangen habe, regelmäßig und viel zu trinken. Das passiert schneller, als man denkt. Ich bin nicht zum Alkoholiker geboren und ich hatte es auch nicht schwer im Leben, sodass ich keinen anderen Ausweg sah, als meinen Kummer im Schnaps zu ertränken. Ich bin da einfach so hineingeraten. Und genauso wie ich da hineingeraten bin, bin ich da auch wieder herausgekommen.

Der Mensch verdrängt ja, was nicht so schön war im Leben und erinnert sich lieber an die guten, alten Zeiten. Aber ich weiß genau, dass es sich allzu gut am Ende nicht mehr anfühlte, und deshalb kann ich auch besser als manch ein Sozialarbeiter oder anderer Experte beurteilen, wie es Leuten geht, die an diesem Punkt sind, an dem ich damals war. Und ich weiß, wovon ich rede, wenn ich Jugendlichen rate, das mit Alkohol und Drogen lieber sein zu lassen.

Ich habe damals gehustet wie ein defekter Auspuff. Wenn man mich zum Beispiel gebeten hätte, ein paar Meter zu joggen – ich wäre womöglich tot zusammengebrochen. Meine Cholesterin-Werte waren jämmerlich. Durch meine Adern floss quasi zerronnenes Schmalz. Mein Herzmuskel war angegriffen, was sich medizinisch ausgedrückt als Vorhofflimmern bemerkbar machte und ganz real als Stechen in der Brust, wenn ich nur mal eine Treppenstufe nehmen wollte. Meine Leber war vergrößert und die Werte so schlecht, dass mein Arzt nur noch zu dramatischen Adjektiven griff, wenn er mit mir darüber redete. Dass die Leber ihren Dienst nur noch widerwillig verrichtete, wusste ich selbst, ich fühlte ja das Gift in meinem Körper. Wenn ich einmal keine Kopfschmerzen hatte, fragte ich mich, ob ich eigentlich noch am Leben war, und mein Magen war so sauer, dass man darin vermutlich einen Eisennagel hätte auflösen können. Schon wenn ich mir die Schnürsenkel zubinden wollte, hatte ich danach einen Kopf so rot wie eine Blutorange. Mein Arzt sagte mir damals, dass ich noch einen Monat bis ein Jahr zu leben hätte, wenn ich so weitermachte. Er hätte es mir aber gar nicht zu sagen brauchen. So etwas spürt man auch selbst. Man merkt, dass die anderen betreten schweigen, wenn man über längerfristige Zukunftspläne redet. Vermutlich hätte mir keiner meiner Freunde damals noch einen Kredit gegeben, der eine längere Laufzeit als ein, zwei Jahre gehabt hätte. Meine Gedanken drehten sich dennoch permanent darum, was ich als Nächstes trinken könnte. Ist ja auch irgendwie verständlich. Schließlich stand es nicht so gut um mich und ich musste dringend etwas unternehmen, um mich möglichst schnell von diesen unguten Gedanken abzulenken.

Das soll an dieser Stelle reichen als kleiner Beleg. Ich weiß wirklich, wovon ich rede, wenn ich sage: Selbst wenn man das Gefühl hat, man ist ganz unten angekommen, selbst wenn es einem noch so dreckig geht, es ist problemlos möglich, wieder richtig fit zu werden. Es ist gar kein großes Thema.

In Deutschland saufen sich bekanntlich mehr Menschen zu Tode als durch Suizid und Verkehrsunfälle zusammen ums Leben kommen. Über sieben Prozent aller gesundheitlichen Störungen und vorzeitigen Todesfälle in Europa gehen ursächlich auf Alkohol zurück. Alkoholabhängigkeit ist die häufigste psychische Krankheit bei Männern in den reichen Ländern des Westens. Allein in Deutschland sind 1,3 Millionen Menschen alkoholabhängig, hinzu kommen 2,7 Millionen Menschen mit regelmäßigem Alkoholmissbrauch. Bei jungen Männern ist Alkohol sogar die häufigste Todesursache, und da sind die Autounfälle wegen Alkohol am Steuer noch nicht mit eingerechnet.

Oder das Übergewicht – ein riesiges Problem, vor dem die Weltgesundheitsorganisation die Länder des Westens schon seit Jahren warnt. Jeder vierte Deutsche ist deutlich zu dick, belegt eine Studie aus 2012 des Robert Koch-Instituts. Die Zahlen sind seit 1998 stark gestiegen. Übergewicht erhöht das Risiko für diverse Krankheiten, etwa für Diabetes, aber auch für Krebs und Herzerkrankungen. Ein Freund, der etliche Kilo zu viel hat, beteuert seit dreißig Jahren: »Ab morgen nehme ich ab.« Ich bin der Überzeugung: Wenn man immer ein schlechtes Gewissen mit sich herumschleppt, wird man zusätzlich krank. Ich habe wenigstens mit Genuss gesündigt – wenn’s auch nur ein kleiner Trost ist.

Jeder Mensch hat eine Vision. Vermutlich träumt auch jeder ein bisschen davon, sich unsterblich zu machen. Manche wollen einen Oscar gewinnen oder den Literaturnobelpreis. Andere brechen einen Rekord im Guinness Buch, zum Beispiel im einbeinigen Sackhüpfen, um dort verewigt zu werden, ritzen ihren Namen in Baumstämme oder zeugen unendlich viele Kinder. Ich würde mir etwas anderes wünschen. Es gibt Erhebungen, die sagen, dass der Deutsche im Durchschnitt 700 Meter am Tag geht. Als ich das gelesen habe, war ich doch ziemlich schockiert. Bei mir dürften es heute 15 Kilometer am Tag sein. Nehmen sie die ganzen Jogger, Sportler, Bedienungen in Lokalen und all die anderen Menschen, die den Schnitt hochtreiben – dann können sie sich vorstellen, wie viel die noch gehen, die ihn runterziehen. Mein Wunsch wäre es nun, dass wir alle zusammen daran arbeiten würden, diesen Schnitt Stück für Stück in die Höhe zu treiben. Jeder für sich und somit einer für alle. Jeden Tag mit kleinen Dingen anfangen. Eine Station vorher aus der Bahn steigen und den Rest ins Büro laufen. Den Weg in die nächste Pizzeria mal zu Fuß zurücklegen, auch wenn man vorhat, nichts zu trinken. Oder die Treppe nehmen statt des Aufzugs.

DER LIFTER

Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es scheint unter den Menschen, die hin und wieder von mir besucht werden wollen, zwei Kriterien zu geben, wonach sie ihre Wohnungen aussuchen:

1. Sie wohnen immer ganz oben.

2. Es gibt keinen Fahrstuhl.

Früher musste ich mit sehr viel Zeit im Vorfeld anreisen, weil ich wusste, dass ich ewig brauchen würde, um in den fünften Stock hinauf zu schnaufen. Am schlimmsten war es, wenn in einer balkonlosen Wohnung dann auch noch Rauchverbot herrschte. Ich konnte mir überlegen, ob ich die Mühsal eines Hofgangs auf mich nahm und mich für gut eine Stunde von meinen Freunden verabschiedete, eine Diskussion mit der Dame des Hauses über Rauchverbote und den Kontrollstaat anzettelte oder stumm an meinen Entzugserscheinungen litt. Damals hätte ich mir hin und wieder einen Treppenlift gewünscht, wie er in Zeitschriften immer mit diesen glücklich lächelnden Senioren beworben wird. Das einzige Problem war, wie man es schaffte, ihn zu benutzen und dabei trotzdem cool auszusehen. Die Beantwortung dieser schwierigen Frage habe ich mir jetzt für einen späteren Lebensabschnitt aufgehoben. Heute überhole ich selbst Kinder, Katzen und Windhunde auf den Stiegen. Also – meine Kinder haben noch ein bisschen Zeit, bis sie sagen können: »Wenn früher unser Vater nachts nach Hause kam, haben wir Gläser und Flaschen klirren gehört. Heute hören wir nur noch den Treppenlift.«

Wenn alle Menschen in Deutschland zumindest hin und wieder auf den Fahrtstuhl oder die Rolltreppe verzichteten, ich glaube, es würde tatsächlich den schon so oft herbeigewünschten Ruck durch die Gesellschaft geben. Das ist mein Ernst! Das wäre nicht nur gut für die Gesundheit; es würde auch Energiekosten sparen. Menschen, die sich bewegen, sind auch freundlicher zu ihren Mitmenschen und haben bessere Laune.

Das ist also meine Vision. Ich nenne sie mal – die Lauterbach-Treppe. Das wäre doch was. Würde mir gefallen.

MILDERNDE UMSTÄNDE

Wenn ich heute sage, dass es ganz einfach war, das Leben zu ändern, dann meine ich damit: Man muss es wollen. Das ist eine oft gehörte Binse, das macht sie jedoch nicht falsch.

Man muss dafür für sich wirklich zu dem Schluss gekommen sein, dass es durch die Veränderung mehr zu gewinnen als zu verlieren gibt. Das steht ja keinesfalls fest. Denn natürlich hat man sein altes Leben auch geführt, weil es einem Spaß gemacht hat.

Am allereinfachsten ist es, wenn man gar keine andere Wahl hat. So wie in meinem Fall. Wenn der Arzt sagt: Entweder weiterleben oder weitertrinken.

Aber auch, wenn es noch nicht ganz so weit ist, kann man sich ja ganz in Ruhe und allein für sich die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll wäre, etwas zu verändern. Man kann sich einen Zettel nehmen und auf der einen Seite die Vorteile aufschreiben, die eine Veränderung mit sich brächte und auf der anderen Seite die Nachteile. Dann schläft man darüber. Man sieht sich am nächsten Tag noch mal den Zettel an. Dann trifft man eine Entscheidung. Und die zieht man dann durch. Mit eisernem Willen. Jeder, absolut jeder kann das schaffen.

Ich bin überhaupt kein großer Pläneschmieder. Nie gewesen. Ich bin auch niemand, der viele Hintergedanken hegt, über Bande spielt, oder sich gar Strategien überlegt, bevor er eine Frau anspricht oder über ein Gehalt verhandelt. Ich weiß nicht, ob das gut ist, so zu sein. Es ist eben so.

Aber selbst mir leuchtet ein, dass das ungünstig ist, wenn man im Leben langfristig etwas ändern möchte und keinen Plan hat, wie das gehen soll. Für eine Veränderung braucht man also ein Ziel und einen Weg dahin.

Das habe ich mir ein wenig von meiner Frau abgeguckt. Viktoria ist die Meisterin des Pläneschmiedens. Masterplan ist so etwas wie ihr zweiter Vorname. Es gab damals nicht nur einen mit nahezu mathematischer Präzision ausgefeilten Tischordnungsplan zu unserer Hochzeit, es gibt auch mehrseitige Einkaufszettel oder To-do-Listen. Es gibt einen Schul- und Sportplan für die Kinder. Insgeheim habe ich sie manchmal im Verdacht, sie hätte sogar einen Masterplan für ihren Mann.

Ich betone immer wieder und mache das auch hier, dass ich es ohne Viktoria vermutlich nicht geschafft hätte. Zum einen hat sie mir in Form ihrer Person ein Ziel vor Augen gehalten für das es sich lohnte, diesen Kraftakt zu vollführen, zum anderen war sie meine Kontrolleurin; begleitete mich ständig mit einem wachsamen Auge.

