Keith

9. KAPITEL

„Ich persönlich glaube ja“, sagte Lou, „Lydia hat sich zu viele Filme angesehen. Dieser übernatürliche Mist ist auf der Leinwand doch gerade der letzte Schrei.“

„Echt?“ Maxine sah ihn von der Seite an. Er fuhr seinen heruntergekommenen Buick, und zwischen ihnen befand sich eine Konsole. Sein Kaffeebecher war dort untergebracht, sein Frühstückscroissant, ein kleines Notizbuch, mehrere Bonbonpapiere und vieles andere mehr. Der Mann verbrachte viel zu viel Zeit in seinem Auto.

„Klar“, sagte er. „Was, das weißt du nicht? Ich dachte, du siehst dir jeden einzelnen Monsterfilm an, sobald er das erste Mal im Kino läuft.“

Sie schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. „Ich mag keinen schlecht gemachten Horror“, erklärte sie ihm. „Es ist einfach nicht mehr so wie früher. Immer nur Splatter, keine Klasse mehr. Verstehst du?“

„Klar doch.“

„Außerdem“, fuhr sie fort, „gehe ich nicht gerne alleine ins Kino. Und es ist nicht so, als würden sich vor meiner Tür die potenziellen Dates die Köpfe einschlagen.“

Nachdenklich betrachtete er Maxine. „Kann ich mir gar nicht vorstellen.“

„Nicht? Na, das ist lieb von dir, Lou. Aber das sagst du nur so. Ich bin nicht gerade hübsch.“

Er grunzte unwillkürlich. „So ein Schwachsinn“, platzte es ihm heraus.

Maxine wendete ihren Blick ab und tat so, als würde sie aus dem Beifahrerfenster sehen, damit er ihr selbstzufriedenes Grinsen nicht bemerkte. „Na gut, vielleicht bin ich ganz niedlich“, lenkte sie ein. „Aber niedlich ist nicht das Gleiche wie sexy. Männer finden mich so gut wie nie sexy.“

„Blinde Männer vielleicht.“

Ihr Lächeln wurde noch breiter. Jetzt durfte sie sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Überrascht und mit hochgezogener Augenbraue wendete sich wieder zu ihm um. „Soll das heißen, du findest mich sexy, Lou?“

„Ich …?“ Er presste die Lippen aufeinander, zog seine Augenbrauen zusammen und sah direkt durch sie hindurch. „Weißt du, du solltest einen alten Mann wie mich nicht so aufziehen. Das ist nicht sehr nett.“

„Aber ich …“

„Wir sind da“, sagte er und lenkte mit Schwung auf den Parkplatz, als wäre es die Sicherheitszone in einem Fangspiel auf Leben und Tod. „Also, denk dran, Kleines. Diese Lady ist eine alte liebe Freundin von mir. Ihre Gefühle sind mir wichtig. Sie hat gerade ihre beste Freundin auf der ganzen Welt verloren, und ich muss dir ehrlich sagen, das ist noch das Geringste, was sie in ihrem Leben durchgemacht hat. Also legst du lieber dein bestes Benehmen an den Tag. Richtige Manieren, Max. Zeig ein wenig Respekt.“

„Mann, du tust so, als würde ich da reingehen und sie anspucken oder so etwas.“

„Ich will einfach, dass du sie beruhigst. Mehr nicht. Bring sie von dieser an den Haaren herbeigezogenen Theorie von blutsaugenden Stalkern ab. Okay?“

Sie senkte ihren Kopf, hob ihren Blick und sah ihn unter bebenden Wimpern an. „Alles, was du sagst, Lou.“

Lou verdrehte die Augen gen Himmel, als er sein Auto auf dem ersten freien Platz vor June’s abstellte. Auf der einen Seite befand sich eine Bar, auf der anderen ein Imbiss. Spätmorgens an einem Wochentag war es dort ziemlich ausgestorben, und wahrscheinlich, nahm Maxine an, hatte Lou es genau deshalb ausgesucht.

Sie stieg auf ihrer Seite aus, ohne die Beifahrertür wieder zu verriegeln. Ein wenig genervt erledigte Lou das. Maxine dachte es sich so: Wenn jemand so verzweifelt einen fahrbaren Untersatz brauchte, dass er sich mit Lous Rostmobil aus dem Staub machte, hatte er es auch verdient. Lou würde mit der Versicherungssumme mehr anfangen können.

