Neunundzwanzig
»Ich könnte kotzen!«
Zorns Handy landete auf dem Schreibtisch, ein Plastikbecher mit Büroklammern kippte um. Fünfmal hatte er versucht, Malina zu erreichen. Ihr Telefon war ausgeschaltet, die Mailbox sprang sofort an.
Eigentlich hätte er erleichtert sein müssen, jetzt, nachdem er mit Hermann gesprochen hatte. Doch Zorn war wütend, ärgerte sich über seine eigene Dummheit. Die sexuellen Vorlieben anderer kümmerten ihn nicht, zumindest in dieser Beziehung war er absolut vorurteilsfrei. Wie, wo, und vor allem mit wem sich andere Menschen vergnügten, war ihm herzlich egal, solange es in gegenseitigem Einverständnis geschah. Er selbst war eher konservativ gestrickt, die Vorstellung, einen Mann attraktiv zu finden, war in seinen Augen absurd. Frauen waren wunderschöne Geschöpfe, doch Männer? Die, so fand er, durften sich glücklich schätzen, dass Frauen sie überhaupt wahrnahmen oder gar schön finden konnten mit ihren harten, kantigen Gesichtern, den Haaren auf der Brust, den faltigen Hintern, den krummen Beinen und dem albern herumbammelnden Gekröse zwischen den Beinen.
Egal, sein Problem war ein anderes.
Er hatte geglaubt, nein, er war sicher gewesen, absolut sicher, dass Malina und Hermann etwas miteinander gehabt hatten (ein bescheuerter Begriff, fand Zorn, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein). Hermann war fast zwanzig Jahre jünger als er, außerdem sah er gut aus (nun ja, das war relativ, in Zorns Augen war der Kerl – schwul oder nicht – noch immer ein blasierter, aufgetakelter Aufschneider). Zwischen den beiden war etwas gewesen, eine Vertrautheit, die ihn wütend gemacht hatte, er hatte sich ausgeschlossen gefühlt, die Eifersucht hatte ihn geblendet. Es gab keine Freundschaft zwischen Männern und Frauen, entweder man mochte sich oder nicht. Wenn ja, landete man irgendwann zusammen im Bett, das war Zorns feste Überzeugung. Auch jetzt noch.
In diesem Fall allerdings hatte er sich geirrt. Und er hatte sich wie ein Volltrottel verhalten. Diese Einsicht hatte zu einer weiteren geführt, dazu, dass er sich bei Malina entschuldigen musste. Das hatte eine Weile gedauert und war nun gar nicht nach dem Geschmack des Claudius Zorn, trotzdem beschloss er, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Wenn er sie nicht anrufen konnte, dann eben anders, kurz und schmerzlos, per SMS.
Er schob ein paar Büroklammern beiseite und nahm das Handy. Fuhr mit der Zunge über die Oberlippe, dann tippte er, es dauerte lange, bis er die richtigen Buchstaben fand.
Es tut mir leid, ich war bekloppt!
Nee. Er löschte das letzte Wort.
Es tut mir leid, ich war bescheuert!
War das besser? Auch nicht, jetzt änderte er das vorletzte Wort.
Es tut mir leid, ich bin bescheuert!
Oder doch bekloppt?
»Das ist doch bescheuert!«, fluchte Zorn und warf das Telefon wieder auf den Schreibtisch. Malina würde den Braten sowieso riechen, sie kannte ihn, wusste, dass er meistens den Weg des geringsten Widerstands ging.
Wie stellst du dir das vor, Claudius?, würde sie sagen. Du schickst mir eine SMS, und dann ist alles wieder gut?
Was sollte er tun? Tat es ihm überhaupt leid?
Ja, das tat es. Morgen flog sie nach Zagreb, er hatte keine Ahnung, wann sie zurückkommen würde.
Er nahm seine Jacke, öffnete die Tür.
Ich kann jetzt sowieso nichts tun, dachte er. Die Streifenwagen sind unterwegs, wenn was ist, werden sie mich auf dem Handy anrufen. Ich fahre zu Malina. Wenn ich vor ihr stehe, werden mir schon die richtigen Worte einfallen. Hoffentlich.