Dabei hat sie nie versucht, mich zu erpressen. Sie hat mich nie mit Sanktionen belegt, beleidigt oder bösartig reagiert, wenn ich eine Zigarette geraucht oder ein Glas Wein getrunken habe. Sie musste auch gar nicht aussprechen, dass es mit uns nicht lange gut gehen würde, wenn ich mein Leben nicht änderte. Das war mir selbst klar.

Viktoria trinkt nicht, hat noch nie geraucht und noch nie Drogen genommen. Sie treibt sich nicht gerne lange auf Partys herum und achtet ohnehin darauf, nur Dinge zu machen, die ihr guttun. Sie war also genau die Richtige für mich. Wäre sie selbst ständig mit einer Zigarette oder einem Schnaps bei mir angekommen, wir hätten uns sicherlich gegenseitig immer wieder in den Abgrund gezogen.

Oder umgekehrt: Hätte sie Druck ausgeübt, wäre ich sicher bockig geworden. Nur durch ihre Geduld und ihr ernsthaftes, geduldiges Abwarten hat sie es mir so einfach gemacht. Den Rest hat mein Willen erledigt. Und wenn ich wirklich mal in Versuchung war von meinem Plan abzuweichen, hat sie mich nur angesehen. In diesem Blick lag dann so viel Liebe und Fürsorge, dass ich es nicht über das Herz brachte, sie zu enttäuschen.

Es gibt also nicht nur die eine Seite, die planvolle, die etwas mit einem starken Willen zu tun hat. Sondern auch die äußeren Umstände spielen eine Rolle. Bis zu einem gewissen Grad ist man ja in der Lage, diese zu beeinflussen. Man muss alle Hebel in Bewegung setzen um sich ein möglichst perfektes Umfeld für sein Vorhaben zu schaffen. Wenn man sich nämlich die aktuellen Studien dazu einmal anguckt, dann spielen günstige Umstände bei allen Verhaltensänderungen die entscheidende Rolle.

So bringt zum Beispiel die Salatbar in Reichweite und eine Treppe die deutlich näher liegt als der Aufzug, viel mehr als noch so gute Informationen oder wohlgemeinte Ermahnungen. Denn die meisten Entscheidungen treffen Menschen aus Routine und Gewohnheit. Sie würden gerne gesünder essen und sich mehr bewegen. Umso leichter ihnen das gemacht wird, desto eher gelingt eine dauerhafte Verhaltensänderung. Daher kann es eine wichtige Rolle spielen, wo in der Kantine die Salatbar untergebracht ist, oder ob der Fahrstuhl so enervierend langsam fährt, dass sie freiwillig auf die Treppe umsteigen.

Ich habe zum Beispiel ein Fitnessstudio in meinem eigenen Haus. (Okay, diesen günstigen Umstand habe ich mir selbst geschaffen.) Ich muss mich also nicht erst umziehen, mich ins Auto setzen und mich überwinden, in ein Studio mit hundert anderen schwitzenden Leuten zu gehen, um zu meinem regelmäßigen Training zu kommen. Und eine traumhafte Lauf- und Radstrecke habe ich direkt vor der Tür. Ich bin auch in der vorteilhaften Lage, über sehr flexible Arbeitszeiten zu verfügen. Dass ich fünf Mal in der Woche trainieren kann, hat damit zu tun, dass ich so viel Freizeit habe. Bei einem Dreh außerhalb kann ich mir ein gutes Hotel leisten, in dem ich ebenfalls ein paar Geräte habe.

Wenn ich den ganzen Tag im Büro oder auf dem Bau schuften müsste – ich weiß nicht ob ich mich dann abends noch mal an die Rudermaschine in einem fern gelegenen Fitnessclub setzen würde. Oder aufs Rad stiege, um in einem überfüllten Stadtpark zwischen Hundehaufen Slalom zu fahren. Vielleicht würde ich das tun. Vielleicht aber auch nicht.

Deshalb bin ich vorsichtig damit, andere zu ermahnen: »Treib doch jeden Tag Sport, du faule Sau. Ist ganz einfach. Mach ich doch auch.«

THEORETISCHER VEGETARIER

Wie gesagt, schlecht gegessen habe ich nicht. Salat, Knoblauch und Gemüse hat es in meinem Leben vorher schon gegeben. Ich hatte nie besonders große Lust auf Süßigkeiten, und auch fettes Essen reizte mich wenig. Nachdem ich durch den Verzicht auf die hochprozentigen Kalorien ohnehin recht schnell an Gewicht verloren hatte, erhöhte ich zusätzlich noch den Anteil der Farben auf meinem Teller.

Beim Dreh ist es heutzutage kein großes Problem mehr, sich gesund zu ernähren. Das Catering ist in den letzten Jahren viel besser geworden. Nicht nur müssen Vegetarier inzwischen nicht mehr verhungern, es landen ja auch die neuesten Ernährungstrends als Allererstes bei den Schauspielern. Wenn es beim Catering nur Pommes und Torte gäbe, würden die zur Meuterei ansetzen. Schließlich müssen Schauspieler immer besonders darauf achten, schlank und gut auszusehen. Sie leben ja davon. Viele zumindest.

Viktoria war schon auf dem Biotrip, bevor wir uns kennenlernten. Dank ihr gibt es heute nur noch Bio-Essen bei uns. Ich bin sehr froh darüber, natürlich auch im Interesse der Tiere.

Denn obwohl man es mir nicht ansieht und ich leider auch nicht danach handele – im Grunde bin ich Vegetarier. Also, im Kopf und im Herzen. Nur in der Praxis, da schaffe ich es noch nicht so ganz.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Menschen in hundert oder hundertfünfzig Jahren den Kopf darüber schütteln werden, dass wir heute so viel Fleisch essen. Sie werden uns für wild und barbarisch halten, so wie wir uns nicht mehr vorstellen können, dass Menschen einander früher wirklich als Sklaven gehalten oder sich bei Gladiatoren-Kämpfen gegenseitig ermordet haben.

Wenn die Geschichtslehrer in 200 Jahren ihren Schülern aus dem zurückliegenden 21. Jahrhundert berichten, werden sie ihnen sagen: »Stellt euch mal vor, bis zum Jahre 2050 haben die Menschen Tiere gegessen, die sie eigens dafür gezüchtet und in engen Ställen gehalten haben.« Und die Kinder werden angeekelt die Gesichter verziehen über ihre verrückten Vorfahren und es kaum glauben können, während sie in ihre Tofu-Brötchen beißen und multibiotische Bambusdrinks trinken, oder was auch immer der letzte Schrei sein wird im Jahr 2213.

Dass wir wehrlosen Kaninchen einfach in den Nacken beißen, wird uns bei unseren Nachfahren in ein schlechtes Licht setzen. Wenn man unser Treiben auf der Erde betrachtet, aus der Vogelperspektive, scheint mir das neben den Kriegen, die wir gegeneinander führen, eine der größten Barbareien. Die Massentierhaltung, die Schlachthöfe, die Hühnchenfarmen, diese perversen Bedingungen, unter denen wir Tiere halten und dazu bringen wie perfekte Maschinen jeden Tag ein Ei oder unvorstellbare Mengen an Milch zu produzieren – und sie dafür auch noch quälen und aufessen – das ist schon alles sehr obszön.

Obwohl mir das klar ist, schaffe ich es ehrlich gesagt nicht, meinen theoretischen Fleichverzichtswunsch in die Tat umzusetzen.

Als ich mich in den 80er Jahren schon einmal als Vegetarier versuchte, wäre ich in den Wirtshäusern und Kneipen fast verhungert. Damals war ich viel unterwegs, und es war noch weitaus weniger verbreitet als jetzt, dass man auch mal ein Hauptgericht ganz ohne Fleisch auf der Karte fand. »Vegetarier? Da haben wir nur Kartoffelsalat«, hieß es von den Bedienungen dann, um gleich nachzuschieben: »Ach Mist, da ist ja Speck drin.« Immerhin kannten sie das Wort und mussten es nicht mehr im Brockhaus nachschlagen.

Nach einer Woche mit Sauerkraut und Kartoffelsalat relativierte sich mein Mitgefühl mit den Tieren und wich sehr egoistischen Gefühlen.

Am schwersten fällt es aber, den Hunger zu bezähmen, wenn man wie ich das Fleisch immer schön zubereitet und dampfend vor die Nase gesetzt bekommt. Ich sage der Viktoria ständig, dass wir weniger Fleisch essen sollten, aber sie ist der Meinung, die Kinder bräuchten das. Früher hieß es noch in der Werbung einer bekannte Fruchtjoghurtmarke: »So wertvoll wie ein kleines Steak.« Heute würden die Hersteller einen Teufel tun, die Güte ihrer Produkte durch einen Fleischvergleich hervorzuheben. So ändern sich die Werte. Nur bei meiner Frau nicht. Die hat im wahrsten Sinne des Wortes immer noch Angst, wir könnten vom Fleisch fallen.

DIE ALKOHOL-DIÄT

Konkret betraf dann die erste spürbare und auch sichtbare Veränderung in meinem Leben das Gewicht. Zehn Kilo habe ich bestimmt verloren. Natürlich hat es etliche Leute brennend interessiert, wie ich das so schnell geschafft habe und ob ich ihnen ein paar Diättipps geben könnte. Das kann ich gerne tun. Es gab auch hier kein Geheimnis. Das war wirklich einfach – es passierte nämlich von ganz allein, indem ich mit dem Trinken aufhörte und mit dem Sport anfing.

Mein ideales Gewicht liegt bei 78 Kilo. Zumindest, was die Optik betrifft. Wenn ich mit 78 Kilo eine Nacktszene drehe, müsste ich nicht mal mehr den Bauch einziehen, um optimal zu erscheinen. Nicht, dass man in meinem Alter noch viele Nacktszenen drehen muss. In meinen letzten zehn Drehbüchern kam glücklicherweise nicht mehr eine einzige vor. Ich hab das eigentlich nie gerne gemacht.

Ich hab es lieber wie John Wayne gehalten, der einmal gesagt hat: »In meinen Filmen ist nur das Pferd nackt.«

Aber mittlerweile quäle ich mich nicht mehr für das Idealgewicht. Mit 82 Kilo fühle ich mich bedeutend wohler.

Damals aber wog ich an die 90 Kilo. Das ist jetzt nur ein geschätzter Wert, eine Dunkelziffer sozusagen. Denn ich hörte irgendwann auf, mich zu wiegen. Bei 86 fing ich an, meiner Waage zu misstrauen. Bei 88 war das Vertrauensverhältnis zwischen mir und dem Messgerät so zerstört, dass ich die Benutzung vollständig einstellte. Alles anschreien, dass ich hier betrogen und belogen wurde, und das in meinem eigenen Haus und von meiner eigenen Badezimmer-Waage, half nichts mehr. Ich musste von dem Wiegen Abstand nehmen – aus Selbstschutz. Dennoch spürte ich, wie die Schwerkraft an meinen überzähligen Kilos zog.