Sie gingen die Treppe zum Imbiss hinauf. Lou hielt die Tür für sie auf, und sie ging so dicht an ihm vorbei, dass sich ihre Körper berührten. Er tat so, als würde er nichts merken.

Eine Frau blickte von ihrem Tisch auf, als sie eintraten. Ihre Augen streiften Maxine nur kurz und leuchteten auf, als sie Lou erblickten. Ihr Lächeln wirkte dünn und wässrig. Und Max hätte wahrscheinlich für jede andere Person, die so lächelte, einen Schwall Mitleid empfunden. Nur war diese Frau eine dralle Wasserstoffblondine, die auch in einem Futtersack noch gut ausgesehen hätte, und sie schenkte dieses wässrige Lächeln ihrem Cop.

Maxine musste sich tatsächlich beherrschen, während Lou sie an den Tisch führte.

„Lydia“, sagte Lou jetzt. „Wie geht es dir, Schatz?“ Während er sprach, zog er sie in eine sanfte Umarmung, und Max spürte, wie das Blut in ihren Schläfen pochte.

„Es geht mir ganz gut. Danke, dass du gekommen bist, Lou.“ Sie lockerte ihren Griff um ihn und sah zu Maxine.

„Lydia, das ist Maxine Stuart, das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe. Max, Lydia Jordan.“

Lydias Lächeln verlor nichts an Freundlichkeit, und es wurde auch nicht zu einer gezwungenen oder angestrengten Grimasse, wie Max es erwartet hatte. Wahrscheinlich hielt sie Max für zu jung, um eine ernsthafte Konkurrenz um Lous Zuneigung darzustellen. Na ja, sie würde ja bald merken, wie verdammt falsch sie lag.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass Sie einem Treffen zugestimmt haben, Maxine“, sagte Lydia und nahm ihre Hand in ihre beiden. „Lou sagt, Sie verstehen mehr von diesen Dingen als irgendwer sonst. Und ich brauche dringend die Meinung von einem Experten, dessen Urteilsvermögen man ohne Weiteres vertrauen kann.“

Maxine blinzelte überrascht. Also hatte Lou ihr ein Loblied gesungen, was? Cool. Gut zu wissen. Sie warf Lou einen Blick zu, aber er wich ihr aus und deutete auf die Stühle. „Setzen wir uns und bringen es hinter uns.“

Maxine setzte sich an eine Seite des kleinen quadratischen Tisches, Lou auf die andere und Lydia dazwischen. Toll. Eine Kellnerin erschien und füllte die Kaffeebecher, die auf dem Tisch bereitstanden, ließ die Speisekarten da und verschwand wieder.

„Was für ein Plappermaul“, kommentierte Maxine.

„Ich habe denen gesagt, wir wollen so weit es geht in Ruhe gelassen werden.“ Lydia schluckte, als hätte sie einen Kloß im Hals, und sah Max in die Augen. „Soweit ich weiß, hat Lou Ihnen bereits die Fakten erzählt. Meine Partnerin … meine … meine beste Freundin auf der Welt, Kimbra Sykes … wurde vor zwei Wochen auf dem Weg nach Hause ermordet.“

„Ich habe Lous Notizen darüber gelesen“, erklärte Maxine mit leiser Stimme, falls irgendjemand sie belauschen sollte. Sie würde Lou um nichts in der Welt noch mehr Ärger machen wollen. „Sie haben sie am nächsten Morgen in einer Gasse gefunden.“

Lydia nickte, und ihre blonden Haare wippten bei jeder Kopfbewegung mit. Sie trug zu viel Make-up, dachte Maxine ungnädig. Das machten diese alten Tussis oft. Dick aufspachteln, um die Spuren der Zeit zu überdecken.

