17
DIE NACHTEILE EINES eng anliegenden Mieders sollte ich zu spüren bekommen, als ich versehentlich falsch abbog und mich im Rittercamp wiederfand. Wäre der Wind aus der anderen Richtung gekommen, hätte mich der unverwechselbar männliche Gestank vorgewarnt, doch mit dem Wind im Rücken bemerkte ich es erst, als es bereits zu spät war.
Bis zu diesem Punkt war meine Erkundung des Zeltlagers eine erkenntnisreiche Unternehmung gewesen, wenngleich aus ganz anderen Gründen als dem beabsichtigten. In mancher Hinsicht war das Lager wie ein normaler Campingplatz. Die Lücken zwischen den Zelten waren vollgestellt mit dem üblichen Durcheinander aus Grills, Campingstühlen und -tischen, Kühlboxen, Waschwannen, Cricketschlägern, Fußbällen, Wäscheleinen und überquellenden Abfalleimern.
In anderer Hinsicht unterschied sich das Camp jedoch deutlich von den Campingplätzen, die ich kannte. Flaggen mit Wappensymbolen flatterten fast an allen Zeltstangen, als wäre jedes einzelne Zelt ein eigenständiges Land. An den Wäscheleinen hingen Wamse, Strumpfhosen und Kappen, und nicht T-Shirts, Shorts und Badeanzüge, wie man es sonst auf Campingplätzen gewohnt war.
Manche Camper hatten aufwendige Grillvorrichtungen über offenen Feuerstellen errichtet. Andere lagerten Bierfässer im Schatten eines kleinen am Zelt angebrachten Überdachs. Ich ging an Pyramiden von Jonglierbällen vorbei, Stapeln von Fackeln, die offensichtlich zur Ausstattung eines Feuerschluckers gehörten, alten Instrumenten sowie einem Arsenal an tödlichen Waffen, das ausgereicht hätte, um einen zweiten Hundertjährigen Krieg zu beginnen. Nackte Hintern sah ich nicht, vermutete jedoch, dass sie sich erst zu späterer Stunde zeigen würden, wenn die Darsteller von der Arbeit ins Camp zurückkehrten und die Freizeit begann.
Ich war so in die Betrachtung der Details vertieft, dass mir nicht bewusst war, ins Rittercamp eingedrungen zu sein, bis ich fünf schmutzige Fußsoldaten bemerkte, die in Campingstühlen um eine Feuerstelle herum lümmelten, mit dem Rücken zum Eingang des riesigen bunten Pavillons, an dem die Standarte mit dem schwarzen Drachen flatterte.
In weniger als dem Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, wie ich das Interesse der Soldaten an mir einzuordnen hatte. Während ich vor ihren ungenierten Blicken zurückwich, rief der bulligste unter ihnen, der aussah, als hätte er seit der Schlacht bei Hastings nicht mehr gebadet, über die Schulter: »Jack! Die Abendunterhaltung ist schon da! Sie kann es wohl kaum erwarten, bis es losgeht!«
Ich blieb wie angewurzelt stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sagte eisig: »Wie bitte?«
»Oh-oh!« Der bullige Soldat stieß den Mann neben sich in die Seite. »Die hat Feuer unter dem Hintern. Jack wird sie gefallen.«
Die anderen grunzten und glucksten anzüglich. Ich überschlug gerade, wie lange ich brauchen würde, um das dämliche Grinsen aus ihren Gesichtern zu wischen, als Sir Jacques de Poitiers aus dem Pavillon auftauchte und sein schwarzes Lederwams mit dem Drachenemblem zurechtzupfte. Sein Blick traf meinen, und ein kleines erstauntes Lächeln spielte um seine Lippen. Er machte eine wedelnde Handbewegung, und die grinsenden, noch immer glucksenden Soldaten verschwanden.
