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OBWOHL AM NÄCHSTEN Morgen die Ponys nicht in den Hänger geladen und zum Bishop’s Wood transportiert werden mussten, standen Bill und die Jungen mit den Hühnern auf, und ich mit ihnen. Sie platzten vor Ungeduld, zur Kirmes zu kommen. So wie ich, wenngleich aus anderem Grund.

Ich hatte vor, mein Kostüm anzuziehen, sobald ich von der Kirche zurück war. Will und Rob wollten ihre Gewänder sofort tragen, doch ich bestand darauf, dass sie sich erst auf der Kirmes verkleideten. Haferbreiflecken auf ihren frisch gewaschenen Tuniken war das Letzte, was ich jetzt brauchte. Bill sorgte für klare Verhältnisse, indem er ihre Kostüme und seines in den Kleidersack legte und den Reißverschluss zuzog, um ihn dann im Range Rover zu verstauen.

Nach einigem Diskutieren wurde der randvolle Rucksack zu Hause gelassen. Bill argumentierte überzeugend, dass sie alles, was sie brauchten, auf der Kirmes finden würden, einschließlich Regencapes, Mineralwasser und Sonnencreme. Sollte es unerwartet einen Temperatursturz geben, erklärte er weiter, konnten sie sich von den Fußsoldaten Ledercapes borgen.

Sobald wir uns an den Frühstückstisch gesetzt hatten, begann ich mit meiner Mission des Faktensammelns. Zwar zweifelte ich, dass Bill mir viel über die einsame Handsäge sagen konnte, da er und die Zwillinge auf der Kirmes eingetroffen waren, lange nachdem das besagte Geräusch aus dem Wald zu mir in den hinteren Garten geweht worden war. Aber ich war mir fast sicher, dass er in der Lage sein würde, mir etwas über die frühmorgendlichen Aktivitäten auf dem Turnierplatz zu erzählen.

»Bill«, sagte ich und reichte ihm den Honigtopf, »haben die Ritter ihre Show gestern früh geübt?«

»Sie waren mitten in der Probe, als wir eintrafen. Perry und Jack mögen zwar Unterhalter sein, aber sie sind wahre Meister im Schwertkampf. Sie nehmen das Training sehr ernst.«

»Also haben sie das volle Programm durchgespielt«, sagte ich. »Das Speerwerfen, das Ringelstechen, die Quintana …«

»Das volle Programm, ja.«

»Wie lange haben sie geübt?«, fragte ich.

»Zwei Stunden.« Er träufelte Honig auf seinen Toast. »Perry erzählte mir, dass sie jeden Morgen von sieben bis neun trainieren. Es ist besser, mit den Pferden in der frischen Morgenluft zu arbeiten, außerdem haben sie dann genug Zeit, sich auszuruhen, ehe die Nachmittagsvorstellung beginnt.«

»Waren die Soldaten und Knappen auch dort?«

»Nur die Knappen.« Bill stützte sich auf die Ellbogen und beugte sich nach vorn, und ich hatte den Eindruck, als würde ihn das Thema ebenfalls interessieren. »Die Ritter können ihre Rüstungen nicht ohne Hilfe anziehen, außerdem brauchen sie für das Ringelstechen geübte Knappen, die die Ringe für sie halten. Wenn Harold und Drogo nicht dort gewesen wären …«

»Drogo?«, fragte ich dazwischen.

»Der Knappe von Sir Jacques.« Bill lächelte ironisch. »Sein richtiger Name ist Kevin McGee, aber er zieht den Namen Drogo Dragonfire vor.«

»Kann man es ihm verübeln?«

»Jedenfalls wenn Harold und Drogo nicht dort gewesen wären, hätten die Ritter bei jedem Waffenwechsel absitzen müssen. Es ist nicht einfach, in voller Rüstung und mit einer Lanze in der Hand auf- und abzusitzen.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich. »Warum haben die Soldaten ihnen nicht die Waffen gereicht?«

»Die Soldaten waren gestern beim Training nicht dabei.« Bill warf einen verstohlenen Blick auf die Zwillinge, ehe er mit bedeutungsvollem Unterton sagte: »Ich glaube, sie haben sich in der Nacht davor ein wenig zu ausgiebig vergnügt.«

»Sie waren voll wie eine Haubitze«, sagte Will zwischen zwei Löffeln Haferbrei leichthin.

»Sturzbesoffen«, klärte Rob uns auf.