„Lou wird deswegen stinkwütend auf mich sein, Maxine, aber …“ Lydia zog einen Umschlag aus dem schwarzen Aktenkoffer neben ihrem Stuhl und schob ihn über den Tisch. „Ich habe Kopien der Tatortfotos und vom Autopsiebericht, die entstanden sind, ehe das FBI den Fall übernommen hat.“

„Verdammt noch mal, Lydia, was zum Teufel …“

Lou brach ab, als Maxine anfing, den Umschlag zu öffnen, und Lydia eine Hand hob, um sie aufzuhalten. „Ich gehe mich erfrischen, dann haben Sie genug Zeit, sich alles anzusehen.“

Maxine hielt plötzlich inne. „Entschuldigung, ich habe nicht nachgedacht.“

„Schon in Ordnung. Na los, deshalb habe ich die Sachen schließlich mitgebracht.“ Sie stand auf, machte sich in Richtung der Gästetoiletten davon und verschwand aus Maxines Blickfeld.

„Du wusstest nicht, dass sie dieses Zeug hat?“, fragte Maxine, während sie die Dokumente und Fotos aus dem Umschlag holte.

„Nein, und ich habe auch keine Ahnung, wie sie es in die Finger bekommen hat. Die verfluchten Bundesagenten haben sich eingemischt, alle Beweise beschlagnahmt und alle unsere Kopien vernichtet.“

Maxine sah zu ihm auf. „Das haben die gemacht?“

„Ja. Einfach so. Irgendwas ist los, Max, aber ich weiß verdammt noch mal nicht, was. Müsste ich raten, ich würde sagen, es gibt einen Serienkiller mit der gleichen Vorgehensweise. Aber wenn du auch nur ein Wort davon sagst, streite ich es ab.“

„Gott sei Dank hält Big Brother die Öffentlichkeit so gut auf dem Laufenden“, murmelte sie. Sie legte den Stapel zurück auf den Tisch, drehte die oberste Seite um und starrte hinab auf eine Tatortaufnahme. Eine Frau, sehr groß und schlank, vielleicht Anfang vierzig, lag in einer Gasse auf dem Boden. Sie trug Khakis und einen dunkelgrünen Pullover mit V-Ausschnitt. Ihr helles braunes Haar war zu einem ordentlichen Knoten gesteckt.

„Kein Haar gekrümmt“, murmelte Maxine. „Sieh dir ihre Kleider an, Lou. Sie sind nicht schmutzig oder zerrissen. Ihr Make-up ist nicht einmal verschmiert.“

„Ich weiß.“

Ein Foto nach dem anderen schaute sie sich an, bis sie zu den Autopsiebildern gelangte, die wie Routineaufnahmen aussahen. Dann erblickte sie die Nahaufnahmen vom Hals der Toten. Zwei winzige Einstiche verunzierten dort die lilienweiße Haut. Wieder blätterte sie schnell weiter, bis sie den Autopsiebericht fand. „Die Frau ist an Blutverlust gestorben“, sagte sie zu Lou. „Hier steht, es verblieb nur noch eine unwahrscheinlich geringe Menge Blut in ihrem Körper, sie war aber nirgendwo verwundet. Keine Schnittwunde, keine Prellungen, keine inneren Blutungen, nichts – bis auf diese zwei Einstiche an ihrem Hals.“ Sie überflog die Seite und wendete sich dann wieder dem ersten Stapel Fotos zu, den sie schnell durchblätterte. „Und auch am Tatort kein Tropfen Blut.“

Sie sah auf und begegnete Lous Blick. Als sie Lydia bemerkte, die langsam wieder zurückkam, schob sie die Papiere und Fotos zurück in den Umschlag. Niemand sollte seine beste Freundin so sehen müssen.

„Und?“, fragte Lydia, als sie neben dem Tisch stehen blieb. „Was meinst du?“

„Kann ich die behalten?“, fragte Maxine und hob den Umschlag an. „Ich würde sie mir gerne genauer ansehen.“

„Natürlich. Ich habe Kopien gemacht. Aber … was meinen Sie, Maxine? Bin ich vollkommen verrückt, zu glauben, es könnte ein … ich meine …“

„Sie sind überhaupt nicht verrückt. Entweder, jemand hat sich alle Mühe gegeben, den Mord wie das Werk eines Vampirs aussehen zu lassen … oder es war wirklich einer.“

„Max …“ Lou sah aus, als wolle er sie erwürgen.