Jeder, der ein bisschen übergewichtig ist und dann abnimmt, weiß, wovon ich rede. Es mag dicke Menschen geben, die damit glücklich sind, und ich gönne es ihnen von Herzen. Aber das Körpergefühl, das sich einstellt, wenn man nur 10 Kilo Ballast abgeworfen hat, das möchte ich nicht missen.

Eigentlich habe ich mich nie wirklich schlecht ernährt, zumindest was die feste Nahrung betraf. Getrunken habe ich wohl ein wenig einseitig. Interessanterweise half es auch nichts, dass ich mit unterschiedlichen Farben und Geschmacksrichtungen für Abwechslung auf dem Speiseplan sorgte: Weiß, grün, rot, Wodka, Absinth, Rum – alle diese Flüssignahrungsmittel waren für meinen Körper vermutlich vergleichbar arm an nützlichen Inhaltsstoffen. Und auch die anderen, chemischen Substanzen, mit denen ich mich zwischendurch versorgte, werteten die Vitamin- und Nährstoffbilanz nicht längerfristig auf. Das war alles, um es mal mit einem Modewort zu sagen, das ich besonders gerne mag: nicht wirklich nachhaltig. Im Gegenteil. Ich machte eigentlich alles, um meinen Körper in eine schlechte, untrainierte Verfassung zu bringen. Ich war, wenn man so will, das Gegenmodell zu Lance Armstrong. Dem amerikanischen Radprofi hat man seine sieben Tour-de-France-Siege aberkannt, weil er zu viel gedopt hat. Er hat alles geschluckt, um sich schneller zu machen, während ich alles geschluckt habe, um mich langsamer zu machen.

Vom sportlichen Gedanken her eigentlich sehr fair. Vielleicht sollte man mir die sieben Titel zusprechen. Heiner Lauterbach, der Lance Armstrong der Anti-Doper.

Wenn auch sonst wenig Gutes darin steckt – eines ist in Alkohol garantiert enthalten: Jede Menge Kalorien. Ein ordentlich eingeschenkter Caipirinha hat bereits 500 Kalorien, eine Flasche Wodka über 2000. Macht schon einmal fünf Tafeln Schokolade.

Wenn Sie von einem Tag auf den anderen fünf Tafeln Schokolade weniger zu sich nehmen, ist leicht ersichtlich, warum Sie dann abnehmen. Wenn man dazu noch anfängt Sport zu machen, ist das Abnehmen wirklich kinderleicht. Außerdem, ich sag’s ihnen, es ist alles eine Gewohnheitssache. Früher bin ich in mein Hotelzimmer gekommen, hab als Erstes die Minibar aufgerissen und schlecht gelaunt hineingebrüllt: »Ist hier irgendein alkoholischer Drink, der sich freiwillig meldet?« Heute greife ich nur noch zum »stillen Wasser«. Aber auch die können tief sein, wie wir wissen. Prost!

Natürlich habe ich nicht von einem Tag auf den anderen aufgehört zu trinken, sondern mich langsam heruntergetrunken. Es gibt ja nichts Unangenehmeres, als eine Sucht abrupt zu beenden – es sei denn, man möchte einmal wirklich ganz genau wissen, wie abhängig der eigene Körper ist von dem Suchtstoff. Mitunter kann es sogar richtig gefährlich sein, abrupt aufzuhören. Man sollte das in jedem Fall in Absprache mit einem Arzt machen.

Zwar bekommt ein Abhängiger, wenn er mit dem Alkohol aufhört, ganz sicher keine Entzugserscheinungen wie ein Junkie, der aufhört, Heroin zu spritzen. Er braucht keinen Ersatzstoff wie Methadon und auch keine Schmerzmittel. Aber der Körper findet schon seine Mittel und Wege, verständlich zu machen, dass er gerne Nachschub hätte. Der Stoffwechsel stellt sich um. Das ist der Grund, warum man schon am Morgen nach einer durchzechten Nacht nichts dringlicher sucht als die nächste Gelegenheit, einen Schluck zu trinken, noch vor dem eigentlichen Frühstück. Angeblich schläft man nach Alkohol so schlecht – von wegen Schlummertrunk –, weil selbst nach einem kleinen Glas der Körper mit leichtem Entzug reagiert und einen aufwachen lässt, damit man aufsteht und schnell etwas hinterherkippt.

Beim Alkoholentzug hat man morgens kalten Schweiß auf der Stirn. Die Hände zittern stark und man fühlt sich miserabel. Starke Kreislaufstörungen, Schwindelanfälle bis hin zur Todesangst sind die Symptome, von denen ich persönlich sprechen kann. Ich weiß nicht, wie weit das noch gehen kann.

Alkoholiker tun alles dafür, dass der Weg zum nächsten Schnapsglas nie zu weit ist. Daher habe ich mir in meiner harten Phase zum Beispiel auch auf meinen Bühnen immer kleine Verstecke gesucht, um dort zumindest einen winzigen Underberg zu verbergen, den ich dann während des Stücks unauffällig zu mir nehmen konnte. Ich hätte sonst nicht entspannt und gut spielen können. Manchmal suche ich ein Bühnenbild noch heute nach guten Versteckmöglichkeiten ab. Natürlich ist das nur ein Gedankenspiel. Ein Reflex.

Man sieht also – es braucht für eine Alkoholiker-Karriere durchaus ein gewisses Planungstalent. Vor allem, wenn man vor den Kollegen höchstens als feuchtfröhlicher Mensch dastehen möchte, keinesfalls aber als kläglicher Alki, der ohne seinen Stoff das Zittern anfängt.

Heute verwende ich diese Talente zu schöneren Dingen. Zum Beispiel an Ostern. Niemand versteckt die Osterpräsente so gut im Garten wie ich. Ich finde immer einen todsicheren Platz, auf den keiner kommen würde. Allerdings hagelt es am Ende Kritik, weil meine Verstecke so gut sind, dass höchstens die Hälfte der Beute wieder ans Tageslicht zurückfindet. Zumindest am Ostertag. Irgendwann im Hochsommer tritt dann ein Kind auf einen alten Schokoladenhasen, unser Gärtner entdeckt ein Osterpräsent, oder der Nachbarshund gräbt ein bemaltes Ei aus.

Das Heruntertrinken selbst ist dann gar nicht so schwer, man darf sich nur nicht dabei beschwindeln. Ich hatte, auch in meinen härteren Zeiten, immer wieder Phasen, in denen ich nichts getrunken habe. So für ein bis vier Wochen. Einmal habe ich mir vorgenommen, keine harten Sachen mehr zu trinken und keinen reinen Wein mehr. Also nur noch Weinschorle. Das klappte wunderbar. Ich saß in meiner damaligen Schwabinger Lieblingskneipe, einem Stehitaliener namens Rosario (für die Klugscheißer – jawohl, man kann auch in einem Stehitaliener sitzen). Hier war ich vom Wirt über die Toilettenfrau bis hin zum Hausmeister mit allen per Du. Es war ein wunderbarer Tag. Ich hatte nur Schorle getrunken und wähnte mich bereits glücklich und auf dem besten Wege zum Softi unter den Spritern.

»Geht doch«, dachte ich mir. »Ist ja doch nicht so schwierig, von dem Zeug wieder runterzukommen«. Als der Laden um 18 Uhr schloss, legte Rosario mir die Rechnung auf den Tisch. Laut Beleg hatte ich 43 Weinschorlen getrunken. Rosario war zwar dafür bekannt, dass er hin und wieder mit der Gabel aufschrieb – aber selbst wenn es nur 35 waren – da hätte ich eigentlich gleich ’ne Flasche Wodka trinken können.

Man sollte also aufpassen, dass man sich nicht selber betrügt. Beim Runtertrinken muss man sehr streng sein. Tatsächlich jeden Tag ein bisschen weniger, bis man bei null angelangt ist.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Geschmack des vorerst letzten Tropfens besonders ausgekostet hätte.

Mein Problem war vielmehr ein psychologisches, und das tat sich schon deutlich früher auf. Als ich die Menge des täglichen Alkohols so weit reduziert hatte, dass von einer Wirkung schon nichts mehr zu spüren war, kristallisierte sich aus dem früheren Nebel ein neues Gefühl heraus, das deutlich unangenehmer war: das Gefühl entsetzlicher Langeweile.

Das Problem mag banal klingen. Das tat ja nicht weh und machte auch nicht wirklich traurig – es war noch nicht mal ein handfestes Unwohlsein. Aber ich bekam doch starke Zweifel, ob ich diesen Schritt wirklich gehen wollte. War das mein Ziel? So ein dröges Leben? Wozu? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich die nächsten vierzig Jahre in diesem faden Modus verbringen sollte. Es kam mir alles freud- und sinnlos vor.

Wenn man etwas getrunken hatte, fühlte man sich automatisch besser unterhalten von dem, was um einen rum passierte. Es war natürlich übertrieben zu sagen, dass der Alkohol der Umgebung automatisch ein paar sattere Farben, der Musik ein paar hellere Töne und den Gedanken eine amüsantere Note hinzufügte. Aber irgendwie sorgte er dafür, dass man in einer besseren Stimmung war, dass alles zugleich mehr Spaß machte und weniger langweilig wirkte. Irgendwie gefühlsgesättigter, auch wenn das ein komisches Wort ist. So wie ein guter Hollywood-Film im Vergleich zu einem Autorenfilm der 1970er.

Wenn ich nicht gedreht habe, saß ich früher tagelang in Kneipen und habe Karten gespielt und gesoffen. Nachts ging es dann durch die Diskotheken und Clubs. Ich wusste einfach gar nicht, wie ich diese viele freie Zeit auf einmal anders füllen sollte. Ich hatte es ja seit Jugendzeiten so gehalten.

Ich dachte mir dann: Du hältst es jetzt mal einfach einen Tag lang aus. Ein Tag, was ist das schon. Ein verdammt überschaubarer Zeitraum. Einmal Frühstück, Mittag-, Abendessen. In der Zeit kann man einmal Sportschau gucken, mit seiner Frau kuscheln oder ein bisschen Gitarre spielen. Dann musste man eh schon wieder schlafen gehen. Am nächsten Tag das gleiche Spiel. Diesen Tag willst du nicht trinken. Ich dachte nicht: O Gott, jetzt muss ich noch vierzig Jahre ohne Alkohol aushalten. Sondern nur: bis 22 Uhr, und dann gehste doch sowieso schlafen.

Es war natürlich trotzdem schlimm. Mir machte nichts mehr richtig Spaß. Das Abenteuer, das Kitzeln und Prickeln war weg. Ob ich nun zu Hause war oder im Urlaub oder in der Stadt oder auf einer Filmpreisverleihung – langweilig!

Da ist es bis zum Rückfall nicht weit. Denn das Teufelchen fängt sofort an, einem ein paar miese Verlockungen ins Ohr zu flüstern: »Da bin ich doch lieber tot, als so ein Leben zu führen – das ist ja wie lebendig begraben!« »Heiner, Heiner, was bist du für ein Langweiler geworden, jetzt sei mal nicht heiliger als der Papst.« »Trink doch einfach ein bisschen weniger, du musst doch deshalb nicht gleich ganz aufhören!«

Wenn ich merkte, dass meine Gedanken zu sehr um den Alkohol kreisten – wieder das Mantra: Noch ein Tag. Den schaffst du noch. Dann schauen wir weiter.