»Knülle«, bemerkte Will.

»Hackedicht«, schlug Rob vor, für den Fall, dass ich es noch nicht verstanden hatte.

»Ich … Wie bitte?«, sagte ich verblüfft.

»Das machen Soldaten«, meinte Rob sachlich. »Drogo sagte, dass die Soldaten Kopfweh hatten, weil sie einfach nicht Nein sagen können, wenn ihnen jemand eine Halbe von dem harten Zeug anbietet.«

»Sie haben gezecht«, fügte Will hilfreich hinzu. »Und Frauenzimmer flachgelegt.«

»Was ist das, Frauenzimmer flachlegen, Daddy?«, fragte Rob und blickte seinen Vater mit einem Paar unschuldiger brauner Augen an.

Mein Mund blieb offen stehen, und Bill unterdrückte ein Lachen. Ich warf ihm einen durchdringenden Blick zu, und er nahm sofort wieder eine ernste Miene an, doch seine Stimme zitterte vor unterdrückter Belustigung, als er Robs Frage beantwortete.

»Es ist ein Spiel für Erwachsene«, sagte er, um dann entschieden hinzuzusetzen: »Ich glaube, wir haben erst mal genug vom Turnierplatz gesehen, Jungs. Was haltet ihr davon, wenn wir heute den Rest der Kirmes erkunden?«

Rob und Will stimmten bereitwillig zu, und ich war erleichtert. Mir schien, als hätten sie bereits allzu viel Zeit auf dem Turnierplatz verbracht. Ich wollte, dass meine Söhne etwas übers Spinnen und Weben lernten und nicht übers Zechen und Flachlegen. Ihre unerwarteten Beiträge beim Frühstück hatten mich derart aus dem Konzept gebracht, dass es einen Moment dauerte, bis ich den Faden wiedergefunden hatte.

»Was machten die Ritter und Knappen nach ihrem Training?«, fragte ich. »Hielten sie sich im Zelt auf, um die Rüstungen zu polieren?«

»Harold und Drogo gingen auf die Koppel, um nach ihren Pferden zu sehen«, sagte Bill. »Perry und Jack hingegen wuschen sich und begaben sich zum Torhausplatz, und zwar um halb zehn, denn die Zeremonie beginnt Punkt neun Uhr fünfunddreißig. Calvin mag zwar wie ein lässiger Kerl wirken, aber er hat den Laden fest im Griff.«

»Es ist bestimmt eine Herausforderung, den Laden fest im Griff zu haben, wenn man es mit so vielen freiheitsliebenden Menschen zu tun hat.« Ich nippte an meinem Tee. »Hat es schon irgendwelche Meutereien gegeben?«

»Nicht dass ich wüsste. Wie ich dir gestern sagte, ist Cal bei allen beliebt. Ich glaube, sie schätzen seine Managementfähigkeiten. Ein starker König, ein glückliches Königreich, so scheint es.«

Ich wollte nicht, dass Bill das Gefühl bekam, dass ich ihn ausfragte, also widmete ich mich meinem Käseomelett und ließ Bill sich seinem zuwenden. Nachdem er ein paar Bissen gegessen hatte, begann ich von neuem.

»Auf der Kirmes muss es ja ziemlich ruhig sein, bevor sie ihre Pforten öffnet. Abgesehen vom Turniergelände freilich.«

»Es ist wie eine Geisterstadt«, pflichtete Bill mir bei. »Vor neun, wenn die Essensverkäufer auftauchen, passiert gar nichts. Während Will und Rob die Ponys striegelten, stieg mir der Duft von Steak-und-Nieren-Pie in die Nase. Der Speichel wäre mir beinahe auf mein Geckenhemd getrieft.«

»Es nennt sich Dichterhemd«, erklärte ich ihm. »An einem der Stände habe ich ein ganzes Regal voll solcher Hemden gesehen.«

»Wir sind fertig«, verkündeten Will und Rob.

»Dann ab mit euch nach oben«, sagte ich. »Ich will, dass ihr euch vor der Kirche die Zähne putzt, die Hände wascht und das Haar kämmt.«

Die Zwillinge blickten ebenso überrascht wie ihr Vater.

»Gehen wir in die Kirche?«, fragte Bill.