„Tut mir leid, Lou, aber mal ganz ehrlich, hast du etwa eine bessere Theorie?“

„Hunderte! Außerirdische wären eine bessere Theorie als das. Mensch, Max, ich habe dich hergebracht, damit du die Sache besser machst, und du machst alles nur noch schlimmer.“

„Schrei sie nicht an“, beschwor Lydia ihn. Ihre Stimme war sanft, aber fest. „Ich wollte eine ehrliche Meinung von ihr, und die hat sie mir gegeben, obwohl sie gewusst haben muss, dass du wütend auf sie wirst, Lou. Lass sie in Ruhe.“ Sie wendete sich an Maxine. „Was glauben Sie, was ich jetzt machen soll?“

Allein diese Frage ließ Maxine etwas größer werden. Lydia fragte sie um Rat, als wäre sie wichtig, jemand, dessen Meinung etwas zur Sache tat. Und das, merkte Maxine jetzt, war sie wirklich. Niemand konnte Lydia besser helfen als sie selbst. Aber verdammt, das war ein Wespennest, in das sie wirklich nie wieder hatte stechen wollen – oder wenigstens jetzt noch nicht. Sie erinnerte sich an das verbrannte, verrußte Gesicht des Mannes, an den Klang seiner Stimme, die ihr über das Telefon drohte, ihren Freunden etwas anzutun.

Sie schüttelte sich und merkte, dass Lydia immer noch auf eine Antwort wartete. „Das Erste und Wichtigste ist, dass Sie niemandem von dieser Sache erzählen. Niemandem. Tun Sie so, als wären Sie völlig unwissend. Tun Sie so, als hätten Sie geschluckt, was die Ihnen an Märchen über Kimbras Tod aufgetischt haben. Bedanken Sie sich bei denen, und widersprechen Sie ihnen nicht. Stellen Sie keine Fragen. Ich schwöre Ihnen, das ist am wichtigsten.“

Lydia sah überrascht aus, nickte aber mit Nachdruck. Lou andererseits hatte die Augen zusammengekniffen und starrte Maxine an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Abgesehen davon machen Sie einfach so normal weiter, wie Sie können. Halten Sie sich von der Straße fern, schließen Sie nachts die Türen ab. Gesellschaft wäre auch nicht schlecht. Ich meine, nur für den Fall.“

„Ja, klar.“ Der Spott in Lous Stimme war nicht zu überhören. „Und wahrscheinlich schlägst du als Nächstes vor, sie soll sich Knoblauch und Kruzifixe ums Bett hängen, was, Max?“

Ihr Blick war vernichtend. „Ich glaube nicht, dass das funktioniert.“

Lou verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Lydia, geh nach Hause und vergiss dieses Treffen. Ich hätte es besser wissen sollen, als Mad Max Stuart als Stimme der Vernunft mitzubringen. Lass die Obrigkeit ihren Job machen, und ich verspreche dir, du bekommst schon deine Antworten. Du musst nur geduldig sein.“

Dann drehte er sich um. „Und zu dir …“

„Lou, bitte“, sagte Lydia.

Maxine sackte auf ihrem Stuhl zusammen. „Ist schon in Ordnung, Lydia“, sagte sie. „Kehren Sie ruhig in Ihren Alltag zurück. Ich bin an der Sache dran.“ Dann seufzte sie. „Vielleicht sollten Sie jetzt gehen. Ich glaube, Lou würde mich gerne eine Weile anbrüllen.“

Lydia sah sie an und nickte schließlich. „Sieht aus, als könnten Sie mit ihm fertig werden.“

„Kann ich.“

„Danke, Maxine. Vielen Dank. Wir bleiben in Kontakt.“

Maxine zupfte eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und gab sie Lydia, fast, als hätte sie sich gerade erst daran erinnert. „Es ist, äh – eine meiner alten Karten. Ich habe noch keine neuen drucken lassen.“

Lydia nickte und steckte die Karte in ihre Tasche. Dann umarmte sie Lou und verließ den Imbiss.

Maxine stand auf. „Komm mit, Lou.“

„Mit wohin?“, fragte er.