»Verzeiht das Betragen meiner Kameraden.« Er kam auf mich zu und blieb ein paar Schritte von mir entfernt stehen, als fürchtete er, ich würde das Weite suchen, sollte er mir zu nahe kommen. Er hatte eine tiefe, raue Stimme mit einem attraktiven Klang, und seine kohlschwarzen Augen wurden von langen, dunklen Wimpern umrahmt. »Sie sind Barbaren. Sie haben nichts anderes gelernt.«
»Ich kann ihnen ja Manieren beibringen«, erbot ich mich und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich fürchte, Eure Lektion würde auf taube Ohren stoßen, und Eure Fäuste auf ziemlich dicke Schädel«, sagte er mit anziehendem Grinsen. »Bitte erlaubt mir, mich für sie zu entschuldigen. Sie werden Euch nicht wieder belästigen.«
»Entschuldigung angenommen. Wenn Sie mich nun Ihrerseits entschuldigen würden …«
»Nur noch einen Moment, bitte. Ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.« Er stellte einen Fuß seitlich ausgestreckt nach vorn und versank in einer tiefen Verbeugung. »Sir Jacques de Poitiers, zu Euren Diensten.«
»Madame de Bergère«, sagte ich und knickste höflich. Ich hatte nicht vorgehabt, mir einen Rennie-Namen zuzulegen, war jedoch froh, dass mir spontan ein passender eingefallen war. »Bergère« war das französische Wort für Shepherdess – Schäferin –, und mehr wollte ich dem Drachenritter nicht von meinem wahren Namen verraten. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Aber nun muss ich wirklich …«
»Warum sind wir uns nicht schon früher begegnet, Mistress?«
Ich zuckte die Schultern. »Reine Glückssache, nehme ich an.«
»Aber, aber«, sagte der Ritter in neckend tadelndem Ton. »Ihr dürft nicht böse mit mir sein, weil meine Männer sich so unritterlich benahmen. Im Gegensatz zu ihnen weiß ich, wie man eine Dame behandelt.«
Er machte einen Schritt auf mich zu, und der Bierdunst, den er ausströmte, war stark genug, um Granit zu verätzen. Ich hustete, warf einen verstohlenen Blick auf das Emblem auf seinem Lederwams und verstand mit einem Mal die Bedeutung des Ausdrucks »Pesthauch des Drachen«.
»Mistress«, fuhr er fort, »Ihr scheint verärgert. Habt Ihr Euch vielleicht verirrt? Ein Wort von Euch genügt, und ich geleite Euch gern zu Eurem Ziel.«
Das Ticken der Uhr in meinem Hinterkopf wurde vernehmlicher. Mir kam der Gedanke, dass es möglicherweise sinnvoll war, einige Minuten in Gegenwart des Lüsternen Jack zu verbringen, wenn er mir half, Edmonds Zelt vor Einbruch der Dunkelheit zu finden. Ich blickte in seine dunklen Augen und erfand eine zu meinem neu erworbenen Rennie-Namen passende Geschichte.
»Ich brauche kein Geleit«, sagte ich, »aber eine Wegbeschreibung wäre hilfreich. Das Problem ist, dass ein Kunde in meiner Standbude ein Regal beschädigt hat. Ich hätte gern, dass Edmond es repariert, und deshalb müsste ich wissen, wo sein Zelt ist.«
Sir Jacques runzelte die Stirn. »Edmond wird erst weit nach Beendigung der Schlusszeremonie in sein Quartier zurückkommen. Das hält er immer so, und so traurig es ist, muss ich sagen, dass die viele Arbeit und sein Mangel an Zerstreuung ihn zu einem faden Burschen haben werden lassen.«
»Das ist aber merkwürdig.« Ich bemühte mich, sowohl besorgt als auch erstaunt zu klingen. »Er hat mich nach Kirmesschluss zu seinem Zelt bestellt.«
»Ach, tatsächlich?« Die erstaunte Miene verwandelte sich langsam in ein wissendes Grinsen. »Der standhafte Eddie macht früher Feierabend, um Euch in seinem Zelt zu treffen? Es wird ganz schön eng zugehen, in seiner kleinen Hütte, aber es wird sicher die Mühe wert sein … für ihn wenigstens. Nun ja, ich kann durchaus verstehen, warum es ihn zurücktreibt, auch wenn ich zugeben muss, dass ich von ihm niemals erwartet hätte, dass er sich von … seinen Trieben leiten lässt.«
Sir Jacques’ Anzüglichkeiten waren ebenso beunruhigend wie grob. Ich machte den Versuch, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.