»Natürlich gehen wir. Der Pfarrer soll schließlich nicht denken, wir hätten ihn vergessen, nicht wahr? Außerdem scheint mir, dass gewissen jungen Männern in diesem Raum ein wenig Besinnlichkeit guttun würde.«

Bill verstand die Anspielung und nickte den Jungen zu. »Ab mit euch, Jungs. Zähne, Hände, Haare.«

Ich ließ Bill in Ruhe sein Omelett zu Ende essen, nahm aber meine Befragung wieder auf, als wir gemeinsam das Geschirr in den Geschirrspüler räumten.

»Und wann erscheinen die restlichen Standinhaber?«, fragte ich.

»Die meisten trudeln gegen halb zehn ein.«

»Wohnen sie auch im Camp?«

»Die meisten. Einige sind unter der Woche an ihrem jeweiligen Wohnort und verbringen nur die Wochenenden auf der Kirmes. Man nennt sie Wochenendpendler.«

»Wie nett.« Ich machte den Geschirrspüler zu und stellte, aus reiner Neugierde, eine weitere Frage. »Was machen die Nicht-Wochenendpendler während der Woche?«

»Ich nehme an, die Ritter üben sich im Schwertkampf. Was die anderen betrifft …« Bill zuckte die Schultern. »Das werden wir bestimmt herausfinden.«

Während Bill und ich nach oben gingen, um uns unserer eigenen Zähne, Hände und Haare anzunehmen, analysierte ich im Stillen den Zeitrahmen, den Bill für mich konstruiert hatte. Wenn meine Berechnungen richtig waren, hätte das Turniergelände faktisch volle dreißig Minuten verlassen dagelegen, nachdem die Probe endete. Sobald die Knappen die Pferde in den Stallbereich geführt hatten und die Ritter zum Torhausplatz gegangen waren, hätte der Saboteur genug Zeit gehabt, um unbeobachtet von der Turniermannschaft das Seil der Quintana zu manipulieren.

Allerdings hätten die Essensverkäufer ihn bemerken können. Sie waren eine Stunde vor Öffnung der Kirmes zur Arbeit gegangen, und ihre Stände waren so nah beim Turnierplatz, dass Bill den Duft hatte ausmachen können, der aus ihren Öfen herüberwaberte. Ich nahm mir vor, an diesem Tag als Erstes der Pudding Lane einen Besuch abzustatten. Und, so beschloss ich, dort würde der Honigkuchenstand meine erste Anlaufstation sein. Schließlich sprach nichts dagegen, wenn ich das Geschäftliche mit dem Vergnügen verband.

 

Die Frühmesse in der St. George’s Church war die einzige, die meine Männer zu besuchen bereit waren, erlaubte sie ihnen doch, vor zehn Uhr auf der Kirmes zu sein. Meine in letzter Minute verkündete Entscheidung, sie mitzunehmen, brachte einen späten Aufbruch mit sich, doch als wir das Cottage verließen, hatten wir noch eine bescheidene Chance, in eine Kirchenbank schlüpfen zu können, ehe der Pfarrer mit dem ersten Gebet begann.

Glücklicherweise waren wir früh genug dran, um den Stau zu umgehen, in den ich tags zuvor auf unserer kleinen Straße geraten war. Ich genoss das Gefühl, sie für uns zu haben, auch wenn gleich darauf Ärger in mir aufstieg, als ich in einem Graben Bierdosen schimmern und in den Hecken Kaugummipapier hängen sah. Unter normalen Umständen hätten wir unverzüglich angehalten, um den Abfall zu beseitigen, aber da wir spät dran waren, beschloss ich, unsere Säuberungsaktion auf später zu verschieben.

Während ich düster über Abfall und Schmutzfinken brütete, vollzogen Bill, Will und Rob das raue Familienritual, das ein fester Bestandteil unserer Ausflüge nach Finch war. Als wir an Anscombe Manor vorbeifuhren, ließen sie die Ponys hochleben, und auch wenn die Schwestern Pym Urlaub am Meer machten, salutierten die Jungen, als wir ihr rotes Backsteinhaus passierten. Und kaum hatten wir die Buckelbrücke erreicht, jaulten alle drei wie Hyänen. Bill ermunterte mich einzustimmen, doch kaum fuhren wir von der Brücke herunter, verstummten wir alle schockiert beim Anblick des Dorfes, das sich vor uns erstreckte.