Und wenn ich hier auch keine Geheimrezepte oder tiefgründigen Botschaften mitzuteilen habe, so möchte ich doch zumindest ein Versprechen abgeben: Dieser Zustand ändert sich. Versprochen. Auch wenn man es sich anfangs überhaupt nicht vorstellen kann: Auf einmal macht es einem nichts mehr aus, nichts zu trinken.

Es ist ein bisschen so wie Liebeskummer. Da denkt man ja auch, dass sich das niemals ändern wird, dass man sterben muss, dass man nie mehr schlafen und fröhlich sein kann – und irgendwann lacht man darüber.

So beginnt man, sich Tag für Tag immer wohler und wohler zu fühlen.

Wir Menschen sind schon unglaubliche Routinetiere. Wehren uns mit Händen und Füßen gegen Veränderungen, auch gegen die zum Besseren. Manchmal denke ich: Man könnte uns auch mit einer Kette am Fuß an der Heizung festbinden. Bände man uns nach drei Jahren los, würde uns vermutlich etwas fehlen.

Wenn man aufhört zu saufen, ist es auch nicht so, dass man sich einfach nur an die Langeweile gewöhnt, das wäre viel zu negativ gedacht. Man schafft sich vielmehr eine neue Basis. Ich habe zum Beispiel angefangen, den Tag anders aufzuteilen. Mir neue Beschäftigungen, Werte und Rhythmen gesucht.

Und so wurden erst sieben Tage Abstinenz daraus, dann vier Wochen, schließlich ein Vierteljahr und dann ein Jahr und viele Jahre.

Ich hatte nie vor, danach für immer auf alles völlig zu verzichten. Ich wollte nur sicher sein, dass mir das Leben ohne Alkohol auch wirklich besser gefiel. Ich habe mich nie für alkoholkrank gehalten. Nach sechs, sieben Jahren stieß ich auch mal wieder mit einem Glas Rotwein an. Ich war gespannt, was passieren würde. Ich genoss die angenehme Wärme des Alkohols und den guten Geschmack. Das war’s. Nach einem Glas beendete ich das Experiment. Kein Rückfall, kein Trinkgelage, kein Tremor in den Unterarmen, nix.

Früher hätte ich gedacht: Zehn Bier sind rausgeschmissenes Geld. Da bist du ja gar nicht besoffen, das müssen schon fünfzig sein. Heute trinke ich hin und wieder ein schönes Glas Wein, das war’s.

Das muss natürlich auch nicht sein. Manchmal darf es sogar nicht sein. Es gibt Menschen, die nach einem Alkoholentzug nie mehr trinken sollten, weil sie sonst sofort rückfällig werden. Na und? Das Leben bietet einem Millionen Möglichkeiten glücklich zu sein – ohne Alkohol.

RAUSCH-GIFTE

Viele Wissenschaftler behaupten, dass der einzige Unterschied zwischen einem Medikament und einem Gift in der Dosierung liegt. Selbst Heroin wird in einigen Ländern als Schmerzmittel verabreicht. Aber auch wenn einige Leute versuchen, das Thema schönzureden – meine bedingungslose, uneingeschränkte Haltung zu Drogen ist: Finger weg! Und zwar von sämtlichen Drogen, egal ob hart, weich, mittel oder was sonst noch. Ich will auch gar nicht sonderlich viele Worte über meinen vergangenen Drogenkonsum verlieren. Ich glaube es reicht, wenn ich allgemein gehalten sage: Ich will die Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, nicht missen. Einige von ihnen waren auch auf den Konsum von Drogen zurückzuführen. Ich habe diese Dinge ohne größere Schäden überlebt, und auch das hatte sehr viel mit Glück zu tun. Rückblickend kann ich nur sagen, dass der Preis für diese Erlebnisse viel zu hoch ist. Und ich habe noch nicht einmal den vollen Preis bezahlt. Es ist unglaublich gefährlich, mit Drogen zu experimentieren. Ich habe viele Freunde um mich herum sterben sehen. Also noch einmal für alle die, die vielleicht wankelmütig sind und von einem der weiß, worüber er spricht: Lasst die Finger weg! Das ist meine ehrliche Meinung und soll nicht populistisch klingen.

Auf Drogen zu verzichten ist mir von allen lebensverändernden und lebensverlängernden Maßnahmen sicherlich am wenigsten schwergefallen.

Wenn die heute modernen Gute-Laune-Drogen überhaupt das Bewusstsein erweitern oder die Wahrnehmung verändern, dann wohl vor allem in der Hinsicht, dass man sein eigenes Gequassel auf einmal für überdurchschnittlich interessant hält und einen Kaugummi mit einer solchen Aggressivität bearbeitet, dass der Gesprächspartner mitunter schon vom Zugucken Muskelkater in den Kiefergelenken bekommt. Kurz: Eigentlich gibt es kaum etwas vergleichbar Bescheuertes, als Drogen zu nehmen, und wenn es noch so viele tun. Obwohl ich wirklich kein Kind von Traurigkeit gewesen bin, muss ich sagen, dass ich es tief im Herzen eigentlich schon immer bescheuert fand, bestimmte Partydrogen zu nehmen, um dann nächtelang dummes Zeug zu sabbeln. Vom depressiven Gejammer am nächsten Morgen gar nicht erst zu reden. So wie ich jetzt vom Kopf ja eigentlich schon Vegetarier bin, war ich eigentlich schon immer gegen Drogen.

Da war es dann nicht mehr so schwierig, seiner Intuition in diesen Dingen zwanzig Jahre später einfach Folge zu leisten.

VIEL RAUCH UM NICHTS

Es ist ganz einfach, das Rauchen aufzuhören. Ich hab’s schon hundert Mal gemacht. – Das hat zwar Mark Twain zuerst gesagt, hätte aber auch von mir sein können.

Jeder Raucher ist Experte im Aufhören. Die meisten haben auch die einschlägige Literatur dazu schon gelesen, wissen kundig über Nikotinpflaster und diverse Entwöhnungsstrategien zu berichten oder gar mehrstündige Vorträge über ihre letzten Aufhörversuche zu halten. Ab einem bestimmten Alter hat wohl jeder Raucher schon mal versucht, mit dem nervigen Laster zu brechen. Und sei es nur für einen Langstreckenflug.

Als Spezialist in diesen Angelegenheiten wusste ich nun weiterhin, dass es hoffnungslos war, erst mit dem Rauchen und dann mit dem Trinken aufzuhören. Denn ab einem gewissen Pegel kamen einem alle guten Vorsätze vor wie die Ideen eines Geisteskranken mit Kontrollzwang und man sah keinerlei Veranlassung mehr, sich noch an irgendwas zu halten. Daher kann ich diesen wirklich sehr weisen Tipp geben: Entweder man versucht mit allem gleichzeitig aufhören oder zuerst mit dem Trinken und dann mit dem Rauchen.

Meine konkrete Reihenfolge des Aufhörens war: Drogen, Alkohol, Sport, Rauchen. (Für die, die sich schon die Hände gerieben haben: Mit dem Sport sollte man natürlich anfangen, nicht aufhören.)

Ich war perfekt ausgerüstet für die Operation Rauchstopp. Ich hatte die Bücher gekauft, die es für solche Fälle gibt, Nikotinpflaster und Nikotinkaugummis, alles lag griffbereit in meiner Nähe. Letztlich habe ich die Bücher dann nie gelesen und die Nikotinpflaster weggeworfen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es viel wirksamer ist, den sozialen Druck zu erhöhen. Man sollte es möglichst vielen Menschen erzählen, ja, sich noch als besonders willensstarker Mensch aufplustern, damit es einem dann ordentlich peinlich ist, wenn man es doch nicht schafft.

Was für den Alkoholentzug gilt, trifft natürlich auch auf den Nikotinentzug zu. Er ist nichts im Vergleich mit dem Heroinentzug. Von wirklichem Entzug mag ich eigentlich gar nicht reden. Trotzdem ist es furchtbar die ersten Tage. Nach dem Frühstück greift man in der Brusttasche ins Leere. Ach so, du rauchst ja nicht mehr. Hatte ich schon vergessen. Tja, was machen wir dann jetzt? Trommeln wir ein bisschen auf der Tischplatte rum. Aha, das nervt die anderen. Aber was mache ich denn nur, wenn ich nicht rauche? Soll das jetzt jeden Morgen so sein? Dieses Gefühl, dass mir etwas fehlt, und zwar heftig fehlt? Sehr schlechte Laune überfiel mich bei diesem Gedanken. Doch ich blieb stark. Zumindest ein paar Monate lang.

Beim Golf spielen in Dubai lernte ich einen netten Engländer kennen.

»Hey, rauchst du nach dem Spiel noch eine Zigarre mit?«

»Ich rauche eigentlich nicht«, sagte ich.

»Ach, Zigarren sind doch etwas völlig anderes«, versicherte er mir.

»Okay, probiere ich.«

Ich kann davon nur abraten. Zigarren sind so etwas wie die Weinschorlen unter den Tabakprodukten. Absolute Augenwischerei. Auch wenn alle Zigarrenraucher behaupten, es sei so viel gesünder.

Jedes Mal, wenn ich mit dem Briten spielte, rauchte ich eine Zigarre. Ich weiß gar nicht, ob ich deswegen so gerne mit ihm spielte oder ob ich mit ihm rauchte, weil ich so gerne mit ihm spielte. Jedenfalls war diese Weinschorle im Tabakgewand der Anfang in den Wiedereinstieg.

Als Nächstes fing ich an, Zigarillos zu rauchen. Am Ende habe ich dann fünfzig Zigarillos auf Lunge geraucht und war eigentlich schlechter dran als vorher. Der Mensch hat leider ein großes Talent sich selbst zu beschummeln.

Ich habe dann aber noch mal aufgehört, vor ein paar Jahren. Jetzt bin ich aber wirklich clean.

In den letzten Jahren musste ich in ein paar Filmen rauchen, und das war grauenhaft. Selbst wenn der Zuschauer mich am Ende im Film nur drei, vier Züge paffen sieht – man muss die Kippe vorher immer wieder auf die richtige Länge zurecht rauchen, damit alles nahtlos aussieht, wenn das dann geschnitten wird. Ich habe schon starke Raucher stöhnen gehört, wenn die Aufnahmen sehr oft wiederholt werden mussten: »Jetzt kann ich wirklich keine Zigarette mehr sehen.« »Das ist Schwerstarbeit.«

Man hat mir dann Kräuterzigaretten besorgt. Die schmecken furchtbar und verhindern todsicher, dass man wieder Gelüste entwickelt. Ich weiß gar nicht, ob die überhaupt einen anderen Zweck haben, als dass sie nicht-mehr-rauchende Schauspieler vor dem Rückfall schützen.

Ich bin jetzt aber auch kein fanatischer Nichtraucher. Ich bin heilfroh, dass ich diese ganzen Aschenbecher und den Gestank nicht mehr ertragen muss. Aber, wie ich Gelegenheits- und Genusstrinker geworden bin, wäre ich auch gerne Gelegenheits- und Genussraucher, ohne komplett rückfällig zu werden. Mit dem besten Freund am Strand eine Flasche Wein trinken und eine Zigarette rauchen, das ist schon was Feines.