»Ich glaube, es handelt sich um ein kleines Missverständnis«, begann ich. »Edmond Deland und ich sind nicht …«
»Ihr könnt vor mir keine Geheimnisse haben, Mistress.« Der Ritter machte eine bestimmende Geste mit der Hand. »Euer bezauberndes Erröten verrät Euch, auch wenn Eure wohlgeformten Lippen das Gegenteil beteuern. Es freut mich zu hören, dass Eddie endlich aufgewacht ist, obwohl ich fürchte, dass jemand im Camp enttäuscht sein wird zu hören, dass er nicht so tugendhaft ist, wie es scheint.« Er kam noch einen Schritt näher. »Ich hoffe für ihn, dass auch Ihr es nicht seid.«
»Hören Sie auf, sich lächerlich zu machen«, sagte ich ungeduldig. »Ich bin alt genug, um seine …«
»Was hat das Alter mit Leidenschaft zu tun?«, fiel mir Sir Jacques ins Wort. »Wenn es der Jugend nicht gelingt, Euren Durst zu stillen, hoffe ich, dass Ihr Euch erinnert, dass ein älterer, erfahrener Mann – ein richtiger Mann – bereit ist, Eure wildesten Fantasien zu erfüllen. Kommt, mein Blütenblatt, seid nicht schüchtern. Kostet die Freuden, die Euch erwarten.«
Ehe ich auf seine grotesken Worte reagieren konnte, packte er mich um die Taille, presste mich an sich und drückte seine Lippen auf meine. Ich hätte nicht sagen können, ob es ein guter Kuss war oder nicht, weil ich mir alle Mühe geben musste, mich nicht zu übergeben. Der Lüsterne Jack hatte jedenfalls noch nie etwas von Zahnpasta oder sonstiger Mundpflege gehört, obwohl er sie dringend benötigte.
Ich drehte das Gesicht zur Seite und stemmte mich mit aller Macht von seiner Brust weg, doch seine Übungen auf dem Turnierplatz hatten ihm Bärenkräfte verliehen. Seine Arme umklammerten mich wie Stahlbänder.
»Sie hat Temperament«, sagte er atemlos. »Sie hat Feuer.«
Ich würgte, als mir sein Bierdunst in die Nase kroch, doch dann hob ich entschlossen ein Knie zum Saum seines Wamses.
»Wenn Sie je wieder aufrecht im Sattel sitzen wollen«, sagte ich keuchend, »lassen Sie mich augenblicklich los.«
Sir Jacques senkte seinen Blick, überdachte seine Lage kritisch und ließ mich frei. Vor Wut zitternd wich ich zurück.
»Wagen Sie es nie mehr, mir nahezukommen«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Und kaufen Sie sich eine Zahnbürste, um Himmels willen!«
Angewidert spuckte ich in die Feuerstelle, machte auf dem Absatz kehrt und brauste davon. Ich lief und lief, bis ich etliche Jurten zwischen mich und den Drachenritter gebracht hatte, dann huschte ich in die Lücke zwischen zwei leeren Armeezelten, um wieder zu Atem zu kommen. Vor Widerwillen bebend, spuckte ich mehrmals aus.
Während ich darauf wartete, dass sich mein Blutdruck senkte, dämmerte es mir allmählich, dass ich bei meiner unverhofften Begegnung mit dem Lüsternen Jacques trotz allem zwei nützliche Informationen erworben hatte. Zum einen hatte ich erfahren, dass Edmond noch eine ganze Zeit lang nicht zu seinem Zelt zurückkehren würde, und zum anderen erinnerte ich mich jetzt wieder daran, dass das Händlercamp einige hundert Meter zur Linken des farbenfrohen Pavillons lag.