„Zu mir. Ich muss dir ein paar Dinge zeigen. Und wenn du mich danach immer noch anbrüllen willst, dann kannst du das gerne tun. Ich bleibe ganz still dabei. Aber wenn nicht – dann musst du mir bei der Sache helfen.“

„Nichts, was du mir zeigst, kann entschuldigen, was du dieser Frau gerade angetan hast, Max. Das werde ich dir nie verzeihen.“

„Doch, wirst du.“

Er griff nach dem Umschlag, doch sie schnappte ihn vom Tisch, ehe er ihn an sich nehmen konnte. „Das ist vertraulich.“

„Ich weiß.“ Maxine blickte ihn ruhig an. „Und ich habe zu Hause noch einen Haufen mehr. Also passt es da ganz gut rein.“

Mit aufgerissenen Augen wartete er auf die Pointe – doch die kam nicht.

„Komm mit“, wiederholte sie ihre Bitte. „Ich erklär dir alles, wenn wir da sind.“

Lou bemerkte ihre Veränderung sofort. Maxine hatte ihn wirklich überrascht, als sie Lydia unterstützt hatte, statt sie zu beruhigen. Maxine war wild, das schon. Ungestüm, das auch. Respektlos, und ein wenig selbstbezogen. Aber verdammt, er hätte nie gedacht, sie würde ihm in den Rücken fallen, wenn er sie am meisten brauchte.

Das alles enttäuschte ihn sehr. Andererseits war sie nur ein Kind. Was sollte man da schon erwarten?

Jetzt allerdings begann er, sich Sorgen zu machen. Sie benahm sich merkwürdig beim Verlassen des Imbisses, so als könnte sie jemand beobachten. Sie sah sich auf der Straße um, sah unter sein Auto, ehe sie einstieg, sah auf den Rücksitz und dann auch immer wieder in den Rückspiegel, während er fuhr.

„Was ist los, verdammt?“, wollte er wissen.

Sie warf ihm einen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Halt bei der Bank an. Ich muss etwas holen.“

Mit gerunzelter Stirn sah er sie von der Seite an, fuhr aber auf die Einfahrt der Bank zu. „Drive-in-Fenster?“

„Schließfach.“

Okay, das ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Was zum Teufel hatte Mad Maxine vor? Er parkte den Wagen, während sie in ihrer Handtasche herumwühlte und schließlich einen Schlüssel ans Licht brachte. Dann folgte er ihr hinein, und er sollte verdammt sein, wenn ihr Verhalten bei ihm nicht alle Alarmsirenen losgehen ließ. Er hatte sie schon zynisch erlebt, skeptisch und lächerlich, aber noch nie war sie ihm paranoid vorgekommen. Und ein Teil von ihm – ein kleiner Teil – wollte nicht leugnen, dass sie vielleicht einen Grund dazu hatte. Er erwischte sich dabei, wie er ihr den Rücken deckte, als wäre sie seine Partnerin und sie hätten gerade einen Raum voller Halsabschneider betreten.

Ganz sicher bemerkte sie sein Verhalten, das konnte er sehen, als ihre Augen anerkennend aufleuchteten. Sie hatte einfach höllische Augen. Groß und grün und leuchtend. Passend zu ihrem feuerroten Haar. Sie war eine Frau in Technicolor. Sowohl im Geiste als auch im Aussehen. Sie zwinkerte ihm zu und schenkte ihm ein geheimnisvolles Lächeln, während der Bankangestellte sie in den hinteren Bereich führte. Lou knirschte mit den Zähnen. Er ging näher heran, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, durch die sie gegangen war, beobachtete die ganze Bank und versuchte, seinen beschleunigten Puls zu ignorieren.

Maxine hatte keine Ahnung, was sie ihm antat, wenn sie so mit ihm flirtete, wie es ihre Art war. Die ganze Zeit schon. Sie hielt ihn für zu alt, um auf sie zu reagieren, dachte, er wäre keine Bedrohung, keine Gefahr. Ein Kastrat. Schmeichelhaft war das nicht gerade, aber um ehrlich zu sein gefiel es Lou, dass sie sich bei ihm sicher fühlte. Er schämte sich für seine Reaktion, nicht nur in Gedanken, auch körperlich konnte er sie nicht immer verhindern. Er würde sich eher erschießen lassen, als ihr das einzugestehen. Auf keinen Fall sollte sie ihn für einen alten Lustgreis halten.

Achtzehn Jahre Altersunterschied. Theoretisch war er alt genug, um ihr Vater zu sein. Ein junger Vater, schon, aber dennoch …

Als sie zurückkam, bemerkte er in ihren Händen nichts, was sie nicht schon vorher bei sich gehabt hatte. Doch, ihre Handtasche war praller gefüllt als vorher. Jesus, sie war wirklich vorsichtig.