Man muss natürlich für sich selbst einschätzen, ob man dazu in der Lage ist. Wenn man nur die leisesten Bedenken bezüglich seiner Standfestigkeit hat, sollte man es besser lassen und alles konsequent auf null fahren. Der Strand wird auch nicht hässlicher, wenn man ein schönes Apfelschörlchen trinkt und die frische Luft am Meer einatmet.

Auch wenn ich langsam von extremer Verspießung bedroht bin, so merke ich doch, wie angenehm eine gewisse Regelmäßigkeit ist. »Spießer« ist in meinen Augen ohnehin kein Schimpfwort. Noch nie gewesen. Die ganzen Menschen, die brav arbeiten und Steuern zahlen und keine Verbrechen begehen, sie sind es ja, die das gesamte Staatswesen am Laufen halten. Von den Spießern leben wir.

Und ich muss auch sagen: Am besten geht es mir, wenn ich Essen, Schlafen und Sport mit schöner Regelmäßigkeit ausübe. Mein Ruhebedürfnis hat sehr stark zugenommen. Gut und tief und lang zu schlafen zum Beispiel ist ein Geschenk. Wenn ich sehe, wie mein älterer Sohn bei uns nach einer langen Party bis zum Mittag ausschläft, überkommen mich tiefe Neidgefühle.

Bei allem Gesundheitsaktivismus will ich aber nicht übertreiben und gar zum Dogmatiker werden. So wie es jetzt ist, bin ich zufrieden. Ich rauche höchstens einmal im Jahr, trinke hin und wieder ein Glas Wein und treibe Sport, so viel es mir Spaß macht. Das ist für mich ein gutes Leben. Genuss mit Maß. Ich mag auch keine Leute, die überhaupt keine Freude mehr haben können, oder auch nicht mal etwas tun können, was nicht ausschließlich gesund ist. Wer sich alles verbietet und permanent nur noch darauf achtet, ob das auch gesund ist, der vergisst darüber am Ende noch das eigentliche Leben.

Ob man nun zusammen isst oder trinkt oder raucht, das hat ja auch eine sehr kommunikative Note, das war mir immer sehr wichtig.

Ich habe als Jugendlicher auch mit dem Kiffen angefangen, um mich zu einer Gruppe dazugehörig zu fühlen. Wir waren halt die Coolen, die Durchblicker, die Lässigen. Wer bei uns nicht mitmachte, ging Tennis spielen oder machte irgendeinen anderen Käse. Zu diesen Leuten wollte ich nicht gehören. So saß ich lieber in einer Runde, jeder zog mal am Joint, es war eine Gemeinschaft. Eine gefährliche Gemeinschaft.

Beim Trinken ist das genauso. Wenn ich sage: »Ich habe heute eigentlich keine Lust zu trinken« – und alle drumherum schenken sich einen ein, dann ist das fast so, als würde ich damit auch sagen: »Ich will mit euch nicht so richtig schön was machen. Sondern nur so halb.« Das könnte sogar aufgefasst werden wie ein: »Ihr seid mir nicht so wichtig.«

Da kann man noch so oft betonen, dass man auch ohne Alkohol Spaß haben kann – irgendwie mögen es Leute, die trinken, ganz gerne, wenn man mitzieht.

Selbst beim Essen ist das so. Wenn ich mich früher mit einer Frau zum Essen verabredet habe und die hat dann nur auf einem Salatblatt rumgekaut, nach Möglichkeit noch mit Joghurtdressing, war für mich der Drops gelutscht. Das ist dann irgendwie verkrampft und ungemütlich.

Gut aussehen und schlank bleiben sollten sie natürlich trotzdem. Nur die dazu benötigten Maßnahmen waren bitte ohne mich zu treffen. Gemein, ich weiß, aber das Leben ist nun mal nicht nett.

Gerade durch Alkohol wird die Runde ja oft lockerer. Man ist auch ehrlicher, witziger. Da ist Alkohol schon ein gutes Hilfsmittel.

Ich weiß nicht, wer mir das unlängst erzählt hat, vielleicht ein Journalist, den ich zufällig in meinem Berliner Lieblings-Etablissement, dem Borchardt getroffen habe: Es gibt da die These, dass sich die Fronten zwischen den politischen Parteien in den letzten Jahren verhärtet haben, weil die jungen Politiker alle keinen Alkohol mehr trinken. Die sind viel zu gesund dafür. Und daher können die sich auch nicht mehr wie früher nach einer bitterbös kontroversen Debatte zusammen in die Kneipe hocken und bei ein paar Gläsern Wein versöhnlichere Töne anstimmen.

Ich bin jedenfalls kein knallharter Abstinenzler. Denn ich habe keine Angst vor einem Rückfall. Wer weiß, wenn ich mit 85 Jahren noch fit genug bin (und es Viktoria erlaubt), mache ich noch eine allerletzte, ultimative Rutsche. Dann lass ich’s noch mal richtig krachen. Wenn einer meiner Freunde noch lebt, vielleicht mit ihm zusammen. Ich sehe mich schon mit Til Schweiger in einem Stripladen. ’Ne Flasche Wodka auf’m Tisch, Havanna auf Lunge und ’ne Blondine auf’m Schoß.

Auf Striptease allerdings konnte ich schon immer gut verzichten. Fand ich noch nie toll.

Ich würde ja auch nicht irgendwo hinfahren, um mir einfach nur einen schönen Wagen anzuschauen. Wenn, dann möchte ich mich auch reinsetzen, übers Lenkrad und die Armaturen streicheln, bevor ich mit ihm dann über die Autobahn brettere.

DER INNERE SCHWEINEHUND

Wenn es ein Medikament gäbe, dass die Wirkung von Sport auf den Körper simulieren würde, wäre es wohl das Medikament des Jahrtausends.

Weil Alkoholiker zu sein und in Kneipen herumzuhängen schnell so etwas wird wie ein Vollzeitjob – nicht nur wegen der Beschaffungs- und Versteck-Logistik –, brauchte ich nach meinem Neustart dringend einen neuen Zeitvertreib. Hatten mir meine Stammkneipen bislang automatisch den Tag gefüllt und Freundschaften wie gute Laune im Überfluss beschert, stand ich auf einmal vor einem riesigen Berg ungenutzter Freizeit. Den musste ich dringend ausfüllen, um vor Langeweile nicht schwermütig und rückfällig zu werden.

Da mir Briefmarkensammeln, Häkeln oder Gartenarbeit wenig zusagten, beschloss ich, mir die Zeit mit Sport zu vertreiben.

Es wird niemanden verwundern, dass ich mir in meiner damaligen Verfassung Leistungssport höchstens sitzend, also im Fernsehen zumutete. Allenfalls ging ich mit meinem Sohn mal ins Stadion. Ich korrigiere: Wir fuhren ins Stadion. Oder in eine Eishockey-Arena, oder wir setzten uns vor einen Boxring. Doch weil ich noch nie ein Freund von großen Menschenansammlungen war, habe ich Sport meistens vor der Glotze verfolgt. Wenn ich zum Zigarettenautomaten musste, nahm ich dafür lieber das Auto. Selbst wenn der Kasten an einer Wand ganz in meiner Nähe hing. Beweglich war vor allem mein Gaumen. Muskulös ausschließlich die Hand, in der ich die Karten hielt.

Ich weiß nicht, wie viele Mindestbedingungen erfüllt sein müssen, damit der Tatbestand das Joggings gegeben ist. Zunächst mal besorgte ich mir gute Schuhe und Kleidung. Optisch also schon als Jogger zu erkennen, ging ich hinunter zum See. Dazu musste ich nur die Straßenseite wechseln, von meiner Terrasse aus gucke ich direkt auf den Starnberger See. Auf dem Sandweg angekommen, setzte ich mich in Bewegung. Meine Form war miserabel. Als junger Mensch habe ich mal eine Zeit lang viel Sport gemacht, da ich Stuntman werden wollte. Zumindest erinnerte ich mich theoretisch daran, fing also nicht ganz bei null an.

Garantiert gab ich aber kein besonders stolzes Bild ab. Ich hob zwar die Füße die erforderlichen Millimeter von der Erdoberfläche und erreichte eine kurze Schwebephase, die das Laufen per Definition vom Gehen unterscheidet. Aber wäre ich ein Rennpferd gewesen, man hätte mir nach dieser Performance wohl den Gnadenschuss gegeben. Nach zwanzig Minuten war der Spaß auch schon vorbei. Schnaufend und hustend wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und humpelte in vollgeschwitzter Trainingskleidung zurück ins Haus. Am nächsten Tag hatte ich Muskelkater. Aber ich hatte mir vorgenommen zu laufen. Also lief ich.

Ich habe mal gelesen, dass dieser Widerwille, der im Kopf entsteht, während man joggt, von einem Sauerstoffmangel im Hirn herrührt. Deshalb signalisiert der Körper: Sofort aufhören! Was du machst ist ein GROSSER FEHLER! Umkehren, hinlegen, ausruhen!

Da hilft nur Training. Denn dieses Gefühl wird durch das Training weniger quälend. Der Körper wird fitter und man lernt, das erste Unwohlsein schneller zu überwinden. Bei mir ging es sogar erstaunlich schnell. Und verbesserte sich noch mehr, nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört hatte. Nach zwei Monaten lief ich eine Strecke von sieben Kilometern in einer halbwegs vernünftigen Zeit. Heute laufe ich an Trainingstagen an die zehn Kilometer. Das reicht mir voll und ganz. Ich will weder einen Marathon mitlaufen, noch halte ich das Laufen im Übermaß für unbedingt gesundheitsförderlich. Für mich ist es aber eine gute Methode, mich fit zu halten und an der frischen Luft zu bewegen. Außerdem kann man das fast immer und überall tun, also auch wenn man unterwegs ist und keine Geräte wie Laufband oder Crosstrainer zur Hand hat. Wenn ich in kleineren Hotels ohne Fitnessraum wohne und nicht gerade tischtennisballgroße Hagelkörner vom Himmel fallen, mache ich mich meistens vor dem Frühstück schon auf die Socken und laufe in den Morgen hinein. Wunderbar.

Allerdings neige ich nicht dazu, aus dem Laufen eine Religion zu machen, wie es diese ganzen Lauf-Päpste in ihren Jogging-Bibeln tun. Und wer behauptet, dass der Weg schon das Ziel ist, der hat meiner Meinung nach ein bisschen zu tief in diese Bibeln geguckt. Von einer übergroßen Leidenschaft kann bei mir nicht die Rede sein. Glücklich bin ich aber, wenn ich fertig bin mit dem Sport und unter der Dusche stehe. Man hat ein tolles Gefühl, den Körper so gefordert zu haben. Man könnte Bäume ausreißen. Alles davor ist zwar okay, aber wenn ich den gleichen Effekt ohne Sport erreichen würde, ich könnte gut darauf verzichten. Ich muss mir vielmehr immer wieder fest vornehmen, Sport zu treiben, und zwar schon deutlich vor dem eigentlich anvisierten Termin. Andere nennen das vielleicht Disziplin. Ich würde einfach sagen: praktische Lebenserfahrung. Ich halte es sogar für schädlich, dass die meisten Bücher etwas anderes versprechen. Viele Leute werden nämlich wieder aufhören mit dem Sport, weil sie denken, dass das bei ihnen nicht normal ist und dass sie die Einzigen sind, die nicht diese wahnsinnigen Glücksempfindungen dabei entwickeln, von denen in den Büchern immer die Rede ist.