Ermutigt wischte ich mir mit dem Hemdärmel über den Mund und machte mich auf den Weg. Ich fand es ohne weitere Schwierigkeiten und, mich an die Beschreibung von Mistress Farseeing erinnernd, ging ich von Zelt zu Zelt, bis ich das ordentlichste gefunden hatte. Abgesehen von einem Fahrrad in Blau metallic, das danebenstand, und einem riesigen Wasserkrug auf einem Hocker in der Nähe des Zelteingangs war der Platz darum herum aufgeräumt, auch nicht ein Schnipselchen Abfall lag herum. Ich war mir jedoch erst hundertprozentig sicher, mein Ziel erreicht zu haben, als ich auf dem ledernen Werkzeugbeutel am Fahrradlenker ein Monogramm entdeckte.
»ED«, sagte ich leise und fuhr mit der Fingerspitze die Initialen nach. »Edmond Deland. Heureka, ich habe es gefunden!«
Edmonds Zelt war deutlich größer als ein durchschnittliches Handtuch, aber ganz sicher nicht gerade Tadsch Mahal. Mit den Seilen, Pflöcken und dem khakifarbenen Segeltuch, den geraden Wänden und dem spitzen Dach sah es wie ein altes Armeezelt aus. Es war nicht schick, doch schien es genügend Kopffreiheit und Liegefläche für vier enge Freunde zu bieten. Ich borgte mir eine Handvoll Wasser aus dem Krug, um mir gründlich den Mund auszuspülen, ehe ich die Zelttür zur Seite zog und Edmonds Domizil betrat.
Es war bescheiden, beinahe spartanisch. Das Zelt hatte keinen Boden, aber Edmond hatte für Regentage vorgesorgt, indem er seine Habseligkeiten auf Plastickisten verstaut hatte. Ansonsten bestand das Mobiliar aus einem schmalen Feldbett, einem Kartentisch und einem Klappstuhl. Auf dem Tisch gab es einen Plastikteller, eine Plastiktasse und Plastikbesteck, und an der Dachstange hing eine Campinglaterne. Sein Kulturbeutel, ein ordentlich gefaltetes Handtuch und ein kleiner, rechteckiger Spiegel lagen auf einer Plastikkiste am Fuße seines Bettes.
Eine weitere Kiste neben dem Kopfende war mit den üblichen Accessoires bestückt. Das gerahmte Foto von Mirabel blickte zum Kissen. Darauf hatte sie ihr langes braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie trug ein blassrosa T-Shirt, Jeans und braune Sandalen und stand auf den Eingangsstufen eines einfachen Backsteinbungalows. Sie blickte scheu in die Kamera, als wäre es ihr ein wenig peinlich, auf dem Film verewigt zu werden.
Während ich Mirabels lächelndes und sehr junges Gesicht betrachtete, fragte ich mich, ob sie wusste, wie sehr Edmond sie liebte. Ich bezweifelte es. Die Eddies dieser Welt bekamen nicht sehr viel Anerkennung für ihre tief empfundenen Gefühle, und doch war Edmonds Liebe zu Mirabel so unverbrüchlich wie rein. Ist mir egal, ob du mich je wieder eines Blickes würdigst. Ich will einfach nicht, dass du verletzt wirst. Sein Glück zählte nicht, so lange er wusste, dass sie glücklich war. Also konnte er nicht tatenlos zusehen, wie sie verletzt werden würde.
Edmond tat mir leid, ich meinte jedoch auch Mirabel zu verstehen. Sie war zu jung, um zu schätzen, was Edmond ihr bot. Verlässlichkeit war ein bewundernswerter Zug, aber nicht gerade aufregend. In dieser Phase ihres Lebens wollte Mirabel ein Feuerwerk der Gefühle und nicht eine beständige, verlässliche Flamme, und ich konnte sie dafür nicht verurteilen. Wer würde nicht die normale Welt gegen eine eintauschen, die von Zauberern, Drachen und Träumen bevölkert war? Sie war noch nicht alt genug, um zu wissen, dass Zauberer böse sein und Drachen Feuer spucken konnten, und dass es manchmal gerade die schlimmsten Träume waren, die wahr wurden.