Er führte sie hinaus zum Wagen, hielt ihr die Tür auf, setzte sich dann hinters Steuer und startete den Wagen. „Bist du so weit, mir zu erzählen, was das alles soll, Max?“

Ihre Blicke trafen sich, als sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. „Du bist der einzige Mensch auf der Welt, dem ich genug vertraue, um darüber zu sprechen, Lou. Sonst darf es niemand wissen. Niemand. Ich habe meiner Mom nichts gesagt oder Stormy oder sonst irgendwem.“

„Verstehe.“

„Ich wollte es dir schon lange sagen, aber ich hatte Angst, dass du deswegen Ärger bekommst. Und ich weiß, es kann dich in Gefahr bringen.“

Er drehte seinen Kopf abrupt zu ihr um.

„Lass uns zu dir fahren, okay? Bei mir ist zu viel los. Stormy geht den ganzen Tag ein und aus, und außerdem wissen die, wo ich wohne.“

„Wer weiß, wo du wohnst? Jesus, Max, langsam bekomme ich Angst.“

„Du hast zu Hause einen Computer, oder? Mit CD-ROM-Laufwerk?“

Er nickte und dachte kurz über den Zustand seiner Wohnung nach, aber das war wohl nicht wichtig. Irgendetwas hatte Max richtig Angst eingejagt. Und sie war kein dummes kleines Mädchen. Er glaubte nicht, dass sie eine harmlose Sache derart unpassend aufblasen würde.

„War das in deinem Schließfach, Max? Eine CD-ROM?“

„Und ein Ausweis.“

Er hob seine Augenbrauen. „Was für ein Ausweis genau?“

„Ungefähr wie deiner. Nur statt Polizei der Stadt etc. steht DPI drauf.“

„Nie gehört.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, es handelt sich dabei um eine geheime Unterabteilung der CIA, und ihr Hauptquartier war früher genau hier in White Plains. Jedenfalls bevor es bis auf die Grundmauern abgebrannt ist.“

Ohne ein Wort zu sagen fuhr er durch die Stadt, um zu verarbeiten, was sie ihm gerade erzählt hatte. Dann begriff er. „Du meinst das Krebsforschungszentrum, das vor etwa fünf Jahren abgebrannt ist?“

Sie nickte. „Genau. Nur war das alles Tarnung.“

Er stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz ab und umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen. Dann drehte er sich zu ihr um. „Du warst damals dort und hast herumgeschnüffelt. Nachts. Ich weiß noch, du hast mich gebeten …“ Er unterbrach sich, als ihm ein Licht aufging. „Du hast das Zeug in jener Nacht aus dem Feuer geholt, oder, Max? Und deshalb musste ich dir helfen, an diesen Soldaten vorbeizukommen, die damals aufgetaucht sind.“

„Jetzt hast du es. Und es wird noch besser, Lou. Noch jemand außer dir hat gesehen, wie ich damals herumgeschnüffelt habe.“

„Wer?“

„Der Typ, dem dieser Ausweis gehört, nehme ich an.“

„Heilige Mutter …“

„Du darfst jetzt noch nicht durchdrehen, das war erst der glaubwürdige Teil der Geschichte. Komm mit. Wenn ich dir den Rest nur erzähle, bin ich auf halbem Weg in die Irrenanstalt, ehe ich fertig bin. Du musst dir das Zeug selber ansehen.“

Sie öffnete die Beifahrertür, stieg aus und schob ihre Handtasche höher auf ihre Schulter.

Lou stieg ebenfalls aus, aber ihm war schwindelig. Er konnte nicht glauben, dass Maxine geheimes Material von irgendeinem Zweig der Regierung gestohlen haben sollte. Mein Gott, Leute waren schon für weniger ins Gefängnis gekommen.

Er nahm ihren Arm und führte sie die Treppe zu seiner Wohnung im ersten Stock hinauf. „Ich weiß nicht, wo zum Teufel du dieses Mal wieder hineingeraten bis, Max“, sagte er leise. „Ich hoffe nur bei Gott, dass du auch wieder herauskommst.“