Sicher ist, dass es ein tolles Gefühl ist, fit durchs Leben zu laufen. Die Treppen hochspurten zu können, auch mal zwei Stufen auf einmal, wenn’s sein muss. Und auch mal ein paar Stockwerke hintereinander. Fest steht auch, dass es einem nach dem Sport viel besser geht. Man fühlt sich wohl und glücklich in dem Bewusstsein, etwas für sich und seinen Körper getan zu haben. Es ist völlig normal, dass einem das aber kurz davor jedes Mal wieder entfällt. Man leidet quasi unter Amnesie und muss sich daher immer ein bisschen treten, um mit dem Training überhaupt anzufangen.

Mich wundert wirklich, was einem die großen Sportfans da an tollen Geschichten erzählen.

So heißt es ja zum Beispiel auch immer, dass man bei nichts so gut abschalten und seine Gedanken schweifen lassen könne wie beim Laufen. Ehrlich gesagt habe ich mich darauf sogar am meisten gefreut. Ich lief also immer brav meine Strecke am See zwischen St. Heinrich und Ammerland und wartete auf die großen Gedanken. Mindestens ein Drehbuch oder zumindest eine kleine Textstelle würde wohl dabei herausspringen, durfte man den Erzählungen der anderen nur annähernd Glauben schenken. Doch eher musste ich an den Mann denken, der beschlossen hatte, seine Träume aufzuschreiben.

Weil er davon überzeugt war, immer ganz großartige Dinge und wunderschöne Geschichten zu träumen und es sehr bedauerte, dass er sich am nächsten Morgen nie daran erinnern konnte, legte er sich einen Zettel auf den Nachttisch. Es gelang ihm in der Nacht darauf tatsächlich, eine kleine Notiz anzufertigen. Am nächsten Morgen stellte er zutiefst beglückt fest, dass etwas auf dem Zettel stand. Er nahm ihn zur Hand und las: »Junge liebt Mädchen.«

So ähnlich ergeht es mir beim Laufen. Auf die großen Gedanken warte ich bis heute.

Wenn ich die ganze Runde um den See schaffen will – das sind ungefähr 55 Kilometer – nehme ich das Rad. Auch das Radfahren ist mir anfangs nicht so leichtgefallen. Ich erinnere mich noch, wie ich überholt wurde an einer leichten Steigung kurz vor Bernried. Von einer Gruppe munter plappernder Damen mit der typischen grauen Lockenfrisur, wie sie gerne von älteren Frauen über siebzig getragen wird. Die drei saßen bequem auf ihren Sätteln, während ich stehend im zweiten Gang schon heftig strampelte und der Schweiß nur so an mir herunterlief. Sie beachteten mich kaum, weil sie so eifrig in ihr Gespräch vertieft waren. Ich atmete indes so schwer, dass an eine Unterhaltung nie im Leben zu denken gewesen wäre. Ich war nach diesem Überholtwerdenmanöver ziemlich geknickt und fühlte mich gleich noch einmal zwanzig Jahre älter.

Die Psyche spielt beim Sport eine wichtige Rolle. Ich habe einmal gelesen, dass man einen Gegner beim Radrennen am besten dadurch bricht, dass man ihn erst ganz nah an sich herankommen lässt, und dann, wenn er einen fast erreicht hat, noch einmal mit aller aufgesparten Kraft in die Pedale tritt, um ihn dann lässig und schnell hinter sich zu lassen. Allein dadurch, dass er seinem Ziel einmal so nah war und dann derart zurückgelassen wird, resigniert der Gegner und holt den Abstand bis zum Ziel nie wieder auf.

So ähnlich kam ich mir bei den alten Damen vor, die mir so spielerisch klarmachten, wie weit ich noch von einer wirklich guten Form entfernt war. Kurz verging mir der Spaß am Radfahren und ich wäre am liebsten umgekehrt und bergab nach Hause zurückgerollt.

Da wusste ich allerdings noch nicht, dass die Elektroräder schon recht weit verbreitet waren und dass das, was bei den Damen so spielerisch aussah, auf die Hilfe eines kräftigen, kleinen Motors zurückzuführen gewesen war.

Neben dem Laufen, dem Radfahren und dem Trainieren an meinen Geräten zu Hause, spiele ich am liebsten Golf. Ich hatte mir anfangs zum Ziel gesetzt, ein einstelliges Handicap zu erreichen.

Früher habe ich unglaublich viele Dinge gemacht, aber immer mittelmäßig. Vom Skilaufen bis zum Instrumente spielen. Seit meinem Neustart wollte ich das verändern. Das Golf spielen wollte ich richtig lernen.

Natürlich hatte ich auch schon vorher die Erkenntnis, dass Sport einem erst richtig Spaß machen wird, wenn man ihn gut beherrscht. Aber ich habe dieser Erkenntnis, wie in so vielen Dingen, keine Taten folgen lassen. Beim Skilaufen zum Beispiel komme ich überall runter, auch zügig, aber dann beim Tiefschneefahren, da fehlt’s noch bis zur Vollendung. Ich fahre eher mit Kraft, nicht mit Technik und Geschmeidigkeit. Weil ich es nie von Anfang an korrekt gelernt hatte.

Beim Golfen habe ich dann gesagt: Ich nehme mir den besten Lehrer, den ich kriegen kann. Und dann mache ich das konsequent und mit Programm: Ich übe Dinge, die mich langfristig ans Ziel bringen, und lasse das ausnahmsweise mal bleiben mit Sprüchen wie: »Ich war schon immer Autodidakt« oder »Lehrer konnte ich noch nie leiden«. Mit dem Selberlernen macht man leider manchmal mehr kaputt, als dass man etwas vorantreibt.

Golf ist eine der schwierigsten Sportarten. Dazu kommt, dass es sehr zeitaufwendig ist. Das Schlimmste ist, das es so einfach aussieht. Der kürzeste Golfwitz lautet: »Ich kann es!«

Zum Glück ist mein Golfplatz, mein Heimatclub, wie man sagt, in unmittelbarer Nähe, nämlich in Eurasburg. Es ist der Golfclub Beuerberg. Für mich einer der schönste Clubs in Deutschland. Normalerweise fahren Golfer bis zu einer Stunde und mehr zu ihrem Club – dann ist man vier Stunden auf dem Platz, vielleicht noch ein wenig auf der Driving Range, man isst was, und dann ist der Tag auch schon rum.

Ich lebe diesbezüglich im Paradies. In weniger als 30 Minuten bin ich auf einem Dutzend Golfplätzen, bis hin zum Starnberger Golfclub, wo ich auch besonders gerne spiele.

Inzwischen habe ich mein Ziel erreicht. Vor zwölf Jahren habe ich angefangen, heute ist mein Handicap einstellig. Man sagt, der durchschnittliche Amateur-Golfer in Deutschland hat ein Handicap von 28.

AB IN DEN JUNGBRUNNEN

Ich erinnere mich an einen dieser wunderschönen Sommertage in Südafrika. Ich saß mit meiner kleinen Familie auf der Terrasse eines kleinen Häuschens, das meine Produktionsfirma während der Drehzeit für uns angemietet hat. Ich hatte drehfrei und genoss das Frühstück mit den Meinen. Besonders köstlich schmeckte mir wieder einmal mein Spezialdrink, den ich mir, wenn es irgendwie geht, auf der ganzen Welt zubereiten lasse. Es handelt sich um einen Karotten-Apfel-Sellerie-Ingwer Saft. Verfeinert mit Argan-Öl. Er schmeckt köstlich, ist unheimlich gesund und überhaupt – ein wahrer Jungbrunnen. Nach dem Frühstück verabschiedete ich mich von meinen Lieben und machte mich auf den Weg zum Golfplatz. Mein Freund, der Boxpromotor Wilfried Sauerland, seine Frau Jochi und ich waren dort zu einer gemeinsamen Runde verabredet.

Mit von unserer Partie war ein bislang uns allen sympathischer Südafrikaner, den die Clubleitung unserem Flight zugeteilt hatte.

Wir erfreuten uns an der einzigartigen Natur um uns herum und hier und da auch an unseren Schwüngen. Wilfried und Jochi gaben sich, wie sie das auf Golfrunden gerne zu tun pflegen, liebevoll Tipps, um das Spiel des anderen zu verbessern. So drangen immer wieder Wilfrieds Kommandos an mein Ohr: »Kopf unten lassen, Schatz, denk an die Gewichtsverteilung, linker Arm gerade.« Wenn man die Augen schloss und sich den Schatz und das Gezwitscher der Vögel wegdachte, konnte man meinen, man wäre im Sauerland-Boxstall und wohnte einer Sparringrunde bei, in welcher der Chef seine Boxer höchstpersönlich zu motivieren versuchte. Aber auch Jochi wurde nicht müde, ihren geliebten Gatten anzufeuern, oder ihn gegebenenfalls auch ein wenig zu bremsen.

Letzteres tat sie zum Beispiel gerne, wenn mir ausnahmsweise mal ein guter und langer Abschlag gelungen war. Wie am vierten Tee. Aus Angst, Wilfried könnte sich, provoziert von der Fluglänge meines Balles, übernehmen, versuchte sie besänftigend auf ihn einzuwirken, und es entspann sich in etwa folgender Dialog:

Jochi (während Wilfried zum Abschlag geht und seinen Ball aufteet): »Ganz ruhig, Liebling«.

Wilfried, der bis dahin die Ruhe selbst war, wurde erstmalig etwas unruhig: »Was heißt ganz ruhig? Ich bin ruhig. Warum sollte ich nicht ruhig sein?«

Jochi: »Du musst nicht so weit wie Heiner kommen. Ich kenn dich doch, Liebling.«

Wilfried versuchte sich nun auf seinen Schlag zu konzentrieren.

Jochi: »Immer, wenn der Heiner so einen weiten Abschlag hatte, versuchst du, noch weiter zu kommen.«

Weil Jochi ein höflicher Mensch ist, übersetzte sie diese Mutmaßung unnötigerweise auch noch ins Englische, um sie dem Südafrikaner ins Ohr zu flüstern.

Wilfried unterbrach seine Konzentrationsphase und blickte zu seiner Frau: »Schatzilein, das ist doch Quatsch.«

Jochi unterbrach nun ihr Gespräch mit dem Südafrikaner kurz: »Denk dran: Du bist keine zwanzig mehr.«

Wilfried: »Ich weiß, Schatzilein.« Wieder ging er in seine Ansprechposition und versuchte, sich auf seinen Schlag zu konzentrieren.

Jochi: »In deinem Alter ist man einfach nicht mehr so beweglich.«

Wilfried (mit gespielter Empörung): »Schatzilein, ich bin aber auch noch keine hundert.«

Er unterbrach sein Abschlagszeremoniell erneut. Die ganz große Lust und Freude, die seine Physiognomie noch am heutigen Morgen ausgezeichnet hatten, waren – so glaubte ich wenigstens zu erkennen – einer leichten Anspannung gewichen. Aber Wilfried war ein zäher Bursche und hart im Nehmen. Das hatte er sich wohl von seinen Boxern abgeschaut. Ein paar Verbalattacken jedenfalls konnten ihn nicht aus der Bahn werfen.