Mirabel würde Edmonds wirkliche Welt nicht schätzen können, ehe ihre Fantasiewelt um sie herum nicht eingestürzt war. Ich musste den jungen Handwerker davon abhalten, etwas zu tun, was ihn für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen würde. Ein nobles Herz wie seines zu retten war die Mühe wert. Außerdem würde seine Liebste ihn dringend brauchen, wenn der König des Spiels mit ihr überdrüssig war.
Ich wandte mich von dem Foto ab, ließ den Blick durchs Zelt schweifen und seufzte. Ich musste erst gar nicht mit dem Suchen beginnen, um zu wissen, dass die Krone nicht da war. Eine zackige Krone mit glitzernden Edelsteinen wäre unter Edmonds Habseligkeiten ebenso aufgefallen wie ein aufblasbares Krokodil. Ich überprüfte den Boden auf Unebenheiten, fand jedoch nichts, was darauf hindeutete, dass er die Krone vergraben hatte.
Ich hätte vor Enttäuschung heulen können. Was hatte ich nicht alles auf mich genommen, um in Edmonds Zelt zu gelangen! Lord Belvedere hatte mir einen Heidenschrecken eingejagt, schmuddlige Fußsoldaten hatten mich anzüglich gemustert, und schließlich war Sir Jacques de Poitiers über mich hergefallen. Und alles war umsonst gewesen. Auch wenn ich mir das Heulen verkniff, erlaubte ich mir ein kleines Stöhnen voller Selbstmitleid, bevor ich zum Zeltausgang ging. Ich hatte Edmonds Zelt aufgesucht und getan, was ich konnte, und jetzt wollte ich nur noch nach Hause.
Meine Finger berührten die Zeltplane, als ich plötzlich sich nähernde Schritte hörte.
»Edmond!«, rief ein Mann. »Warte noch einen Moment, ja? Ich muss mit dir wegen des Plans für nächstes Wochenende reden.«
Meine Finger zuckten zurück, und ich machte einen Satz vom Zelteingang weg. Ich fühlte mich eingekesselt und furchtbar töricht. Wenn Edmond mich in seinem Zelt erwischte, lief ich Gefahr, noch vor ihm hinter Gitter zu landen. Kurz überlegte ich, an Ort und Stelle zu bleiben und mir eine Geschichte zurechtzulegen, beschloss aber, dass diese Taktik nicht aufgehen würde. Außerdem, wenn Edmond mich jetzt von nahem sah, würde er sich an mich erinnern, und es wäre mir nicht mehr möglich, ihn zu beschatten.
Ich ließ die Augen über die Kisten schweifen, das Feldbett und den Kartentisch, aber wo kein Platz war, eine Krone zu verstecken, war erst recht kein Platz für eine ausgewachsene Frau, um sich zu verbergen. Dann fiel mein Blick auf einen Lichtspalt zwischen Erde und unterem Zeltrand, und in Sekundenschnelle entstand ein Fluchtplan.
Rasch war ich im hinteren Teil des Zeltes, warf mich auf den Boden und krabbelte unter der Zeltwand hindurch in die Freiheit. Bei dem heiklen Manöver verlor ich meine Wulsthaube, aber ich langte rasch mit der Hand unter der Zeltplane hindurch, ertastete die Haube und brachte sie in Sicherheit, Sekunden bevor Edmond sich von seinem Freund verabschiedete und sein Zelt betrat.
Vor Erleichterung zitternd, drückte ich mir die Haube auf den Kopf und versuchte, auf allen vieren wegzukriechen. Dabei machte ich die Erfahrung, dass es nicht einfach ist, mit zwei knöchellangen Röcken und einer Schürze auf der Erde zu robben. Es gelang mir, etwa einen Meter wettzumachen, ehe ich aus Versehen mit dem Knie auf die Schürze trat und mit dem Gesicht nach vorn auf die Erde fiel. Da schlug ich alle Vorsicht in den Wind, richtete mich auf und rannte los.