Es sah aus, als wäre ein Tornado durch Finch gefegt und hätte eine Spur der Verwüstung hinter sich gelassen. Bonbonpapier, leere Kartoffelchipstüten, Einkaufstüten, Bierflaschen und seltsamerweise auch einzelne Kleidungsstücke lagen auf dem Dorfanger verstreut. Entlang des Bürgersteigs sah man überall eingedrückte Getränkedosen, und auf einer Bank in der Nähe des Kriegsdenkmals lag eine einsame Modezeitschrift. Das Schild des Pubs hing schief, dem Abfalleimer vor dem Gemüseladen fehlte ein Bein, und das große Schaufenster von Peggys Kaufhaus wies ein Netz aus Rissen auf. Außerdem schien jemandem auf der Schwelle zur Teestube übel geworden zu sein.

Bill und ich waren zu fassungslos, um zu sprechen, aber die Zwillinge zögerten nicht, ihren Kommentar abzugeben.

»Piraten«, sagte Will bestimmt.

»Marodierende Piraten«, stimmte Rob ein.

»Wir sind zu weit vom Meer weg für Piraten«, sagte Bill, der seine Stimme wiedergefunden hatte.

»Aber wir sind nicht weit von der Kirmes weg«, sagte ich.

»Niemand von der Kirmes würde das hier tun«, meinte Bill. »Sie mögen freiheitsliebende Menschen sein, aber Idioten sind sie nicht. Es ist in ihrem Interesse, gut mit den Einheimischen auszukommen.«

»Wer war es dann?«, fragte ich.

»Touristen«, sagte Bill lakonisch. »Ich glaube, wir können die Schuld für diese Schweinerei getrost marodierenden Touristen in die Schuhe schieben.«

Ich war fast zu wütend, um zu sprechen. »Wenn sie St. George’s angerührt haben, werde ich sie zur Strecke …«

»Lass uns erst mal sehen, okay?«, unterbrach mich Bill, wohl um mich davon abzuhalten, den Sonntag durch allzu starke Worte zu verderben. Finster starrte er durch die Windschutzscheibe, als er wieder anfuhr und den Wagen langsam durchs Dorf rollen ließ, als inspizierten wir den Schauplatz einer Naturkatastrophe.

Jemand hatte Senf an die Schultüre geschmiert und die Blumen zertrampelt, die Emma um das Kriegerdenkmal herum gepflanzt hatte. Doch der Rest des Dorfs schien von sichtbarer Beschädigung verschont worden zu sein. Wysteria Lodge, das Gebäude, in dem Bill sein Büro hatte, wirkte ebenso unversehrt wie das Crabtree Cottage, Briar Cottage, das alte Schulhaus, das Pfarrhaus und Mr Barlows Haus.

Auch die Kirche wies keine Zeichen von Vandalismus auf. Das Friedhofstor hing fest in seinen Angeln, und die Grabsteine waren weder umgeworfen noch besudelt. Erleichtert stellten wir den Wagen am Randstein ab, befreiten die Jungen aus ihren Kindersitzen und eilten in die Kirche. Unsere langsame Fahrt durch das Dorf hatte zusätzlich zu unserer Verspätung beigetragen.

Es war unmöglich, die Kirche geräuschlos zu betreten. Die schwere Eichentür knarrte, als Bill sie aufzog, und fiel dröhnend wieder hinter uns ins Schloss. Ebenso wenig konnten wir verhindern, dass unsere Tritte auf den Steinplatten des Mittelgangs widerhallten.

Eine bleichgesichtige Kirchengemeinde drehte die Köpfe, als wir reuevoll in eine der hinteren Bänke schlüpften. Der Pfarrer, der ziemlich erschöpft wirkte, wartete höflich, bis wir Platz genommen hatten, ehe er mit dem Gottesdienst fortfuhr. Als er auf die Kanzel stieg, erwartete ich, dass er mit der Lesung begann, doch offensichtlich hatten ihn die jüngsten Ereignisse dazu animiert, gleich zur Predigt überzugehen.

»Matthäus 24,6«, begann er. Theodore Buntings angenehm volltönende Stimme klang ungewohnt müde, und sein langes, schmerzvolles Gesicht wirkte hager. »›Ihr werdet von Kriegen hören, und Nachrichten über Kriege werden euch beunruhigen. Gebt acht, lasst euch nicht erschrecken! Das muss geschehen. Es ist aber noch nicht das Ende.‹«

»Spricht er über das Ende der Welt?«, fragte ich Bill flüsternd.

»Es muss wohl eine raue Nacht gewesen sein«, erwiderte Bill.