Ich sah zu dem Südafrikaner, der das kleine Geplänkel der Eheleute lächelnd verfolgt hatte, während er mit Ball, Tee und Driver in der Hand bereitstand, um seinem Ball die entscheidende Richtung in Nähe des vierten Greens zu geben. Eine Absicht, die uns ja alle an diesem wunderschönen Tag auf den Golfplatz gelockt hatte. Aber Golfspieler kennen das: Wenn Ehepaare gemeinsam an den Start gehen, kam es fast immer zu kleineren Reibereien, nicht selten ernsten Krisen und manchmal sogar handfesten Auseinandersetzungen. Ich weiß nicht, ob es Statistiken darüber gibt, wie viele Ehen auf dem Golfplatz geschieden worden sind. Es dürften Zigtausende sein. Aber was Jochi und Wilfried betrifft, hatte ich überhaupt keine Angst. Zu viele Runden habe ich mit ihnen schon in allergrößter Harmonie verbracht. Wenn es einen Friedens-Nobelpreis für golfspielende Ehepaare gäbe, er müsste jedes Jahr an die Sauerlands gehen.

Jochi: »Liebling, ich seh dir das an. Wenn du dich besonders konzentrieren willst, dann presst du deine Lippen so fest aufeinander.« Sie machte es ihm vor.

Wilfried: »Was?« Er runzelte die Stirn.

Jochi: »Ja so …« Sie machte es ihm wieder vor.

Wilfried versuchte nun nachzumachen, was Jochi ihm vormachte. Doch bei ihm sah diese Geste, die ja eigentlich seine sein sollte, ganz anders aus.

Wilfried: »Das kann ich gar nicht.«

Jochi: »Du machst es ja auch falsch. Wieder machte sie es ihm vor. »So … so machst du.« Und wieder.

»What are they talking about?« Wendete sich der Südafrikaner nun an mich. Ich erklärte es ihm kurz. Währenddessen konnte ich aus meinen Augenwinkeln beobachten, wie es Wilfried in einem unbeobachteten Moment gelang, wenigstens schon mal seinen Probeschlag hinter sich zu bringen. Das hatte wohl auch Jochi bemerkt und war mit dem Ergebnis offenkundig alles andere als zufrieden.

Jochi: »Du bist viel zu hektisch Liebling, ganz ruhig.«

Wilfried: »Ich bin ruhig …«

Das klang jetzt nicht wirklich ehrlich.

Jochi: »Man muss bei diesem Loch auch gar nicht den Driver nehmen. Holz drei genügt vollkommen.«

Wilfried: »Ich möchte aber ganz gerne mit meinem Driver spielen, Schatzilein.« Er versuchte, sich nun auf den Schlag, der zunehmend an Bedeutung gewann, zu konzentrieren.

Ich unterbrach meine Simultanübersetzung kurz, weil Wilfried nun ultimative Anstalten machte, seinen Schlag auszuführen. Es wurde mucksmäuschenstill. Alle Augen waren auf Wilfried gerichtet. Ich beobachtete speziell seinen Mund. Ich wollte wissen, ob Jochi recht hatte und er wirklich seine Lippen so verkrampft zusammenpresste. Er machte jetzt seinen Schlag. Obwohl ich ihn genau im Visier hatte, konnte ich keine außergewöhnlichen Lippenbewegungen feststellen. Dafür war sein Schlag außergewöhnlich. Wilfried, sonst ein guter, präziser und zuverlässiger Golfer, hatte einen für seine Verhältnisse miserablen Schlag hingelegt. Kurz und ungerade. Eine grausame Mischung. Und das Unheil drohte mit Jochis nun folgenden Worten seinen Lauf zu nehmen: »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so draufhauen Liebling. Aber du hörst ja nicht auf mich.«

Ich fürchtete nun ernsthaft, dass der diesjährige Friedensnobelpreis anderweitig vergeben werden musste. Aber Wilfried wäre nicht Wilfried, wenn er diese Situation nicht souverän meisterte. Mit bewundernswerter Gelassenheit suchte er nach seinem Tee, welches fast so weit geflogen war, wie sein Ball. Übrigens, für Nicht-Golfer: Das war ein untrügliches Merkmal für einen grottenschlechten Schlag.

Das Ganze wäre wahrscheinlich auf dem folgenden Green schon wieder vergessen gewesen, hätte der sympathische Südafrikaner nicht noch eine Bemerkung dazu gemacht.

Auf dem Weg zu unseren Bällen gesellte er sich neben Wilfried, schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagte: »Ich kenn das, mein Sohn schlägt mit dem Driver auch schon weiter als ich.« Während Jochi und ich miteinander den »Hast du auch gehört, was ich gehört habe«-Blick austauschten, versuchte sich Wilfried noch zu rechtfertigen: »Ach, darum geht’s doch gar nicht. Entscheidend ist doch gar nicht die Länge, sondern die Präzision. Und wenn mein Sohn ein paar Meter weiter …« Jetzt sah er den Südafrikaner an: »Ich meine, wenn ihr Sohn ein paar Meter weiter schlägt als ich …« Nein, das machte auch keinen Sinn. Was hatte dieser Mann eigentlich mit seiner Bemerkung gemeint? Nun sah Wilfried, der übrigens 12 Jahre älter ist als ich, zu uns. An unseren Reaktionen bemerkte er, dass wir es auch mitbekommen hatten. »Glaubt der etwa, dass Heiner mein Sohn ist?«, wollte er jetzt von uns wissen. Während ich mich der Stimme enthielt, meinen Kopf in mein Golfbag grub und so tat, als würde ich nach einem neuen Ball suchen, antwortete Jochi mit der routinierten Diplomatie einer liebenden Ehefrau: »Hätte man so verstehen können.«

Soeben hatte Wilfried eine Dublette eingefahren, wie das im Boxerjargon heißt. Schon angeschlagen von Jochis Spitzen bezüglich seines Alters, bekam er vom bislang so sympathischen Südafrikaner noch einen Leberhaken.

Auch dass ich versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass mein jugendliches Aussehen garantiert mit meinem morgendlichen Spezialdrink zu tun hatte, machte die Sache natürlich nicht ungeschehen. Aber wenigstens lenkte es die Debatte in eine andere Richtung. Nun wollten nämlich alle wissen, was für ein Zauberzeug ich da morgens zu mir nehme. Ich musste ihnen versprechen, nach der Runde mit dem Rezept rauszurücken.

Wilfried brauchte zwar noch zwei, drei Löcher Rekonvaleszenz, aber spätestens am siebten Loch, an dem er mich im Übrigen sauber ausgedrived hat, war er wieder ganz der Alte. Oh, Pardon.

GOLF MIT SCHNUFFI

Auch Viktoria hat irgendwann mit dem Golfspielen angefangen. Genau genommen hat sie angefangen anzufangen. Leider. Das heißt, zuerst habe ich mich gefreut – ist ja toll, wenn man mit der Frau ein Hobby teilt. Aber alles, was man mit echter Leidenschaft betreibt, ist eben auch, wie wir eben erfahren haben, mit Risiken für die Ehe verbunden. Ich war gespannt, wie wir uns schlagen würden.

Meine geliebte Frau fing also an, Unterricht zu nehmen. Sie hatte schätzungsweise tausend Trainingsstunden. Jedes Mal, wenn sie zum Golfplatz fuhr, nahm sie eine Trainerstunde. Ich habe ihr daraufhin gesagt: »Es ist übrigens auch möglich, dass man mal für sich übt. Man muss nicht jedes Mal mit dem Pro trainieren, da gibt es keine solche Vorschrift.« Aber das war ihr offensichtlich zu langweilig. Der Lehrer war ja so ein Netter.

Irgendwie hat sie es dann tatsächlich geschafft, die Platzreife zu bekommen. Das heißt, sie durfte allein über den Platz gehen, ohne dass der Besitzer des Golfplatzes befürchten musste, hinterher schäferhundgroße Löcher in seinem Rasen zu haben, oder sein Gelände sonst wie zerstört vorzufinden.

So beschlossen wir also eines schönen Tages, unsere erste gemeinsame Golfrunde zu drehen.

Vorsorglich hatte ich bereits dafür gesorgt, dass wir nur zu zweit waren. Normalerweise spielt man zu viert in einem Flight. Es war Wochenende, also Betrieb auf dem Platz, und ich wollte nicht, dass wir die Leute hinter uns allzu sehr aufhielten.

Ich machte den ersten Abschlag. Viktoria schaute meinem Ball fachmännisch hinterher.

»Wolltest du wirklich dahin spielen?«, fragte sie kritisch.

Ich sah sie von der Seite an und nahm mein Tee auf.

»Der hätte ein bisschen weiter rechts gemusst«, fügte sie hinzu.

Ich streifte die Haube über meinen Driver, packte ihn zurück in die Tasche und ging los.

»Komm, Schnuffi!«, rief ich und wollte zum Damenabschlag gehen.

Viktoria befand sich jedoch noch voll in der Kontemplations- und Reflexionsphase: »Jetzt sag schon, wolltest du dahin spielen?« Ich ging zu ihr und nahm sie lächelnd in den Arm: »Natürlich wollte ich dahin spielen«, sagte ich, während ich sie mit sanftem Druck gen Damenabschlag schob. Der nächste Flight, bestehend aus vier Spielern, hatte sich schon am Abschlag versammelt und machte Lockerungsübungen. »Jetzt schlag erst mal ab, und während wir zu unseren Bällen gehen, können wir über meinen Schlag diskutieren.«

»Okay«, meinte sie überraschend einsichtig. Sie stellte sich auf ihren Abschlag und überlegte: »Was meinst du, soll ich auch den Driver nehmen?« Ich wollte ihr schon sagen, dass sie ja wohl genügend Zeit gehabt hatte, um darüber nachzudenken, besann mich dann aber eines Besseren. Ich wollte nicht schon vor dem ersten Abschlag für Disharmonie sorgen. Ich lächelte also wieder:

»Wo sonst, wenn nicht hier?«

»Wie?«

»Natürlich nimmst du hier und jetzt den Driver. Das ist ein paar fünf von fast 500 Metern Länge. Du hast viel Platz und eine enorme Strecke zurückzulegen. Also nimmst du den Driver.«

»Ich bin aber mit dem Driver nicht so sicher.«

»Warum hast du ihn dann im Bag?«

»Halloo?! Vielleicht, weil er dahin gehört?« Ich hasse es, wenn Menschen ein lang gezogenes Halloo sagen, um dann die Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.

»Falsch, in dein Bag gehören nur Schläger, die du auch benutzt. Oder gehst du über den Platz, um Schläger spazieren zu tragen?«

»Okay, aber auf deine Verantwortung.«

Inzwischen hatte ich dem Vierer-Flight ein Zeichen gegeben, damit er an uns vorbeimarschierte. Es ist auf Golfplätzen üblich, Flights überholen zu lassen, wenn sie schneller sind. Nicht üblich ist, dass das vor dem ersten Abschlag passiert. Ebenso unüblich ist es, dass ein Zweier- von einem Vierer-Flight überholt wird. Aus diesem Grund zog ich meine Kappe etwas tiefer ins Gesicht.