Um zum Kirmesgelände zurückzukehren, brauchte ich länger als erwartet, weil in dem Camp inzwischen sehr viel mehr los war als bei meiner Ankunft. Wohin ich auch schaute, überall kochten Camper Abendessen, spielten Gitarre, machten Yoga, tranken ein Bier oder führten scherzhafte Gespräche; die jungen Leute versuchten auf alle möglichen Arten, sich von der Anspannung des Tages Luft zu machen. Der Menschenandrang und Edmonds Rückkehr bestätigten mir, dass die Kirmes die Pforten für dieses Wochenende endgültig geschlossen hatte.
Was bedeutete, dass die Haupteingänge im Torhaus ebenfalls verschlossen waren. Doch ich machte mir keine Sorgen, auf dem Kirmesgelände oder, schlimmer, im Camp gefangen zu sein und dort die Nacht verbringen zu müssen, kannte ich doch einen geheimen Ausgang. Sobald ich das Kirmesgelände erreicht hatte, ging ich in Richtung Shire Stage und zu dem dahinterliegenden Tor, das mir Jinks gezeigt hatte.
Inzwischen war ich so entmutigt, dass ich auch nicht den leisesten Protest erhoben hätte, wäre ich festgenommen worden. Die Fahrt in einem Polizeiwagen hätte mir den langen Fußweg nach Hause erspart. Doch so sehr ich auch Ausschau nach einem eifrigen Wachmann hielt, die Gassen lagen verlassen da, die Buden waren verschlossen und die Bühnen leer. Einen Ort, der kurz zuvor noch so von Leben erfüllt gewesen war, plötzlich derart verstummt zu sehen, war traurig. Deshalb verspürte ich kein Bedauern, als ich das Tor öffnete, hindurchschlüpfte und es leise hinter mir zumachte.
Ich hielt mich an dem Schutzzaun entlang, der zu Mr Malverns Weide führte, und folgte dann dem von den Kühen angelegten Trampelpfad zum Zaunübertritt. Jinks’ Camper war nicht mehr da. Offensichtlich hatte er keine Zeit verloren, um den Kirmesstaub von seinen Schuhen zu schütteln und zu der Wohnung seines Freundes in Cheltenham zu fahren.
»Kein Zechen mit den Kumpels heute Abend«, murmelte ich, während ich über den Zaunübertritt stieg. Ich rief mir seine Vorliebe für Riesling in Erinnerung und hoffte für ihn, dass sein Freund in Cheltenham über einen gut bestückten Weinkeller verfügte.
Erst als ich in unserem hinteren Garten stand, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Edmonds Geräteschuppen hinter der Farthing Stage würde ein ausgezeichnetes Versteck abgeben. Die Krone lag womöglich in einer Werkzeugkiste, mit einem Öltuch bedeckt, oder hinter einem Sack Sägemehl, und niemand außer Edmond würde von dem Versteck erfahren. Die Erkenntnis, dass ich eine so gute Gelegenheit verpasst hatte, den Schuppen in aller Ruhe zu durchsuchen, nun, da die Kirmes menschenleer war, war einen Augenblick lang so überwältigend, dass ich schwankte.
»Dumm, wie dumm, wie kannst du nur so dumm sein«, murmelte ich und schlug mir mit dem Handballen an die Stirn.
»Lori?«, sagte Bill, der aus dem Wintergarten trat. »Ist alles in Ordnung?«
Als ich mir vorgestellt hatte, wie Bill mich zum ersten Mal in meinem Aufzug sehen würde, hatte ich das Bild vor Augen, das Jinks und Lord Belvedere, ja sogar Sir Jacques zu sehen bekommen hatten. Aber jetzt war ich schmutzig, verschwitzt, zerzaust, entmutigt und vor Anspannung rot im Gesicht. Die Ungerechtigkeit all dessen, was mir widerfahren war, wallte in mir auf, und ich konnte das Heulen, das ich in Edmonds Zelt unterdrückt hatte, nicht länger zurückhalten. Ich warf mich in Bills Arme und brach in Tränen aus.
»Alles in Ordnung«, brachte ich schniefend hervor, um dann wieder unkontrolliert an seiner Schulter zu schluchzen. »Es war einf-fach nur ein langer T-tag.«