Er runzelte die Stirn, stutzte. Dann schlug er sich mit der Hand an die Stirn.
»Ich bin so was von bekloppt!«
Das stimmte.
Malina hatte ihre Sachen aus seiner Wohnung geholt.
Er hatte keine Ahnung, wo sie jetzt war.
*
»Er schläft jetzt.«
Schröder kam in die Küche, vorsichtig zog er die Tür hinter sich ins Schloss und setzte sich zu seiner Mutter an den Tisch. Vor ihr stand eine Tasse Kaffee, auf dem Herd brodelte ein Topf mit Wasser. Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft.
»Mama?«
Sie sah auf.
»Ach, entschuldige, ich habe dich nicht gehört. Möchtest du Kaffee?«
»Nein, danke.«
Ein Zischen, das Wasser im Topf kochte über. Schröder sprang auf und drehte das Gas ab. Sie richtete sich auf.
»Herrje, die Suppe! Die hatte ich ganz vergessen, du musst doch Hunger haben!«
»Das ist egal.«
Er hatte sich wieder zu ihr gesetzt.
»Du siehst schlecht aus, Junge.« Schröder war blass, der Scheitel hatte sich gelöst, die rostroten Strähnen hingen über die linke Schulter. »Und du musst dringend zum Friseur.« Sorgfältig strich sie ihm das Haar hinter die Ohren. Er ließ es schweigend geschehen. »Wie geht’s Papa?«, fragte sie dann.
»Er schläft«, wiederholte er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie seine Lippen sehen konnte.
»Das ist gut. In letzter Zeit schläft er immer weniger.«
Sie nahm die Brille ab, klappte sie sorgfältig zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Schröder bemerkte, dass einer der rosafarbenen Bügel fehlte.
»Was ist passiert?«
»Sie ist runtergefallen. Es ist nicht schlimm, morgen bring ich sie zum Optiker.«
»Er hat dich geschlagen, stimmt’s?«
»So etwas würde dein Vater nie tun!« Die alte Frau schüttelte heftig den Kopf. »Er liebt mich seit über fünfzig Jahren. Das weiß ich so sicher wie …«, sie überlegte. »Ach egal, ich weiß es eben. Wir wussten es beide, vom ersten Moment an. Nein, das war nicht er. Dein Vater ist nur ein wenig verwirrt.«
»Und das?« Er deutete auf einen Bluterguss auf ihrer Wange. »War er das auch?«
»Ein kleiner Kratzer. Papa wollte Putzmittel trinken, ich habe es ihm weggenommen. Wahrscheinlich hat er nur die Flaschen verwechselt. Er wird sich wieder erholen.«
Schröder wandte den Kopf ab.
»Ich wünschte, ich könnte das glauben«, murmelte er. »Bei Gott, das wünschte ich.«
Seine Mutter sah lächelnd auf ihre Finger. Sie hatte kein Wort verstanden.
»Er war wirklich fürchterlich durcheinander. Ich habe gleich den Notarzt geholt, in der Aufregung habe ich die Nummern verwechselt und zuerst die Polizei angerufen. Es ist gut, dass er jetzt schläft. Was hat er zu dir gesagt?«
»Dass es ihm leid tut. Und wir haben über Rüdiger gesprochen.«
»Hör mir zu.« Sie griff über den Tisch, nahm seine Hände. »Papa gibt dir die Schuld an seinem Tod, aber das stimmt nicht! Rüdiger kam nach deinem Vater, er war ein schöner Mann, er sah aus wie ein amerikanischer Filmstar. Das wusste er, und er hat immer bekommen, was er wollte.«
»Mama, ich …«
»Oh, du bist auch ein schöner Mann. Auf deine Art.« Ihr Finger strich sacht über seinen Unterarm. »Rüdiger war ein Draufgänger. Er war der Ältere, du hast immer getan, was er sagte. Ihr hättet nie in dieses Boot steigen dürfen. Es war ein fürchterlicher Unfall.«
»Es war meine Schuld.« Schröder sprach laut und deutlich, jedes Wort betonend. »Ich bin gerettet worden, Rüdiger nicht.«
»Ich werde dir das nie ausreden können, oder?«
Schröder schwieg.