Es war nicht so, dass ich mich für meine Frau schämte. Ich wollte einfach nicht, dass mich die Leute erkannten. Als sie ungefähr 100 Meter an uns vorbei waren, sagte ich:

»Viktoria, bitte, würdest du jetzt abschlagen!?« Immerhin hatte sie schon den Ball aufgeteet.

»Die sind noch zu nah, da komm ich hin«, sagte sie. Ich hatte meine Frau hin und wieder auf der Driving Range beobachtet und wusste daher, dass sie noch nie im Leben auch nur halb so weit geschlagen hatte.

»Niemals.« Der nächste Vierer-Flight versammelte sich hinter uns.

»Bitte, Schnuffi, da kommt schon der nächste Flight. Du musst jetzt abschlagen, sonst kommen wir hier niemals weg.«

»Ich mag dich gar nicht, wenn du so ungeduldig bist.« Immerhin machte sie jetzt vielversprechende Abschlagsvorbereitungsbewegungen.

Ich bekreuzigte mich innerlich.

»Los geht’s«, sagte mein Schnuffilein und machte Anstalten, ihren Probeschwung durchzuführen.

»Nee, das war nix.« Sie schien unzufrieden mit dem Resultat und wiederholte den Probeschwung.

»Irgendwie hab ich mit dem Driver ein blödes Gefühl.«

Ich bekam langsam Pressatmung.

»Aber was soll’s. Ich hau einfach drauf, okay?«

»Okay«, stieß ich hervor. Und sie tat es. Sie tat es tatsächlich. Leider traf sie den Ball nicht, sodass er unberührt auf dem Tee liegen blieb. Während sie sich vor lauter Schwung einmal um sich selbst drehte.

»Einfach noch mal«, sagte ich aufmunternd, während ich unauffällig guckte, ob uns jemand beobachtet.

»Wieso noch mal, das war’n Probeschlag.«

Obwohl ich genau gesehen hatte, dass sie den Ball treffen wollte, sagte ich: »Ach so«, und wartete auf den nächsten Schlag. Während ihrer Konzentrationsphase überlegte ich, ob ich das schon mal erlebt hatte. Dass jemand pfuscht, bevor er den ersten Ball berührt hat. Jetzt hatte Viktoria den Ball getroffen. Auch wenn der Schlag miserabel war, nur unwesentlich weiter als ihr Tee und links ins Gestrüpp flog, war ich erleichtert.

»Mist, ich hab’s dir ja gesagt«, fluchte sie, während sie ihr Tee suchte. Ich nahm ein Tee aus meiner Tasche und reichte es ihr.

»Hier, nimm eins von mir und hau noch mal drauf.«

»Wieso? Wir finden meinen Ball doch.«

»Willst du jetzt zehn Meter weiter im Gebüsch rumkriechen?«

»Klar, warum nicht?«

»Weil uns dann der zweite Flight überholt, bevor du deinen ersten Schlag gemacht hast.« Ich nahm nun einen Ball von mir und teete ihn für sie auf, um die Sache zu beschleunigen. Ich spiele teure Titelest Pro V 1 Bälle. Während ich mich von meinem Ball verabschiedete, sagte ich:

»Bitte, Schnuffi, mach einfach, was ich sage.« Sie verdrehte die Augen, machte aber immerhin Anstalten zu gehorchen.

»Und nur einen Probeschwung«, sagte ich.

»Warum?«

»Weil man das so macht.«

»Sagt wer?« Wieder meine Pressatmung. Ich holte tief Luft und ließ sie langsam durch die fast geschlossenen Lippen wieder herausströmen. Angeblich macht das unglaublich locker, alter Schauspielertrick.

»Ich. Bitte schlag jetzt.«

Sie machte nur einen Probeschlag und ihr Abschlag war dann so, dass man den Ball zumindest weiterspielen konnte.

Im Strickkursverfahren, Viktorias Ball immer wieder von links aus dem Gestrüpp in den Wald rechts rüber schlagend und dabei ungefähr 10 Meter Richtung Green gewinnend, näherten wir uns meinem Ball, der auf ungefähr 230 Metern lag. Nun überholte uns der zweite Flight. Die Kappe noch tiefer im Gesicht, grüßte ich freundlich. Nach dem dritten Loch hatte uns der fünfte Vierer-Flight überholt und ich erlaubte mir einen vorsichtigen Kommentar. Ich sprach es einfach aus, ich bin in diesen Fällen für absolute Ehrlichkeit:

»Viktoria, wir müssen uns ein bisschen beeilen.«

Das war ein Fehler. Viktoria, an der ihr eigenes Spiel wohl auch nicht spurlos vorübergegangen war, schnauzte mich an:

»Wenn du dermaßen ungeduldig bist, habe ich keinen Spaß am Golf spielen.« Wir diskutierten noch eine Weile, bevor wir die Runde abbrachen.

Wir fuhren dann verhältnismäßig stumm nach Hause. Wir haben nie mehr miteinander Golf gespielt. Wir wussten, das würde nicht gut gehen. Wir hatten die Wahl – entweder Golf oder Ehe. Wir haben uns für die Ehe entschieden.

GOLF MIT HEINER

Fairerweise habe ich beschlossen, Viktorias Schilderung dieser Ereignisse ebenfalls in das Buch aufzunehmen. Denn ich habe schon oft beobachtet und finde es sehr interessant, wie stark sich die Versionen ein und der gleichen Geschichte zwischen Ehepartnern manchmal unterscheiden. Die Frage, ob das womöglich mit den unterschiedlichen Gehirngrößen von Männern und Frauen zusammenhängt oder ob es dafür sonst eine natürliche Erklärung geben könnte, überlasse ich an dieser Stelle lieber anderen.

Mit dem Heiner Golfen zu gehen ist grausig. Ich kann mir kaum etwas Anstrengenderes vorstellen. Selbst mit zwei heulenden Kindern noch kurz vor dem Mittagessen durch einen Supermarkt zu rasen oder mit meiner Schwiegermutter ein Weihnachtsessen vorzubereiten ist angenehmer, ja, ich würde auch noch einmal eine Hochzeit für 500 Gäste planen – all das wäre reine Erholung, Nervenbalsam, ein Wellness-Kurzurlaub, im Vergleich zum Golfspielen mit Heiner.

Heiner kann das Golfen gar nicht mehr richtig genießen. Der ist nur noch mit seinen Zockerfreunden unterwegs, und da geht’s um Geld und ums Gewinnen, und sonst gar nichts.

Ich habe mich eigentlich sehr auf unsere gemeinsame Golfrunde gefreut. Ich hatte ganz frisch meine Platzreife und war bislang nur immer mit dem Golflehrer unterwegs gewesen. Ein sehr netter Mensch übrigens. Der ist ja auch Profi, spielt sicher viel besser als der Heiner, aber sehr ausgeglichen und gelassen dabei, gar nicht verbissen oder in Eile. Trotz des anstrengenden Trainings war auch immer noch kurz mal Platz für Gespräche. Es war lustig, und wir haben auch immer etwas zu gucken gehabt. Eichhörnchen, Gänseblümchen, ein Segelflieger am Himmel. Für all das hat der Heiner keinen Blick. Der läuft über den Platz wie ein Shaolin-Mönch.

Ich habe kaum den ersten Fuß auf den Rasen gesetzt, da hagelte es bereits Ermahnungen. Ich solle bitte nicht so trödeln. Heiner geht im Laufschritt zum Abschlag, sticht seinen Tee in die Grasnarbe und drischt ohne hinzugucken auf seinen Ball. Dafür, dass er angeblich so super spielt, verzieht er ihn kräftig nach links. Er tut so, als wäre das Absicht. Als ich nachfrage – vielleicht kann ich ja was lernen von ihm –, klatscht er in die Hände. »Los, Viktoria, wir müssen zu deinem Abschlag.« So ziehen wir hektisch mit dem Wagen über den Rasen, bis die Reifen qualmen und ich positioniere mich am Frauen-Abschlag, der ein winziges Stück näher am Green ist, als der für die Männer.

Ich schau mir gerne den Schwung an, ich gucke, wo der Ball hinfliegt. Heiner interessiert sich überhaupt nicht dafür, was der andere macht. Jeder spielt für sich, jeder Handgriff sitzt, er könnte auch am Fließband irgendwelche Geräte montieren oder eine Waffe laden, ganz genau: wie im Krieg, da ginge es kaum weniger effizient vonstatten. Aber auf jeden Fall kameradschaftlicher.

Ich bin also kaum an meinem Abschlag angekommen, schon etwas außer Atem von dem Stechschritt, da zieht er auch schon ein Eisen aus meiner Tasche und hält es mir vor die Nase.

»Damit es ein bisschen zügiger geht.«

Ich will protestieren, denn das ist natürlich der völlig falsche Schläger, aber Heiner hat diesen Blick drauf, diesen »du weißt nicht, wie unfassbar geduldig ich bislang war«-Blick, und ich stelle mich schweigend an meinem Ball auf, schlucke meinen Ärger herunter und versuche mich trotzdem irgendwie zu konzentrieren. Dabei klopft er schon mahnend mit dem Finger auf das Ziffernblatt seiner Uhr. Dann kommen auch noch irgendwelche anderen gestressten Spieler hinter uns an, die dringend überholen wollen. Als gäbe es heute was umsonst im Clubhaus.

Natürlich fühlt sich Heiner von diesen Wichtigtuern auch noch bestätigt. Auf welcher Seite steht er eigentlich? Auf der seiner Frau oder auf der Seite dieser aufgeblasenen Lackaffen? Vor lauter Aufregung treffe ich natürlich den Ball nicht so richtig. Der fliegt nach links ins Gebüsch. Auch das noch. Natürlich ist mir das peinlich. Kurz sieht man nur noch das Weiße in Heiners Augen, er hat sie genervt nach oben verdreht. Wie kann man das alles nur so bitter ernst und wichtig nehmen? Das ist doch ein Hobby, ein Sport, ein Freizeitvergnügen. Ich spiele doch Golf, um mich vom Stress zu Hause zu erholen – rumhetzen kann ich doch da schon zur Genüge. Das hier nun Natur und Rasen und See und Wald drum herum sind, das ist Heiner egal. Man könnte auch in einer Umgebung aus grauem Beton spielen, solange die Abschläge die gleichen wären, würde er das gar nicht bemerken. Und auf Gesellschaft könnte er sowieso gut verzichten, es sei denn, einer seiner Zockerfreunde ist dabei und spornt ihn an, weil er ein paar Euro zu verlieren hat. Höher, weiter, schneller – das muss ich doch nicht den ganzen Tag haben!

Ich rufe leise, dass er auf mich warten soll, doch der Wind geht so stark, dass er mich kaum hört. Die Leute tun hier alle so, als konnten sie sofort perfekt spielen, als die das erste Mal auf einem Platz standen. Die sind schon mit einem einstelligen Handicap auf die Welt gekommen. So etwas Unsoziales habe ich selten erlebt.

Ein einziges Mal habe ich Heiner noch gebeten, auf mich zu warten. Nicht mal zehn Minuten später sah ich schon wieder nur noch seine Mütze aus der Ferne. Da habe ich beschlossen: Nie wieder. Mit Heiner Golf zu spielen ist Stress pur, das tue ich mir nicht mehr an. Dafür ist mir meine Freizeit zu schade.