Keith
PROLOG
Es liegt daran, dass ich nicht gut genug bin. Glaubt er jedenfalls. Nicht dass er mich nicht begehren würde; wir beide wissen, dass er das tut. Und warum auch nicht? Sterbliche Männer fallen wie sabbernde Idioten vor mir auf die Knie und betteln um ein wenig Aufmerksamkeit. Selbst Unsterbliche – die wenigen, denen ich begegnet bin – verhalten sich so. Doch warum weist der einzige Mann, nach dem ich mich verzehre, mich dann zurück? Warum heuchelt er Gleichgültigkeit, wo ich doch brennende Lust in seinen Augen sehen kann? Warum verlangt er, dass ich mich von ihm fernhalte? Es ist ja nicht so, dass ich ihn oft aufsuchen würde. Vielleicht einmal alle fünfzig Jahre … wenn mir meine Fantasien über ihn nicht mehr genügen … wenn mein Verlangen nach ihm so groß wird, dass ich nicht mehr widerstehen kann.
Allerdings tragen meine Besuche wenig dazu bei, mein Unbehagen zu besänftigen. Jedes Mal bekräftigt er seine Entscheidung und fleht mich an, mich von ihm fernzuhalten. Er würde mich aus seiner Nähe verbannen, stünde es in seiner Macht.
Genau wie mein Vater.
Ich weiß, ich bin nicht so, wie sich die meisten Männer eine Frau vorstellen. Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich bin stark. Ich fürchte kaum etwas in dieser Welt, und auch nicht, nehme ich an, in irgendeiner anderen. Doch nicht meine Andersartigkeit macht mich bei Männern so unbeliebt – oder sollte ich sagen, unliebbar? Daran kann es nicht liegen, denn mein Vater verstieß mich, bevor ich meine seltsamen Neigungen erkennen ließ. Und er verstieß mich nur, weil ich seine Erstgeborene war.
Als großer Pharao Ägyptens und Gottkönig des Nils war er überzeugt, dass die Götter ihn mit einem Sohn segnen würden. Als er stattdessen mich bekam, sah er in mir eine Art Strafe für jedwede Sünden, derer er sich schuldig fühlte. Ich durfte nur bis zu meinem fünften Lebensjahr bei meiner Mutter bleiben. Es wäre barmherziger gewesen, hätte er mich gleich nach der Geburt aus den goldenen Hallen seines Palasts verstoßen und den Schakalen zum Fraß vorgeworfen. Doch das tat er nicht. Mit fünf Jahren wurde ich verbannt und zu den Priesterinnen der Isis in den Tempel geschickt. Als meine Brüder zur Welt kamen, wurden sie so behandelt, wie es mir zugestanden hätte. Man hieß sie als Prinzen willkommen. Ihre Geburt wurde monatelang gefeiert. Doch mich, als Einzige wahrhaftig für die Unsterblichkeit bestimmt, verleugnete man.
Damals schwor ich mir, dass ich mich nie wieder nach der Zuneigung eines Mannes sehnen würde, doch genau das tue ich jetzt. Nicht dass dabei Gefühle im Spiel wären. Ich bin viel zu klug, um Opfer törichter Romantik zu werden. Schließlich bin ich keine einfältige, leichtgläubige Sterbliche. Nein, ich will keine Romantik. Nur ihn. Mein Verlangen nach ihm ist so offensichtlich wie seines nach mir. Mich erbost, dass er es verleugnet, dass er mich unwürdig findet.
Aber dieses Mal werde ich es schaffen. Ich werde ihm beweisen, dass ich das mutigste, das stärkste, das listigste Wesen bin, dem er je begegnet ist.
Mir sind gewisse Informationen in die Hände gefallen, wissen Sie. Vor einer Weile hatte Roland zusammen mit zwei anderen Unsterblichen ernsthafte Schwierigkeiten in den Vereinigten Staaten. Die Einzelheiten sind unwichtig. Wichtig ist nur, dass das kostbarste Geschöpf für Roland gerade ein Junge namens Jameson Bryant ist. Er ist einer der Auserwählten – das heißt einer der seltenen Menschen mit denselben Vorfahren und Antigenen im Blut wie wir Unsterblichen. Einer, der verwandelt werden kann. Ihn verbindet ein besonderes Band mit Roland, eine Nähe, die mich, wie ich offen zugebe, neidisch macht. Und der Junge schwebt in höchster Gefahr. Roland möglicherweise auch. Ich bin auf dem Weg, um sie nicht nur zu warnen, sondern beide zu beschützen, auf jede erdenkliche Weise.
Bitte verstehen Sie meine Motive nicht falsch. Ich eile nicht aufgrund übertriebener emotionaler Bindungen zu ihm. Ich habe bereits klargemacht, dass mein Interesse an Roland rein körperlicher Natur ist. Es schmerzt schon genug, wenn man auf dieser Basis abgewiesen wird. Wie dumm müsste man sein, noch mehr Leid zu riskieren! Nein, ich tue das nur, um meinen Wert zu beweisen. Er wird ein für alle Mal begreifen, dass Rhiannon kein Staubkörnchen ist, das man aus einer Laune heraus fortpusten kann. Kein schwaches Frauchen, das man ignorieren kann wie eine Leibeigene. Ich bin seiner Zuneigung ebenso würdig wie der meines Vaters. Sie machen einen Fehler, wenn sie mich ächten.
Sie machen einen Fehler.
Allerdings …
Manchmal kommen selbst mir Zweifel. Manchmal höre ich die Stimme meines Vaters, wie sie in den Gewölben hallt, wie er mich verflucht. Und ich frage mich: Könnte er recht gehabt haben? Bin ich wahrhaftig sein Fluch? Nicht mehr als eine Figur im Spiel der Götter, um einen sündigen König zu bestrafen? Denn wie könnte mein Vater sich geirrt haben? Er war der Pharao! Selbst nur eine Stufe unter den Göttern. Könnte er recht gehabt haben?
Wie Roland jetzt recht haben könnte, meine Berührung zu meiden? Vielleicht sieht er etwas, das ich nicht sehe. Vielleicht weiß er, wie unwürdig ich …
Nein!
Ich bin Rhiannon – geboren als Rhianikki, Prinzessin von Ägypten, Erstgeborene des Pharaos. Ich bin unsterblich, eine Göttin unter den Menschen, von Frauen beneidet, von Männern angebetet. Ich könnte sie so leicht töten, wie ich ihnen Gute Nacht wünsche.
Das könnte ich!
Ich bin würdig … und ich habe vor, es zu beweisen.
Ich bin Rhiannon. Und dies ist meine Geschichte.