»Du musst das irgendwann einsehen!« Sie stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab und stand schwerfällig auf. »Dein Vater hat das alles nie verkraftet, er wusste einfach nicht, wohin mit seinem Schmerz. Aber du? Du warst schon immer der Klügste in unserer Familie.«
Sie stand vor ihm, er vergrub das Gesicht in ihrem Schoß.
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen«, murmelte sie. Dann gab sie ihm einen Klaps auf den Rücken. »Jetzt mach ich uns was zu Essen. Dein Vater wird Hunger haben, wenn er aufwacht.«
»Ich bleibe noch ein bisschen hier.«
Schröders Stimme wurde durch die Schürze seiner Mutter gedämpft. Er schlang die Arme um ihre knochigen Hüften, sie wiegte ihn sanft hin und her. Dann vibrierte sein Handy. Er machte sich los.
»Das ist Zorn«, sagte er. »Entschuldige, da muss ich rangehen.«
*
»Wie geht’s deinem Vater?«
»Schlecht.«
»Kann ich irgendwas tun?«
»Nein.«
»Du willst nicht drüber reden, stimmt’s?«
»Stimmt. Gibt’s was Neues?«
»Nee.«
»Warum rufst du dann an?«
»Hast du eine Ahnung, wo ich Malina finde?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Bei Hermann?«
»Natürlich. Sie wird ja kaum auf der Straße schlafen.«
»Weißt du, wo er wohnt?«
»Du bist Polizist, Chef.« Schröder klang ein wenig ungeduldig. »Auf deinem Schreibtisch steht ein Computer. Muss ich dir wirklich erklären, was du zu tun hast?«
*
Das musste Schröder dann doch nicht. Zwanzig Minuten später hatte Zorn die Adresse herausgefunden und war unterwegs in Richtung Innenstadt. Er verspürte nicht die geringste Lust auf ein weiteres Zusammentreffen mit Hermann, vermeiden ließ sich das allerdings nicht, wenn er Malina sehen wollte. Er würde ihn einfach ignorieren, Scheiße, er würde sich sogar entschuldigen, schließlich hatte er wirklich nicht den geringsten Grund gehabt, dem armen Kerl die Nase zu brechen. Wichtig war nur, dass er Malina alles erklären konnte. Das würde er schon irgendwie schaffen.
Oder?
Er erreichte den Kreisverkehr am Bahnhof. Links war das Hochhaus, in dem er lebte, rechts, auf der anderen Seite, wohnte irgendwo Hermann. Zorn blinkte, dann wechselte er abrupt die Spur und fuhr geradeaus weiter auf die Hochstraße.
Na ja, dachte er. Ich kann ja vorher noch kurz bei de Koops Villa vorbeifahren und sehen, ob alles in Ordnung ist.
Mit Pflichtbewusstsein hatte das nichts zu tun. Ja, er würde Malina aufsuchen, das hatte er sich fest vorgenommen. Aber Claudius Zorn war ein Zauderer, er nutzte jede Gelegenheit, unangenehme Aufgaben zu verschieben, auch wenn er dabei nur zwanzig Minuten herausschlagen konnte.
Als er wenig später die Uferpromenade erreichte, hatte die Dämmerung eingesetzt. Er parkte unterhalb der Villa, stieg aus und sah sich um. Das große Haus thronte still und verlassen auf dem Hügel, halb verdeckt hinter den hohen Eichen. Irgendwo zwischen den kahlen Bäumen versteckten sich die Männer des Sondereinsatzkommandos, sie waren gut, dachte Zorn, nichts deutete auf ihre Anwesenheit hin. Mindestens fünf Augenpaare mussten jetzt auf ihn gerichtet sein, er hob die Hand, grüßte kurz und stieg wieder in den Volvo. Ein weißer Lieferwagen näherte sich langsam von hinten. Zorn wartete, bis er vorbei war und fuhr dann ebenfalls los.
Auf der anderen Seite des Flusses färbte sich der Horizont. Im Westen standen die Wolken am Himmel wie Rauch über verlöschender Glut.
Die Sonne ging unter.
*
Vor dem Haus bellte ein Hund.
Schröders Vater öffnete die Augen. Das Fenster war noch immer gekippt, die Gardine bewegte sich sacht.
Er wälzte sich auf den Rücken, seine Hüfte schmerzte vom langen Liegen. Die Federn quietschten, das Bett war alt, sehr alt, ein hölzernes Doppelbett mit gedrechselten Füßen. Hier, auf dieser Federkernmatratze, hatte er vor Jahrzehnten seine Söhne gezeugt und so, wie es aussah, würde er auch hier sterben. Bald.
Eigentlich ist das nicht schlimm, dachte der alte Mann. Ich habe mein Leben gelebt. Nie bin ich jemandem zur Last gefallen, nie. Ich habe dieses Haus gebaut, es ist klein, aber ich war es, der alle Entscheidungen getroffen hat. Für mich, meine Frau und meine Söhne. Und ich will selbst bestimmen, wie ich sterbe.
Das Bellen wurde lauter, ein Ruf, das Tier verstummte. Es war der Nachbarshund, ein Cockerspaniel. Schröders Vater hasste diesen nervösen kleinen Kläffer, seit Jahren zertrampelte er das Gemüse, verteilte stinkende Häufchen auf dem Rasen und bellte alles an, was ihm über den Weg lief.
»Dieser verdammte Köter gehört an die Leine«, murmelte der Alte.
Jetzt war sein Kopf klar, die Gedanken geordnet, nichts zu spüren von diesem Nebel, der ihn so wütend machte.
Angefangen hatte es eher harmlos. Er hatte Kleinigkeiten vergessen, Sachen verschwanden, tauchten wieder auf, später konnte er sich nicht erinnern, dass er sie dort hingetan hatte: die Fernbedienung im Kühlschrank. Die Hausschuhe in der Spüle. Die Manschettenknöpfe im Mülleimer.
Dann folgten die Löcher. Immer wieder kam er zu sich, an den verschiedensten Orten, er hatte keine Ahnung, wie er dort hingekommen war, geschweige denn, was er getan hatte. Seine Frau wollte es ihm nicht sagen. Aber er bemerkte es in ihren Augen. Und er sah die zertrümmerten Teller. Die abgerissene Türklinke. Die umgefallene Vase. Roch den Urin, spürte die Nässe im Schritt.
Aus der Küche drang Gemurmel herüber, die Wände waren dünn. Sie hatten sparen müssen, als sie das Haus gebaut hatten. Der einzige Luxus war die kleine Sauna im Keller, seine Frau hatte sie sich damals gewünscht. Benutzt hatte sie das Ding seit Jahren nicht mehr, jetzt stapelten sich dort die Kartons mit Rüdigers Sachen.
Er kniff die Augen zusammen. Wenn er bei sich war, übte er. Trainierte seinen Kopf, löste Aufgaben, konzentrierte sich.
Drei mal vier ist zwölf. Die Wurzel aus vier ist zwei. Sechs durch zwei ist drei. Sieben minus zwei ergibt fünf.
Das war einfach, Kinderkram. Im Moment jedenfalls. Jetzt ging es ihm gut, aber wie lange würde das so bleiben? Ein paar Stunden? Minuten? Und dann?
Er musste Schluss machen, solange es noch ging.
Es würde nicht besser werden. Sein Hirn löste sich auf. Ein löchriger Schwamm, der sich selbst auffraß. Manchmal glaubte er, ein Knistern in seinem Kopf zu hören, das waren die Zellen, die eine nach der anderen abstarben, er konnte es regelrecht riechen, ein übler Gestank nach verbranntem Gummi.
Es war unumkehrbar. Irreversibel, hatte der Arzt erklärt. Eine Tatsache, in Fels gemeißelt wie das Einmaleins, ein Fakt, genauso sicher, wie drei mal vier elf ergab, er konnte …
Schröders Vater stöhnte leise.
Drei mal vier ergab doch elf, oder?
Er wusste es nicht mehr. Die Leere kam auf ihn zugerast, eine schwarze, riesige Dampflok, er biss die Zähne aufeinander, kämpfte mit aller Kraft, doch sein Verstand löste sich auf, schrumpfte zusammen wie Schnee auf einer warmen Kühlerhaube.
Dann lag er da, und als er die Augen schloss, befand sich dahinter nur noch ein dumpf pulsierendes Nichts. Etwas hatte sich dort festgehakt, ein letzter, klarer Gedanke, nicht viel mehr als ein winziges Flackern in einer dunklen Galaxie.
Der alte Mann schlief ein.
Sein Entschluss war gefasst.
*
Claudius Zorn stand in einer Seitenstraße hinter dem Bahnhof und übte seine Rede. Hermann wohnte um die Ecke, Zorn brauchte noch ein paar Minuten, um sich vorzubereiten. Es ging nicht anders, er musste sich die Worte zurechtlegen, ansonsten würde er nachher stumm vor Malina stehen, unfähig, auch nur einen halbwegs verständlichen Satz herauszubringen.
Es wurde wieder kälter, Zorn schüttelte sich und knöpfte die Jacke bis zum Hals zu. In den schmuddeligen Fenstern der Mietskasernen gingen Lichter an, Zorn wirkte verloren, ein einsamer Mann, halblaut vor sich hin murmelnd, allein in einer dunklen Gasse.
»Lass uns das alles vergessen, Malina.«
Er vergrub die Hände unter den Achseln und lief auf und ab, den Blick stur auf seine Füße gerichtet. Der Bürgersteig war mit schiefen, gesprungenen Betonplatten gepflastert, automatisch vermied er es, auf die Risse zu treten. Das tat er schon seit seiner Kindheit, warum, war ihm nie bewusst geworden.
»Ich wusste nicht, dass Hermann …«
Ja was? Schwul ist? Das war einfach zu albern, als ob das wichtig wäre!
Ein Güterzug donnerte über die Brücke am Bahnhof, Bremsen quietschten, fast hätte Zorn sich die Ohren zugehalten. Über ihm wurde ein Fenster zugeknallt.
»Es wird nicht wieder vorkommen. Scheiße, das ist auch Mist.«
Er machte auf dem Absatz kehrt, blieb erschrocken stehen. Vor ihm stand ein kleiner Junge, höchstens zehn Jahre alt. Er trug eine Pudelmütze, unter dem Arm klemmte ein zerschrammter Fußball. Ein dünner Rotzstreifen lief ihm aus der Nase. Ernst, mit großen Augen sah er zu Zorn auf.
»Was machst du da?«
»Ich übe.«
»Und was?«
Zorn sah sich um. Sie waren allein auf der Straße.
»Das geht dich nichts an.«
Der Kleine taxierte ihn prüfend.
»Du hast eine Macke, stimmt’s?«
»Ja«, nickte Zorn ernst. »Eine richtige.«
»Dann musst du zum Arzt gehen«, erklärte der Junge wichtig. »Zum Süchator.«
Er leckte den Rotz von der Oberlippe und tippelte los. Vor dem nächsten Eingang blieb er stehen und stemmte das Tor mit der Schulter auf. Ein Knall, die Tür fiel ins Schloss, der Junge war verschwunden.
»Das heißt Psychiater, du kleine Nuss«, knurrte Zorn.
Im Erdgeschoss polterte es, Stimmen wurden laut.
Wahrscheinlich, dachte Zorn, kriegt der arme Kerl eine Abreibung, weil er zu spät zum Abendbrot gekommen ist. Und ich sollte mich jetzt auch auf den Weg machen. Ich denke zu viel, ich werde sie einfach in den Arm nehmen.
Aber vorher rauch ich noch eine.
Zorn wühlte in der Jackentasche nach seinen Zigaretten.
Blumen, überlegte er, ich hätte Blumen besorgen sollen, die schenk ich ihr fast nie, dann weiß sie, dass ich es wirklich ernst meine.
Das war im Prinzip keine schlechte Idee. Eigentlich war er viel zu faul, um jetzt noch einmal zum Blumenladen am Bahnhof zu laufen, Hermanns Wohnung lag in der anderen Richtung.
Zorn war unschlüssig, doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen.
Sein Schädel explodierte. Finsternis senkte sich über seine Augen, als würde das Licht in seinem Kopf ausgeknipst.
Dann ging er zu Boden.